50   DER PLAN

 

 

Burr-burr-tschan brachte den gefesselten Kiesbart in eine kleine Höhle, weit hinter der Haupthöhle der Drachen. Von dort konnten selbst Zwergenohren nicht belauschen, was sie in der Drachenhöhle gegen seinen Meister planten. Kiesbart spuckte seinen Bart aus und schimpfte lauthals hinter dem Kobold her, als er ihn allein ließ. Aber Burr-burr-tschan kicherte nur.

Als er zurück in die große Höhle kam, saßen die anderen im Kreis zusammen, schweigend, mit ziemlich ratlosen Gesichtern. Burr-burr-tschan hockte sich neben Schwefelfell.

»Na?«, flüsterte er ihr zu. »Viel ist euch wohl noch nicht eingefallen, was?«

Schwefelfell schüttelte den Kopf.

»Unten im Tal können wir ihn nicht angreifen«, sagte Lola Grauschwanz. »Da kann er jederzeit im See verschwinden.«

»Vielleicht auf den Berghängen?«, schlug Fliegenbein vor. »Da behindert ihn sein Panzer.«

Aber Lung schüttelte den Kopf. »Der Anflug ist zu schwierig«, sagte er. »Wir könnten abstürzen zwischen den Felsen.«

Schwefelfell seufzte.

»Dann müssen wir ihn fortlocken!«, rief Burr-burr-tschan. »In ein Tal, in dem es kein Wasser gibt!«

»Ich weiß nicht!«, murmelte Ben.

Sie redeten und redeten.

Wie sollten sie ihn angreifen? Drachenfeuer half nichts gegen Nesselbrands Panzer, das wussten sie nur zu genau. Schwefelfell schlug vor, ihn erst auf die Berge zu locken und dann hinunterzustoßen, aber Lung schüttelte nur den Kopf. Nesselbrand war viel zu groß und schwer. Nicht einmal er und Maja zusammen würden das schaffen. Lola machte den todesmutigen Vorschlag, in seinen Rachen zu fliegen und ihn von innen zu zerstören. Aber die anderen lehnten ab und Fliegenbein erklärte ihr, dass Nesselbrand sein Herz in einem gepanzerten Kasten trug. So wurde ein Vorschlag nach dem anderen vorgebracht und abgelehnt, bis ratloses Schweigen herrschte.

Nachdenklich griff Ben in den Beutel, der um seinen Hals hing, und zog Nesselbrands goldene Schuppe heraus. Kühl und glänzend lag sie in seiner Hand.

»Was hast du da?«, fragte Burr-burr-tschan und blickte neugierig hinüber.

»Das ist eine Schuppe von Nesselbrand«, antwortete Ben und strich mit den Fingern über das kalte Metall. »Der Professor hat sie gefunden, Professor Wiesengrund. Er hat auch eine.« Ben schüttelte den Kopf. »Ich hab mit meinem Taschenmesser dran rumgeritzt, mit Steinen draufgehauen. Sogar ins Feuer hab ich sie schon geworfen. Aber nichts ist passiert. Sie kriegt nicht mal einen Kratzer.« Er seufzte und legte die Schuppe auf seine flache Hand. »Mit diesen Dingern ist Nesselbrand von Kopf bis Fuß gepanzert. Wie sollen wir da durchkommen? Er wird uns auslachen.«

Lola Grauschwanz sprang aus ihrem Flugzeug und kletterte auf Bens Knie. Fliegenbein hockte auf dem anderen. »Habt ihr es mit Drachenfeuer probiert?«, fragte sie.

Ben nickte. »Lung und Maja haben auf die Schuppe gespien, als ihr weg wart. Nichts. Gar nichts ist passiert. Sie wird nicht mal warm.«

»Natürlich nicht«, sagte Fliegenbein und rieb sich die Nasenspitze. »Nesselbrand wurde dafür geschaffen, Drachen zu töten. Meint ihr, da hat er einen Panzer, der gegen ihr Feuer empfindlich ist? Nein, glaubt mir«, er schüttelte den Kopf. »Ich habe diesen Panzer dreimal hundert Jahre poliert. Es gibt einfach nichts, was ihn durchdringen kann.«

»Aber es muss einen Weg geben«, sagte Lung. Unruhig ging er zwischen den versteinerten Drachen auf und ab. Ben hielt die Schuppe immer noch in der Hand und drehte sie hin und her.

