21 Holden

Schiffe waren klein. Umbauter Raum war kostbar, und selbst auf einem Monstrum wie der Donnager waren die Korridore und Abteile eng und unbequem. Auf der Rosinante gab es nur zwei Räume, wo Holden die Arme ausbreiten konnte, ohne die Wände zu berühren: die Kantine und den Frachtraum. Niemand, der beruflich flog, litt unter Platzangst, aber selbst der abgebrühteste Prospektor im Gürtel kannte die Spannungen, die sich einstellten, wenn man zu lange im Schiff hockte. Es war die alte Stressreaktion eines gefangenen Tiers, das Wissen, dass man nichts sehen und da draußen nicht einfach an einen anderen Ort gehen konnte. Wenn sie endlich im Hafen das Schiff verlassen und die Spannung abbauen konnten, wurde ihnen beinahe schwindlig vor Erleichterung.

Oft nahm es die Form eines Wetttrinkens an.

Wie alle berufsmäßigen Raumfahrer hatte auch Holden nach langen Flügen manchmal bis zur Bewusstlosigkeit getrunken. Mehr als einmal hatte er ein Bordell aufgesucht und es erst wieder verlassen, wenn sie ihn mit leerem Konto, wunden Lenden und einer Prostata, die so trocken war wie die Sahara, wieder hinausgeworfen hatten. Als Amos nach drei Tagen in sein Zimmer stolperte, wusste Holden genau, wie sich der große Mechaniker fühlte.

Holden und Alex teilten sich das Sofa und verfolgten einen Nachrichtenfeed. Zwei Ansager diskutierten über die Taten der Gürtler und verwendeten Worte wie Kriminelle, Terroristen und Sabotage. Die Marsianer waren dagegen die »Friedenshüter«. Es war ein marsianischer Kanal. Amos schnaubte und ließ sich auf das Sofa fallen. Holden stellte den Ton stumm.

»Na, Matrose, wie war der Landgang?«, fragte Holden grinsend.

»Ich werde nie wieder etwas trinken«, stöhnte Amos.

»Naomi holt gerade aus dem Sushi-Restaurant etwas zu essen«, verkündete Alex. »Schöner roher Fisch in künstlichem Seetang.«

Amos stöhnte wieder.

»Das war gar nicht nett, Alex«, schalt Holden ihn. »Lassen Sie doch die Leber des Mannes in Frieden abtreten.«

Die Tür der Suite ging abermals auf, und Naomi kam mit einem hohen Stapel weißer Schachteln herein.

»Da wäre das Essen«, sagte sie.

Alex öffnete alle Schachteln und verteilte kleine Wegwerfteller.

»Jedes Mal, wenn Sie das Essen besorgen, bringen Sie Lachsröllchen mit. Das nenne ich einen Mangel an Fantasie«, klagte Holden, während er seinen Teller füllte.

»Ich mag Lachs«, erwiderte Naomi.

Es wurde still im Raum, als sie aßen. Die einzigen Geräusche waren das Klicken der Essstäbchen aus Plastik und das Schmatzen, wenn sie ihre Happen in Wasabi- und Sojasoße tunkten. Als sie aufgegessen hatten, wischte Holden sich die Augen trocken, die von den scharfen Gewürzen tränten, und lehnte sich weit zurück. Amos benutzte ein Essstäbchen, um sich unter der Schiene am Bein zu kratzen.

»Ihr habt das ganz gut hingekriegt«, sagte er. »Es ist im Moment der Körperteil, der am wenigsten wehtut.«

Naomi schnappte sich die Fernbedienung aus Holdens Armlehne, schaltete den Ton wieder ein und probierte mehrere Kanäle durch. Alex schloss die Augen und ließ sich auf dem Zweiersofa nieder, verschränkte die Hände vor dem Bauch und seufzte zufrieden. Holden verspürte dagegen eine unerklärliche und irrationale Gereiztheit, da es seiner Mannschaft so gut ging.

»Habt ihr jetzt lange genug an Freds Zitzen gehangen?«, fragte er. »Mir reicht es.«

»Was reden Sie da?«, widersprach Amos kopfschüttelnd. »Ich habe gerade erst angefangen.«

»Die Frage ist doch«, erwiderte Holden, »wie lange wir auf Freds Kosten auf Tycho herumhängen, trinken und herumhuren und Sushi essen wollen.«

»So lange, wie ich kann«, erwiderte Alex.

