Lou
Lous Bar – oder vielmehr die Bar, in der Lou arbeitete, denn obwohl sie den Laden mit beinahe königlichem Gebaren schmiss, war es nicht ihre eigene Bar – war ein Kellerlokal. Tageslicht gab es dort unten nicht, von der Straße führte eine gewundene Treppe ins Untergeschoss. In Kombination mit der Überwachungskamera im Treppenhaus, die sofort anzeigte, wenn jemand herunterkam, öffnete das kleinen versauten Schandtaten Tür und Tor. Und genau eine solche beging sie um 17.05 Uhr an diesem öden Montagnachmittag.
Lou stand hinter der Theke und spürte Tonys heißen Atem am Ohr, während er sie von hinten nahm und bei jedem Stoß angestrengt keuchte: »Gott … du machst mich … so heiß … du dreckiges … geiles … kleines Miststück.«
Das Höschen um die Knöchel, hielt Lou sich am Bishop’s-Zapfhahn fest und behielt dabei die Überwachungskamera stets im Auge. Obwohl das eigentlich auch egal war. Selbst wenn jemand unbemerkt die Treppe heruntergekommen wäre, waren sie und Tony von der Taille aufwärts immer noch vollständig bekleidet, und als Grund für das Gerammel und die etwas geröteten Gesichter hätte sie sich rasch eine Geschichte über ein Problem mit den Leitungsrohren aus den Fingern saugen können. Dann würde Lou dem ahnungslosen Gast ein Getränk anbieten, während sie ihr Höschen mit dem Fuß unter den Geschirrspüler schob, wodurch Tony genug Zeit bliebe, rasch ins Hinterzimmer zu watscheln und sich die Hose hochzuziehen.
Tony würde nie so weit denken, kam es Lou in den Sinn. Aber das taten Männer ja im Allgemeinen selten. Sie stemmte sich gegen die Theke, während er immer schneller und fester zustieß. Seine Lippen waren direkt an ihrem Ohr.
»Sag mir, dass du willst, dass ich dich ficke«, verlangte er. »Sag mir, dass du deine Muschi anfasst und an mich denkst.«
»Ich will, dass du mich fickst. Ich streichele meine Muschi und denke an dich«, wiederholte Lou mechanisch, während ihr Magen rhythmisch gegen die Tropfschale gerammt wurde, aus der bei jedem Stoß seitlich das Bier schwappte. Dann stieß Tony ein kehliges, halb ersticktes Ächzen aus und sackte an ihrem Nacken in sich zusammen. Lou spürte den Schweiß seiner Stirn auf ihrer Haut.
Sie wartete ein paar Sekunden.
Dann rückte sie von ihm ab, stieg mit dem rechten Bein in ihr Höschen und zog sich den Rock herunter, der bis zur Taille hochgeschoben war. Sie wandte den Blick von der Überwachungskamera hin zu Tony, der verschwitzt am Kühlschrank lehnte, mit heruntergelassener Hose, während sein Glied in der Gummihülle schon zu einem verschrumpelten Würstchen zusammengeschrumpft war.
»Tony«, sagte sie ganz beiläufig, »hast du dich je gefragt, was passieren würde, wenn deine Frau unerwartet hier reinschneit und uns erwischt?«
»Heilige Scheiße!«, stotterte er entsetzt. »Die würde mir die Eier abreißen und in der Mikrowelle toasten.« Und damit zog er das Kondom ab und warf es quer durch die Bar in den Mülleimer. Angewidert verzog Lou das Gesicht.
»Und danach würde sie schnurstracks zum Anwalt laufen, mich bis auf die Unterhose ausziehen und dafür sorgen, dass ich meine Kinder nie wiedersehe.« Er zog sich die Hose hoch und holte ein Bier aus dem Kühlschrank. »Den Laden würde ich vermutlich nicht halten können.« Wehmütig schaute er sich in der Bar um. »Sie würde es glatt fertigbringen, ein Sonnenstudio daraus zu machen, nur um mir eins auszuwischen.«
Lou ließ Wasser in einen Eimer laufen, um den Boden zwischen Tony und dem Mülleimer zu wischen. Sie mochte ein unanständiges Mädchen sein, aber sie legte Wert auf hygienische Verhältnisse.
