Der Leser erhält einen aufregenden Einblick in die Gepflogenheiten eines Bordells der gehobenen Klasse.

Der Taxifahrer kannte die Straße, und Browne-Smith lehnte sich mit einem Gefühl angenehmer Spannung im Fond des Wagens zurück. Er hätte diesen Zustand gern noch etwas länger genossen und bedauerte es innerlich, als der Fahrer bereits nach fünf Minuten in einer gepflegten Wohngegend unweit des Russell Square vor einem großzügig geschnittenen vierstöckigen Haus mit der Nummer 29 anhielt. Obwohl das Mauerwerk von Rauch und Abgasen leicht geschwärzt war, machte die Fassade insgesamt keinen vernachlässigten, sondern im Gegenteil einen eher eleganten Eindruck. Die lackschwarze Tür mit dem polierten Messingknauf und -briefkasten wurde eingerahmt von zwei weißen Säulen; die Fenster waren ebenfalls weiß gestrichen, und die Blumenkästen quollen über von üppig blühenden Geranien. Ein schmiedeeisernes Geländer grenzte den schmalen Vorgarten gegen die Straße hin ab. Ein Schild, das daran angebracht war, trug die Aufschrift:

Luxusapartments zu verkaufen oder zu vermieten.

Auskunft exklusiv durch: Brooks & Gilbert.

Telefon 01-4832307.

Besichtigung nur nach Vereinbarung.

Browne-Smith schritt drei flache Stufen zur Eingangstür hinauf und drückte dann auf den einzigen Klingelknopf. Nervös griff er mit der Linken in die Innentasche seines Jacketts, um sich zu vergewissern, daß die blaue Karte noch da sei. Er hatte es drinnen nicht klingeln hören, und im Haus rührte sich nichts. Zum erstenmal kam ihm die Idee, daß das Ganze ein Versuch sein könnte, ihn hereinzulegen und bloßzustellen als den alten, dummen Trottel, der er ja auch tatsächlich war, sonst wäre er auf diesen anrüchigen und nicht sehr ehrenhaften Handel doch gar nicht eingegangen. Er wandte sich um und sah, wie ein paar Häuser weiter eine überaus aristokratisch aussehende Dame einem Taxi entstieg. Noch war es nicht zu spät. Er brauchte sich bloß umzudrehen und wegzugehen, das Taxi herbeizuwinken und konnte die ganze Angelegenheit vergessen …

Doch da hatte die Tür sich schon hinter ihm geöffnet.

«Ja, bitte, Sie wünschen?»

«Ich bin ein Bekannter von Mr. Sullivan.» War das wirklich seine Stimme, dieses zögernde, heisere Krächzen? Aus unzähligen Vorlesungen, Tutorien, Prüfungen und Konferenzen hatte er sie jedenfalls anders in Erinnerung.

«Werden Sie erwartet?»

Er entnahm seiner Jackettasche die schmale blaue Karte und reichte sie ihr. Der maschinengeschriebene Text lautete lapidar: Dem Inhaber dieser Karte ist Zutritt zu gewähren. Ansonsten war sie bis auf einige Sternchen in der rechten oberen Ecke leer.

Allem Anschein nach tat die Karte jedoch ihre Wirkung, denn die Frau trat, kaum, daß sie einen Blick darauf geworfen hatte, beiseite, bedeutete ihm hereinzukommen und schloß geräuschlos hinter ihm die Tür. «Wie ich sehe, sind Sie ein Gast, den man uns besonders anempfohlen hat. Herzlich willkommen!» Sie lächelte, um ihre Worte zu unterstreichen, und schritt ihm voran durch die geräumige, mit olivgrünem Teppich ausgelegte Eingangshalle auf eine weit geschwungene Treppe zu. Während sie hinaufstiegen, blickte sie sich zu ihm um und sagte: «Die blauen Karten sind für den ersten Stock. Um diese Tageszeit sind leider noch nicht alle Mädchen da – es geht bei uns erst abends richtig los, aber ich glaube, wir werden Sie trotzdem nicht enttäuschen. Wir haben hier noch nie einen Gast enttäuscht.» Sie lächelte wieder, und Browne-Smith bemerkte, daß sie schlechte Zähne hatte, die in häßlichem Kontrast zu ihrem gekonnt aufgemachten Gesicht standen.