»Demnach haben Sie wohl einen besseren Plan«, warf Naomi ein.

»Einen Plan habe ich nicht, aber ich will etwas unternehmen. Als wir herkamen, waren wir voller Zorn und Rachsucht. Ein paarmal einen geblasen kriegen und ein paar Kater später, und es ist, als wäre nie etwas passiert.«

»Ähm, Rache erfordert jemanden, an dem man sich rächen kann, Kapitän«, gab Alex zu bedenken. »Falls Sie es nicht bemerkt haben, herrscht in dieser Hinsicht ein gewisser Mangel.«

»Das Schiff ist immer noch irgendwo da draußen unterwegs, genauso wie die Leute, die den Schießbefehl gegeben haben«, sagte Holden.

»Also fliegen wir einfach eine Spirale, bis wir ihm zufällig begegnen?«, entgegnete Alex langsam.

Naomi lachte und warf eine Sojapackung nach ihm.

»Ich weiß nicht, was wir tun sollen«, antwortete Holden, »aber hier herumzusitzen, während die Leute, die unser Schiff vernichtet haben, unbehelligt umherfliegen, macht mich verrückt.«

»Wir sind doch erst drei Tage da«, wandte Naomi ein. »Wir brauchen auch mal ein bequemes Bett, etwas Anständiges zu essen und eine Gelegenheit, etwas Dampf abzulassen. Reden Sie uns keine Schuldgefühle ein, nur weil wir das auskosten.«

»Außerdem sagte Fred, dass diese Schweinehunde vor Gericht gestellt werden«, fügte Amos hinzu.

»Falls es überhaupt eine Verhandlung gibt«, widersprach Holden, »kann es Monate oder sogar Jahre dauern. Und selbst dann wird Fred sich vor allem um die Verträge kümmern. Eine Amnestie könnte möglicherweise sogar ein Teil des Handels werden, oder?«

»Sie haben sich sehr schnell auf seinen Vorschlag eingelassen, Jim«, erinnerte Naomi ihn. »Haben Sie es sich jetzt anders überlegt?«

»Wenn Fred unsere Aussagen im Austausch dafür will, dass wir uns erholen und ausruhen können, war es ein niedriger Preis. Das heißt aber nicht, dass eine Verhandlung alles in Ordnung bringt oder dass ich untätig herumstehen will, bis es so weit ist.«

Er deutete auf das Kunstledersofa und den riesigen Wandbildschirm.

»Außerdem kann dies hier auch ein Gefängnis sein. Es ist ein schönes Gefängnis, aber solange Fred alles bezahlt, hat er uns in der Hand, das darf man nicht verkennen.«

Naomi runzelte die Stirn und sah ihn ernst an.

»Welche Möglichkeiten haben wir denn, Sir?«, fragte sie. »Einfach wegfliegen?«

Holden verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete zögernd, als hätte er es noch nicht völlig durchdacht. Manches wurde erst richtig klar, wenn man es laut aussprach.

»Ich dachte, wir sehen uns nach Arbeit um«, erklärte er. »Wir haben ein gutes Schiff. Noch wichtiger ist, dass wir ein unauffälliges Schiff haben. Wenn nötig, können wir ohne Transponder fliegen. Jetzt im Krieg möchten viele Leute verschiedene Dinge befördern. So haben wir etwas zu tun, während wir auf Freds Verhandlung warten, und verdienen außerdem Geld und sind nicht mehr von Almosen abhängig. Während wir von einem Ort zum anderen fliegen, können wir außerdem Augen und Ohren offen halten. Wer weiß, was wir finden. Und seid mal ehrlich, wie lange könntet ihr auf der Station herumhängen?«

Sie schwiegen eine Weile.

»Ich könnte das noch … eine Woche aushalten«, sagte Amos.

»Gar keine so schlechte Idee, Kapitän.« Alex nickte.

»Es ist Ihre Entscheidung, Kapitän«, lenkte Naomi ein. »Ich bleibe bei Ihnen, und die Vorstellung, etwas Geld zu verdienen, gefällt mir. Aber hoffentlich haben Sie es nicht zu eilig. Ein paar freie Tage könnte ich schon noch brauchen.«

Holden klatschte in die Hände und sprang auf.

