47 Holden
Nicht einmal die Eierimitate, die nach feuchter Pappe schmeckten, konnten Holdens warmes, selbstzufriedenes Gefühl stören. Er schaufelte sich die falschen Eier in den Mund und bemühte sich sehr, nicht zu grinsen. Amos saß am Tisch in der Messe links neben ihm und schmatzte begeistert. Rechts neben Holden schob Alex die weichen Eier mit einem ebenso unechten Stück Toast auf dem Teller hin und her. Gegenüber trank Naomi eine Tasse Kaffee und blickte ihn zwischen den Haaren hindurch an. Er unterdrückte den Impuls, ihr zuzuzwinkern.
Sie hatten sich überlegt, wie sie es der Crew beibringen sollten, waren aber zu keinem Ergebnis gekommen. Holden hasste es, irgendetwas zu verbergen. Wenn sie es geheim hielten, sah es nach etwas Schmutzigem oder Schändlichem aus. Seine Eltern hatten ihn in dem Glauben erzogen, man sollte möglichst wenig über Sex reden, aber nicht, weil er peinlich, sondern etwas sehr Persönliches war. Mit fünf Vätern und drei Müttern waren die Schlafarrangements in seinem Elternhaus immer etwas kompliziert gewesen, aber die Diskussionen, wer gerade mit wem ins Bett ging, waren nicht hinter verschlossenen Türen geführt worden. Dort hatte er eine starke Abneigung dagegen entwickelt, seine Aktivitäten geheim zu halten.
Naomi dagegen war der Ansicht, sie sollten nichts tun, was womöglich das empfindliche Gleichgewicht ihrer kleinen Gemeinschaft stören konnte, und Holden vertraute ihrem Instinkt. Sie besaß ein Gespür für die Dynamik der Gruppe, die ihm oft fehlte. Also entsprach er zumindest vorläufig ihrem Wunsch.
Außerdem hätte es sich angefühlt wie Angeberei, und das wäre sehr unhöflich gewesen.
Also sagte er so neutral und professionell wie möglich: »Naomi, reichst du mal den Pfeffer rüber?«
Amos riss den Kopf hoch und ließ die Gabel laut klappernd auf den Teller fallen.
»Oh, verdammt, ihr tut es!«
»Äh«, machte Holden. »Was?«
»Seit wir wieder auf der Rosinante sind, ist irgendetwas komisch, aber ich bin nicht darauf gekommen. Das ist es! Ihr zwei treibt es endlich miteinander.«
Holden sah den großen Mechaniker an, blinzelte zweimal und wusste nicht, was er sagen sollte. Hilfe suchend wandte er sich an Naomi, die jedoch den Kopf gesenkt hatte. Die Haare verbargen ihr Gesicht, doch ihre Schultern bebten, weil sie lautlos lachte.
»Du meine Güte.« Amos grinste breit. »Das hat ja ganz schön lange gedauert. Wenn sie so auf mich losgegangen wäre, dann hätte ich schon längst zugeschlagen.«
»Oh«, stimmte Alex ein. Er wirkte schockiert, weil er offenbar nicht über Amos’ Wahrnehmung verfügte. »Mann.«
Naomi hörte zu lachen auf und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Erwischt«, sagte sie.
»Hört mal, Leute, ihr sollt aber wissen, dass dies keinesfalls irgendeinen Einfluss auf …«, begann Holden, doch Amos unterbrach ihn schnaubend.
»He, Alex«, sagte er.
»Ja?«
»Wirst du jetzt ein mieser Pilot, weil du weißt, dass unser XO den Kapitän vögelt?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Alex grinsend und mit seinem leiernden Tonfall.
»Seltsamerweise habe ich auch nicht das Bedürfnis, ein schlechter Mechaniker zu werden.«
Holden versuchte es noch einmal. »Ich halte es für wichtig, dass …«
Wieder ignorierte Amos ihn. »Käpt’n, Sie können davon ausgehen, dass es uns egal ist, es hält uns nicht davon ab, unsere Arbeit zu tun, also genießen Sie es, denn in ein paar Tagen sind wir vermutlich sowieso alle tot.«
Naomi musste schon wieder lachen.
