Kapitel 4
Ein bühnenreifer Auftritt
Teatro Massimo Bellini, Catania, Sizilien.
Artemis Fowl und sein Leibwächter Butler entspannten sich in einer Privatloge links oberhalb der Bühne in Siziliens weltberühmtem Teatro Massimo Bellini. Das heißt, vielleicht trifft es nicht ganz zu, dass Butler sich entspannte. Er tat vielmehr so, als ob er sich entspannte, wie ein Tiger vor dem Sprung.
Butler fühlte sich hier noch unwohler als in Barcelona. Vor der Spanienreise hatte er zumindest ein paar Tage Zeit gehabt, sich vorzubereiten, doch bei diesem Ausflug hatte er es kaum geschafft, seine Kampfkunst-Trainingseinheit dazwischenzuschieben.
Kaum dass der Bentley vor Fowl Manor vorgefahren war, hatte Artemis sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und die Computer gestartet. Butler hatte die Gelegenheit genutzt, ein wenig zu trainieren, sich frisch zu machen und das Abendessen zuzubereiten: Zwiebelquiche, Lammrippe mit Knoblauchgratin und als Nachtisch Waldbeeren-Crêpes.
Beim Kaffee rückte Artemis mit der Neuigkeit heraus. »Wir müssen nach Sizilien«, sagte er und spielte mit dem Keks auf seiner Untertasse herum. »Mir ist bei den Berechnungen bezüglich des Zeitbanns ein Durchbruch gelungen.«
»Wann brechen wir auf?«, fragte der Leibwächter. Im Geist ging er bereits seine Kontakte auf der Mittelmeerinsel durch.
Artemis sah auf seine Rado-Armbanduhr.
Butler stöhnte unwillkürlich. »Sie sollen nicht auf die Uhr sehen, Artemis, sondern in den Kalender.«
»Tut mir leid, alter Freund. Aber Sie wissen ja, die Zeit ist knapp. Ich kann es nicht riskieren, eine Erscheinung zu verpassen.«
»Aber im Jet haben Sie noch gesagt, die nächste stünde erst in sechs Wochen an.«
»Ich habe mich geirrt, beziehungsweise Foaly hat sich geirrt. Er hat in der Zeitgleichung ein paar Faktoren außer Acht gelassen.«
Artemis hatte Butler mit der Geschichte der achten Familie vertraut gemacht, während der Jet über den Ärmelkanal geflogen war.
»Wenn Sie gestatten, werde ich es Ihnen demonstrieren«, sagte Artemis. Er stellte einen silbernen Salzstreuer auf seinen Teller. »Nehmen wir an, dieser Salzstreuer ist Hybras. Mein Teller ist der Ort, an dem die Insel sich befindet: unsere Dimension. Und Ihr Teller ist der Ort, an den sie versetzt werden soll: das Zeitmeer. Können Sie mir bis hierhin folgen?«
Butler nickte widerstrebend. Er wusste, je mehr er verstand, desto mehr würde Artemis ihm erzählen, und im Kopf eines Leibwächters war nicht viel Platz für Quantenphysik.
»Die Zaubererdämonen wollten die Insel von Teller A nach Teller B verfrachten, aber nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Das steht im Buch«, erwiderte der irische Teenager. »Eine ziemlich detaillierte Beschreibung, wenn auch reichlich blumig formuliert.«
Das Buch war die Bibel des Erdvolks, es enthielt ihre Geschichte, ihre Gebote und Gesetze. Einige Jahre zuvor hatte Artemis es geschafft, einer betrunkenen Fee in Ho Chi Minh City ein Exemplar abzuluchsen, und das Buch stellte sich immer wieder als unschätzbare Informationsquelle heraus.
»Soweit ich mich entsinne, enthält es keine Diagramme und Statistiken«, bemerkte Butler.
Artemis lächelte. »Nein, die technischen Einzelheiten habe ich von Foaly, auch wenn er nicht weiß, dass er sein Wissen mit mir teilt.«
Butler massierte sich die Schläfen. »Artemis, ich habe Sie davor gewarnt, sich mit Foaly anzulegen. Die Sache mit den Doppelgängern ist schon schlimm genug.«
Artemis wusste natürlich, dass Foaly ihn und sämtliche Doppelgänger überwachte. Tatsächlich hatte er die Doppelgänger überhaupt nur losgeschickt, damit Foaly sein Budget strapazierte. Das war seine Vorstellung von einem Scherz.
»Ich habe nicht mit der Überwachung angefangen«, wandte Artemis ein. »Das war Foaly. Allein in meinen Computern habe ich ein Dutzend Spionageprogramme gefunden. Ich habe nur den Spieß umgedreht und einige der allgemeinen Dateien angezapft. Nichts Geheimes natürlich. Na ja, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Foaly war fleißig, seit er bei der ZUP aufgehört hat.«
»Und worum ging es in Foalys Dateien?«, fragte Butler resigniert.
»Um Magie. Im Grunde ist Magie nichts anderes als Energie und die Fähigkeit, Energie zu manipulieren. Um Hybras von A nach B zu transportieren, haben die Dämonenzauberer die Kraft ihres Vulkans dazu genutzt, einen Zeitspalt beziehungsweise einen Zeittunnel zu erschaffen.« Artemis rollte seine Serviette auf, schob den Salzstreuer hinein und legte das Ganze auf Butlers Teller.
»So einfach war das?« Butler wirkte skeptisch.