Oben angekommen, wandte sie sich erneut zu ihm um und musterte ihn mit einem raschen, erfahrenen Blick, nicht unähnlich einem Schneider, der, wenn er einen potentiellen Kunden vor sich zu haben glaubt, im Geiste schon einmal Maß nimmt. Anscheinend hatte ihr der kurze Augenblick gereicht, um sich ein Urteil zu bilden, denn sie steuerte, nachdem sie wie aus Gewohnheit einen knappen Blick nach rechts und links geworfen hatte, zielsicher auf die zunächst liegende Tür zu, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß auf. Sie durchquerten eine kleine Diele und standen gleich darauf in einem nur spärlich möblierten Zimmer.

An einem Tisch gleich hinter der Tür saß eine vollbusige blonde Frau um die Vierzig. Sie trug ein langes, tiefausgeschnittenes dunkelrotes Kleid. Beim Eintritt ihrer Besucher stand sie auf, und ein zögerndes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

«Du bist, wenn ich mich nicht irre, heute nachmittag noch frei, Yvonne?»

«‘eute nachmittag und auch ‘eute abend, Madame, falls Sie es wünschen», sagte sie lächelnd und zeigte dabei eine Reihe hübscher perlweißer Zähne. Sie war außerordentlich sorgfältig zurechtgemacht; das feuchte Rot ihres Lippenstiftes betonte die Konturen ihres vollen Mundes, das Haar türmte sich über ihrem feingeschnittenen Gesicht zu einer kunstvollen Frisur.

«Wie sieht es mit Paula aus. Ist sie auch frei?»

«Sie ‘at am Mittag noch eine Verabredung, aber danach ist sie frei.»

«Nun …» Madame wandte sich direkt an Browne-Smith, «wenn es Ihnen recht ist, sich von Yvonne Gesellschaft leisten zu lassen …»

Er mußte schlucken und nickte dann, um sein Einverständnis mitzuteilen.

«Gut. Dann werde ich Sie jetzt beide allein lassen. Bevor ich gehe, möchte ich Ihnen aber noch sagen, daß wir hier bereit sind, alle Ihre Wünsche zu erfüllen. Alle Wünsche. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine.»

«Vielen Dank.»

Unter der Tür drehte sie sich noch einmal um. «Sie müssen ein sehr guter Bekannter von Mr äh, Sullivan sein …?»

«Ich war in der Lage, ihm einen kleinen Gefallen zu tun, das ist alles, und jetzt will er sich revanchieren, Sie wissen ja, wie das ist.»

Sie nickte. «Und Sie versprechen mir, wirklich Bescheid zu sagen für den Fall, daß Yvonne vielleicht doch nicht alle Ihre Wünsche …»

«Ich glaube, dieser Fall wird nicht eintreten.»

Sie schloß hinter sich die Tür. Browne-Smiths Kehle fühlte sich vor Erregung völlig ausgedörrt an. Er bemühte sich angestrengt, der Flut erotischer Phantasien Herr zu werden, die ihn zu überschwemmen drohten. Die blonde Frau mit dem Namen Yvonne war bei diesem Bemühen eher hinderlich. Sie hatte sich wieder an den Tisch gesetzt, und als sie sich nach vorn beugte, um in einem rot eingebundenen Kalender eine Eintragung zu machen, kam Browne-Smith, obwohl er sie aus Scheu und einer gewissen anerzogenen Höflichkeit heraus nur aus den Augenwinkeln ansah, nicht umhin zu bemerken, daß sie unter ihrem Kleid nackt war, zumindest von der Taille an aufwärts.

«So, jetzt bin ich gleich bei Ihnen», sagte sie, stand auf und kam zu ihm hinüber. «Geben Sie mir Ihren Mantel.»

Browne-Smith entledigte sich des hellen Sommermantels, den er, seit er heute morgen das College verlassen, ununterbrochen getragen hatte, und sah ihr zu, wie sie ihn sich sorgfältig über den Arm legte. Dann trat sie zu ihm, umfaßte mit der Rechten leicht seinen Ellenbogen und dirigierte ihn mit sanftem Druck zu einer Tür am anderen Ende des Raumes.

