DREIZEHN
~ In welchem unsere Heldin sich als solche würdig erweist ~
Maia starrte die rubinbesetzte Haarnadel den ganzen Heimweg nach Blackmont Hall hin an und versuchte sich zu erinnern, wo sie diese schon einmal gesehen hatte.
Es war ein auffälliges Stück Handarbeit: elegante Metallschnörkel rankten sich um die Nadel, in die man fünf kleine Rubine kunstvoll eingearbeitet hatte. Und sollte sie dann den Besitzer ausfindig gemacht haben, bedeutete das natürlich noch lange nicht, dass sie oder – man konnte zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine Möglichkeit außer Acht lassen – er irgendetwas mit Corvindales Verschwinden zu tun hatte. Aber aus der Tatsache, dass es Rubine waren, zusammen mit Maias untrüglichem Sinn für Ärger, der dort in dem Hinterzimmer geweckt worden war, kam sie zu der logischen Schlussfolgerung: fände sie nur den Besitzer, so würde sie auch Informationen zum Verbleib Corvindales finden.
Der Wachtmeister hatte ihren besorgten Ausführungen zugehört und schien auch willens, etwas zu unternehmen, da ein wichtiges Mitglied der britischen Hocharistokratie verschwunden war. Aber gleichzeitig schaute er sie etwas scheel an, wie um zu fragen, was sie eigentlich mit der Sache zu tun habe. Und auch, warum ein Earl ihr denn eigentlich Rede und Antwort zu stehen habe, in dem, was er tat.
Und zu allem Überfluss hatte Maia keine Möglichkeit, sich mit Chas in Verbindung zu setzen, um ihn über alles zu unterrichten. Aber Angelica würde es Dewhurst erzählen, und vielleicht könnte man auch den anderen Vampir, Mr. Cale, benachrichtigen, und dann würden sie mit der Suche beginnen.
Maia schüttelte den Kopf. Bis dahin könnte, so unmöglich das auch schien, Corvindale bereits tot sein.
Der Gedanke war wie eine kalte Hand um ihr Herz, und sie schluckte und betrachtete die Haarnadel mit noch größerer Entschlossenheit. Sie selbst konnte nicht viel tun, außer herauszufinden, wem sie gehörte. Das war eines der Dinge, bei denen Dewhurst und Mr. Cale nicht helfen konnten. Aber es war etwas, womit Maia sich beschäftigen konnte. Sie gehörte offensichtlich einer Frau, und es gab zwei Möglichkeiten herauszufinden, wer sie war.
Sobald sie wieder auf Blackmont Hall eingetroffen war, schickte Maia Tren los, um Crewston und Mrs. Hunburgh über das Verschwinden des Earl zu unterrichten. Jemand musste sich um alles kümmern, und Maia war es derart gewohnt, dies zu tun, dass es ihr gar nicht in den Sinn kam, es jemand anderem zu überlassen – nicht einmal Tante Iliana.
Dann ließ sie nach Angelica und Mirabella rufen, nur um herauszufinden, dass Dewhurst sie zu einer Spazierfahrt in den Park mitgenommen hatte. Also schickte sie Tren los, um sie nach Hause zu bringen.
Als Nächstes ließ sie die Zofe kommen, die sie und Angelica sich teilten. Während sie Betty die Haarnadel zeigte, erzählte sie ihr nur, dass sie diese wieder ihrer Besitzerin zukommen lassen wollte, und dass sie sich sicher war, der Besitzerin unlängst bei einer der Einladungen begegnet zu sein. Da sie wusste, wie eng die Gemeinschaft der Diener miteinander verstrickt war, und wie Bedienstete der verschiedenen Haushalte der Londoner Society untereinander tratschten, und dass vor allen anderen Leuten, es die Kammerzofen waren, die wissen würden, wer denn nun solche Haarnadeln trug, dachte Maia, dass dieser Weg der beste sei, um die Unbekannte zu identifizieren. Also schickte sie Betty zum Markt, um dort etwas einzukaufen, wo ihr sicherlich ein paar geschwätzige Diener über den Weg laufen würden.
Danach ließ sie nach Tante Iliana schicken, und während sie auf diese wartete, begann sie, den Stapel der Visitenkarten und Einladungen durchzugehen, die für sie und Angelica eingetroffen waren, und auch für Corvindale selbst. Normalerweise ignorierte er solche Dinge und überließ es dem Mann, der seine Geschäfte führte, oder Crewston, sich um Besucher zu kümmern.
Sie dachte, wenn sie diese Papiere durchginge, würde es vielleicht bei ihr eine Erinnerung wachrufen, wo und wann sie die Frau mit der Haarnadel gesehen hatte. Maia wusste, es handelte sich nicht um jemand aus der besseren Londoner Gesellschaft, den sie dort kannte. Es war entweder ein Neuankömmling – jemand aus einem anderen Landkreis oder einem anderen Land, der in die Hocharistokratie eingeheiratet hatte – oder jemand, der für ein paar Jahre nicht Mitglied der besseren Gesellschaft gewesen war, oder eine entfernte Verwandte. Oder sogar, kam ihr plötzlich, jemand aus der Demimonde. Diese Frauen waren zwar gesellschaftlich nicht akzeptabel, aber sie verkehrten dennoch mit den Männern dieser Gesellschaft in ihrer Funktion als Geliebte. Vielleicht hatte sie eine Dame gesehen, die solchen Schmuck trug, als sie ihre Einkäufe machte, oder im Theater.