»Nicht ganz«, sagte Artemis. »Genau genommen haben die Zauberer eine außergewöhnliche Leistung vollbracht, wenn man bedenkt, welche Hilfsmittel ihnen damals zur Verfügung standen. Sie mussten die Kraft des Vulkans berechnen, die Größe der Insel und die Energie jedes einzelnen Dämonen auf der Insel, ganz zu schweigen von der entgegengesetzten Anziehungskraft des Mondes. Es grenzt an ein Wunder, dass der Zeitbann überhaupt so gut funktioniert hat.«
»Also gab es eine Panne?«
»Ja. Dem Buch zufolge haben die Zauberer den Vulkan induziert, doch die Kraft war zu stark. Sie konnten sie nicht beherrschen, und der magische Kreis brach auseinander. Hybras und die Dämonen landeten an ihrem Ziel, aber die Zauberer wurden ins All geschleudert.«
Butler stieß einen Pfiff aus. »Das ist eine ziemlich große Panne.«
»Mehr als das. Die Dämonenzauberer kamen alle ums Leben, und nun sitzt der Rest des Rudels im Zeitmeer fest, unter einem Bann, der nie als Dauerzustand geplant war, und ohne einen Zauberer, der sie zurückbringen könnte.«
»Könnte Foaly sie nicht holen?«
»Nein. Es wäre vollkommen unmöglich, dieselben Bedingungen noch einmal zu erschaffen. Das ist, als wollte man eine Feder durch einen Sandsturm steuern und sie auf einem ganz bestimmten Sandkorn landen lassen, nur dass man nicht weiß, wo das Sandkorn ist. Und selbst wenn man wüsste, wo es ist, hätte es keinen Zweck, denn Dämonenmagie kann nur von einem Dämon beherrscht werden. Sie sind bei Weitem die mächtigsten Zauberer.«
»Schwierig«, gab Butler zu. »Und warum tauchen die Dämonen jetzt hier auf?«
Artemis korrigierte ihn mit erhobenem Zeigefinger. »Nicht nur jetzt und nicht nur hier. Die Dämonen haben sich schon immer von ihrer heimatlichen Welt angezogen gefühlt, eine Kombination aus lunarer und terrestrischer Strahlung. Aber bisher konnte ein Dämon nur dann hierher zurückgezogen werden, wenn er sich an seinem Ende des Zeittunnels befand, also am Krater, und wenn er keinen Dimensionenanker trug.«
Butler berührte sein Armband. »Silber.«
»Genau. Doch aufgrund der weltweiten, massiven Zunahme an Strahlungen ist die Anziehung, die auf die Dämonen wirkt, wesentlich stärker geworden und erreicht häufiger ein kritisches Niveau, vermute ich.«
Butler gab sich alle Mühe, den Erklärungen zu folgen. Manchmal war es nicht einfach, der Leibwächter eines Genies zu sein. »Ich dachte, wir wollten nicht in die Einzelheiten gehen.«
Artemis ließ sich nicht beirren. Er würde doch nicht mitten in einem Vortrag abbrechen. »Halten Sie durch, alter Freund, wir haben es gleich geschafft. Aufgrund dieser Veränderungen kommen die Energiekumulationen häufiger vor, als Foaly denkt.«
Butlers Miene hellte sich auf. »Verstehe, aber den Dämonen kann nichts passieren, solange sie von dem Krater wegbleiben.«
Triumphierend erhob Artemis den Zeigefinger. »Exakt!«, rief er. »Dieser Schluss liegt nahe. Und davon geht auch Foaly aus. Aber als unser letzter Dämon vom Kurs abwich, habe ich die Vorgänge zurückgerechnet, und mein Schluss ist, dass der Bann nachlässt. Der Tunnel ist dabei, sich aufzulösen.« Artemis nahm die zusammengerollte Serviette und lockerte sie. »Jetzt ist der Zugriffsbereich größer, und ebenso der Landebereich. Irgendwann in naher Zukunft werden die Dämonen nirgendwo auf Hybras mehr sicher sein.«
Butler stellte die nahe liegende Frage: »Was passiert, wenn der Tunnel ganz auseinanderfällt?«
»Kurz bevor das passiert, werden alle Dämonen von der Insel gesogen, Silber hin oder her. Wenn der Tunnel zerfällt, werden einige von ihnen auf der Erde landen, etliche auf dem Mond, und der Rest wird irgendwo in Raum und Zeit verteilt. Eins ist jedoch klar: Nur wenige von ihnen werden überleben, und die landen in Laboratorien und Zoos.«
Butler runzelte die Stirn. »Wir müssen Holly Bescheid sagen.«
»Ja«, stimmte Artemis ihm zu, »aber nicht sofort. Ich brauche noch einen Tag, um mich zu vergewissern, dass meine Berechnungen stimmen. Ich gehe nicht zu Foaly, solange ich nichts Greifbares in der Hand habe.«
»Ich ahne es«, sagte Butler. »Sizilien, stimmt's?«
Und so saßen sie nun im Teatro Massimo Bellini, und Butler hatte nur eine recht verschwommene Vorstellung davon, weshalb sie hier waren. Wenn ein Dämon auf dieser Bühne erschien, dann hatte Artemis recht, und die Unterirdischen waren in großer Gefahr. Und wenn die Unterirdischen in Gefahr waren, hatte Artemis die Pflicht, ihnen zu helfen. Butler war stolz darauf, dass sein junger Schützling zur Abwechslung mal etwas für andere tun wollte. Aber ihnen blieb nur eine Woche, um ihre Mission zu erfüllen und nach Fowl Manor zurückzukehren, denn in sieben Tagen würden Artemis' Eltern aus Rhode Island zurückkehren. Dort ließ sich Artemis Fowl Senior ein künstliches Bio-Hybrid-Bein anpassen, als Ersatz für sein eigenes, das er verloren hatte, als sein Schiff von der russischen Mafija versenkt worden war.
Butlers Blick schweifte von der Loge aus zu den zahllosen goldenen Bögen und über die ungefähr dreizehnhundert Zuschauer, die an diesem Abend gekommen waren, um Bellinis Norma zu sehen und zu hören.
»Erst ein Haus von Gaudí und jetzt dieses Theater«, bemerkte der Leibwächter, dessen Stimme dank der gut isolierten Loge und der lauten Musik nur für Artemis zu hören war. »Erscheinen diese Dämonen denn nie an einem ruhigen Ort?«
Artemis antwortete flüsternd: »Lassen Sie sich einfach von dieser wunderbaren Musik verführen, genießen Sie die Darbietung. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, eine Loge für eine Bellini-Oper zu bekommen? Noch dazu für Norma. Die Partie der Norma stellt allerhöchste Anforderungen an die Sopranistin, und diese hier ist hervorragend, durchaus vergleichbar mit der Callas.«
Butler grunzte. Für normale Menschen war es vielleicht schwierig, eine Loge in diesem Theater zu bekommen, aber Artemis hatte einfach seinen Freund, den schwerreichen Umweltschützer Giovanni Zito, angerufen. Der Sizilianer hatte ihm mit Freuden seine Loge im Austausch gegen zwei Kisten allerfeinsten Bordeaux überlassen, zumal Artemis gerade über zehn Millionen Euro in Zitos Forschungen zur Wasserwiederaufbereitung gesteckt hatte. Ein Sizilianer, der Bordeaux trinkt?, hatte Artemis ihn am Telefon aufgezogen. Sie sollten sich schämen.
»Halten Sie Ihre Armbanduhr auf die Bühne gerichtet«, unterbrach Artemis Butlers Gedankengänge. »Die Aussichten, dass ein Dämon ohne Silber herumläuft, sind selbst in sicherer Entfernung vom Krater äußerst gering. Aber falls doch einer auftaucht, will ich ihn auf Video haben, damit ich Foaly beweisen kann, dass meine Theorien stimmen. Solange wir über keinen unwiderlegbaren Beweis verfügen, wird der Rat der Unterirdischen nichts unternehmen.«
Butler vergewisserte sich, dass das Kristallglas seiner Uhr, das zugleich als Kameralinse fungierte, den richtigen Aufnahmewinkel hatte. »Die Kamera ist einsatzbereit, aber wenn Sie erlauben, lasse ich mich nicht von der wunderbaren Musik verführen. Ich habe genug damit zu tun, für Ihre Sicherheit zu sorgen.«
Das Teatro Bellini war der Albtraum eines jeden Leibwächters. Jede Menge Ein- und Ausgänge, über tausend Zuschauer, die nicht bereit waren, sich durchsuchen zu lassen, überall goldene Bögen, hinter denen ein Killer versteckt sein könnte, und zahllose Ecken, Winkel und Flure, die vermutlich auf keinem Grundriss eingezeichnet waren. Dennoch war Butler einigermaßen zuversichtlich, dass er zu Artemis' Schutz alles Erdenkliche getan hatte.
