Lou

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Lou öffnete die Tür und sah, wie Kate tat, was sie immer tat: sich mit entsetztem Gesicht in ihrer unordentlichen Wohnung umsehen und sich dann zu einem aufgesetzten Lächeln zwingen.

»Hi«, begrüßte ihre Freundin sie fröhlich und umarmte Lou.

Sie ließ sich umarmen, ohne sich selbst die Mühe zu machen, ihre Arme zu heben. Ja, ihre Wohnung war ein Saustall, aber sie wollte es so. Warum Kleider aufhängen, wenn man sie genauso gut auf den Boden werfen konnte? Aufräumen war reine Zeitverschwendung. Kates Wohnung war so ordentlich, dass Lou immer befürchtete, im nächsten Moment mit Desinfektionsmittel besprüht oder in einen Schrank geräumt zu werden. Ihre Bücher hatte Kate im Regal alphabetisch sortiert, und in den Küchenschränken standen alle Dosen mit dem Etikett nach vorne. Das war doch keine Art zu leben. Das war Wahnsinn.

»Ein Glas Wein?«, fragte sie ausdruckslos.

»Warum nicht?«, entgegnete Kate und verfehlte, als sie sich auf Lous Sofa fallen ließ, mit ihrem Hinterteil nur um Haaresbreite die Pappschachtel vom Bringdienst.

Lou durchforstete die Küche auf der Suche nach dem letzten sauberen Glas.

»Ehrlich gesagt, es gibt sogar etwas zu feiern«, gestand Kate fröhlich. »Ich hatte gestern Abend wieder eine Verabredung mit Tommy.«

»Aha.« Lou gab sich größte Mühe, vollkommen unbeteiligt zu klingen. Irgendwas ging ihr schrecklich gegen den Strich, wenn Kate von Tommy erzählte. Sie zündete sich eine Zigarette an, um sie nicht ansehen zu müssen.

»Es war toll!«, schwärmte Kate. »Er ist einfach großartig. So witzig und interessant und mitfühlend und stark. Und sehr selbstbewusst. Und männlich. So ein Mann, der Regale aufhängen kann und mit der anderen Hand einen selbst auch noch hochhebt, ohne dass man Angst haben muss, er könnte sich den Rücken verrenken.«

»Mmmm«, brummte Lou teilnahmslos und pustete den Rauch in einer lang gezogenen, nebligen Wolke aus. Sie hatte dieses Partnervermittlungsgeschwätz so satt.

Ein unbehagliches Schweigen machte sich breit. Kate schien etwas irritiert.

»Ich dachte, du würdest dich für mich freuen«, sagte sie leise.

»Warum? Weil du plötzlich dahintergekommen bist, dass Tommy das Beste seit der Erfindung des Schnürsenkels ist?«

»Sei nicht so gemein. Ich mag ihn.«

»Tatsächlich? Tust du das wirklich, Kate?« Wütend funkelte Lou sie an. »Denn letzte Woche wolltest du noch einen Adonis auf der Überholspur. Diese Agentur hat für dich hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen nach einem gebildeten, gut betuchten Kerl gesucht. Mr Perfect mit einem Sitz im Firmenvorstand und einem sechsstelligen Jahresgehalt!«

»Tommy ist gebildet«, protestierte Kate.

»Genau wie der Rest der zivilisierten Welt«, entgegnete Lou höhnisch.

»Egal«, wischte Kate ihren Einwand gekränkt beiseite, »ist es nicht besser, aufgeschlossen zu sein? Vielleicht haben meine ganzen Vorbehalte mich einfach ausgebremst. Womöglich hätte ich nicht die ganze Zeit nach Mr Perfect suchen sollen, sondern lieber nach Mr Perfect für mich

»Ach, wie süß. Klingt wie aus ’nem Selbsthilferatgeber.«

»Jetzt will ich jedenfalls Tommy«, erklärte Kate und reckte trotzig das Kinn.

»Wie du meinst!« Lou zog an ihrer Zigarette. Sie wusste, dass sie gemein zu ihrer Freundin war, aber sie konnte einfach nicht anders. Mittlerweile hatte sie die Nase voll davon, immer nett und freundlich zu sein und sich Kates Gejammer über ihr eigentlich ziemlich perfektes Leben anzuhören. »Seit wir bei diesem »Wie finde ich Mr/Mrs Right«-Vortrag waren, bist du total komisch. Und dann blätterst du auch noch einen Haufen Kohle hin für diese alberne Agentur.«

»Du weißt genau, warum ich mich da angemeldet habe«, entgegnete Kate geduldig. »Ich möchte jemanden kennenlernen, heiraten, eine Familie gründen. Das ganz normale Leben, weißt du.«

»Tja, wie schön für dich«, zischte Lou sarkastisch. »Du hast deine Erwartungen nach unten korrigiert und Mr Stinknormal gefunden, der dich zum Traualtar führen und dir einen Braten in die Röhre schieben darf. Wie wunderbar normal

»Ich sage doch nicht, dass ich ihn heiraten will! Wir haben ja noch nicht mal miteinander geschlafen«, fügte Kate mit einem matten Lächeln hinzu.