»Tu das blöde Ding weg«, knurrte Schwefelfell und spuckte drauf. »Ich wette, es bringt Unglück.«

»Igitt, Schwefelfell! Lass das.« Ben wischte mit dem Ärmel über die Schuppe, aber die Koboldspucke ließ sich nicht so einfach wegwischen. Wie ein feiner Film haftete sie auf dem Metall.

»Wartet!« Mit einem Satz stand Lung hinter Ben. Er blickte auf die Schuppe.

»Sie ist ganz trüb«, stellte Fliegenbein fest. »Das würde Nesselbrand gar nicht gefallen. Ihr solltet sehen, wie er sich im Wasser spiegelt, wenn seine Schuppen poliert sind. Besonders wenn er auf die Jagd geht. Oje, was musste ich ihn vor solchen Anlässen putzen! Bis mir die Finger bluteten!«

»Koboldspucke und Drachenfeuer«, murmelte Lung. Er hob den Kopf. »Schwefelfell, erinnerst du dich an die Raben?« Schwefelfell nickte verwirrt.

»Koboldspucke und Drachenfeuer, das hat sie verwandelt, nicht wahr?«

»Ja, aber ...«

Lung schob sich zwischen Ben und den Kobold. »Leg die Schuppe auf den Boden«, sagte er. »Ihr anderen geht zur Seite. Vor allem du, Fliegenbein.«

Der Homunkulus kletterte hastig von Bens Knie und versteckte sich hinter Majas Schwanz.

»Was hast du vor?«, fragte Maja erstaunt.

Aber Lung antwortete nicht. Er blickte wie gebannt auf Nesselbrands Schuppe. Dann öffnete er das Maul und blies sein Feuer darüber. Ganz sacht. Züngelnd strich die blaue Flamme über das Metall.

Es zerschmolz.

Nesselbrands Schuppe zerschmolz wie Butter im Sonnenlicht. Sie zerlief, wurde zu einer Pfütze aus Gold auf dem grauen Felsboden der Höhle.

Lung hob den Kopf und sah sich triumphierend um. Die anderen kamen sprachlos näher. Fliegenbein kniete sich neben die Lache und tippte vorsichtig den Finger hinein. Lola trat neben ihn und zog ihren Schwanz durch das flüssige Gold. »Nun guckt euch das an«, sie kicherte. »Ab heute heiße ich Goldschwanz.«

Ben legte seine Hand auf Lungs Flanke. »Das ist es!«, stammelte er. »Du hast es gefunden, Lung. So können wir ihn zerstören.«

»Ach ja?«, sagte Schwefelfell spöttisch. »Und wie wollen wir die Koboldspucke auf Nesselbrands Panzer kriegen?« Die anderen schwiegen.

Da stand Fliegenbein auf. »Nichts einfacher als das«, sagte er und wischte sich den goldenen Finger an der Jacke ab.

Alle guckten ihn an.

»Schwefelfell«, sagte Fliegenbein. »Bring mir doch bitte das Gepäck unseres Gefangenen.«

»Sonst noch einen Wunsch?«, brummte Schwefelfell. Aber sie holte Kiesbarts Rucksack und warf ihn Fliegenbein vor die Füße.

»Untertänigsten Dank«, sagte der Homunkulus, öffnete den Sack und griff hinein. Er förderte einen Steinhammer zu Tage, Streichhölzer, Kerzen, einen Bartkamm, eine Hutbürste, zwei Lappen - und eine Flasche aus grünem Glas. »Na, bitte«, sagte Fliegenbein und hielt die Flasche hoch. »Noch mehr als halb voll.«

»Was ist das?«, fragte Ben.

»Das Poliermittel für den Panzer meines alten Meisters«, erklärte Fliegenbein. »Er lässt es sich eigens von einem alten Steinzwerg zusammenmischen. Ein paar Tropfen davon in einen Eimer Wasser und seine Schuppen glänzen so, dass er sich darin spiegeln kann.« Fliegenbein öffnete die Flasche und kippte sie auf dem Felsboden aus.

»So«, sagte er und hielt Schwefelfell die leere Flasche hin. »Spuck. Du kannst dich ja mit Burr-burr-tschan abwechseln. Etwas mehr als halb voll, so viel müsst ihr schaffen.«

Burr-burr-tschan nahm dem Homunkulus die Flasche aus der Hand. »So ein kleines Fläschchen, das haben wir mit zweimal Lippen spitzen voll, was, Schwefelfell?«

Kichernd setzten sich die beiden auf den Rücken eines versteinerten Drachen und machten sich an die Arbeit.