Allerdings sollte sich bald zeigen, dass es Dinge gab, vor denen ein Leibwächter nicht schützen konnte. Unsichtbare Dinge.
Artemis' Telefon vibrierte dezent. Normalerweise missbilligte es Artemis, wenn Leute während einer Vorstellung ihr Handy anließen, aber dies war ein ganz besonderes Telefon, und er schaltete es nie ab. Es war das Funkgerät, das Holly Short ihm gegeben hatte - mit ein paar Veränderungen und Ergänzungen aus Artemis' eigener Konstruktion.
Das Gerät hatte die Größe und Form einer Zwei-Euro-Münze, und in der Mitte saß ein pulsierender roter Kristall. Das war ein Omnisensor, der mit jeder Art von Kommunikationssystem kompatibel war, einschließlich des menschlichen Körpers. Das Telefon steckte als protziger Ring an Artemis' Mittelfinger. Artemis drehte den Ring, sodass der Omnisensor in seiner Handfläche lag, dann beugte er Zeige-, Mittel- und Ringfinger darüber und streckte den kleinen Finger und den Daumen zur Seite aus. Der Sensor würde die Schallwellen im kleinen Finger entschlüsseln und als Stimmmuster weiterleiten. Ebenso transferierte er die Stimme des Anrufers über die Handknochen in die Spitze des Daumens.
Für jeden Betrachter musste Artemis aussehen wie ein Junge, der in ein imaginäres Telefon sprach.
»Ja?« Artemis lauschte kurz, dann legte er auf, indem er den Ring wieder umdrehte. Zu Butler gewandt, sagte er: »Wir haben Besuch.«
Butlers Hand schnellte zum Griff seiner Sig Sauer.
»Alles in Ordnung«, versicherte Artemis ihm. »Es ist ein Freund.«
Butler ließ die Hand sinken. Er wusste, wer es war.
Holly Short erschien auf dem samtbezogenen Sitz neben Artemis. Sie hatte die Knie ans Kinn gezogen, und die spitzen Ohren waren unter einem schwarzen Helm verborgen. Als sie ins sichtbare Spektrum trat, teilte sich das großformatige Visier und glitt ins Innere des Helms. Ihre Ankunft unter den Menschenwesen wurde von der Dunkelheit des Theaters verborgen.
»Hallo, Jungs«, sagte sie lächelnd. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten schelmisch - oder vielmehr elfisch.
»Danke für die Voranmeldung«, sagte Butler sarkastisch. »Wir wollen ja nicht, dass sich jemand erschreckt. Kein Schimmern diesmal?« Wenn Unterirdische sich mittels ihres Sichtschilds unsichtbar machten, lag normalerweise ein leichtes Schimmern in der Luft, wie ein Hitzeflirren. Doch bei Hollys Ankunft war nichts zu sehen gewesen.
Holly klopfte sich auf die Schulter. »Neuer Anzug. Besteht komplett aus multifunktionalen Mikroplättchen. Er dämpft einen Teil der Vibrationen.«
Artemis sah sich eines der Plättchen genauer an und bemerkte die Mikrofasern darin. »Foalys Erfindung? Das stammt doch bestimmt aus Abteilung Acht.«
Holly konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Sie knuffte Artemis spielerisch gegen die Schulter. »Woher weißt du von Abteilung Acht? Gönnst du uns denn gar keine Geheimnisse mehr?«
»Foaly sollte nicht versuchen, mich auszuspionieren«, sagte Artemis. »Wo ein Weg rein ist, ist auch ein Weg raus. Aber erst mal Glückwunsch zu dem neuen Job. An Foaly natürlich auch.« Er wies mit dem Kopf auf die winzige Linse über Hollys rechtem Auge. »Sieht er uns jetzt?«
»Nein. Er versucht rauszukriegen, woher du weißt, was er nicht weiß. Aber er schneidet mit.«
»Ich nehme an, Sie sprechen von den Dämonen.«
»Schon möglich.«
Butler trat zwischen die beiden, um den verbalen Zweikampf zu unterbinden, der sonst unweigerlich folgen würde. »Bevor es ans Eingemachte geht, wie wär's mit einer anständigen Begrüßung?«
Holly lächelte den riesigen Leibwächter voller Wärme an. Sie aktivierte die Flügel, die in ihren Anzug eingebaut waren, und stieg auf seine Augenhöhe. Sie gab Butler einen Kuss auf die Wange und schlang die Arme um seinen Hals. Sie reichten so gerade eben herum.
Butler klopfte auf ihren Helm. »Nette Ausrüstung. Kein gewöhnlicher ZUP-Kram.«
»Nein«, sagte Holly und nahm den Helm ab. »Die Sachen von Abteilung Acht sind denen der ZUP um Jahre voraus. Ist wohl alles eine Frage des Geldbeutels.«
Butler besah sich den Helm genauer. »Was dabei, das einen alten Soldaten interessieren könnte?«
Holly drückte eine Taste auf ihrem Armbandcomputer. »Testen Sie mal die Nachtsichtfunktion. So hell und klar wie der Tag. Und das Beste daran ist, dass der Filter auf hereinfallendes Licht reagiert, sprich: keine Blendung mehr bei Blitzlicht oder Ähnlichem. Clever, nicht?«
Butler nickte anerkennend. Die größte Schwachstelle von Nachtsichtgeräten war seit jeher, dass der Soldat bei plötzlichem Lichteinfall geblendet war. Dazu reichte schon der Schein einer Kerze.
Artemis räusperte sich. »Verzeihen Sie, Captain. Wollen Sie beide jetzt die ganze Nacht diesen Helm bestaunen, oder können wir allmählich zur Sache kommen?«
Holly zwinkerte Butler zu. »Ihr Chef ruft. Ich seh besser mal nach, was er will.«
Sie schwebte hinunter auf einen freien Sitz, machte es sich bequem und sah Artemis unverwandt an. »Okay, Menschenjunge. Ich bin ganz Ohr.«
»Dämonen. Wir müssen über die Dämonen reden.«
Das schelmische Funkeln verschwand aus Hollys Blick. »Weshalb interessierst du dich so für Dämonen, Artemis?«
Artemis öffnete die beiden obersten Hemdknöpfe und zog eine Kette mit einer Goldmünze hervor. Die Münze hatte in der Mitte ein rundes Loch - hineingebrannt von Hollys Laser.