Verglichen mit dem spärlich eingerichteten, fast asketisch wirkenden Zimmer, das sie gerade verlassen hatten, war der Raum, den sie jetzt betraten, üppig ausgestattet, wenn auch auf eine Art, die Browne-Smith etwas gespenstisch anmutete. Das einzige Fenster war durch einen dichten gelben Vorhang vollständig verdeckt, der auch nicht den kleinsten Lichtstrahl hindurchließ. Das gedämpfte rote Licht, das den Raum nur schwach erhellte, stammte von zwei blutroten Lampen, die an der Wand gegenüber dem Fenster angebracht waren. Die Einrichtung verriet auf eindeutige, grelle Weise den Zweck des Zimmers. Hinter einem kleinen Sofa, auf dem sich schreiend bunte Kissen türmten, befand sich ein mit leuchtend gelber Wäsche bezogenes Bett, dessen Tagesdecke bereits einladend zurückgeschlagen war. Gegenüber stand ein kleiner Barschrank, hinter dessen geöffneten Türen eine ganze Batterie verschiedener Flaschen zu sehen war. Gleich daneben thronte auf einem Tischchen ein Filmprojektor, das Objektiv gegen die weiße Wand neben dem Fenster gerichtet. Über allem lag ein schwerer süßlicher Duft, und Browne-Smith fühlte, wie eine lustvolle Erregung sich seiner bemächtigte.

«Möchten Sie einen Drink?» Sie ging hinüber an das Barschränkchen und haspelte die Getränkeauswahl herunter: «Whisky, Gin, Campari, Wodka, Rum, Martini …»

«Whisky, bitte.»

«Glenfiddisch?»

«Das ist meine Lieblingssorte.»

«Meine auch.»

Es schien von allen Getränken zwei Flaschen zu geben, eine davon jeweils noch verschlossen, so als hätte man in diesem Haus den Ehrgeiz, auch den Durst des unersättlichsten Trinkers noch zu befriedigen. Er beobachtete sie, wie sie das Siegel der noch verschlossenen Flasche erbrach (wieso verspürte er auf einmal ein Unbehagen?), ihm ein Glas halbvoll einschenkte und zu ihm hinüberbrachte.

«Wollen Sie nicht auch ein Glas mittrinken, äh …»

«Yvonne. Bitte nennen Sie misch Yvonne. Wir sind ge’alten, unsere Kunden zu siezen, Madame besteht darauf, aber unsere Kunden dürfen uns duzen. Also isch, isch bin Yvonne.»

Während er ihr zuhörte, kam ihm flüchtig der Gedanke, daß ihr französischer Akzent aufgesetzt wirkte und völlig unecht klang. Aber was sollte er sich darüber den Kopfzerbrechen. Viel wichtiger erschien ihm, heikel, wie er in diesen Dingen nun einmal war, die Frage zu klären, ob mit Sicherheit auszuschließen war, daß ihnen hier jemand hereinplatzen würde.

Er nahm einen tiefen Schluck von seinem Whisky, gab sich einen Ruck und sagte: «Ich hoffe, wir können hier nicht gestört werden?»

«Aber nein, nein! Erinnern Sie sisch nischt? Madame ‘at Ihnen doch gesagt, wir würden Ihnen alle Wünsche erfüllen. Voilà. Wenn Sie wollen, daß isch abschließe, dann schließe isch ab. Und wenn Sie lieber Paula hätten, dann ‘ole isch Ihnen Paula. Okay? Aber isch ‘offe natürlisch, daß Sie misch wollen.»

Wow!

Sie ging zur Tür und drehte den Schlüssel um, dann trat sie an den Barschrank und mixte sich aus Gin und Martini einen Drink. Mit dem Glas in der Hand kehrte sie zurück und setzte sich dicht neben ihn auf das Sofa, so daß er den Druck ihrer Schenkel spürte. Sie hielt ihm ihr Glas entgegen, um mit ihm anzustoßen: «Wir werden bestimmt ein paar schöne Stunden miteinander verbringen, nischt? Wenn isch etwas getrunken ‘abe, macht es mir immer Spaß.»

Browne-Smith nahm erneut einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Erstaunlicherweise begann der Alkohol bereits seine Wirkung zu zeigen, was ihn ein bißchen wunderte – schließlich war er doch noch beim ersten Glas.

«Soll isch Ihnen nachgießen?»

Er nickte, mit allem einverstanden, was sie vorschlug. Sie nahm sein Glas und entfernte sich, und er blickte ihr nach und konnte es kaum abwarten, bis sie wieder neben ihm saß.

«Gefällt Ihnen mein Kleid?» Sie stand direkt vor ihm und reichte ihm das frisch gefüllte Glas. «Es betont meine Figur, oder nischt?»