»Nein, eilig ist es nicht. Wichtig ist nur, dass wir jetzt einen Plan haben. Die Pause macht viel mehr Spaß, wenn man weiß, dass sie bald enden wird.«

Alex und Amos standen sofort auf und gingen zur Tür. Alex hatte beim Dartspiel ein paar Dollar gewonnen, und jetzt wollten er und Amos noch viel mehr am Kartentisch einnehmen.

»Warte nicht auf mich, Boss«, sagte Amos zu Naomi. »Heute ist mein Glückstag.«

Dann gingen sie, und Holden begab sich in die Kochnische, um Kaffee zu machen. Naomi folgte ihm.

»Da wäre noch etwas«, sagte sie.

Holden öffnete das versiegelte Päckchen, und sofort erfüllte der kräftige Duft den Raum.

»Nur zu«, sagte er.

»Fred übernimmt alle Vorkehrungen, die in Zusammenhang mit Kellys Leiche notwendig sind. Er konserviert sie hier, bis wir unser Überleben öffentlich bekannt geben. Dann schickt er sie zum Mars zurück.«

Holden füllte die Kaffeemaschine mit Leitungswasser und schaltete sie ein. Mit leisem Gurgeln nahm sie die Arbeit auf.

»Gut. Leutnant Kelly verdient jeden Respekt, den wir ihm geben können, und einen würdevollen Abschied.«

»Ich denke die ganze Zeit über den Datenträger nach, den er bei sich hatte. Bis jetzt konnte ich ihn nicht knacken. Es ist eine starke militärische Verschlüsselung, bei der ich Kopfschmerzen bekomme. Deshalb dachte ich …«

»Sagen Sie schon«, forderte Holden sie mit gerunzelter Stirn auf.

»Ich würde ihn gern Fred geben. Ich weiß, dass es ein Risiko ist. Wir haben keine Ahnung, was sich darauf befindet, und trotz seines Charmes und seiner Gastfreundschaft ist Fred immer noch ein Funktionär der AAP. Andererseits war er auch ein hochrangiger Offizier beim UN-Militär, und er hat hier auf der Station eine Menge kluge Leute versammelt. Vielleicht kann er das Ding knacken.«

Holden dachte darüber nach, dann nickte er.

»Gut, lassen Sie mich mal überlegen. Ich will wissen, was Yao da unbedingt retten wollte, aber …«

»Ja.«

Sie schwiegen nachdenklich, während der Kaffee durchlief. Als er fertig war, goss Holden zwei Becher ein und gab einen davon Naomi.

»Kapitän«, sagte sie und hielt wieder inne. »Jim. Bisher war ich ein mieser XO. Achtzig Prozent der Zeit stand ich unter Stress und hatte große Angst.«

»Es ist Ihnen erstaunlich gut gelungen, das zu verbergen«, erwiderte Holden.

Naomi tat das Kompliment mit einem ungeduldigen Nicken ab.

»Jedenfalls habe ich bei ein paar Dingen zu sehr gedrängt«, fuhr sie fort.

»Nicht der Rede wert.«

»Lassen Sie mich ausreden«, sagte sie. »Sie sollen wissen, dass Sie uns meiner Ansicht nach das Leben gerettet haben. Sie sorgen dafür, dass wir uns auf die Probleme konzentrieren, die wir lösen können, statt in Selbstmitleid zu zerfließen. Sie sorgen dafür, dass alle bei der Stange bleiben. Das schafft nicht jeder. Ich könnte es nicht, und die Stabilität, die Sie uns gegeben haben, war wichtig.«

Holden war stolz. Damit hatte er nicht gerechnet, und er traute dem Braten nicht ganz, aber es fühlte sich sehr gut an.

»Danke«, antwortete er.

»Ich kann nicht für Amos und Alex sprechen, aber ich will eines deutlich machen. Sie sind nicht nur unser Kapitän, weil McDowell tot ist. Sie sind unser Kapitän, jedenfalls für mich. Ich wollte nur, dass Sie das wissen.«

Sie senkte den Blick und errötete, als hätte sie gerade ein intimes Geständnis gemacht. Vielleicht traf das sogar zu.

