Lou

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Am Freitagabend, Babe, sind wir zwei Hübschen ganz allein«, hatte Tony gesagt. »Suzy glaubt, ich bin geschäftlich unterwegs, deshalb packe ich zum Schein mein Köfferchen, aber dann komme ich schnurstracks hierher und warte im Büro auf dich. Du bringst mir ein Bier, und ich gucke mir auf dem Monitor deinen süßen kleinen Knackarsch an, während du damit hinter der Theke rumwackelst und den Kerlen ein Lächeln ins Gesicht zauberst. Ja, Baby, ich sitze ganz in der Nähe, mit einer Riesenlatte, und gucke zu, wie dein Röckchen über dem Hintern spannt und deine Titten fast aus dem Top kullern, wenn du dich bückst, um das Stella aus dem untersten Regal im Kühlschrank zu holen. Vielleicht hole ich mir beim Warten auch einen runter. Und wenn die Schicht zu Ende ist, schicken wir die anderen nach Hause – scheiß aufs Aufräumen –, und dann brettern wir in meinem BMW zum White Hotel, geradewegs in die Penthouse Suite, und da ziehe ich dich ganz langsam nackt aus, trage dich in den Whirlpool und massiere deinen ganzen Körper mit heißem Seifenschaum. Und dann bringe ich dich zu dem riesengroßen Doppelbett, schmeiß dich drauf und ficke dich so hart, wie du noch nie im Leben gefickt worden bist!«

Darauf hatte er die Augenbrauen hochgezogen und sie mit einem richtig versauten Blick angesehen.

Lou hatte sich nichts anmerken lassen, aber eigentlich fand sie die Idee ziemlich aufregend, eine ganze Nacht mit Tony zu verbringen, und sogar den Morgen danach; bisher war es immer bei ein, zwei Stunden nach ihrer Schicht geblieben, ehe er schnell wieder nach Hause zu Suzy gelaufen war, Lous Geruch noch am Körper. Im Auto hatte er sie jedenfalls noch nie mitgenommen, geschweige denn einen Haufen Kohle für eine Luxussuite in einem der angesagtesten Hotels der Stadt hingeblättert. Ehrlich gesagt hätte Lou noch nicht mal mit Gewissheit sagen können, ob sie Tony je bei Tageslicht gesehen hatte. Sämtliche beruflichen und privaten Kontakte hatten an ihrem Arbeitsplatz stattgefunden – in der fensterlosen Kellerbar. Vielleicht war es jetzt ja endlich so weit, und er dachte ernsthaft darüber nach, Suzy zu verlassen … für sie! Lou verspürte ein köstlich kribbelndes Machtgefühl, während sie ihre aufreizendsten, winzigsten Dessous einpackte und dann ins Badezimmer ging, um den Abend voller Vorfreude mit einer gründlichen Enthaarungsaktion zu beginnen.

Und nun war es ein Uhr am Samstagmorgen, und die letzten betrunkenen Nachtschwärmer waren eben die Treppe hinaufgestolpert und zur Tür hinausgetorkelt. Jack hatte die Tür verriegelt, und Paul machte gerade die Kasse. Von Tony keine Spur.

Wütend machte Lou sich daran, die leeren Gläser einzusammeln. Sie achtete nicht darauf, dass die Bierpfützen herausschwappten, so aufgebracht wie sie die Gläser auf die Theke knallte. Er kam nicht. Der Mistkerl kam einfach nicht! Da machte er sie erst heiß und erzählte ihr was vom Pferd – dass er es gar nicht erwarten könne, ihre nackte Haut auf den Laken zu spüren, statt immer nur an die gekühlten Flaschen und Chipstüten gedrückt – und dann? Er hatte ihr Hoffnungen gemacht, und sie hatte sich einspinnen lassen. Sie hatte sich noch die winzigsten Haare gezupft, sich gepeelt und eingecremt, und ihre Übernachtungstasche wartete im Büro. Aber Tony kam einfach nicht. Sie könnte ihn erwürgen. Mit bloßen Händen! Und wenn sie ihn schon nicht umbringen konnte, dann wollte sie ihm wenigstens sehr wehtun, an einer möglichst schmerzhaften Stelle und so, dass er Probleme haben würde, sich für Suzy eine plausible Erklärung auszudenken.

Klirrend schob sie zwei turmhohe Stapel Pintgläser zusammen und stapfte um die Theke, um noch mehr dreckiges Geschirr einzusammeln. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jake und Paul sie verdutzt beobachteten. Tja, sollten sie doch denken, was sie wollten. Sie würde einen Teufel tun, jetzt ganz cool und gelassen zu tun. Immer die vernünftige, unerschütterliche Geschäftsführerin geben zu müssen lag ihr sowieso nicht.

Und doch konnte Lou nicht anders: Immer wieder wanderte ihr Blick zur Treppe, in der Hoffnung, Tony käme doch noch heruntergestiefelt, das Auto mit laufendem Motor vor der Tür geparkt und einen Steifen in der Hose. Mit jedem neuen Blick wurde sie wütender, nicht nur auf Tony, sondern vor allem auf sich selbst. Eine Frau wie sie wurde nicht einfach versetzt. Aber sie wusste nur zu gut, dass auf die Männer kein Verlass war; die waren nur zu einem zu gebrauchen, und nicht mal das konnte Tony besonders gut. Oft genug musste sie sich zusammenreißen, um nicht mittendrin dem Drang nachzugeben, die Zapfhähne abzuwischen.

Schließlich waren sie fertig mit Aufräumen, und Lou fand keinen Grund mehr, noch länger in der Kneipe zu bleiben.

»Also gut, Jungs, danke«, sagte sie knapp. »Ihr könnt gehen.«

Erleichtert schauten sich Jake und Paul an.