»Die haben Sie mir gegeben, nachdem Sie meinem Vater das Leben gerettet hatten. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Und in der Schuld des Erdvolks. Also versuche ich jetzt, meine Schuld zu begleichen.«
Holly war noch nicht überzeugt. »Du tust doch nie im Leben was für das Erdvolk, ohne vorher ein Honorar auszuhandeln.«
Artemis akzeptierte den Vorwurf mit einem angedeuteten Nicken. »Das stimmt. Oder vielmehr, bisher stimmte es. Aber ich habe mich geändert.«
Holly verschränkte die Arme. »Und weiter?«
»Und es freut mich, dass ich etwas herausgefunden habe, das Foaly entgangen ist, auch wenn ich nur durch Zufall darauf gestoßen bin.«
»Und weiter?«
Artemis seufzte. »Also gut. Da ist noch etwas anderes.«
»Dachte ich mir. Was willst du? Gold? Spezialausrüstung?«
»Nein, nichts in der Art.« Artemis beugte sich auf seinem Sitz vor. »Können Sie sich vorstellen, wie schwierig es ist, diese ganzen spannenden Abenteuer mit der ZUP erlebt zu haben und plötzlich nicht mehr dazuzugehören?«
»Ja«, sagte Holly. »Nur allzu gut.«
»Vor ein paar Monaten habe ich noch die Welt gerettet, und jetzt vertreibe ich mir die Zeit mit Geometrie. Ich langweile mich, Holly. Mein Intellekt ist unterfordert, und als ich im Buch des Erdvolks auf den Abschnitt über die Dämonen stieß, wurde mir klar, dass es eine Möglichkeit gibt, dabei zu sein, ohne aktiv einzugreifen. Ich wollte einfach Foalys Berechnungen studieren und gegebenenfalls verbessern.«
»Die stehen aber nicht im Buch«, konterte Holly. »Und gemailt hat er sie dir mit Sicherheit auch nicht.«
Artemis wischte Hollys Einwand beiseite. »Nur harmlose Hackerei. Schließlich hat er damit angefangen. Ich begann also, zu den Erscheinungsorten zu reisen, doch nichts geschah - bis Barcelona. Dort tauchte tatsächlich ein Dämon auf, aber nicht am errechneten Ort und mit Verspätung. Ich bin buchstäblich über ihn gestolpert, und wenn Butler mich nicht mithilfe von Silber in dieser Dimension verankert hätte, würde ich jetzt irgendwo in grauer Vorzeit durch den Raum schweben.«
Holly musste sich ein Lachen verkneifen. »Es war also reiner Zufall. Der große Artemis Fowl übertrumpft den ausgefuchsten Foaly durch einen dummen Zufall.«
»Ich würde es eher einen intelligenten Zufall nennen«, sagte Artemis pikiert. »Aber lassen wir das. Ich habe das Ganze noch mal mit den neuen Zahlen durchgerechnet, und wenn das Ergebnis stimmt, sind die daraus resultierenden Folgen katastrophal für das Erdvolk.«
»Dann leg mal los. Bitte möglichst kurz und mit schlichten Worten. Du glaubst ja nicht, wie viel Fachchinesisch ich mir heute schon anhören musste.«
»Das ist eine ernste Sache, Holly«, sagte Artemis aufgebracht. Die Zuschauer um ihn herum reagierten mit verärgertem Zischen.
»Das ist eine ernste Sache«, wiederholte er im Flüsterton.
»Warum?«, fragte Holly. »Du brauchst doch Foaly nur deine neuen Zahlen mitzuteilen, und er regelt den Rest mit seinen Lichtableitungsprojektoren.«
»Nicht ganz«, sagte Artemis und lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Wenn innerhalb der nächsten vier Minuten tatsächlich ein Dämon dort auf der Bühne erscheint, wird es bald nicht mehr genügend Projektoren geben, um alles abzudecken. Wenn ich recht habe und der Zeitbann nachlässt, dann wird Hybras mitsamt seinen Bewohnern demnächst in diese Dimension zurückgesogen. Die meisten Dämonen werden es nicht überleben, aber die, die es schaffen, könnten jederzeit und überall auftauchen.«
Holly schaute zur Bühne hinüber. Dort stand eine Frau mit rabenschwarzem Haar und sang grotesk hohe Töne über einen grotesk langen Zeitraum. Holly fragte sich, ob die Frau es überhaupt bemerken würde, wenn ein Dämon für ein oder zwei Sekunden aus dem Nichts auftauchte. Eigentlich war für diesen Tag keine Erscheinung angekündigt. Trat sie dennoch ein, bedeutete dies, dass Artemis mal wieder recht hatte und jede Menge weitere Dämonen auf dem Weg hierher waren. Und wenn das geschah, hatten er und Holly erneut alle Hände voll zu tun, um das Erdvolk zu retten.
Holly warf Artemis, der die Bühne durch ein Opernglas betrachtete, einen verstohlenen Blick zu. Sie würde es ihm natürlich niemals sagen, aber wenn schon ein Menschenwesen dazu nötig war, das Erdvolk zu retten, dann war Artemis der richtige Mann - besser gesagt der richtige Junge - dafür.
Insel Hybras, Zeitmeer.
Mühsam erklomm Nr. 1 den felsigen Hang, der zum Krater führte. Auf seinem Weg begegneten ihm mehrere Dämonen, doch keiner versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Hadley Shrivelington Basset hatte sich sogar erboten, ihm die Wegbeschreibung in ein Rindenstück zu ritzen. Wenn Nr. 1 tatsächlich den großen Sprung in die andere Dimension wagte, würde ihn wahrscheinlich keiner groß vermissen. Außer der Dämonin mit den roten Runen, die ihm immer zulächelte. Die würde ihn vielleicht ein klitzekleines bisschen vermissen. Nr. 1 blieb wie vom Blitz getroffen stehen, als ihm aufging, dass er mit dem einzigen Dämon, dem es etwas ausmachen würde, wenn er verschwand, noch nie ein Wort gesprochen hatte.
Er stöhnte laut auf. Wie deprimierend!
Nr. 1 stapfte weiter, vorbei am letzten Warnschild, das in gewohnt dämonischer Feinfühligkeit einen aufgespießten, blutverschmierten Wolfsschädel zeigte.
»Was soll das eigentlich bedeuten?«, brummte Nr. 1, als er an dem Schild vorbeikam. »Ein aufgespießter Wolfsschädel. Heute Abend großes Wolfs-Barbecue. Jeder bringt seinen eigenen Wolf mit.«
Barbecue. Noch so ein Wort von Lady Heatherington Smythe.
Nr. 1 setzte sich auf den Rand des Hangs und rutschte mit dem Hintern hin und her, um sich eine Vertiefung für seinen Schwanz zu buddeln. Schließlich konnte man es sich genauso gut bequem machen, bevor man hundert Meter tief in einen rauchenden Vulkan sprang. Und wenn er nicht in das alte Land gesogen wurde, würde er nicht mal dort in der Lava verglühen. Nein, wahrscheinlicher war, dass er an den Felsen zerschellte. Was für eine aufmunternde Vorstellung.
Von seinem Rastplatz konnte Nr. 1 die zerklüftete Öffnung des Kraters und die Rauchfahnen sehen, die rhythmisch wie der Atem eines schlafenden Riesen gen Himmel stiegen. Unter dem Zeitbann verlief alles so, als wäre Hybras noch an den Rest der Welt angeschlossen, nur in einem anderen Tempo. Deshalb blubberte der Vulkan immer noch und stieß ab und zu eine schmale Magmasäule aus, obwohl sich keine Erdkugel mehr darunter befand.