»Tja, und warum wundert mich das nicht?«

»Was willst du denn damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass du dich wenigstens nicht bis zur Unkenntlichkeit verändert hast. Deinen Keuschheitsgürtel hast du offensichtlich noch nicht abgelegt, und du läufst immer noch herum, als müsstest du abends wieder zurück ins Kloster.«

Entsetzt schnappte Kate nach Luft.

»Lou, was ist denn heute in dich gefahren? Suchst du etwa Streit?«

»Ich kann bloß das endlose Gequatsche von deiner ewigen Suche nach dem Mann, der dir einen Ring an den Finger steckt, nicht mehr hören.«

»So oft rede ich nun auch wieder nicht darüber.«

Lou schnaubte verächtlich.

»Ja, klar! Immerhin redest du nicht mehr dauernd über deine Arbeit. Fünf Jahre zwanghafte Besessenheit von Julian ist wirklich mehr, als ein normaler Mensch ertragen kann.«

»Ich bin nicht zwanghaft besessen von Julian! Und außerdem, mit wem sollte ich denn sonst darüber reden? Schließlich haben wir beide keinen Freund, mit dem wir über alles sprechen können.«

»Ach, dann sind wir jetzt wieder bei deinem Freund, ja?«

Entnervt schlug Kate die Hände über dem Kopf zusammen.

»Vielleicht lassen wir es für heute einfach gut sein.« Sie erhob sich von der Couch. »Ich gehe nach Hause.«

»Was, um Tommy anzurufen?«, bemerkte Lou abfällig. »Und ihm von deiner Freundin vorzuheulen, die völlig unter deinem Niveau ist?«

Kate blieb wie angewurzelt stehen. »Lou! Wie um alles auf der Welt kommst du denn auf so eine Idee?«

Trotzig zog Lou an ihrer Zigarette.

»Mittlerweile dreht sich doch alles nur noch um deine reichen Jungs, oder etwa nicht? Ist es dir nicht viel zu langweilig, mit deiner besten Freundin ein Glas Wein zu trinken und ein bisschen rumzugammeln?« Sie wusste, wie unfair das war, aber sie konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.

»Und worum geht es hier wirklich?«, fragte Kate. Lou zuckte nur die Achseln und konzentrierte sich aufs Rauchen.

»Hör zu, Lou, du bist toll, aber du bist nicht da, wenn ich abends ins Bett gehe oder morgens aufwache. Nach einem harten Arbeitstag kochst du mir keinen Tee, und du schrubbst mir in der Badewanne nicht den Rücken.«

Lou schnaubte abschätzig.

»Ich habe das Alleinsein einfach satt!«, rief Kate vehement. »Was ist denn daran so schlimm?«

Unversehens wurde es still zwischen ihnen. Ihre Worte schienen zwischen ihnen in der Luft zu hängen.

»Hast du Julian nach dem Pedigree-Pooch-Spektakel gevögelt?«, fragte Kate unvermittelt.

»Was hat das denn damit zu tun?«, entgegnete Lou erstaunt.

»Du hast an ihm geklebt wie eine Klette«, gab Kate bissig zurück. »Richtig peinlich.«

»Wie du dagesessen hast, mit verschränkten Armen und verkniffenem Mund, das war peinlich. Wir kamen uns vor, als hätten wir eine prüde, verklemmte Anstandsdame mit am Tisch sitzen. Alle anderen haben sich jedenfalls amüsiert.«

»Ach, so ist das, unter Amüsieren verstehst du, mit meinem Boss rumzuhuren, ja? Was hast du bloß immer mit Vorgesetzten? Musst du jeden knallen, der dir über den Weg läuft? Von mir aus kannst du gerne mit Tony rummachen, aber ich wäre dir dankbar, wenn du die Finger von meinem Boss lassen würdest.«

»Warum bist du bei Julian bloß so besitzergreifend, Kate, hm?« Lous Stimme klang ätzend vor Spott. »Hast du vielleicht selbst ein Auge auf ihn geworfen? Denn sollte das der Fall sein, lass dir eins gesagt sein: Du bist nicht sein Typ.«

»Ich habe bestimmt kein Auge auf ihn geworfen. Mach dich nicht lächerlich!«

»Ich soll mich nicht lächerlich machen? Ich stelle mich jedenfalls nicht plötzlich so an, als sei ich bei der Sitte! Werd endlich erwachsen, Kate. Erwachsene vögeln. Komm damit klar!«

»Ich muss mit ihm zusammenarbeiten!«, schrie Kate ungehalten.