«Sie haben eine bezaubernde Figur.»

«Finden Sie wirklisch?» Sie beugte sich zu ihm hinunter. «Ist Ihnen nischt ‘eiß ‘ier drinnen? Wollen Sie nischt Ihr Jackett ausziehen?» Sie half ihm aus dem Jackett, öffnete geschickt seine Manschettenknöpfe und schob ihm die Ärmel hoch. Browne-Smith ließ willig alles über sich ergehen, saß, den Kopf leicht an ihre Brust gelehnt, einfach nur da und genoß es, die Wärme und Weichheit ihres Körpers zu spüren. Sie betrachtete seine Arme.

«Sie ‘aben keine Tätowierung?»

«Nein.» Er mußte lächeln.

«Isch auch nischt. Aber vielleischt wollen Sie selber nachse’en, ja?» Sie setzte sich wieder neben ihn, und Browne-Smith griff erneut nach seinem Glas, um sich für das nächste Stadium ihrer sich schnell entwickelnden Beziehung etwas Mut anzutrinken. Sie lächelte ihn an, nahm dann seine Hand und legte sie sich auf die Schulter.

«Sie dürfen misch ru’ig anfassen.»

Er atmete tief durch, strich zweimal vorsichtig über ihr Kleid und fuhr dann mit der Hand unter den Stoff.

«Sie haben nichts dagegen?»

«Aber nein.» Ihre Augen funkelten amüsiert, sie sprang vom Sofa auf, faßte ihn bei der Hand und zog ihn hoch. «Aber erst se’en wir uns noch einen Film an, okay?»

Sie bedeutete ihm, auf einem hochlehnigen Stuhl neben dem Projektor Platz zu nehmen, und er kam ihrer Aufforderung, wenn auch etwas unwillig, nach. Vermutlich entsprach, was sie vorschlug, der üblichen Abfolge bei Begegnungen wie dieser, vermutlich brauchte sie den erotischen Stimulus. Er fand das ein bißchen schade, aber es überraschte ihn nicht weiter.

Der Film, den sie ihm vorführte, war entschieden freizügiger als Filme dieser Art, die er sich ab und zu während der Trimesterferien in Oxford anzusehen pflegte. Wenn sie bloß dichter neben ihm säße … Aber sie hatte ihm erklärt, daß das nicht möglich sei, weil sie die Schärfe des Bildes immer wieder nachstellen müsse, sonst würde das farbige Bild bald völlig unecht aussehen.

Die einzelnen Filmszenen bildeten in fast schon peinlicher Weise genau das ab, was sich zwischen ihm und Yvonne abgespielt hatte und nahm vorweg, was wohl noch folgen sollte.

Die Darsteller, ein Mann in einem gutsitzenden Anzug und eine Blondine in einem langen roten Kleid, saßen zunächst dicht nebeneinander auf einem Sofa und tranken etwas, dann fuhr seine Hand in ihren Ausschnitt und holte ihre vollen gebräunten Brüste heraus. Nun begannen beide sich auszuziehen, sich dann unter heftigem Keuchen und Stöhnen aneinanderzupressen, bis sie schließlich auf ein Bett niedersanken und das Ganze in einem orgasmischen Aufschrei und einem kräftigen Samenerguß endete.

Sie schaltete den Projektor aus, stellte sich hinter ihn, legte ihm beide Hände auf die Schultern und fragte:

«Soll isch ihn noch mal durchlaufen lassen, oder …?» Sie kam um ihn herum, setzte sich auf seine Knie und sah ihn an: «Oder wollen Sie jetzt lieber misch ‘aben?»

Das erste Dich war nicht mehr als ein Krächzen, doch beim zweitenmal klappte es dann: «Dich!»

«Mein Kleid ‘at ‘inten einen Reißverschluß … Ja, da. Sie müssen zie’en … Kräftiger. Ja, so!»

Browne-Smith spürte, wie eine wellenförmige Bewegung durch ihren Körper lief, als er mit seinen Händen zaghaft über ihren Rücken fuhr, dann stand sie abrupt auf und ging hinüber zum Bett.

«Kommen Sie, isch zie’e Sie aus.»