»Schön«, sagte sie. »Jeder weiß, dass ich es sowieso nur mache, um befördert zu werden. Nein, wartet – ich bin ja schon die Zweite in der Rangfolge. Darf ich jetzt Kapitän werden?«
»Nein«, antwortete Holden lachend. »Das ist ein beschissener Job. So etwas würde ich nie von dir verlangen.«
Naomi grinste und zuckte mit den Achseln. Siehst du? Ich habe doch nicht immer recht. Holden blickte zu Alex, der ihn freundlich ansah und offenbar froh darüber war, dass er und Naomi einander gefunden hatten. Alles war, wie es sein sollte.
Eros rotierte wie eine unförmige Kartoffel, unter der dicken Schicht aus Stein blieben die Schrecken verborgen. Alex brachte sie nahe genug heran, um die Station gründlich scannen zu können. Auf dem Bildschirm wuchs der Asteroid heran, bis Holden das Gefühl hatte, er könne ihn beinahe berühren. An der zweiten Station der Operationszentrale tastete Naomi die Oberfläche mit Lidar ab und suchte nach möglichen Gefahrenquellen für die Crews, die in einigen Tagen mit den Frachtschiffen eintreffen würden. Auf Holdens taktischem Display war das Forschungsschiff der UN zu erkennen, das sich im Anflug auf Eros befand und mit vollem Schub bremste. Das Begleitschiff war ebenfalls in der Nähe.
»Reden sie immer noch nicht mit uns?«, fragte Holden.
Naomi schüttelte den Kopf, tippte auf den Bildschirm und schickte ihm die Informationen auf seinen Arbeitsplatz.
»Nein«, antwortete sie. »Aber sie sehen uns. Sie tasten uns seit zwei Stunden mit Radar ab.«
Holden trommelte mit den Fingern auf die Armlehne und überlegte, welche Möglichkeiten er hatte. Es war denkbar, dass die Veränderungen, die auf Tycho an der Rosinante vorgenommen worden waren, die Schiffserkennungssoftware der irdischen Korvette täuschte. Vielleicht ignorierten sie die Rosinante, weil sie das Schiff für einen Gastanker hielten, der sich zufällig in der Nähe befand. Doch die Rosinante flog ohne Transponder, und das war illegal, ganz unabhängig davon, welche Konfiguration der Rumpf zu haben schien. Es machte ihn nervös, dass die Korvette ein Schiff, das sich nicht zu erkennen gab, nicht einmal anfunkte. Der Gürtel und die inneren Planeten befanden sich im Krieg. Ein Gürtler-Schiff, das sich nicht identifizierte und sich in der Nähe von Eros herumtrieb, während zwei irdische Schiffe sich dem Asteroiden näherten. Kein Kapitän, der bei Verstand war, würde so etwas ignorieren.
Das Schweigen der Korvette musste einen anderen Grund haben.
»Naomi, ich habe den Eindruck, dass die Korvette kommentarlos versuchen wird, uns abzuschießen«, sagte Holden seufzend.
»Das würde ich an ihrer Stelle jedenfalls tun«, stimmte sie zu.
Holden trommelte einen letzten komplizierten Rhythmus auf die Lehne und setzte sich das Headset auf.
»Also gut, dann spielen wir jetzt die Ouvertüre.«
Da er den Kontakt vertraulich halten wollte, zielte Holden mit dem Laser der Rosinante auf die irdische Korvette und funkte eine allgemeine Verbindungsanfrage. Nach ein paar Sekunden flammte das grüne Licht auf, und im Kopfhörer zischte die Statik. Holden wartete, doch das UN-Schiff sandte keine Begrüßung. Sie wollten, dass er begann.
Er schaltete das Mikrofon ab und aktivierte den Schiffscom.
»Alex, bringen Sie uns in Bewegung, zunächst mit einem G. Wenn ich den Kerl da nicht mit einem Trick verscheuchen kann, gibt es eine Schießerei. Machen Sie sich bereit zu feuern.«
»Roger«, leierte Alex. »Ich gebe uns mal für alle Fälle den Saft.«
Holden blickte zu Naomi, die auf die taktische Anzeige umgeschaltet hatte und Schussrichtungen und Störfeuer für die beiden sich nähernden Schiffe berechnete. Naomi hatte bisher erst eine Schlacht erlebt, doch sie verhielt sich wie eine erfahrene Veteranin. Er lächelte ihren Rücken an und drehte sich wieder um, ehe sie sein Starren bemerkte.