Wenn Nr. 1 ehrlich war, ließ seine Entschlossenheit spürbar nach. Die Vorstellung, in einen interdimensionalen Krater zu springen, fiel leicht, wenn man seine verpuppten Klassenkameraden in eine verkrustete Dunggrube rollte. In dem Moment, als die Gestankschwaden ihm entgegenschlugen, hatte er das Gefühl gehabt, schlimmer könne es nicht mehr werden. Und irgendetwas in Abbots Stimme hatte die Idee verlockend erscheinen lassen. Doch hier oben, wo ein leichter Wind die Schuppen auf seiner Brust kühlte, erschien ihm das Dasein nicht mehr ganz so trist. Immerhin war er am Leben, und es gab keine Garantie, dass am Boden des Kraters etwas anderes wartete als glühende Lava. Kein Dämon war je lebend zurückgekommen. Nun, zurückgekommen waren sie schon. Einige eingeschlossen in einen Eisblock, andere zu Kohle verbrannt, doch keiner heil und gesund wie der Rudelführer. Jetzt erschienen Nr. 1 die vielen Grausamkeiten, die Abbot ihm zugefügt hatte, unwirklich, schwer zu greifen. Das Einzige, woran er sich genau erinnern konnte, war die wunderbare, lockende Stimme, die ihm gesagt hatte, er solle auf die andere Seite wechseln.
Mondwahn. Das war der Knackpunkt. Dämonen wurden vom Mond angezogen. Er sang zu ihnen, brachte die Teilchen in ihrem Blut zum Tanzen. Nachts träumten sie von ihm, und die restliche Zeit vermissten sie ihn schmerzlich. Zu jeder Stunde des sogenannten Tages hier auf Hybras sah man Dämonen, die abrupt auf der Straße stehen blieben und zu der Stelle aufblickten, wo der Mond früher gewesen war. Er war ein Teil von ihnen, ein lebendiger, organischer Teil, und auf atomarer Ebene gehörten sie zusammen.
Im Krater wirkten immer noch Überreste des Zeitbanns. Fetzen von Magie ringelten sich um den Kraterrand und schnappten nach jedem Dämon, der dumm genug war, sich ohne Silber dort herumzutreiben. In diese Magie verwoben war der Gesang des Mondes, der die Dämonen zu sich rief und sie mit Visionen von weißem Licht und Schwerelosigkeit lockte. Hatten sich diese blassen Ranken erst einmal in den Verstand eines Dämons eingeschlängelt, tat dieser alles, um dem Mond näher zu kommen. Die Magie und der Mondwahn wurden eins und schickten Energie in die Atome seines Körpers. Sie versetzten seine Elektronen durch Vibration in eine neue Umlaufbahn, veränderten seine Molekülstruktur und zogen ihn so durch Zeit und Raum.
Doch es gab nur Abbots Behauptungen als Beweis dafür, dass die Reise auf der Erde endete. Sie konnte genauso gut auf dem Mond enden, und sosehr die Dämonen den Mond auch liebten, wussten sie doch, dass auf seiner kargen Oberfläche nichts und niemand überleben konnte. Die Älteren sagten, dass Feen, die zu nahe an ihn heranflogen, erfroren und mit erstarrten Flügeln und blauen Gesichtern zur Erde stürzten.
Dennoch wollte Nr. 1 an diesem Tag die Reise wagen. Er wollte, dass der Mond ihn in den Krater lockte und dann irgendwo absetzte, wo ein weiterer Zauberer lebte. Jemand, der ihn lehren würde, seine seltsamen Kräfte zu beherrschen. Doch geknickt musste er sich eingestehen, dass ihm der nötige Mut fehlte. Er brachte es einfach nicht über sich, in einen vor Felsen starrenden Krater zu springen. Der Boden des Vulkans war übersät mit den verkohlten Leichen all jener, die den vermeintlichen Ruf des Mondes vernommen hatten. Woher sollte er wissen, ob es wirklich die Kraft des Mondes war, die ihn antrieb, oder nur Wunschdenken?
Nr. 1 ließ den Kopf in die Hände sinken. Eigentlich musste er dringend zur Schule zurück. Wenn die Knirpse in der Grube nicht bald umgedreht würden, bekam ihre Haut helle Flecke, die sogenannte Dungbleiche.
Er seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass er aus lauter Verzweiflung hier hinaufgekraxelt war. Doch diesmal sah es so aus, als ob er tatsächlich springen würde. Abbot war in seinem Kopf und drängte ihn vorwärts. Und fast erschien ihm die Vorstellung, auf die Felsen zuzusegeln, erträglich. Fast.
Nr. 1 spielte mit seinem Silberarmband. Es wäre so leicht, das Kettchen abzustreifen und einfach zu verschwinden.
Dann streif es ab, Kleiner, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Streif es ab und komm zu mir.
Die Stimme kam für Nr. 1 nicht überraschend. Genau genommen war es eher ein Gefühl als eine Stimme. Die Worte hatte er selbst hinzugefügt. Schließlich unterhielt er sich oft mit Stimmen in seinem Kopf. Sonst gab es ja niemanden, mit dem er reden konnte. Da war Flambard, der Schuhmacher, und Lady Bonnie, die alte Jungfer, und sein Liebling, Bookie, das lispelnde Lästermaul.
Diese Stimme jedoch war neu. Kraftvoller.
Ein winziger Augenblick ohne Silber, und dir könnte eine neue Welt gehören.
Nachdenklich schob Nr. 1 die Unterlippe vor. Es machte doch bestimmt nichts, wenn er für einen Moment das Armband abnahm. Was sollte schon passieren? Er war schließlich nicht in unmittelbarer Nähe des Kraters, und die Magie reichte selten über den Rand des Vulkans hinaus.
Keine Sorge. Es passiert nichts. Nimm es einfach ab.
Nr. 1 hatte angebissen. Das Armband abzunehmen wäre quasi ein Probelauf für den Tag, wenn er tatsächlich den Mut aufbrachte, sich dem Mondwahn hinzugeben. Seine Finger strichen über die Runen auf dem Armband. Es waren genau die gleichen wie die auf seiner Brust. Eine doppelte Absicherung, um den Mondwahn abzuwehren. Doch wenn er das Armband abnahm, würde sich die Kraft seiner Zeichnung umkehren und ihn geradewegs zum Mond ziehen.
Nimm es ab. Kehre die Kraft um.
Nr. 1 sah, wie seine Finger sich um das Armband legten. Er war benommen, wie in Trance. Die neue Stimme hatte seinen Geist umnebelt und die Kontrolle übernommen.
Wir werden zusammen sein, du und ich. Du wirst in meinem Licht baden.
In meinem Licht baden?, dachte der letzte Funke Verstand im Hirn von Nr. 1. Was für ein Kitsch. Bookie wird diese neue Stimme jedenfalls nicht mögen.
Nimm es ab, Kleiner.
Nr. 1 sah zu, wie seine Finger das Armband über die Hand streiften. Er konnte nichts dagegen tun - und hatte es auch gar nicht vor.
Mondwahn, schoss es ihm durch den Kopf. So weit hier drüben. Wie ist das möglich?
Etwas in ihm wusste es. Vielleicht der verborgene Zauberer.
Der Zeitbann löst sich auf. Niemand ist mehr sicher.
Nr. 1 sah, wie das Armband seinen Fingern entglitt und zu Boden fiel. Es war wie in Zeitlupe: Das Silber tanzte und funkelte wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser.