»Ich versuche, Sie nicht zu enttäuschen.«

»Dafür wäre ich Ihnen wirklich dankbar, Sir.«

Fred Johnsons Büro war groß und einschüchternd wie der Besitzer und voller Dinge, die erledigt werden mussten. Der Raum war größer als alle Kabinen auf der Rosinante zusammen. Der Schreibtisch bestand aus echtem Holz und war mindestens hundert Jahre alt. Er roch nach Zitronenöl. Holden setzte sich auf einen Stuhl, der ein wenig niedriger war als Freds Sitzgelegenheit, und betrachtete die Berge von Ordnern und Papieren, die überall herumlagen.

Fred hatte ihn rufen lassen, die ersten zehn Minuten nach seiner Ankunft jedoch telefoniert. Es klang nach technischen Details, die offenbar mit dem riesigen Generationenschiff zusammenhingen. Es machte Holden nichts aus, ein paar Minuten lang ignoriert zu werden, zumal die Wand hinter Fred vollständig von einem hervorragenden Bildschirm eingenommen wurde, der so tat, als sei er ein Fenster. Man hatte einen spektakulären Ausblick auf die Nauvoo, die vorbeizog, während sich die Station drehte. Fred verdarb ihm den Spaß, indem er das Telefon weglegte.

»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Die Luftaufbereiter waren von Anfang an ein Albtraum. Wenn man mehr als hundert Jahre lang nur die Luft atmen kann, die man mitgebracht hat, sind die Toleranzen für Verluste geringer als anderswo. Manchmal ist es schwer, den Bauunternehmen die Bedeutung solcher Einzelheiten zu verdeutlichen.«

»Ich habe den Ausblick genossen«, gestand Holden und deutete zum Bildschirm.

»Ich frage mich, ob wir überhaupt planmäßig fertig werden.«

»Warum?«

Fred seufzte und lehnte sich auf dem Stuhl, der protestierend quietschte, zurück.

»Zwischen Mars und Gürtel herrscht Krieg.«

»Gibt es Materialengpässe?«

»Nicht nur das. Überall tauchen Piraten auf, die behaupten, sie sprächen für die AAP. Prospektoren aus dem Gürtel feuern mit selbstgebauten Raketenwerfern auf marsianische Kriegsschiffe. Danach werden sie ausgelöscht, aber hin und wieder trifft ein Torpedo und tötet ein paar Marsianer.«

»Was bedeutet, dass die Marsianer früher oder später als Erste das Feuer eröffnen werden.«

Fred nickte, stand auf und schritt im Raum hin und her.

»Selbst die ehrlichen Bürger, die sich mit legalen Geschäften befassen, haben inzwischen Angst, vor die Tür zu gehen. Allein in diesem Monat sind mehr als ein Dutzend Lieferungen verspätet eingetroffen. Ich fürchte, irgendwann werden es nicht nur Verspätungen, sondern sogar Stornierungen sein.«

»Genau darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Holden.

Fred sprach weiter, als hätte er es nicht gehört.

»Ich stand selbst vor solchen Entscheidungen«, erklärte er. »Ein nicht identifiziertes Schiff nähert sich, und Sie müssen etwas tun. Niemand will auf den Knopf drücken. Das Schiff wird auf der Anzeige größer und größer, während mein Finger über dem Knopf schwebt. Ich weiß noch, wie ich sie angefleht habe anzuhalten.«

Holden schwieg. Er kannte es ebenso. Dazu gab es nichts zu sagen. Fred ließ die Bemerkung in der Luft hängen, dann schüttelte er den Kopf und richtete sich auf.

»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er.

»Jederzeit, Fred. Sie haben viel für uns getan«, erwiderte Holden.

»Ich möchte mir Ihr Schiff leihen.«

»Die Rosinante?«, fragte Holden. »Warum?«

»Ich muss etwas abholen und hierherbringen lassen. Dazu brauche ich ein Schiff, das unauffällig an marsianischen Wachschiffen vorbeifliegen kann, wenn es nötig ist.«

»Dazu ist die Rosinante zweifellos geeignet, aber das beantwortet nicht meine Frage. Warum?«

Fred kehrte Holden den Rücken und betrachtete den Bildschirm. Gerade verschwand der Bug der Nauvoo auf einer Seite, und nun war nur noch die schwarze, mit Sternen übersäte Unendlichkeit zu sehen.