„Maia, was um Himmels willen ist denn los?“ Tante Iliane erschien auf der Türschwelle des Salons. Eine attraktive Frau um die vierzig oder vielleicht auch fünfundvierzig. Sie war fast genauso groß und genauso kompakt gebaut wie ein Mann, obwohl sie ganz und gar nicht männlich aussah. Ihre Haut war fast so dunkel wie die des Earl, und ihre Augen hatten eine Farbe wie starker Tee.
Maia war recht schockiert, sie in weite Hosen und in ein Männerhemd gekleidet zu sehen, zusammen mit weich aussehendem Schuhwerk. Das Haar der älteren Frau war straff aus dem Gesicht zurückgezogen und zu einem Zopf geflochten, und ihre Wangen waren verschwitzt und leicht gerötet. Sie sah aus, als hätte sie gerade etwas körperlich sehr Anstrengendes unternommen.
„Ich bitte um Verzeihung für diesen Aufzug“, sagte sie reumütig. „Aber Hunburgh sagte, es sei dringend, dass es mit D– ... dem Earl zu tun hätte.“
„Er ist verschwunden“, sagte Maia und erklärte ihr alles. Zum Schluss zeigte sie Iliana die Haarnadel.
Iliana warf einen Blick darauf und sagte dann leise etwas sehr Undamenhaftes zu sich selbst. „Rubine. Jemand weiß von seiner Asthenie.“ Dann sah sie Maia an, als hätte man sie auf frischer Tat ertappt.
„Was bedeuten diese Rubine?“, fragte Maia. „Haben sie auf alle Drakule dieselbe Wirkung?“
Iliana schien einen kurzen Moment lang abzuwägen, Maia einzuschätzen. Und als sie zu dem Schluss kam, es wäre in Ordnung, sie mit einzuweihen, sagte sie, „Man nennt es Asthenie. Jeder Drakule hat seine eigene, ganz besondere Schwäche. Die Wirkung ist wie eine Lähmung, und wann immer sie direkt mit ihm in Berührung kommt, kann das große, unglaubliche Schmerzen verursachen. Ihre Vermutung war richtig. Jemand hat diese Edelsteine benutzt, um ihn so zu schwächen, dass man ihn entführen konnte. Man hätte Dimitri niemals auf andere Weise fangen können.“
Es war unnötig, Maia das zu erzählen. Obwohl sie niemals Anlass gehabt hatte, ihn in Gefahr oder in einer Auseinandersetzung zu sehen, so legte schon seine bloße Präsenz nahe, bei ihm handele es sich um einen Mann, der immer alles unter Kontrolle habe. Eine Erinnerung blitzte auf, von dieser nackten, gemeißelten Brust, den breiten Schultern und den langen, glatten Kurven seiner muskulösen Oberarme, und der Magen flatterte ihr wieder. Nein, in der Tat. Er wäre nur durch einen Hinterhalt zu überwältigen.
Sie erklärte Iliana, was sie unternommen hatte, um die Besitzerin der Haarnadel ausfindig zu machen, und die andere Frau nickte zufrieden. „Sehr gut. Wenn Angelica und Voss zurückkehren, können wir Nachricht an Giordan und Chas senden.“
Maia wunderte sich über diese Frau, und heute war sicher nicht das erste Mal. Sie sprach von Vampiren und deren Welt mit einer solchen Vertrautheit. „Wer sind Sie?“, fragte Maia. „Sie sind nicht wirklich Corvindales Tante, nicht wahr?“
Iliana lachte. „Nein, natürlich nicht. Dann wäre ich ja über hundertzwanzig Jahre alt, und eine alte Schachtel obendrein – oder eine Drakule. Nein, wahrhaftig nicht. Ich bin lediglich jemand, der die Bedrohungen seiner Welt versteht, und eine alte Freundin von Dimitri. Ich habe geholfen, Mirabella großzuziehen, nachdem er sie gefunden hatte. Sie musste vor den Feinden des Earl beschützt werden, und ich brauchte einen Ort zum Leben, weit weg von... Nun, das ist eine andere Geschichte und für später, wenn wir mehr Zeit dafür haben. Nur so viel“, fuhr sie fort, „ich habe gelernt, auf mich selbst aufzupassen und mich vor den schrecklichen Kreaturen zu schützen. Selbst Ihr Bruder sagte, ich wäre recht gut darin.“
Maia schaute sie an. „Könnten Sie mir etwas beibringen?“
Die ältere Frau öffnete den Mund, wahrscheinlich um nein zu sagen, aber Maia drang weiter in sie. „Wenn ich in dieser Welt leben soll, in der meine Schwester einen ehemaligen Vampir heiratet, mein Bruder sie jagt, und mein sogenannter Vormund selber einer ist, dann finde ich es nur angebracht, wenn auch ich lerne, mich zu schützen. Ganz besonders, da es Vampire gibt, die auf uns Jagd machen. Mein Vater hat mir das Schießen mit einer Pistole beigebracht, als ich zwölf war“, fügte sie noch hinzu, als Iliana begann, mit dem Kopf zu schütteln.
„Ihr Bruder wird es niemals gestatten.“
„Er braucht es nicht zu wissen“, sagte Maia entschlossen. „Niemand braucht davon zu wissen.“
Iliana runzelte die Stirn und warf dann resigniert die Hände in die Luft. „Also gut. Aber erzählen Sie es dem Earl nicht.“
~*~
Maia fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und saß kerzengerade im Bett.