Nr. 1 spürte das Kribbeln, das unweigerlich folgt, wenn jede Zelle im Körper einen so gewaltigen Energiestoß versetzt bekommt, dass sie in den gasförmigen Zustand übergeht. Eigentlich tut so was höllisch weh, aber da der Körper nicht weiß, wie er auf eine derartige Zerstörung der Zellen reagieren soll, produziert er nur ein armseliges Kribbeln.
Zum Schreien blieb keine Zeit. Nr. 1 löste sich in Millionen gleißender Lichtpartikel auf, die sich zu einem dichten Strang verbanden und auf den Weg in eine andere Dimension machten. Sekunden später wies außer einem silbernen Armband nichts mehr darauf hin, dass es Nr. 1 je gegeben hatte.
Es würde lange dauern - relativ gesehen -, bis jemand sein Verschwinden bemerkte. Und niemand wäre besorgt genug, um nach ihm zu suchen.
Teatro Massimo Bellini, Sizilien.
Beim Anblick von Artemis Fowl wäre jeder überzeugt gewesen, dass er allein der Oper wegen hier war. Die eine Hand hielt das Opernglas auf die Bühne gerichtet, die andere dirigierte vollendet jede Note der Partitur mit.
»Allgemein gilt Maria Callas als die unübertroffene Norma«, sagte er zu Holly, die höflich nickte, dann Butler ansah und die Augen verdrehte. »Aber ich muss gestehen, ich ziehe Monserrat Caballé vor. Sie hat die Norma in den siebziger Jahren gesungen. Natürlich habe ich nur Aufnahmen gehört, aber meiner Ansicht nach ist ihre Norma kraftvoller.«
»Ich gebe mir ja wirklich Mühe, Begeisterung aufzubringen, Artemis«, sagte Holly, »aber für mich ist das nur eine übergewichtige Menschenfrau, die mit ihrem melodramatischen Geschmetter meine Trommelfelle strapaziert.«
Artemis schmunzelte. »Dann sollten Sie erst mal Wagner hören.«
Butler beteiligte sich nicht an dem Wortgeplänkel. Für ihn war das Geschwätz über die Oper nur eine weitere Ablenkung, die er bewusst ausblendete. Stattdessen beschloss er, den Nachtsichtfilter von Hollys neuem Helm auszuprobieren. Wenn man damit tatsächlich die Blendwirkung ausschalten konnte, musste er Artemis bitten, ihm auch so einen zu besorgen.
Natürlich passte Hollys Helm nicht mal auf Butlers Faust, geschweige denn auf seinen Kopf. Der Leibwächter klappte daher den linken Teil des Filters aus und drückte sich den Helm an die Wange, um hindurchsehen zu können.
Das Ergebnis war beeindruckend. Der Filter glich den Lichteinfall im gesamten Saal aus. Er verstärkte oder dämpfte das Licht, bis alle Anwesenden gleich stark ausgeleuchtet waren. Die auf der Bühne schienen auf einmal wie mit Schminke zugekleistert, und die im Parkett und in den Logen hatten keinen Schatten mehr, in dem sie sich verbergen konnten.
Butler ließ den Blick über die Logen gleiten, um sich zu vergewissern, dass nirgends eine Bedrohung lauerte. Er sah etliche, die in der Nase bohrten oder Händchen hielten.
Oder beides zugleich taten. Nichts wirklich Gefährliches. Doch da, in einer Loge im zweiten Rang, direkt neben der Bühne, bemerkte er ein Mädchen mit einem blonden Lockenschopf, elegant für den Opernbesuch zurechtgemacht.
Es war dasselbe Mädchen, das auch bei der Erscheinung in Barcelona dabei gewesen war. Zufall? So etwas gab es nach Butlers Erfahrung nicht. Wenn man einem Fremden mehr als einmal begegnete, war er einem entweder auf den Fersen oder hinter derselben Sache her wie man selbst.
Er sah sich die Loge genauer an. Hinter dem Mädchen saßen zwei Männer. Auch diese offensichtlich dieselben wie in Barcelona. Der eine - um die fünfzig, Bierbauch, teurer Smoking - filmte die Bühne mit der Kamera seines Handys. Der andere - asiatischer Abstammung, drahtig, Igelfrisur - hatte sich offenbar noch nicht von seiner Beinverletzung erholt und fingerte an einer seiner Krücken herum. Er stellte sie umgekehrt auf den Boden, entfernte den Gummifuß und legte die Krücke wie ein Gewehr an.
Automatisch schob Butler sich zwischen Artemis und die Schusslinie des Mannes, obwohl die Krücke nicht auf seinen Schützling zielte, sondern auf einen Punkt einen Meter von der Sopranistin entfernt. Genau auf die Stelle der Bühne, an der Artemis seinen Dämon erwartete.
»Holly«, sagte Butler mit leiser, ruhiger Stimme, »ich glaube, Sie sollten Ihren Sichtschild einschalten.«
Artemis ließ das Opernglas sinken. »Probleme?«
»Möglicherweise«, erwiderte Butler. »Wenn auch nicht für uns. Ich glaube, da ist noch jemand, der die neuen Berechnungsdaten kennt, und es sieht nicht so aus, als ob er nur zum Zuschauen gekommen wäre.«
Artemis tippte sich mit zwei Fingern ans Kinn. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. »Wo?«
»Zweiter Rang, neben der Bühne. Eine mögliche Waffe ist auf die Bühne gerichtet. Keine normale Schusswaffe. Vielleicht ein getarntes Pfeilgewehr.«
Artemis beugte sich vor und packte das Messinggeländer. »Sie wollen den Dämon lebend fangen, falls er auftaucht. Dafür brauchen sie ein Ablenkungsmanöver.«
Holly sprang auf. »Was können wir tun?«
»Es ist zu spät, um sie aufzuhalten.« Artemis runzelte die Stirn. »Wenn wir uns einmischen, stören wir möglicherweise das Ablenkungsmanöver, und dann wird der Dämon von allen gesehen. Wenn diese Leute clever genug sind, um hier zu sein, können wir davon ausgehen, dass sie auch einen guten Plan haben.«
Holly griff nach ihrem Helm und setzte ihn auf. Luftkissen blähten sich automatisch auf, um ihn der Kopfform anzupassen. »Ich kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie sie einen vom Erdvolk kidnappen.«
»Sie haben keine andere Wahl«, erwiderte Artemis heftig und riskierte bewusst den Ärger des Publikums. »Im besten und wahrscheinlichsten Fall passiert überhaupt nichts, und er erscheint gar nicht erst.«
Holly starrte ihn finster an. »Du weißt so gut wie ich, dass das Schicksal uns nie den bestmöglichen Fall liefert. Dafür hast du ein viel zu schlechtes Karma.«
Artemis musste lachen. »Der Punkt geht an Sie. Nehmen wir also das Schlimmste an: Der Dämon erscheint, sie verankern ihn mit einem silbernen Pfeil oder etwas Ähnlichem in unserer Dimension, wir gehen dazwischen, in dem allgemeinen Durcheinander wird der Dämon von der hiesigen polizia kassiert, und wir landen alle in Untersuchungshaft.«
»Auch nicht gut. Also lehnen wir uns einfach zurück und schauen zu.«
»Butler und ich schauen zu. Sie schleichen sich rüber und zeichnen so viel davon auf wie möglich. Und wenn diese Leute verschwinden, folgen Sie ihnen.«
Holly aktivierte die Flügel. Sie glitten aus ihrem Rucksack und sprühten blaue Funken, als der Flugcomputer sie mit Strom versorgte. »Wie viel Zeit habe ich?«, fragte sie, während sie aus dem sichtbaren Spektrum vibrierte.