»Ich will jemanden von Eros abholen lassen«, sagte er. »Jemanden, der sehr wichtig ist. Ich habe zwar Leute, die das übernehmen könnten, aber die einzigen Schiffe, die wir haben, sind leichte Frachter und zwei kleine Shuttles. Nichts, was die Reise schnell genug machen oder fliehen kann, falls es Ärger gibt.«

»Hat diese Person auch einen Namen? Ich meine, Sie sagen immer, Sie wollen nicht kämpfen, aber mein Schiff ist zufällig auch das einzige hier, das Waffen hat. Ich bin sicher, dass die AAP eine ziemlich lange Liste von Objekten hat, die sie gern in die Luft jagen würde.«

»Sie trauen mir nicht.«

»Nein.«

Fred drehte sich wieder herum und packte die Stuhllehne. Die Fingerknöchel liefen weiß an. Holden fragte sich, ob er zu weit gegangen sei.

»Hören Sie«, fuhr Holden fort, »Sie reden über Frieden und Prozesse und so weiter. Sie distanzieren sich von den Sendungen der Piraten. Sie haben eine schöne Station voller netter Leute. Ich habe jeden Grund, Ihnen zu glauben, dass Sie es ehrlich meinen. Aber wir sind erst seit drei Tagen hier, und das Erste, was Sie mir über Ihre Pläne erzählen, ist, dass Sie mein Schiff für eine geheime Mission brauchen. Tut mir leid. Wenn ich mitmachen soll, dann werde ich umfassend informiert. Keine Geheimnisse. Selbst wenn ich ganz sicher wäre, was ich nicht bin, dass Sie durch und durch lautere Absichten haben, würde ich bei so einer Geheimniskrämerei nicht mitmachen.«

Fred starrte ihn ein paar Sekunden an, ging um den Stuhl herum und setzte sich. Holden tippte sich nervös mit dem Finger auf den Oberschenkel und unterdrückte den Impuls, sobald er es bemerkte. Fred hatte die Bewegung bemerkt und starrte Holden an.

Holden räusperte sich.

»Sie sind hier der große Boss. Selbst wenn ich nicht wüsste, wer Sie waren, hätte ich eine Heidenangst, es ist also nicht nötig, mir irgendetwas zu beweisen. Aber ganz egal, wie viel Angst ich habe, in diesem Punkt werde ich nicht nachgeben.«

Das erwartete Lachen blieb aus. Holden bemühte sich sehr, lautlos zu schlucken.

»Ich möchte wetten, dass Sie jeder Kapitän, unter dem Sie geflogen sind, für eine gigantische Nervensäge gehalten hat«, sagte Fred schließlich.

»Ich glaube, das geht auch aus meiner Personalakte hervor.« Holden gab sich Mühe, seine Erleichterung zu verbergen.

»Ich muss nach Eros fliegen, einen Mann namens Lionel Polanski finden und hierher nach Tycho bringen.«

»Das wäre nur eine Woche, wenn wir uns beeilen.«

»Die Tatsache, dass Lionel gar nicht existiert, macht die Mission allerdings schwieriger.«

»Ja, gut. Jetzt bin ich verwirrt«, gab Holden zu.

»Sie wollten doch eingeweiht werden«, stieß Fred aufgebracht hervor. »Genau das bekommen Sie jetzt. Lionel Polanski existiert nur auf dem Papier. Ihm gehören einige Dinge, die Mister Tycho nicht persönlich besitzen will. Dazu zählt auch ein Kurierschiff namens Scopuli

Holden beugte sich vor und hörte aufmerksam zu.

»Jetzt haben Sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

»Der nicht existierende Besitzer der Scopuli hat sich auf einer heruntergekommenen Ebene von Eros in einer Absteige eingemietet. Wir haben die Information gerade erst bekommen. Wir müssen davon ausgehen, dass derjenige, der das Zimmer gebucht hat, unsere Operationen genau kennt und Hilfe braucht, aber nicht offen darum bitten kann.«

»Wir können in einer Stunde aufbrechen«, sagte Holden atemlos.