»Na und? Du hast ihn doch nicht gevögelt. Also, was ist dein Problem?«

»Mein Problem ist«, entgegnete Kate mit vor Wut gepresster Stimme, »dass diese ganze Aufreiß-Nummer mal witzig war, als wir Mitte zwanzig waren, aber mittlerweile ist sie nur noch erbärmlich. Du hast keinerlei Selbstachtung, keinen Ehrgeiz und kein Selbstwertgefühl. Die einzige Beziehung, die du in den letzten zehn Jahren hattest, war die mit einem verheirateten Mann. Du willst doch tief drin auch geliebt werden, oder? Du willst wie wir alle jemanden, dem du nicht egal bist und den es wirklich interessiert, wie dein Tag war, oder nicht?«

Kate unterbrach sich, hin und her gerissen zwischen Wut und Mitleid. Sie schaute Lou an und wartete auf eine Reaktion. Ihre Freundin versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie am ganzen Körper zitterte. Hastig griff sie nach der Weinflasche und füllte ihr Glas auf.

Kate seufzte und ließ sich dann auf die Couch fallen.

»Du bist intelligent, Lou«, sagte sie sanft. »Wieso arbeitest du in einer Bar? Was ist aus deinen Karriereträumen geworden? Und wenn das Ausschenken dein Traumberuf ist, wieso hast du nicht längst deine eigene Kneipe? Du bist dreiunddreißig. Du solltest nicht stellvertretende Geschäftsführerin sein; du könntest die Inhaberin sein!«

»Ich bin glücklich und zufrieden, so wie es ist«, murmelte Lou trotzig.

»Nein, bist du nicht«, widersprach Kate vorsichtig. »Wärst du das, würdest du dich nicht von Junkfood ernähren und bedeutungslosen Sex mit Männern haben, denen du von Herzen egal bist.«

»Ach, aber du bist ja so verdammt perfekt!«, zischte Lou boshaft. »Was zum Teufel weißt du schon vom Vögeln? Wann warst du das letzte Mal mit einem Mann im Bett, Kate? Wann hast du das letzte Mal gefickt? Sex hat nichts mit Blümchen und Liebesgedichten zu tun und damit, auf einem Scheiß-Podest angebetet zu werden, weißt du. Sex ist Aufregung und Kribbeln und Schmerz. Sex heißt durchgevögelt zu werden, bis dir Hören und Sehen vergeht. Nicht gähnende Langeweile im Bett, Missionarsstellung und Licht aus! Und was Beziehungen angeht …«, Lou bebte am ganzen Leib, »… nehme ich ganz bestimmt keinen Rat an von einer Frau, die einen Profi bezahlen muss, um ihr Liebesleben auf die Reihe zu bekommen. Das ist echt armselig! Und zum Thema Arbeit: Du hast dich irgendwann in den meistbeschäftigten Menschen in der westlichen Hemisphäre verwandelt, aber nicht, weil dieser PR-Scheiß dir so verdammt wichtig ist, sondern weil du so eine gute Entschuldigung hast, nicht unter Menschen zu gehen. Denn würdest du das tun, könntest du doch glatt ein bisschen Spaß haben! Du könntest tatsächlich Sex haben und einen Mann zum Heiraten und Kinderkriegen finden, und du könntest alles bekommen, was du dir wünschst. Wenn du das wirklich so dringend herbeisehnst, warum schaltest du dann nicht mal um sechs den Rechner aus wie jeder normale Mensch und gehst ein bisschen raus? Du musst dich endlich mal wieder flachlegen und besinnungslos vögeln lassen, Kate! So lange, bis dir endlich die Augen aufgehen und du merkst, was aus dir geworden ist!«

Dann war es plötzlich still.

Peinlich berührt griff Kate nach ihrer Tasche und ging zur Tür.

»Wir sind keine zwanzig mehr«, sagte sie leise. »Wir sollten nicht mehr so aneinanderkleben. Alle beide müssen wir den nächsten Schritt im Leben machen. Jetzt.«

Und damit schlüpfte sie zur Tür hinaus und zog sie hinter sich behutsam ins Schloss.

»Je eher du mit deinem Langeweilermann und deinen zweieinviertel Kindern verschwindest, desto besser!«, schimpfte Lou ihr böse hinterher. »Dann ist verdammt noch mal endlich Ruhe!«

Sie hörte, wie Kates Schritte im Flur widerhallten. Zitternd zog sie an ihrer Zigarette. Es war bedrückend still in der Wohnung.