Das Herz hämmerte ihr, und ihr Körper war schweißnass,
Das war kein angenehmer Traum gewesen. Bilder jagten wie dunkle Schatten noch durch ihren Kopf und ließen sich nicht verscheuchen. Kein Traum von einer warmen, roten Welt mit köstlichen Lippen und samtweicher Zunge, von Zähnen, die sanft in williges Fleisch hineinglitten, sondern einer von zerfetztem Fleisch und schmerzerfüllten Schreien. Gewalt und Vergewaltigung.
Ihr Atem wollte sich kaum beruhigen, und Maia warf die Bettdecken von sich, in dem Versuch, die letzten Traumfetzen mit der schnellen Bewegung wegzufegen. Es funktionierte nicht sofort, aber allmählich verblassten die hässlichen Gefühle.
Mondlicht schimmerte über ihr leeres Bett und den Tisch daneben, Maias Blick fiel auf die zwei neuen Gegenstände dort auf ihrem Nachttisch: die Rubinhaarnadel und der schmale Holzpflock.
Wie versprochen hatte Iliana Maia in ein leeres Zimmer im Dienstbotenflügel von Blackmont Hall mitgenommen. Der Raum war fast unmöbliert und hatte auch keine Fenster. Dort hatte sie Maia den richtigen Griff gezeigt, wie man einen Pflock halten muss, und wie man am besten zielt, wenn man einen Vampir aufspießen wollte.
„Ins Herz hinein“, sagte sie, „dann sterben sie augenblicklich.“
Ein kleines Schaudern durchlief Maia, als sie daran dachte, wie Chas sich quer durch das Zimmer im White’s geworfen hatte, um seinen Pflock in Voss' Herz zu rammen. Wenn dieser keinen Panzer getragen hätte, wäre er jetzt tot.
Maia und Iliana übten ein Weilchen, wobei die flinken Bewegungen und die Beweglichkeit der anderen Frau Maia verblüfften, und sie fand heraus, dass Iliana dafür auch recht viel trainierte. Maia ging da auf, dass ihr eigener Tagesablauf, mit den kleinen Spaziergängen, ein bisschen Reiten, und viel Sitzen, ihr eine deutlich schlechtere physische Kondition beschert hatten. Und obwohl sie nach der Stunde mit Iliana schrecklich warm und verschwitzt war, fühlte sie sich dennoch auch voller neuer Energie. Aber jetzt war ihr ein wenig wund, überall.
Sie beschloss, von nun an jeden Tag ein bisschen zu trainieren, wenn möglich mit Iliana. Aber im Augenblick war sie unruhig und hatte das Bedürfnis, ihr Schlafzimmer zu verlassen.
Sie ließ den Pflock auf ihrem Nachttisch liegen und trippelte den Flur hinunter zur Treppe. Vielleicht würde ein Buch ihr etwas Ablenkung verschaffen. Oder eine Tasse Milch oder sogar ein Stück Käse und ein Apfel.
Als sie unten an der Treppe angekommen war, hörte sie Stimmen. Das Herz schlug ihr höher, und sie eilte mit wehendem Nachthemd die Halle entlang. Unten an der Tür zu Corvindales Büro war ein Lichtstrahl zu sehen, und so – ohne einen Gedanken an ihren Aufzug zu verschwenden oder an die Schmach, die sie bei ihrer letzten Begegnung mit ihm empfunden hatte – stürmte Maia durch die Tür.
„Oh“, sagte sie dann, wie festgewurzelt. Nicht Corvindale.
Es war Dewhurst ... und Angelica. Sie standen in der Mitte des Zimmers, in einer Umarmung, die augenblicklich den letzten Schrecken ihres Traums verscheuchte.
„Maia“, sagte Angelica, wobei sie sich aus einem Kuss löste, der sehr leidenschaftlich gewesen sein musste ... und noch so einiges mehr. Ihre Lippen waren geschwollen, und ihre Wangen bedeckte ein wundervoll dunkler Hauch von Röte. Dewhurst ließ sie nicht los, und sie schien auch nicht sehr daran interessiert, etwas Abstand zwischen sie beide zu bringen. „Ist alles in Ordnung?“
Maia schluckte und versuchte, die Hitze zu ignorieren, die ihr ins Gesicht geschossen war. Sie hatte jetzt sicher einen hochroten Kopf. „Ich hörte Stimmen und dachte, der Earl wäre vielleicht zurück oder gefunden worden.“
Dewhurst schüttelte den Kopf, und Maia konnte ihre Augen nicht losreißen, wie seine elegante Hand sich an Angelicas Hals offensichtlich ganz Zuhause fühlte, ein Finger war hinten an ihrem Nacken in den Zopf dort gewandert. Es war so eine einfache Geste, und doch sehr intim. So selbstverständlich, und zeigte, wie tief und selbstverständlich die Beziehung zwischen den beiden war.
Eifersucht stach Maia kurz, und sie schämte sich sofort dafür. Alexander war ein guter Mann, und er liebte sie. Vielleicht verursachte er ihr nicht dieses köstliche, innere Flattern, und seine Küsse entfachten kein leidenschaftliches Feuer in ihr, aber er war finanziell abgesichert und stets von tadelloser Höflichkeit und recht langweilig. Sie ließ ihren weiteren Gedankengang dort enden.