Fred hob beide Hände. Holden war überrascht, diese Gürtler-Geste bei einem Mann von der Erde zu sehen.

»Wer hat gesagt, dass Sie fliegen?«

»Ich verleihe mein Schiff nicht, aber ich vermiete es. Meine Crew und ich haben tatsächlich schon darüber gesprochen, uns einen Job zu suchen. Heuern Sie uns an und ziehen Sie den Lohn von dem ab, was Sie bisher für uns getan haben.«

»Nein«, widersprach Fred. »Ich brauche Sie noch.«

»Das stimmt nicht«, widersprach Holden. »Sie brauchen lediglich unsere Aussagen. Wir werden nicht ein oder zwei Jahre hier herumsitzen und warten, bis die Vernunft obsiegt. Wir zeichnen die Aussagen auf und unterschreiben eidesstattliche Erklärungen, um zu bekräftigen, dass sie echt sind, aber wir werden demnächst aufbrechen und uns auf die eine oder andere Weise Arbeit suchen. Da können Sie uns auch gleich sinnvoll einsetzen.«

»Nein«, entgegnete Fred. »Sie sind viel zu wertvoll, um Ihr Leben zu riskieren.«

»Und wenn ich den Datenträger drauflege, den der Kapitän der Donnager unbedingt vom Schiff bekommen wollte?«

Das Schweigen war wieder da, aber es fühlte sich anders an.

»Hören Sie«, drängte Holden. »Sie brauchen ein Schiff wie die Rosinante. Ich habe so ein Schiff. Sie brauchen eine Crew für das Schiff. Ich habe eine Crew. Und Sie wollen so dringend wie ich wissen, was sich auf dem Datenträger befindet.«

»Mir behagt das Risiko nicht.«

»Die andere Möglichkeit wäre, uns einzusperren und das Schiff selbst zu führen. Auch das ist nicht ohne Risiko möglich.«

Fred lachte, auch Holden entspannte sich.

»Sie haben immer noch das Problem, das Sie hierhergeführt hat«, erwiderte Fred. »Ihr Schiff sieht aus wie ein Kanonenboot, ganz egal, was Ihr Transponder sagt.«

Holden sprang auf und schnappte sich ein Stück Papier von Freds Schreibtisch, nahm einen Stift aus einem teuren Set und notierte etwas.

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Sie haben doch hier eine voll ausgerüstete Werft. Wir sind angeblich ein Gastanker. Also …«, er zeichnete die Umrisse eines Schiffs, »… schweißen wir ein paar leere Lagertanks für komprimiertes Gas in zwei Ringen auf den Rumpf. Darunter können wir die Raketenwerfer verbergen. Wir streichen das ganze Schiff neu an und setzen ein paar Vorsprünge darauf, um das Profil der Hülle zu verbergen und die Schiffserkennungssoftware zu täuschen. Es wird grauenhaft aussehen und die Aerodynamik massiv stören, aber wir haben ja nicht vor, in irgendeiner Atmosphäre zu fliegen. Es wird nach dem aussehen, was es ist: ein Schiff, das ein paar Gürtler eilig zusammengeklatscht haben.«

Er gab Fred das Blatt. Nun lachte Fred laut auf, entweder wegen der schrecklichen Zeichnung oder angesichts der Absurdität des ganzen Plans.

»Damit könnten Sie einem Piraten eine böse Überraschung bereiten«, sagte er. »Wenn ich mich darauf einlasse, werden Sie und Ihre Mannschaft die Aussagen aufzeichnen und als unabhängige Transportunternehmer für Aufträge wie den Flug nach Eros zur Verfügung stehen, und Sie werden für mich aussagen, sobald die Verhandlungen beginnen.«

»Einverstanden.«

»Ich verlange das Recht, jeden zu überbieten, der Sie anheuern will. Sie nehmen keine Kontrakte an, ohne ein Gegenangebot von mir eingeholt zu haben.«

Holden streckte die Hand aus, Fred schlug ein.

»Es ist angenehm, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Fred.«

Als Holden hinausging, hatte Fred schon mit den Monteuren Kontakt aufgenommen. Holden zog das tragbare Terminal hervor und rief Naomi.

»Ja?«, meldete sie sich.

»Rufen Sie die Jungs zusammen, wir fliegen nach Eros.«

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