»Amos?«, sagte er.
»Hier unten ist alles in bestem Zustand und festgezurrt, Käpt’n. Die Rosinante scharrt mit den Hufen. Wir brauchen nur noch die Ärsche, in die wir treten können.«
Hoffentlich wird es nicht nötig, dachte Holden.
Er schaltete das Mikrofon wieder ein.
»Kapitän James Holden von der Rosinante ruft den Kapitän der sich nähernden Korvette der Vereinten Nationen mit unbekanntem Rufzeichen. Bitte melden Sie sich.«
Nach einer kurzen Pause kam die Antwort: »Rosinante, verlassen Sie sofort unsere Flugbahn. Wenn Sie sich nicht sofort mit höchster Geschwindigkeit von Eros entfernen, werden wir das Feuer eröffnen.«
Die Stimme klang jung. Eine alternde Korvette, die sich der ermüdenden Aufgabe widmen musste, ein Forschungsschiff bei der Kartierung von Asteroiden zu begleiten, war kein begehrter Posten. Der Kapitän war vermutlich ein Leutnant ohne Gönner und Aufstiegschancen. Vermutlich war er unerfahren, mochte aber eine solche Konfrontation als Gelegenheit sehen, sich in den Augen der Vorgesetzten zu bewähren. Die nächsten Minuten waren nicht ungefährlich.
»Es tut mir leid«, sagte Holden, »aber ich kenne immer noch nicht Ihr Rufzeichen oder Ihren Namen. Außerdem kann ich nicht tun, was Sie verlangen. Genauer gesagt, werde ich niemanden auf Eros landen lassen. Sie müssen Ihren Anflug abbrechen.«
»Rosinante, ich glaube nicht, dass Sie …«
Holden übernahm das Zielerfassungssystem der Rosinante und richtete es auf die Korvette.
»Lassen Sie mich Ihnen erklären, was hier passiert«, sagte er. »Betrachten Sie Ihre Sensoren. Ein Schiff, das nach einem zusammengeflickten Gasfrachter aussieht, brachte Ihre Schiffserkennungssoftware durcheinander. Auf einmal, genauer gesagt, in diesem Moment, werden Sie von einem hochmodernen Zielerfassungssystem angepeilt.«
»Wir haben …«
»Lügen Sie mich nicht an. Ich weiß, was passiert. Hier ist mein Vorschlag. Obwohl es nicht danach aussieht, ist mein Schiff neuer, schneller, stabiler und besser bewaffnet als Ihres. Die einzige Möglichkeit, dies wirklich zu beweisen, bestünde darin, das Feuer zu eröffnen, was ich aber hoffentlich nicht tun muss.«
»Rosinante, wollen Sie mir etwa drohen?« Die junge Stimme in Holdens Kopfhörer verriet genau die richtige Mischung aus Überheblichkeit und Unglauben.
»Ihnen? Nein«, erwiderte Holden. »Ich drohe dem großen, langsamen unbeholfenen und unbewaffneten Schiff, das Sie beschützen sollen. Wenn Sie weiter in Richtung Eros fliegen, werde ich alles, was ich habe, auf dieses Schiff abfeuern. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir es vollständig vom Himmel fegen werden. Es ist möglich, dass Sie uns treffen, während wir das tun, aber Ihre Mission wäre dann jedenfalls gescheitert, nicht wahr?«
Schweigen breitete sich aus, nur das Rauschen der Hintergrundstrahlung verriet ihm, dass die Leitung noch offen war.
Die Antwort hörte er über den Schiffscom.
Alex sagte: »Sie halten an, Käpt’n. Sie legen gerade eine Vollbremsung hin. Die Erfassung sagt, dass sie ungefähr zwei Millionen Kilometer vor uns halten werden. Soll ich ihnen weiter entgegenfliegen?«
»Nein. Bringen Sie uns wieder in die stationäre Position über Eros«, erwiderte Holden.