»Wird der Zwerg es nicht merken?«, fragte Lung den Homunkulus besorgt.

»Sicher.« Fliegenbein packte Kiesbarts Sachen sorgfältig wieder in den Rucksack. »Er wird es schon bei der ersten Schuppe merken. Also wird er mehr und mehr von der Koboldspucke ins Wischwasser geben um die Schuppen blank zu bekommen. Uns kann das ja nur recht sein, oder?«

Lung nickte nachdenklich.

»Hoffentlich wirkt es noch, wenn so viel Wasser dazukommt«, sagte Maja.

Ben zuckte die Achseln. »Wir müssen's versuchen.«

»Ja«, sagte Lung. »Sobald die Kobolde fertig sind, sollten wir den Zwerg laufen lassen. Damit er schnell zurück zu seinem Meister kommt.«

»Nein, nein, nicht laufen lassen«, Fliegenbein schüttelte entschieden den Kopf. »Da würde er ja sofort Verdacht schöpfen. Nein, wir lassen ihn entkommen.«

»Was?«, fragte Schwefelfell entgeistert.

Burr-burr-tschan und sie hatten ihre Arbeit getan.

»Eine Portion Koboldspucke, bitte sehr!«, sagte der Dubidai und drückte Fliegenbein die Flasche in die dünnen Finger. Vorsichtig schob der Homunkulus sie an ihren Platz zurück.

»Ja, entkommen«, erläuterte er und klappte den Rucksack zu.

»Und den Eingang zu dieser Höhle werden wir ihm auch zeigen.«

»Jetzt ist der Winzling übergeschnappt!«, stöhnte Schwefelfell. »Das hab ich kommen sehen. War nur eine Frage der Zeit.«

»Lass ihn ausreden, Schwefelfell«, sagte Lung.

»Wir müssen ihn hier herauflocken!«, rief Fliegenbein. »Oder willst du, dass er durchs Wasser verschwindet, wenn er merkt, dass sein Panzer schmilzt? Er wird die Raben nicht mit hierher bringen, weil sie dem Drachenfeuer viel zu nahe kämen. Ist er einmal in der Höhle, dann kann er nur noch durch den Tunnel entkommen. Und den können wir ihm versperren.«

»Ja, ja, du hast Recht!«, brummte Schwefelfell.

»Es geht trotzdem nicht«, sagte Maja. »Ihr habt den Mond vergessen. Wir können in der Höhle nicht fliegen.«

»Draußen könnt ihr auch nicht fliegen!«, antwortete Fliegenbein. »Wir haben euch doch von den Raben erzählt. Sie verdunkeln den Mond, wie damals am Meer, und ihr werdet Nesselbrand hilflos ins Maul flattern!«

»Fliegenbein hat Recht«, sagte Lung zu Maja. »Wir müssen ihn hierher locken. Und wir werden fliegen. Ich habe noch etwas Mondtau. Für uns beide wird es reichen.«

Die Drachin sah ihn zweifelnd an. Aber schließlich nickte sie. »Gut, wir locken ihn her. Aber er wird hier alles zerstören, nicht wahr?« Sie blickte sich um.

»Ach was, dazu lasst ihr es nicht kommen!«, rief Lola. »Und jetzt soll der Hummelkuss weiterreden. Ich will endlich erfahren, was er mit dem Zwerg vorhat.«

Fliegenbein sah sich mit wichtiger Miene um. »Sobald der Mond aufgeht, wird unser Gefangener entkommen«, sagte er. »Mit all den Informationen, nach denen Nesselbrand lechzt, und mit dem Fläschchen Koboldspucke. Er wird seinem Meister berichten, wo der Eingang der Höhle ist und wie man hineinkommt. Er wird Nesselbrand mit Koboldspucke polieren und dann«, Fliegenbein lächelte, »führt er ihn in sein Verderben.«

»Wie willst du es anstellen, dass er das nicht durchschaut?«, fragte Ben.

»Oh, dafür lasst mich nur Sorge tragen, junger Herr«, antwortete Fliegenbein und betrachtete seinen Finger, der immer noch golden vom Metall der geschmolzenen Schuppe schimmerte. »Das wird meine Rache für dreihundert Jahre Traurigkeit und elf gefressene Brüder.«