Artemis sah auf den Countdown an seiner Armbanduhr. »Wenn Sie sich beeilen, gar keine.«
Holly legte einen Blitzstart Richtung Zuschauerraum hin, gesteuert über den Joystick, der in den Daumen ihres Handschuhs eingebaut war. Unsichtbar schoss sie über das Publikum hinweg. Dank ihres Helmfilters konnte sie die drei Personen in der Loge neben der Bühne klar und deutlich erkennen.
Artemis irrte sich bestimmt. Es war noch Zeit genug, das Ganze zu verhindern. Sie musste nur dafür sorgen, dass der Schütze sein Ziel verfehlte. Dann würde der Dämon nicht verankert, und Abteilung Acht konnte sich in aller Ruhe diese Menschenwesen schnappen. Wenn sie dem Schützen einen kleinen Stupser mit ihrem Elektrostock verpasste, würde er für ein paar Sekunden die Kontrolle über die Motorik verlieren, und das würde genügen. Währenddessen konnte der Dämon ungestört erscheinen und wieder verschwinden.
Da roch Holly brennendes Ozon und spürte Hitze an ihrem Arm. Artemis irrte sich doch nicht. Sie hatte keine Zeit mehr. Jemand war im Anmarsch.
Bei seinem Erscheinen war Nr. 1 noch mehr oder weniger unversehrt. Die Reise hatte ihn das oberste Glied seines rechten Zeigefingers und etwa zwei Megabyte an Erinnerungen gekostet, aber es waren größtenteils unangenehme Erinnerungen gewesen, und mit seinen Händen hatte er sich ohnehin nie sonderlich geschickt angestellt.
Das Entmaterialisieren ist nicht besonders schmerzhaft. Das Materialisieren dagegen ist geradezu ein Freudenfeuer. Das Gehirn ist so selig, wenn alle Einzelteile des Körpers wieder zusammenfinden, dass es eine wahre Flut von Glückshormonen aussendet.
Nr. 1 betrachtete den Knubbel, an dessen Stelle vorher sein Zeigefinger gewesen war. »Sieh mal an«, sagte er kichernd. »Kein Finger.«
Dann bemerkte er die Menschenwesen. Hunderte von ihnen, in Halbkreisen angeordnet, die bis zum Himmel reichten. Nr. 1 wusste sofort, wo er sich befand.
»Ein Theater. Ich bin in einem Theater. Mit nur siebeneinhalb Fingern. Ich habe nur siebeneinhalb Finger, nicht das Theater.« Diese Beobachtung führte zu einem weiteren Heiterkeitsausbruch, und das wäre es normalerweise für Nr. 1 gewesen. Er wäre zum nächsten Halt in seiner interdimensionalen Reise katapultiert worden, wenn nicht eines der Menschenwesen neben der Bühne ein Rohr auf ihn gerichtet hätte.
»Rohr«, sagte Nr. 1, mächtig stolz auf seine Kenntnis der Menschenworte, und zeigte mit dem Fingerstummel darauf.
Danach ging alles sehr schnell. Die Ereignisse wirbelten vorbei, umflirrten ihn wie bunte Farbkleckse. Das Rohr blitzte auf, und über seinem Kopf explodierte etwas. Eine Biene stach Nr. 1 ins Bein, eine Frau stieß einen gellenden Schrei aus. Direkt unter ihm galoppierte eine Tierherde hindurch, möglicherweise Elefanten. Dann verschwand zu seiner Bestürzung plötzlich der Boden unter seinen Füßen, und alles wurde schwarz. Die Schwärze an Gesicht und Händen fühlte sich rau an.
Das Letzte, was Nr. 1 hörte, bevor die Schwärze ihn umfing, war eine Stimme. Keine Dämonenstimme - sie hatte einen helleren Klang. Irgendwas zwischen einem Vogel und einem Wildschwein.
»Willkommen, Dämon«, sagte die Stimme und lachte hämisch.
Sie wissen Bescheid, dachte Nr. 1, und er wäre in Panik geraten, hätte das Chloralhydrat, das durch die Beinwunde in seinen Kreislauf eindrang, solcherlei Anstrengungen zugelassen. Sie wissen alles über uns.
Dann liebkoste das Betäubungsmittel sein Gehirn und stupste ihn über eine Klippe in ein tiefes, schwarzes Loch.
Artemis beobachtete das Geschehen von seiner Loge aus. Ein bewunderndes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als sich der Plan vor seinen Augen geschmeidig entrollte wie ein kostbarer tunesischer Teppich. Wer immer dahintersteckte, war gut. Mehr als gut. Vielleicht waren sie ja miteinander verwandt. »Richten Sie die Kamera auf die Bühne«, sagte Artemis zu Butler. »Holly übernimmt die Loge gegenüber.«
Alles in Butler drängte danach, Holly Deckung zu geben, doch sein Platz war an Artemis' Seite. Und schließlich konnte Captain Short selbst auf sich aufpassen. Butler vergewisserte sich, dass seine Armbanduhr weiter auf den berechneten Punkt ausgerichtet war. Artemis würde ihm nie verzeihen, wenn er auch nur eine Tausendstelsekunde des Spektakels verpasste.
Die Oper näherte sich ihrem Ende. Norma führte Pollione zum Scheiterhaufen, wo sie beide verbrannt werden sollten. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Mit Ausnahme jener, die ein etwas unterirdischeres Schauspiel verfolgten.
Die Musik war schicksalsschwer und lieferte damit zufällig den passenden Soundtrack zu dem echten Drama, das sich im Theater abspielte.
Es begann mit einem elektrischen Knistern auf der rechten Seite der Bühne. Kaum wahrnehmbar, es sei denn, man wartete darauf. Und selbst wenn einige der Zuschauer die Funken bemerkten, beunruhigte sie das nicht weiter. Vielleicht war es der Reflex eines Scheinwerfers oder einer von diesen Spezialeffekten, die die Regisseure heutzutage so gerne einsetzten.
Ha, dachte Artemis, und es kribbelte ihm vor Erregung in den Fingerspitzen. Da kommt etwas. Ein neues Spiel beginnt.
Das »Etwas« begann sich in einem bläulichen Funkenregen abzuzeichnen. Es nahm eine entfernt menschenähnliche Gestalt an. Kleiner als das letzte Exemplar, aber definitiv ein Dämon und definitiv kein Scheinwerferreflex. Anfangs war die Gestalt substanzlos, geisterhaft, doch sie verdichtete sich schnell, wurde greifbarer.
Jetzt, dachte Artemis. Verankert ihn und stellt ihn ruhig.