„Ich habe mit Cale gesprochen und habe Chas eine Nachricht zugesandt–“
„Wie haben Sie das angestellt? Wissen Sie, wo er ist?“
Seine Antwort kam nicht ganz freiwillig. „Wir haben Mittel und Wege, wie Bluttauben und private Boten und andere Methoden. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich bin nur hergekommen und ... ehem...“ Er schaute Angelica an, und die Leidenschaft, die sich da in nur einem Blick zeigte, reichte, um Maia die Knie weich werden zu lassen.
„Er kam, um uns mitzuteilen, dass er noch nichts von Corvindale gehört hat“, sagte Angelica. Endlich trat sie auch einen Schritt von ihrem Verlobten weg, und Maia bemerkte da erst, dass auch sie nur in ein Nachtgewand gekleidet war. „Und um mir zu sagen, dass er selbst in Sicherheit sei.“
„Wir tun alles in unserer Macht, um ihn zu finden. Wenn Woodmore wieder hier ist, bin ich sicher, dass er weitere Ideen hat, wo wir nach Dim– ... Corvindale suchen und wie wir die Spur aufnehmen können. Wir gehen davon aus, dass Moldavi irgendwie in die Sache verwickelt ist, und da Corvindale eher weniger Zeit in Damengesellschaft verbringt, wird die Person, die dort gewesen ist und die Haarnadel verloren hat, wahrscheinlich für Moldavi arbeiten. Und jetzt, da ich mich auch am Tage frei bewegen kann, habe ich mehr Möglichkeiten.“
Angelica blickte ihn an. „Aber du bist kein Drakule mehr. Was dich verwundbarer macht.“
Dewhurst wischte dieses Argument beiseite, wie Männer es immer mit den Einwänden von Frauen zu tun pflegen, die sie nicht hören wollen. „Aber ich bin schlau und schnell, und ich habe keine Asthenie mehr.“
„Deine Asthenie ist jetzt eine Kugel“, entgegnete Angelica kurz und knapp. „Und ebenso ein Schwert, ein Pflock, und noch einige andere Waffen. Ganz zu schweigen von Feuer, und...“, ihre Stimme wurde leiser. „Bitte sei vorsichtig.“ Diese letzten Worte waren eher ein kleiner Seufzer, tief aus ihrem Herzen. Und mehr denn je fühlte Maia sich wie ein Eindringling.
„Und ihr ebenso“, sagte er mit einem Blick auf sie beide. „Das ist der andere Grund, aus dem ich gekommen bin. Cale und ich haben für weitere Wachen gesorgt, die eure Sicherheit garantieren sollen, jetzt wo Corvindale verschwunden ist. Tag und Nacht. Ich vermute, Moldavi hat ihn aus dem Weg räumen lassen, um leichter an Euch beide heranzukommen. Also geh bitte nirgends ohne Begleitung hin – ganz besonders nicht nachts. Und auch Sie nicht, Miss Woodmore“, fügte er noch an Maia gerichtet hinzu.
„Aber Vampire können tagsüber nicht unterwegs sein“, widersprach ihm Angelica. „Wir sind doch bei unseren Einkäufen und einem Spaziergang im Park sicher.“
„Corvindale wurde am helllichten Tag verschleppt“, erinnerte Dewhurst sie nachdrücklich. „Tu, was ich dir sage, Ange.“
„Ich denke, ich sollte wieder zu Bett gehen“, warf Maia ein und drehte sich zur Tür. Warum sie sich nur so einsam und verlassen fühlte, war eine Sache. Aber der andere Gedanke, der sie auf dem Weg nach oben verfolgte, war die Erkenntnis, dass sie – die ach so sittsame Miss Woodmore – gerade ihre Schwester allein mit einem Mann im Arbeitszimmer zurückgelassen hatte, ohne auch nur darüber nachzudenken. Nachts.
Was hatte sie nur so verändert?
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Den Rest der Nacht schlief Maia nur unruhig, und das Erste, was sie am Morgen tat, war eine Nachricht an Alexander zu schicken, dass die Hochzeit verschoben werden musste, bis ihr Vormund wieder zurückkehrte.
Und dann setzte sie sich an den Frühstückstisch. Allein.
Maia konnte sich nicht erinnern, sie je so ... allein gefühlt zu haben. Angelica war offensichtlich sehr verliebt in ihren Viscount und hatte nicht viel Zeit für einen Plausch unter Schwestern – obwohl es gut sein konnte, dass sie bald einiges zu bereden hätten, wenn man davon ausging, wo Dewhursts Hände gestern an ihr entlang gewandert waren.
Schon bei dem Gedanken, wo sie gewesen waren, musste Maia erröten.
Sie nahm mit einem weiteren Stapel von Einladungen und Visitenkarten Platz, wild entschlossen sich zu erinnern, wo sie die Haarnadel bereits gesehen hatte. Sie hatte kaum in ihre erste Scheibe Toast gebissen und die erste Tasse Tee getrunken, da kam schon Betty durch die Esszimmertür.