Lou marschierte missmutig ins Büro und holte ihre Tasche. Der Monitor war eingeschaltet, und die Überwachungskamera war auf die Theke gerichtet. Sie fluchte laut. So viel dazu, dass er ihr die ganze Nacht beim Arbeiten zuschauen wollte, gierig sabbernd und ganz spitz vor Vorfreude. Wütend schaltete sie die Videoüberwachung aus und trat aus dem kleinen Raum.

Dann stiefelte sie die Treppe hinauf, schaltete die Alarmanlage ein und schloss die Tür hinter sich ab. Sie schaute nach links und rechts. Nirgendwo ein wartender BMW; nur die altbekannten Taxen, die ihre Abgaswolken in die Nacht pusteten. Also ab nach Hause. Allein.

Müde öffnete sie die Tür eines Taxis, nickte dem Fahrer zu und wünschte sich plötzlich, sie hätte noch schnell eine Zigarette geraucht, ehe sie sich auf den Heimweg machte.

»Schönen Abend gehabt?«, erkundigte sich der Fahrer gut gelaunt.

»Sehe ich etwa so aus?«, brummte Lou sarkastisch. Dann starrte sie demonstrativ zum Fenster hinaus auf die vorbeirauschende Stadt, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.

»Hier … sieht aus, als könnten Sie eine vertragen.«

Sie drehte sich um und sah, wie der Taxifahrer ihr eine Zigarette vor die Nase hielt, die Augen fest auf die Straße gerichtet.

»Sicher?«, fragte sie erstaunt. »Gibt das nicht Haue von der Kippenpolizei wegen Verbrechen gegen die Lungengesundheit oder so?«

Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. »Das ist meine letzte Fahrt für heute; ich glaube, das kann ich riskieren!« Er bekam Lachfältchen um die Augen, woran sie sah, dass er breit grinste.

Dankbar nahm Lou die angebotene Zigarette. Sie zündete sie an und zog daran. Als der Rauch in ihre Lungen strömte, überkam sie ein wohlig warmes, zufriedenes Kribbeln. Erstaunlich, was Zigaretten so alles bewirkten, dachte sie. Das kapierte die Anti-Raucher-Fraktion einfach nicht. Da konnten sie noch so böse Worte auf die Schachteln drucken und noch so viel abschreckende Fernsehwerbung machen, mit ekelerregend schwarzen Raucherlungen oder Zigaretten, aus denen widerlicher schwarzer Schleim tropfte. Als ob das irgendwen vom Qualmen abhalten würde! Auch der letzte Volltrottel wusste inzwischen ohnehin, wie schädlich Rauchen war. Aber diese Gutmenschen kapierten einfach nicht, wie gut es tat. Nach einer Zigarette fühlte man sich gleich viel besser, so einfach war das. Rauchen war für sie eins der angenehmsten Gefühle der Welt.

Und damit lehnte sie sich zurück und paffte genüsslich an der Zigarette. Sie schaute den Fahrer an, oder zumindest das, was von seinem Gesicht im Rückspiegel zu erkennen war: seine Augen, die Augenbrauen und der untere Teil der Stirn.

»Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.«

»Na klar. Das kommt daher, dass ich Sie bestimmt dreimal die Woche nach Hause fahre. Normalerweise sind Sie allerdings besser drauf als heute. Wollen Sie ein bisschen reden?«

»Nein!«

»Soll ich Ihnen einen Witz erzählen?«

»Nein!«

Das Taxi hielt an einer Ampel. Lous Blick fiel auf drei betrunkene Mädchen in Miniröcken, die torkelnd über die Straße staksten. Zwei von ihnen mussten die Dritte stützen, und keine schien wirklich sicher auf den wolkenkratzerhohen Stilettos zu gehen, die gar nicht mehr sexy aussahen, wenn man mit dem Absatz einen halben Döner aufgespießt hatte. Den schlimmsten Anblick bot jedoch eindeutig die besoffene Freundin mit ihrem vollgekotzten T-Shirt.

»Die braven Mädels von Englands grünen Hügeln, hm?«, bemerkte der Taxifahrer sarkastisch.

Lou guckte ihn an, und er gluckste leise vor sich hin. Wie alt mochte er sein? Es war schwer zu sagen aus ihrem Blickwinkel. Aber wie es aussah, hatte er volles Haar, und sein Shirt schien modisch und recht neu. Er hatte auch ganz hübsche Augen. Von ihrem Platz auf dem Rücksitz aus konnte sie die linke Hälfte seines Gesichts sehen, rot angestrahlt vom Schein der Ampel. Er hatte einen leichten Bartschatten, aber glatte Haut. Jugendlich glatte Haut. Und ein ausgeprägtes Kinn.

Könnte sie?

Sollte sie?

Ach, warum auch nicht? Tony hatte seine Chance gehabt und sie versiebt. Der hatte alle Hände voll damit zu tun, in seinem Häuschen am Stadtrand mit Sonnenbank-Suzy und ihren statistischen 2,4 Bälgern Mutter, Vater, Kind zu spielen. Sie würde den Kerl umbringen, wenn er sich das nächste Mal in der Bar blicken ließ. Wie konnte er es wagen, sie so zu verarschen? Was glaubte der, wer er war? Ach, zum Teufel mit dem Mistkerl! Dem würde sie es noch früh genug zeigen.

Und damit beugte sie sich nach vorne, sodass ihr Mantel sich ein wenig öffnete und den Blick auf den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse freigab. Dann nahm sie einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, hob das Gesicht zur Decke des Autos und pustete langsam den Rauch aus, die Lippen zu einem verlockenden Kussmund gespitzt.

»Was sagten Sie noch mal, wie Sie heißen?«, fragte sie den Taxifahrer mit einem verführerischen Lächeln.