Sie drehte ihm den Rücken zu, streifte erst ihre Schuhe ab, ließ dann ihr Kleid von den Schultern gleiten, stieg vorsichtig darüber hinweg, hob es dann auf und legte es sorgsam gefaltet auf einen Stuhl am Fußende des Bettes. Dann wandte sie sich zu ihm um. Er blickte auf ihre Brüste und hätte sie am liebsten sofort genommen, doch sie entzog sich, war noch mit dem Zurechtziehen des Bettlakens beschäftigt, und er fühlte sich wie Tantalus, der die Zweige mit den Früchten ganz nah vor sich sieht und doch jedesmal ins Leere greift, weil immer wieder aufs neue ein Windstoß sie aus seiner Reichweite trägt.

«Möchten Sie noch einen Drink?»

Browne-Smith, dem vor Erwartung schon fast schwindelig war, nickte und blickte ihr voller Verlangen nach, als sie zum Barschrank ging, zwei Drinks eingoß und dann mit wippenden Brüsten wieder auf ihn zukam.

«Legen Sie sisch doch schon hin. Isch bin gleisch bei Ihnen.»

Sie verschwand durch eine zweite Tür, die Browne-Smith vorher gar nicht bemerkt hatte. Er hörte das Geräusch fließenden Wassers; offenbar war nebenan ein Badezimmer. Vollständig angezogen, so wie er war, legte er sich auf das Bett. Vage und seltsam unpersönlich, ganz als beträfe es ihn nicht selbst, kam ihm die Frage, ob hier jemand sein Spielchen mit ihm trieb. Sein Mund fühlte sich völlig ausgetrocknet an, doch er setzte sein Whiskyglas neben sich auf den Nachttisch, ohne davon zu trinken. Überraschend kehrte für einen Augenblick sein klares Denkvermögen zurück, und er überlegte, warum sie vorhin eine neue Flasche angebrochen hatte, obwohl die alte doch noch gar nicht leer war. War der Grund, daß sie den Whisky in der anderen Flasche, um ihn zu strecken, mit Wasser versetzt hatten? Vielleicht huldigten sie hier ja demselben Prinzip wie der Quästor, der beim großen Festbankett des Colleges alljährlich die Parole ausgab: Den guten Wein zuerst!

Nach ein paar Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, kam sie zurück ins Zimmer. Browne-Smith richtete sich halb auf und blickte ihr entgegen.

«Haben Sie vielleicht etwas Creme für mich? Meine Lippen sind so trocken.»

Sie zeigte kein Erstaunen, obwohl die Bitte schon merkwürdig war, sondern ging zum Sofa, um ihre Tasche zu holen. Nach einigem Suchen forderte sie eine kleine Dose zutage. Sie beugte sich über ihn, so daß ihre Brüste fast sein Gesicht streiften, und strich ihm mit sanften, fürsorglichen Bewegungen etwas Creme auf die aufgesprungenen Lippen.

«Ist es jetzt besser?» Sie sah, daß sein Whisky noch unberührt war, und versuchte, ihn zum Trinken zu bewegen: «Ihr Glas ist ja noch ganz voll. Nun trinken Sie doch einen Schluck! Isch denke, Glenfiddisch ist Ihre Lieblingsmarke.»

Sie band ihm die Krawatte ab und öffnete ihm langsam das Hemd, nach jedem Knopf innehaltend, um ihm leicht über die Brust zu streicheln.

Browne-Smiths Erwartung steigerte sich bis zu einem Grad, daß er kaum wußte, wie er es noch länger aushalten sollte. Doch plötzlich schien es ihn nach Helligkeit zu verlangen, denn er sagte: «Könnten Sie wohl die Vorhänge ein bißchen zur Seite ziehen?»

Als sie vom Fenster zurückkam, lag er bewegungslos, neben sich das Jackett, das sich gerade noch am Fußende des Bettes befunden hatte. Vorn auf seiner Hose zeichnete sich ein dunkler Fleck ab und entlockte ihr ein nachsichtiges Lächeln. Er hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig, sein rechter Arm hing über die Bettkante. Das Glas auf dem Nachttisch war leer. Sie hob den Arm vorsichtig an und bettete ihn neben seinen Körper. Einen Moment lang empfand sie fast so etwas wie Zärtlichkeit für ihn. Dann zuckte sie die Achseln, wandte sich ab und begann schnell, sich anzuziehen. Sie schloß die Tür auf und trat hinaus. Draußen im Flur lehnte ein Mann an der Wand und las in einem Buch. Es trug den Titel Führer durch das Köchelverzeichnis. Sie flüsterten kurz miteinander, dann ging sie die Treppe hinunter.

Ihre Arbeit war getan.