„Ich habe ein Paar Neuigkeiten für Sie, Miss“, sagte sie. Betty war eine mollige, fröhliche Frau, alt genug, um Maias Mutter zu sein – oder zumindest eine sehr viel ältere Schwester. Ihre Augen leuchteten vor Vergnügen, während sie sich näherte. „Tracy Mayes, die für die Gallingways arbeitet – leicht zu merken, weil sich die Namen so’n bisschen reimen –, sagt, dass Rosie drüben bei den Yarmouths weiß, sie hat die gleiche Art von Haarnadel gesehen. Da war’n keine Rubine nich’ dran, aber Saphire.“
Ein Funken ihrer Begeisterung sprang auf Maia über. „Es war die gleiche, nur andere Steine? Sie muss vom selben Juwelier gemacht worden sein. Wer hatte denn die Haarnadel?“
„Genau das habe ich mir auch gedacht, Miss. Ich habe Nachricht zu einem der Diener in ihrem Haus geschickt. Es war eine Mrs. Rina Throckmullins, und Rosie sagte, sie hat sie gesehen, als sie und ihre Zofe beim Hutmacher waren. Sie weiß das noch, weil es so geregnet hat an dem Tag, und sie haben sich einen Regenschirm geteilt, als sie aus dem Laden gingen, also konnte sie gut ihre Haarnadeln sehen, weil sie doch so nah bei’nander war’n. Mrs. Throckmullins ist eine ... nun Miss, ich möchte nichts Unpassendes sagen. Aber sie is eine unverheiratete Dame, die nicht auf der Suche nach einem Ehemann ist, wenn Sie verstehen.“
Was hieß, dass sie eine Frau war, die sich mit Männern außerhalb der Ehe arrangierte. Wahrscheinlich eine aus der Demimonde, oder vielleicht sogar eine Witwe, die nicht in der besseren Gesellschaft verkehrte. Was wiederum hieß, Maia konnte ihr unmöglich bei einem gesellschaftlichen Anlass begegnet sein. Also musste sie die Haarnadel irgendwo anders, als da, wo sie bisher vermutet hatte, gesehen haben.
Das würde sich finden. Maia aß ihren Toast auf und dachte über diese neuen Informationen nach. Vielleicht war Mrs. Throckmullins ja nicht die Besitzerin, aber kannte zumindest den Juwelier. Es war die beste Spur, die sie bislang hatten, und Maia hielt es für lohnenswert, ihr nachzugehen. Sie würde bis zum Nachmittag warten müssen, wenn es die Zeit für Nachmittagsbesuche war.
So rief sie, nach einer kurzen Trainingsstunde in dem speziellen, leeren Raum (diesmal ohne Iliana) und einem kleinen Mittagessen, nach Tren und der Kutsche. Angelica hatte mit der Anprobe ihres Hochzeitskleids eine anderweitige Verpflichtung, und Mirabella wollte etwas neue Spitze kaufen, und daher sagten ihr beide für den Nachmittag ab.
Da sie Dewhursts Warnung ernst nahm, nirgends alleine hinzugehen, bat sie Crewston für Schutz zu sorgen, und es kamen zwei zusätzliche Lakaien mit. Ihr Plan war, Mrs. Throckmullins unter dem Vorwand, die Haarnadel zurückzugeben, einen Besuch abzustatten, was ihr dann zeigen würde, ob die Frau die Besitzerin war, oder ob sie lediglich eine ähnliche Haarnadel besaß. Sollte sich Letzteres als die Wahrheit entpuppen, dann würde sie vielleicht dennoch herausfinden, von wo die Haarnadel kam und dann dieser Spur folgen.
Und sie wäre rechtzeitig zurück, um sich für die große Dinnergesellschaft heute Abend bei den Werthingtons umzukleiden.
~*~
Maia öffnete die Augen.
Wo bin ich?
Ihre Verwirrung und ein dunkles, unbekanntes Zimmer ließen ihr etwas schwindlig werden. Sie versuchte sich aufzusetzen und stellte fest, dass ihre Körperglieder ihr nicht gehorchten. Bei dem Geräusch von Metall schwante ihr nichts Gutes.
Was um alles in der Welt?
Panik ergriff Besitz von ihr, und sie holte tief Luft, schloss die Augen und befahl sich, die Ruhe zu bewahren. Was war geschehen?
Sie kramte in ihrem Gedächtnis... Sie erinnerte sich an die Kutschfahrt zu Mrs. Throckmullins’ Haus, ein Zimmer, dass sie in einer Pension in einem respektablen Viertel der Stadt angemietete hatte, nicht unweit der Bond Street.
Mrs. Throckmullins war sehr erfreut, sie im Salon der Pension zu empfangen, und Maia stellte sich vor und erklärte den Grund ihres Besuchs. Sie erinnerte sich, wie sie ihr die Haarnadel gegeben hatte, und Mrs. Throckmullins sie bat, doch wenigstens zum Tee zu bleiben, so dass sie über das Schmuckstück reden konnten. Und das Nächste, was sie wahrnahm, war ein schwankendes, kreiselndes Zimmer...
Und jetzt war sie hier.
Wo auch immer „hier“ nun sein mochte.
Maia versuchte noch einmal sich zu bewegen und merkte, dass ihre Handgelenke an irgendetwas festgebunden waren, und dass sie auf einer Art Bett oder Sofa lag. Es war schwierig, genau zu sagen was, denn der Raum lag im Dunklen. Aber, was auch immer das da unter ihr war, es war weich, und es bewegte sich unter ihr, wenn sie daran zog. Vor den Fenstern waren Vorhänge, und der schwache, graue Umriss dort verriet ihr, es dämmerte bereits, aber es war noch nicht ganz Nacht. Also befand sie sich schon seit mehreren Stunden hier.
