Audrey
Beschwingt rauschte Audrey zur Tür von Table For Two hinein. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Am zweiten Tag in Folge war draußen keine Spur von Alice’ Fahrrad zu sehen, kein Schandfleck, der ihr schon morgens den Tag verdarb. Audreys Laune hob sich merklich. Sie hätte das potthässliche Ding schon vor Jahren mit ihrer Handtasche in die ewigen Jagdgründe befördern sollen.
Doch obschon Alice’ Fahrrad durch Abwesenheit glänzte, konnte man das von seiner Besitzerin leider nicht behaupten. Nach wie vor verpestete sie die Atmosphäre im Büro mit ihrem dummen Mondgesicht und den ribbeligen Strickjacken. Darüber hinaus hatte Audrey nun auch noch die administrative Seite des Online-Datings am Hals, was sie allein Hilary verdankte, die sich unerwartet früh in den Mutterschaftsurlaub verabschiedet hatte. Und John hatte sich immer noch nicht bei ihr gemeldet. Aber wenigstens das Fahrrad war weg. Ein winziger Sonnenstrahl an ihrem ansonsten bleigrau verhangenen Himmel.
Da bemerkte sie den Mann an Alice’ Schreibtisch. Es war Max Higgert, ihr mondänster Klient.
»Ms Cracknell«, begrüßte er sie zaghaft. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Bianca hat mich hereingelassen. Ich wollte nur, ähm. Also, ich wollte nur rasch eine kleine Nachricht schreiben. Für, äh, meine Mutter. Während ich auf Sie warte.«
Audrey sah, wie er unauffällig einen gefalteten Zettel aus blassblauem Papier in seiner Tasche verschwinden ließ. Direkt hinter ihm befand sich der feuchte Fleck auf dem Teppich, den Hilarys platzende Fruchtblase gestern dort hinterlassen hatte. Sie hoffte inständig, Max würde ihn übersehen. Was, wenn man es riechen konnte und der Geruch des Fruchtwassers einer ihrer Angestellten Max’ empfindliche Architektennase beleidigte? Dabei hatte sie dem Reinigungspersonal strikte Anweisungen gegeben, den Fleck mit jedem nur erdenklichen Desinfektionsmittel zu bearbeiten.
»Es ist mir immer ein Vergnügen, Sie zu sehen!«, rief sie. »Kommen Sie doch in mein Büro.« Und damit schnell weg von dem feuchten Fleck.
»Nein, ich habe leider so gut wie keine Zeit, ich wollte nur kurz reinschauen …«, entschuldigte sich Max und rührte sich nicht von der Stelle, »… um mich rasch zu bedanken und dann zu verabschieden.«
»Verabschieden? Aber warum denn das?«
Max grinste von einem Ohr zum anderen, wie ein kleiner Junge, der gerade eine Ein-Pfund-Münze auf der Straße gefunden hatte. »Sie können mich aus Ihrer Kartei nehmen!«
»Aber …«, setzte Audrey an. Hatte das etwa wieder mit Alice zu tun?, fragte sie sich, beinahe kochend vor Wut. Hatte er deshalb an ihrem Schreibtisch gewartet?
»Ich freu mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Table For Two mal wieder einen Volltreffer gelandet hat!«, erklärte Max strahlend.
»Haben wir das?«
»Hayley!«
»Hayley?«
»Hayley Clarke. Sie haben mich mit ihr zusammengebracht. Eins sechzig groß, blonde Haare, ein Lächeln, als würde die Sonne aufgehen. Die Tierarzthelferin.«
»Die mit dem krummen Finger?«
»Ähm, ja, wenn Sie so wollen.«
»Dann hat es also gefunkt?« Audrey musste sich Mühe geben, nicht allzu ungläubig zu klingen. »Sie und diese Tierarzthelferin?« Nicht zu fassen, dass ein Mann wie Max sich mit so einer Frau zufriedengab. Auf diese lächerliche Konstellation hatte sie sich überhaupt nur eingelassen, weil Bianca sie förmlich auf Knien angefleht hatte, es zu versuchen.
»Gefunkt? Das ist überhaupt kein Ausdruck!«, gab Max glücklich lachend zurück. »Hayley ist die wunderbarste Frau, die ich je kennengelernt habe! Sie ist mein Sechser im Lotto!«
»Ach!«
»Ich kann Ihnen gar nicht genug danken«, erklärte er strahlend. »Endlich habe ich die Richtige gefunden!«
»Tja, das ist ja großartig«, entgegnete Audrey schroff. »Aber sind Sie wirklich sicher, dass ich Sie nicht noch mit einigen weiteren Damen bekannt machen soll? Wir haben doch so viele …« – im letzten Moment verkniff sie sich zu sagen »bessere« – »… andere nette Frauen, die Sie gerne kennenlernen würden. Sicher könnte Ihnen da auch die eine oder andere gefallen.«
»Ganz bestimmt! Aber auf keinen Fall auch nur halb so gut wie Hayley. Wie dem auch sei, ich wollte wirklich nur kurz vorbeischauen und Sie bitten, mich aus Ihrer Kartei zu streichen. Ich glaube, Hayley hat ihrerseits bereits mit Alice gesprochen und alles Nötige veranlasst.«
»Das kann ich mir vorstellen«, brummte Audrey finster.
»Also, vielen Dank und auf Wiedersehen.« Max reichte ihr die Hand.
»Aber Moment!«, platzte Audrey heraus. »Sie haben sich doch gerade erst bei uns angemeldet! Unsere Mindestmitgliedschaftsdauer beläuft sich auf drei Monate, wissen Sie. Ich kann Ihnen unmöglich die geleisteten Beiträge erstatten!«
Worauf Max in herzliches Gelächter ausbrach.
»Für jeden Penny, den ich ausgegeben habe, um Hayley kennenzulernen, würde ich mit dem größten Vergnügen tausend weitere hinlegen. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Und ich würde nicht im Traum daran denken, mein Geld zurückzuverlangen!«
Und damit drehte er sich um und ging, während Audrey mit offenem Mund mitten im Büro stehen blieb. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass so ein begehrter Klient kaum da und schon wieder weg war. Dabei hatte sie doch gehofft, ihn mindestens zwei, drei Monate lang unter ihrer weiblichen Kundschaft herumreichen zu können. Und warum um alles auf der Welt gab er sich mit einem unscheinbaren Trampel wie Hayley, der Tierarzthelferin, zufrieden, wo es doch so entzückende Frauen wie Penelope Huffington und Hermione Bolton-King in ihrer Kartei gab? Männer waren solche Idioten. Sie wussten einfach nicht, was gut für sie war.
Grimmig drehte sie sich um und marschierte in ihr Büro, sich heimlich selbst verfluchend, dass sie nicht die Geistesgegenwart besessen hatte, ihn wenigstens zu bitten, Table For Two bei seinen Architektenfreunden weiterzuempfehlen. Genau solche Männer brauchte sie in ihrer Kartei. Vor lauter Groll war ihr das kleine blassblaue Notizblatt gar nicht aufgefallen, das Max heimlich auf Alice’ Schreibtisch fallen gelassen hatte.