»Roger.«
»Naomi.« Holden drehte sich zu ihr um. »Tun sie sonst noch etwas?«
»Nichts, was ich durch die starke Strahlung der Triebwerke erkennen könnte. Sie könnten natürlich unbemerkt von uns in die andere Richtung Nachrichten mit Richtstrahl absetzen.«
Holden schaltete den Schiffscom ab, kratzte sich eine Weile am Kopf und löste die Gurte.
»Tja, jetzt haben wir sie erst einmal aufgehalten. Ich nehme mir einen Drink und lege mich hin. Willst du auch was?«
»Er hat durchaus recht«, sagte Naomi später am Abend.
Holden schwebte bei null G auf dem Operationsdeck ein paar Schritte vor seiner Station. Er hatte das Licht gedämpft, bis es in dem Raum nur noch so hell war wie in einer Mondnacht. Alex und Amos schliefen zwei Decks unter ihnen. Sie hätten auch eine Million Lichtjahre entfernt sein können. Naomi schwebte zwei Meter entfernt vor ihrer eigenen Station. Sie hatte die Haare gelöst, die wie eine schwarze Wolke um ihren Kopf wallten. Das Pult hinter ihr beleuchtete ihr Profil: die hohe Stirn, die kleine Nase, die großen Lippen. Er konnte erkennen, dass sie die Augen geschlossen hatte. Es kam ihm vor, als seien sie die beiden einzigen Menschen im Universum.
»Wer hat recht?«, fragte er, nur um etwas zu sagen.
»Miller«, antwortete sie, als sei nichts offensichtlicher als dies.
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«
Naomi lachte und wedelte mit einer Hand, um sich in der Luft zu ihm zu drehen. Sie hatte jetzt die Augen geöffnet, doch da hinter ihr die Lämpchen auf der Konsole glühten, sah er nur zwei schwarze Abgründe.
»Ich habe über Miller nachgedacht«, erklärte sie. »Auf Tycho habe ich ihn mies behandelt. Ich habe ihn ignoriert, weil du wütend warst. Er hätte etwas Besseres verdient.«
»Warum?«
»Er hat dir auf Eros das Leben gerettet.«
Holden schnaubte, doch sie ließ sich nicht beirren.
»Du warst bei der Raummarine«, fuhr sie fort. »Was hättest du getan, wenn jemand auf dem Schiff verrückt geworden wäre und alle anderen in Gefahr gebracht hätte?«
Da er annahm, sie redeten über Miller, antwortete Holden: »So jemanden muss man fesseln und einsperren, damit dem Schiff und der Crew nichts passiert. Aber Fred hat nicht …«
Naomi fiel ihm ins Wort.
»Und im Krieg?«, sagte sie. »Mitten im Gefecht?«
»Wenn man ihn nicht fesseln kann, ist der Wachhabende verpflichtet, das Schiff und die Crew mit allen nötigen Mitteln zu schützen.«
»Selbst indem er ihn erschießt?«
»Ja, wenn das der einzige Weg ist«, erwiderte Holden. »Aber so etwas wäre nur unter wirklich extremen Begleitumständen statthaft.«
Naomi nickte mit einer Hand, worauf sich ihr Körper in die andere Richtung drehte. Mit einer unbewussten Geste hob sie den Bewegungsimpuls auf. Holden kam unter null G recht gut zurecht, aber so elegant würde er nie sein.
»Der Gürtel ist ein Netzwerk«, erklärte Naomi. »Er ist wie ein einziges, weit verteiltes Schiff. Wir haben Knotenpunkte, die Luft, Wasser, Energie oder Baumaterial erzeugen. Sie sind möglicherweise Millionen Kilometer voneinander entfernt, aber sie stehen dennoch miteinander in Verbindung.«
»Ich erkenne, wohin das führt.« Holden seufzte. »Dresden war der Irre auf dem Schiff, und Miller hat ihn erschossen, um alle anderen zu schützen. Das hat er mir schon auf Tycho erzählt, und ich habe es ihm schon dort nicht abgekauft.«
»Warum nicht?«
»Weil Dresden keine unmittelbare Bedrohung war. Er war nur ein böser kleiner Mann in einem teuren Anzug. Er hatte keine Waffe in der Hand und den Finger nicht auf dem Auslöser einer Bombe. Ich werde nie jemandem trauen, der für sich das Recht in Anspruch nimmt, einfach jemanden hinzurichten.«
Holden stemmte den Fuß gegen die Wand und drückte sich gerade fest genug ab, um zu Naomi zu schweben. Gerade nahe genug, um die Augen zu erkennen und zu sehen, wie sie darauf reagierte.