Die Panik, die ihr wieder die Selbstbeherrschung zu nehmen drohte, legte sich wieder. Wenn sie schon so lange vermisst wurde, würde bereits irgendjemand auf der Suche nach ihr sein. Angelica und Dewhurst und vielleicht sogar ihr sturköpfiger Bruder.
Tren und die anderen Lakaien waren sicherlich nach Blackmont Hall zurückgefahren, nachdem sie nicht wieder aus Mrs. Throckmullins Pension herausgekommen war ... wenn sie das Gebäude nicht schon belagerten, auf der Suche nach ihr. Und falls nicht, wussten sie, wo sie nach ihr suchen mussten.
Aber jetzt stieg Maia der durchdringende, salzige Geruch von Fisch in die Nase; etwas, was ihr vorher in dem Salon nicht aufgefallen war. Also hatte entweder Mrs. Throckmullins – die hier ganz eindeutig der Schurke war oder zumindest mit ihm unter einer Decke steckte – sie an einen anderen Ort geschafft, oder jemand anderes hatte das getan.
Gleichgültig wer es nun gewesen war, es würde es den anderen ziemlich schwer machen, sie zu finden.
Aber womöglich war Corvindale auch hier, und das war ein Silberstreif am Horizont.
Maia blieb liegen und wartete, bis sich ihre Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten, und lauschte auf jedes Geräusch um sie herum, das ihr vielleicht etwas mehr verriet. Sie hatte genug Schauerromane gelesen, um zu wissen, was eine Heldin in einer gefährlichen Lage besser nicht tat, und sie war entschlossen, sich in ihrer derzeitigen Lage mittels Klugheit zu behaupten.
Nachdem sie eine ganze Weile gelauscht hatte – hörte sie, wie eine Uhr irgendwo die Viertelstunde anschlug und gleich darauf ein zweiter Glockenschlag. Woraus Maia schloss, dass sie sich entweder alleine in dem Haus befand, oder dass wer auch immer hier war entweder schlief oder sehr leise war. Sie nahm jetzt auch das Zimmer in Augenschein, in dem sie war, und richtete sich auf ihren Ellbogen halb auf. Man hatte Laken über die Stühle und Tische gebreitet, was dem Raum ein gespenstisches Aussehen gab.
Ihre Handgelenke waren gefesselt durch eine Kette, bestehend aus großen Gliedern, die um das Bein der Chaiselongue geschlungen waren, auf der sie lag. Ihre Fesseln waren recht locker und ließen sich an ihrem Arm hinauf und hinunter schieben, und Maia versuchte eine Weile, sich die Ketten nach unten über die Hände zu streifen. Aber ihre Daumen waren immer im Weg, und sie konnte sie nicht flach genug zusammenrollen, um sich so zu befreien.
Als Nächstes versuchte sie vorsichtig, von der Chaiselongue zu klettern, wobei sie darauf achtete, möglichst wenig Lärm zu machen. Nur für den Fall, dass sie sich irrte und das Haus doch nicht verlassen war. Sie wollte sehen, ob man die Kette nicht irgendwie freibekommen konnte.
Sie wurde ganz aufgeregt, als sie sah, dass es vielleicht möglich war. Aufgrund der Art und Weise, wie die Ketten geschlungen waren, und wenn es ihr gelang, die Chaiselongue hochzuheben und die Ketten wegzuziehen...
Sie musste es unzählige Male probieren, die meisten davon vergeblich, weil die Ketten in die falsche Richtung glitten, als sie darum kämpfte, die Chaiselongue mit den gefesselten Händen hochzuheben und dann nur wenig Spielraum zum Manövrieren hatte... Aber schließlich, hatte sie die Ketten gelockert und von der Chaiselongue weggezogen.
Ihre Hände waren immer noch gefesselt, aber sie konnte sich frei bewegen.
Wenige Augenblicke später hatte sie einen Weg gefunden, die Ketten zu lösen und ließ sie in einem wirren Haufen auf dem Boden liegen. Maias erster Impuls war, sofort das Zimmer zu verlassen, aber sie zwang sich zu warten und erst noch eine Viertelstunde zu lauschen.
Ihre Geduld wurde belohnt: Das Haus schwieg weiterhin, und der graue Umriss um die Fenster war jetzt zu Schwarz übergegangen. Als Letztes nahm sie noch den Schürhaken vom Kamin, bevor sie das Zimmer verließ, und suchte auch etwas, was man als Holzpflock verwenden konnte. Der einzige Gegenstand, der hier in Frage kam, war ein Regenschirm in der Ecke, und sie brach ihn mit dem Fuß auseinander.
So bewaffnet schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür und öffnete diese ganz vorsichtig.
~*~
Durch diesen Nebel von Schmerz hindurch, nahm Dimitri noch wahr, wie sich die Tür vor ihm langsam öffnete.
Er schloss die Augen, sein Kopf sackte ihm gegen die Rückenlehne. Schon wieder? So verflucht bald?