»Und warum tust du es dann?«, fragte sie und gab einen Schuss Reiniger ins Wasser. »Warum gehst du das Risiko ein, wenn für dich so viel auf dem Spiel steht?«
Tony trat ganz nahe an sie heran und begrapschte ihren Po, wobei seine Finger zu der Stelle zwischen ihren Schenkeln wanderten. »Weil du so ein verdammt heißes Gerät bist, dass ich die Finger einfach nicht von dir lassen kann«, sabberte er ihr lüstern ins Ohr. »Ich muss immer an dich denken, wenn ich …«
»Mal im Ernst, Tony.« Lou schob ihn weg und drehte sich zu ihm um. »Warum, obwohl du zwei Kinder und einen Arsch voll Geld hast, ganz zu schweigen von einer Frau, riskierst du das alles? Würde mich wirklich mal interessieren.«
Tony zuckte nur die Achseln und trank einen lässigen Schluck aus der Flasche.
»Weil ich Suzy kenne. Die würde sich niemals von ihrem Kosmetiksalon losreißen, um hierherzukommen. Ich stehe so weit unten auf ihrer Prioritätenliste, dass es ein scheiß Witz ist. Sie gibt mein schwer verdientes Geld aus, aber ich komme ganz zum Schluss, weit hinter Designer-Handtaschen, Friseurbesuchen und dem Fitnessstudio; und dann kommen noch die Kinder, das Auto und der Hund – und dann ich.« Er schniefte, und Lou wünschte, sie hätte nicht gefragt.
»In den sechs Jahren, seit wir verheiratet sind, ist sie kein einziges Mal unerwartet hier reingeschneit, weshalb ich mir genauso gut …« – er drückte sich an Lou und fing an, sie rhythmisch zu streicheln – »… meine Zeit mit meinen Angestellten vertreiben kann.«
Lou hielt den Wischmoppstiel mit beiden Händen umklammert und merkte, wie ihre Brustwarzen hart wurden. Sie konnte nichts dafür. Ihr war sonnenklar, dass Tony ein feiges Arschloch war. Und auch, dass er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, rauswerfen würde, sollte sie ihm irgendwelchen Ärger machen. Aber das war halb so wild; sie benutzte ihn genauso, wie er sie benutzte, und einen Thekenjob zu finden war ohnehin nicht besonders schwer. Außerdem stand sie drauf, den Chef zu vögeln. Für sie bedeutete das Sex ohne Verpflichtungen und mit hohem Risikofaktor (in ihren Augen beides nicht zu verachten) sowie eine Vorzugsbehandlung am Arbeitsplatz. Außerdem versüßte es ihr den Tag, in dem Wissen zur Arbeit zu gehen, dass immer dann, wenn nicht viel los war und die Umstände mitspielten, ein kleiner heimlicher Quickie drin war.
Jäh wurden sie von dem unüberhörbaren Lärm unterbrochen, den Jake und Paul, zwei weitere Angestellte, machten, als sie die Treppe herunterpolterten. Tony drehte sich auf dem Absatz um und verschwand mit dem Bier in der Hand im Hinterzimmer. Woraufhin Lou rasch den Boden wischte und dann mit den beiden die anstehenden Aufgaben für den Abend durchsprach.
Um acht war Tony immer noch im Hinterzimmer und gab vor, mit der Buchführung beschäftigt zu sein, während er in Wahrheit seine trashigen Serien anschaute. Und Lou saß auf einem Barhocker am Ende der Theke und nippte an einer Weißweinschorle. Sie hatte eine eiserne Regel: kein Alkohol während der Arbeitszeit. Und da eine Schorle zu mindestens fünfzig Prozent aus Nicht-Alkoholischem bestand, zählte sie nicht. Lous Definition zufolge fiel alles, wovon man keinen Kater bekam, ohnehin nicht unter alkoholische Getränke. Plötzlich erregte eine Bewegung auf dem Überwachungsmonitor ihre Aufmerksamkeit. Es war Kate.