»Wenn das Forschungsschiff in Richtung Eros weiterfliegt, werde ich jeden Torpedo, den wir haben, darauf abfeuern und mir selbst sagen, dass ich damit den Rest des Sonnensystems vor dem geschützt habe, was sich auf Eros befindet. Aber ich werde nicht jetzt schon schießen, nur weil ich denke, es könnte weiterfliegen, denn das wäre Mord. Was Miller getan hat, war ein Mord.«
Naomi lächelte ihn an, packte ihn am Anzug und zog ihn nahe genug zu sich, um ihn zu küssen.
»Du bist vielleicht der beste Mensch, den ich kenne, aber du bist völlig kompromisslos, wenn du von etwas überzeugt bist, und genau das hasst du an Miller.«
»Wirklich?«
»Ja«, bekräftigte sie. »Auch er ist völlig kompromisslos, aber er hat andere Vorstellungen davon, wie die Dinge funktionieren. Das magst du nicht. In Millers Augen war Dresden eine Bedrohung für das Schiff. Jede Sekunde, die er am Leben blieb, hat alle, die in seiner Nähe waren, in Gefahr gebracht. Für Miller war es Selbstverteidigung.«
»Aber er irrt sich, der Mann war wehrlos.«
»Der Mann hat die Raummarine der Vereinten Nationen überredet, Protogen hochmoderne Schiffe zu geben«, erwiderte sie. »Er hat seine Firma dazu gebracht, anderthalb Millionen Menschen zu ermorden. Was Miller darüber gesagt hat, dass das Protomolekül bei uns am besten aufgehoben sei, war ebenso wahr wie alles, was er über Dresden gesagt hat. Wie lange hätte Dresden wohl in einem AAP-Gefängnis gesessen, bis er jemanden gefunden hätte, den er bestechen konnte?«
»Er war ein Gefangener.« Holden wusste schon, dass er verloren hatte.
»Er war ein Ungeheuer mit Macht, Beziehungen und Verbündeten, die jeden Preis dafür bezahlt hätten, damit sein Projekt weiterläuft«, erwiderte Naomi. »Ich sage dir als Bewohnerin des Gürtels, dass Miller nicht falschgelegen hat.«
Holden antwortete nicht, sondern schwebte schweigend neben Naomi und blieb in Reichweite. War er wütend, weil Miller Dresden getötet hatte, oder weil Miller gegen seine Anweisung verstoßen hatte?
Miller hatte es gewusst. Als Holden ihm gesagt hatte, er solle sehen, wie er nach Tycho käme, hatte er es im traurigen Hundegesicht des Detective gesehen. Miller hatte es kommen sehen und keinen Versuch unternommen, zu streiten oder zu widersprechen. Miller hatte sich in vollem Wissen um die Folgen entschieden und war bereit gewesen, den Preis dafür zu zahlen. Das hatte etwas zu bedeuten. Holden wusste nicht genau, was es war, aber es war wichtig.
An der Wand blinkte ein Licht. Naomis Pult erwachte zum Leben und zeigte auf dem Bildschirm Daten an. Sie zog sich mithilfe der Stuhllehne hinunter und tippte mehrere rasche Befehle ein.
»Verdammt«, sagte sie.
»Was ist?«
»Die Korvette oder das Forschungsschiff hat Verstärkung angefordert«, berichtete sie und deutete auf den Bildschirm. »Aus dem ganzen System fliegen Schiffe in diese Richtung.«
»Wie viele sind es?«, fragte Holden und spähte auf ihr Display.
Naomi gab ein kleines Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem Kichern und einem Husten lag.
»Soll ich raten? Alle, würde ich sagen.«