Sie hatte ihn mehr als drei Mal aufgesucht, innerhalb der Stunden oder auch Tage, die er schon hier war. Sein einziges Zeitmaß war das Licht, das durch die Vorhänge durchsickerte, und selbst das war ungenau, weil er auch schon in die Bewusstlosigkeit hinübergedämmert war, um nach ungewisser Zeit wieder aufzuwachen. Lerina hatte einen der Vorhänge aufgezogen, so dass ein gleißender Strahl über die Stuhllehne streifte, nahe genug, um ihm dort das Haar zu versengen. Und als Abschiedsgeschenk hatte sie ihre letzte Rubinhalskette abgenommen und sie ihm um den Hals gehängt, auf die nackte Haut dort.
Der Schmerz...
Irgendwann hatte der dann nachgelassen und war nun lediglich eine stechende Folter.
Wie lange erging es ihm schon so?
Sich zu rühren, wagte er nicht, aus Angst die Sonne würde ihm die Haut bis auf die Knochen versengen, und hielt seinen Kopf also in einem unmöglichen Winkel, kaum in der Lage zu atmen, bei all dieser lähmenden Pein. Und die ganze Zeit über war er allein mit seinen Gedanken, seinen schlimmsten Befürchtungen. Schwarz und hässlich kreisten sie ihm unablässig im Kopf herum.
Es war wegen diesem Strudel aus Irrsinn, aus Angst und Wut, dass er sich nicht einfach der Sonne preisgab und verbrannte. Er musste unversehrt bleiben, angetrieben von dem verzweifelten Gedanken, dass er irgendwie entkommen musste. Er musste wieder zu Maia gelangen, bevor Moldavi es tat.
Eine Gestalt, ganz sicher nicht Lerina, war durch die Tür ins Zimmer hereingetreten. Dimitris röchelnder Atem stockte. Das war neu. Das war–
Maia.
Träumte er? Halluzinierte er? Ein Hirn, das nur noch Brei war? Er war sogar zu schwach, um ihren Geruch wahrzunehmen.
Aber nein, ein verirrter Mondstrahl auf diesem wunderbaren kupfergoldenen Haar und der eleganten Nase bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
Nein, nein, nein! Was tun Sie hier, Sie dummes, leichtsinniges Frauenzimmer?
Er kämpfte verzweifelt, aber keine Bewegung kam, außer der Absicht dazu, tief drinnen.
Zuerst nahm sie ihn gar nicht wahr; der Raum lag im Halbdunkel, und er war zu schwach, um einen Laut von sich zu geben. Aber dann sah sie ihn, denn sie schrie entsetzt auf und rannte zu ihm und ließ fallen, was auch immer sie in den Händen gehalten hatte.
„Mein Gott“, flüsterte sie, plötzlich dort vor ihm und endlich nahe genug, so dass er sie riechen konnte.
So ein frischer, angenehmer Duft, nach all den Stunden in seinem eigenen Blut und dem Schweiß, vermischt mit dem verbitterten Geruch von Lerina. Ein Schleier fiel ihm über die Augen, als er wie ein Verdurstender dieses reine, lebensspendende Elixier in sich einsog.
„Was hat sie – oh, Gott.“ Ihre Hände waren überall, schälten ihn aus den Resten des blutdurchtränkten Hemds, zerrten an den Rubinen, die ihn an den Stuhl fesselten. Als sie die Halskette anhob, die dort auf seiner Haut lag, war er endlich in der Lage, wieder einen tiefen Atemzug zu tun.
Aber selbst, als die Rubinfesseln ihn nicht mehr hielten, musste er feststellen, dass er sich immer noch nicht rühren konnte. Dort zusammengesackt in dem Stuhl, tobte er innerlich ob seiner Schwäche und versuchte, seine Kräfte wieder zu bündeln. Selbst einen Finger anzuheben war unmöglich.
Sie hatte so viel von seinem Blut genommen. Viel. Viel zu viel, und die Stunden, die er eingesperrt in der Hölle seiner Asthenie verbracht hatte, hatten alle Kraft aus ihm gesogen. Er war nur noch ein Haufen von roher Haut und weichen Knochen.
Dimitri versuchte zu sprechen und schaffte nur ein, „we... weg.“
Er versuchte, ihr zu sagen, dass sie die Rubine wegnehmen sollte, weit weg, die sie hier nur auf den Boden geworfen hatte, aber Maia verstand nicht. „Ich gehe nirgends hin, Sie Idiot von einem Mann. Schauen Sie sich doch an.“ Ihre Stimme erstickte in Tränen, und da war auch Angst. „Sie brauchen Wasser. Oder etwas Vergleichbares.“
Wasser. Das war nicht, was er brauchte.
Wahrlich nicht.
Dimitri schloss die Augen. Jetzt da der unaufhörliche Schmerz etwas abgeklungen war, erwachte sein Körper in mehr als einer Hinsicht. Tief in ihm drin wurde ihm warm, wurde zu einem Bedürfnis. Schon bald, sobald er seine Kraft wiedergewonnen hatte, würde er den Drang nicht mehr unter Kontrolle haben.
Maia – es hatte keinen Sinn mehr sich zu zwingen, von ihr als Miss Woodmore zu denken; dieser Schutzwall war niedergetrampelt worden – war in den Schatten verschwunden, und verschwommen hörte er ein stumpfes Klirren. Ehe er sich’s versah, war sie zurück und hatte einen Krug in der Hand.
Es grenzte an ein Wunder, dass da noch Wasser drin war, nachdem Lerina ihn über seinem Kopf ausgekippt und ihm viele Male damit ins Gesicht gespritzt hatte, um ihn aus der Bewusstlosigkeit zu holen. Vielleicht hatte sie ihn wieder aufgefüllt. Wie auch immer. Das kühle Wasser war bislang der Höhepunkt seines Aufenthalts hier gewesen, und nun verwendete Maia es auf eine weit sanftere Art, die seine geschundene Haut heiß lechzen ließ.