Ein schmales Metallrohr lugte ihm gegenüber aus den Schatten. Ein leises Plopp ertönte, und aus der Rohröffnung schoss ein Pfeil. Artemis brauchte die Flugbahn nicht zu verfolgen. Er wusste, dass der Pfeil auf das Bein des Wesens gerichtet war. Das Bein war die beste Stelle. Ein gutes Ziel, aber nicht tödlich. Ein Pfeil mit silberner Spitze und einem Betäubungsmittel.
Das Wesen versuchte jetzt zu kommunizieren und gestikulierte wild. Artemis hörte ein paar überraschte Japser aus dem Publikum, als Zuschauer die Gestalt in dem Funkenkreis bemerkten.
Sehr gut. Ihr habt ihn verankert. Jetzt braucht ihr ein Ablenkungsmanöver. Irgendetwas Auffälliges, Lautes, aber Ungefährliches. Wenn jemand verletzt wird, gibt es eine Untersuchung.
Artemis sah hinüber zu dem Dämon, der jetzt reglos im Schatten lag. Um ihn herum toste die Oper auf das Crescendo des vierten Akts zu. Die Sopranistin schmetterte ihr hysterisches Klagelied, und alle Augen im Theater waren auf sie gerichtet. Fast alle. Bei einer Oper gab es immer ein paar gelangweilte Zuschauer, vor allem gegen Ende der Vorstellung. Zuschauer, die den Blick müßig im Saal schweifen ließen, auf der Suche nach irgendetwas Interessantem. Und dieser Blick würde unweigerlich an dem kleinen Dämon unten rechts auf der Bühne hängen bleiben, sofern er nicht durch etwas anderes abgelenkt wurde. Wie aufs Stichwort löste sich ein Scheinwerfer aus seiner Halterung und segelte am Kabel durchs Bühnenbild. Der Aufprall war beides: auffällig und laut. Die Glühbirne explodierte, und Glassplitter rieselten auf Bühne und Orchestergraben. Der Glühfaden leuchtete in einem gleißenden Magnesiumfeuer auf, das vorübergehend jeden blendete, der hinsah. Und das war so ziemlich das gesamte Publikum.
Panisch flohen die Musiker mitsamt ihren Instrumenten aus dem Orchestergraben. Bellinis Meisterwerk verhallte in einer Kakofonie aus jaulenden Geigen und umgeworfenen Pauken.
Nicht übel, dachte Artemis. Die Halterung des Scheinwerfers und der Glühfaden waren manipuliert. Das Gepolter des Orchesters ist ein netter Nebeneffekt.
Er verfolgte das alles aus dem Augenwinkel, ohne den Blick von dem kleinen Dämon abzuwenden, der in den Schatten hinter dem seitlichen Bühnenbild lag.
Wenn ich an ihrer Stelle wäre, dachte der irische Teenager, würde ich Butler beauftragen, einen schwarzen Sack über den Kleinen zu werfen, ihn durch den Bühnenausgang rauszutragen und in einen Geländewagen zu verfrachten. Wir könnten auf der Fähre nach Reggio sein, bevor die Theatermannschaft auch nur die Glühbirne ausgewechselt hätte.
Tatsächlich lief es ein wenig anders ab. Eine Falltür öffnete sich unter dem Dämon, und er verschwand mit einem hydraulischen Bühnenfahrstuhl.
Artemis schüttelte bewundernd den Kopf. Fantastisch. Seine geheimnisvollen Gegner mussten sich in den Computer des Theaters eingehackt haben. Und als der Dämon auftauchte, hatten sie einfach den Befehl gegeben, die entsprechende Falltür zu öffnen. Zweifellos wartete unten jemand, um den schlafenden Dämon in ein bereitstehendes Auto zu schaffen.
Artemis beugte sich über das Geländer und blickte hinunter in den Zuschauerraum. Das Licht ging an, die Leute rieben sich verwirrt die Augen und unterhielten sich in den gedämpften Tönen, die einem Schock folgten. Niemand sprach von Dämonen. Niemand zeigte auf die Bühne und schrie hysterisch. Er war soeben Zeuge der perfekten Ausführung eines perfekten Plans gewesen.
Artemis sah hinüber zur anderen Bühnenseite. Die drei Gestalten in der Loge erhoben sich und gingen. Die Show war vorbei. Artemis erkannte sie: Es war das hübsche Mädchen aus Barcelona mit ihren beiden Begleitern. Der Dünne schien sich von seiner Beinverletzung erholt zu haben, er trug die Krücken jetzt unter dem Arm.
Auf dem Gesicht des Mädchens lag ein selbstzufriedenes Lächeln, nicht unähnlich dem, das Artemis nach einer gelungenen Unternehmung zu zeigen pflegte.
Es ist das Mädchen, stellte Artemis überrascht fest. Sie ist der Kopf hinter dem Ganzen.
Das Lächeln des Mädchens ärgerte Artemis. Er war es nicht gewohnt hinterherzuhinken. Zweifellos glaubte sie, dass sie gewonnen hatte. Gut, diese Schlacht ging an sie, aber der Feldzug war noch lange nicht beendet.
Zeit, diesem Mädchen zu zeigen, dass sie einen Gegner hat, dachte Artemis.
Er begann langsam zu klatschen. »Bravo«, rief er. »Bravo, ragazza!«
Seine Stimme trug mit Leichtigkeit über die Köpfe der Zuschauer im Parkett hinweg. Das Lächeln des Mädchens erstarrte, und ihre Augen suchten nach dem Ursprung dieser Beifallsbekundung. Sekunden später entdeckte sie den irischen Jungen, und ihre Blicke kreuzten sich.
Falls Artemis erwartet hatte, dass das Mädchen bei seinem und Butlers Anblick vor Angst erzitterte, so hatte er sich geirrt. Zwar glitt ein Hauch von Überraschung über ihr Gesicht, doch dann nahm sie den Beifall mit einem Nicken und einem hoheitsvollen Winken entgegen. Bevor sie die Loge verließ, sagte sie zwei Worte. Der Abstand war zu groß, um sie zu verstehen, doch selbst wenn Artemis nicht seit Langem des Lippenlesens kundig gewesen wäre, hätte er sie leicht erraten können.
Artemis Fowl, sagte sie. Sonst nichts. Ein Spiel hatte begonnen, so viel stand fest. Wie spannend.
Dann geschah etwas Seltsames. Einige andere Zuschauer in dem Theater stimmten in Artemis' Klatschen ein, und der zunächst zögernde Beifall schwoll zu einem Crescendo an. Kurz darauf stand das gesamte Publikum, und die verdutzten Sänger mussten immer wieder hinaus auf die Bühne und sich verneigen.
Als Artemis Minuten später durch das Foyer ging, hörte er zu seiner großen Erheiterung, wie zahlreiche Zuschauer sich über die unorthodoxe Gestaltung der Schlussszene ausließen. Der explodierende Scheinwerfer, so vermutete jemand, war offensichtlich eine Metapher für Normas sinkenden Stern. Nein, widersprach ein anderer, der Scheinwerfer konnte gar nichts anderes sein als eine modernistische Interpretation des brennenden Scheiterhaufens, der Norma erwartete.
Vielleicht, dachte Artemis, während er sich durch die Menge nach draußen schob, wo ihn ein leichter sizilianischer Sprühregen empfing, war der explodierende Scheinwerfer auch nur ein explodierender Scheinwerfer.