»Schicker Fummel!« Anerkennend begutachtete Lou beim Hereinkommen Kates Garderobe. »Kommst du gerade von der Arbeit?«
»Ja. Und ich nehme dasselbe wie du, danke«, sagte Kate und wies mit einem Kopfnicken auf Lous Glas.
»Aber ich trinke bloß eine Schorle!«
»Es ist ja auch bloß Montagabend!«
»Wie du meinst.« Achselzuckend rutschte Lou vom Barhocker. »Und, wie war die Arbeit?«
»Super. Julian fand meine Idee doch tatsächlich richtig gut!«
Lou schnaubte verächtlich. »Julian findet all deine Ideen gut. Darum wirst du auch ständig befördert. Und weil er weiß, dass er das am schwersten schuftende Arbeitspferd der Welt bei sich beschäftigt.«
»Wenn du meinst.« Kate nippte an ihrem Glas. »Aber es war auch noch aus einem anderen Grund ein guter Tag.«
Erwartungsvoll zog Lou eine Augenbraue hoch.
»Heute Morgen war mein erster Termin bei Table For Two«, erklärte Kate mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »Und es war toll!«
»Toll?« Lou musste sich Mühe geben, den sarkastischen Unterton in ihrer Stimme nicht allzu sehr durchklingen zu lassen.
»Ich hatte völlig Recht, was Alice angeht; sie ist wunderbar! Sie hat sich echt für mich interessiert, wie ich wirklich bin und was für einen Mann ich suche. Und ich denke, sie wird einen für mich finden. Nicht bloß irgendeinen, sondern den Richtigen!«
Lou goss noch etwas Wein in ihre Schorle. Auf einmal war ihr nach was richtig Alkoholischem.
»Mhm«, entgegnete sie schmallippig.
»Sie hat mir Fotos von Männern aus ihrer Liste gezeigt, und was soll ich dir sagen? Ein paar davon waren echt heiß – richtig gut aussehende Männer mit anständigen Jobs und ohne zusammengewachsene Augenbrauen!«
Lou lächelte matt.
»Na ja, jedenfalls habe ich ihr dann ein paar gezeigt, die mir gefallen haben, und Alice hat mir ein Formular gegeben, das ich ausfüllen soll, um die Auswahl noch etwas einzuschränken. Sobald ich das zurückgeschickt habe, macht sie sich an die Arbeit und sucht jemanden für mich aus. Sie meinte, nächste Woche hätte ich schon mein erstes Date!«
»Nächste Woche? Das geht aber ganz schön schnell, oder?« Lous Stimme klang irgendwie seltsam.
»Jetzt, wo der Stein endlich ins Rollen gekommen ist, kann ich es gar nicht mehr erwarten. Am liebsten hätte ich schon heute Abend meine erste Verabredung!« Kate knisterte förmlich vor Aufregung. »Es wird übrigens so eine richtig altmodische, romantische Verabredung, weißt du, also ein Abendessen im Restaurant. Die Agentur empfiehlt, lieber nicht ins Pub zu gehen, weil man da nichts weiter tun kann als trinken, und ehe man sich’s versieht, ist man zu betrunken, um sich am nächsten Tag noch an irgendwas zu erinnern. Eigentlich sollte das erste Date idealerweise in der Mittagspause stattfinden, aber ich komme tagsüber nicht aus dem Büro. Deshalb habe ich ihr gesagt, bei mir geht es nur zum Abendessen – und dass ich so bald wie möglich loslegen will. Ich kann es gar nicht mehr erwarten! Das ist alles so aufregend!«
Still nippte Lou an ihrem Glas, während sie ihre Freundin musterte. Sie hatte Kate noch nie so aufgedreht und hübsch erlebt, und plötzlich hatte sie ein seltsam flaues Gefühl im Magen. Das war nicht die Kate, die sie kannte. Und diese neue Kate gefiel ihr nicht. Genauso wenig wie die ganze Partnervermittlungsgeschichte. Das war alles so, so … Lou wusste es selbst nicht so genau. Aber sie wusste, dass es ihr nicht gefiel.