Sie hatte ein Stück von einem der Laken abgerissen, das über einen Stuhl gelegt war, und benutzte das nasse Tuch, um den Schmutz und das Blut von seinem Gesicht zu wischen. Dimitri schloss die Augen, und ließ die kühlen Tropfen an Hals und Kinn hinablaufen, und verlegte sich darauf, die ihm noch verbliebenen Kräfte wieder zu sammeln.
Das Zimmer schwankte und neigte sich zu einer Seite, immer noch in ein dumpfes Rot getaucht, wegen des hohen Blutverlusts und auch wegen der Rubine, die immer noch sehr nahe waren. Er versuchte, den Kopf anzuheben, aber der Versuch endete lediglich damit, dass er schwach von einer Seite zur anderen rollte.
Wie zum Teufel soll ich sie nur hier herausbekommen?
„Mein Gott“, sagte Maia wieder, als sie oben an seiner Schulter angelangt war, wo Lerina ihn gebissen hatte. Und dann wurde ihr Atem etwas unregelmäßig, als sie die andere Schulter sah, die Bisswunde dort ganz außen, und noch eine an seinem linken Oberarm. Auch hier, aus dem aufgerissenen Fleisch tropfte noch Blut, das Gelage von Lerinas Lust.
Er versuchte, ihr den Fetzen aus der Hand zu reißen, um sich selber zu säubern, aber Maia war zu schnell und zu stark, und sie scheuchte seine Hände wie Fliegen beiseite. Und wider Willen musste er sich ihr ergeben, nahm jede kleine Berührung ihrer Finger wahr, jeden Hauch von Blumen und Gewürzen, der aus ihrem Haar in seine Nase strömte, der dunkle Schatten zwischen ihren Brüsten. Die köstliche Kurve ihres Halses.
„Corvindale“, sagte sie plötzlich in scharfem Ton, und als er die Augen öffnete, begriff er, dass er gerade eben fast wieder in die dunklen Tiefen versunken wäre ... aber diesmal waren sie eine warme Hitze, voll von ihrem Duft und ihrer samtweichen Haut. „Was brauchen Sie? Was kann ich tun?“, fragte sie, und zog vergeblich an ihm, offensichtlich wollte sie ihn aus dem Stuhl hochheben.
Er schaute sie an, seine Venen schwollen an, Hoffung und Lust in ihnen, seine Zähne drängten, aus ihrem Gaumenbett befreit zu werden. Er atmete röchelnd und brachte kaum die Worte heraus. „Ru ... bine ... weg“, schaffte er.
Sie stolperte rückwärts, ihr Gesicht tief bekümmert. „Oh“, sagte sie, und Wut lag ihr in der Stimme. „Es tut mir Leid. Ich habe nicht begriffen...“ Ihre Stimme wurde leiser, und er hörte ein sanftes, klunkerndes Geräusch, als sie den Schmuck zusammenraffte. Sie zögerte, sah sich im Zimmer um, als wüsste sie nicht, wohin damit, aber bevor er die Kraft fand, ihr etwas zu sagen, rannte sie schon zur Tür hinaus.
Als sie zurückkam, waren ihre Hände leer, und zu dem Zeitpunkt konnte Dimitri bereits richtig atmen. Seine Finger hatten sich bewegt, und das Schmerzzentrum lag nun hinten an seinem Rücken, bei dem Teufelsmal, was ihm ja schon vertraut war.
„Ist es jetzt besser?“, fragte sie und kam zu ihm. Zu nahe, viel zu nahe.
Seine Nase zuckte, als er sie einatmete, und ein Zittern durchlief ihn grollend. Er war nicht stark genug, um sich selbst aus dem Stuhl zu hieven, um zu stehen ... er brauchte Blut. Er brauchte Nahrung.
Dimitri entrang sich ein kurzes Nicken und versuchte, ihr zu sagen, sie solle ihm fern bleiben.
„Lassen Sie sich anschauen“, sagte sie und stellte sich genau vor ihn. Sie untersuchte die Schnitte auf seinen Wangen. Ihr Kleid streifte die Armlehnen, auf denen seine nutzlosen Hände lagen. „Und ich sehe, dass Sie nicht einmal aufstehen können.“
Er versuchte es erneut, mit warnendem Knurren oder einem Einwand, vergeblich. Heraus kam lediglich ein dumpfes Stöhnen. Sie berührte seine Wange, wo der Rubin seine Haut aufgeschlitzt hatte. Dimitri schloss die Augen, atmete tief aus und ein. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann ihn jemand mit einer solchen Zärtlichkeit berührt hatte.
Nie, noch nie hatte eine Frau eine derartige Wirkung auf ihn ausgeübt.
Ein kleiner Schauer lief ihm durch alle Glieder und verwandelte sich dort in etwas Heißes und Kraftvolles und Drängendes. Als er die Augen öffnete, war sie sehr nahe. Ihre Wange, glatt und weiß war direkt vor ihm. Dieser faszinierende Duft strömte um ihn herum, und eine Haarlocke hing ihm direkt vor den Augen.
„Maia“, flüsterte er und drehte den Kopf zur Seite. „Rette .... dich.“