Vera hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, mit James Bennett zu reden. Sie hätte noch einmal zu Keith Mantel fahren können, aber der würde kaum weitere Informationen herausrücken. Joe Ashworth hatte ein bisschen in der Vergangenheit gewühlt, aber er war nicht von hier, hatte nicht die nötigen Beziehungen, und sie verlor allmählich die Geduld. Als sie erfuhr, dass James bei der Arbeit war, nahm sie Ashworth mit, um den Lotsen an der Landspitze abzuholen. Sie hatte vor, ihn aufs Revier mitzunehmen. Auf diese Weise würden sie nicht abgelenkt. Sie sagte sich, dass es jede Menge Erklärungen für seinen Namenswechsel geben könnte, doch ihre Phantasie machte Überstunden: Bestimmt ist er in ein paar von Mantels illegalen Machenschaften verwickelt gewesen. Wieso sonst würde er sich hinter einem Alias verstecken wollen? Das machte ihn nicht zum Mörder, aber es machte ihn zu einem interessanten Gesprächspartner. Sie wollten nicht groß auffallen und blieben einfach neben dem Lotsenauto in ihrem Wagen sitzen, bis James erschien.
Als Vera ihn kommen sah, überfielen sie Zweifel. James war seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen und sah so abgespannt und grau aus, wie man nur aussieht, wenn man nachts aus dem Schlaf gerissen wird. Sie brauchte ihn konzentriert. So wie er jetzt wirkte, würde er im Verhörraum einnicken, den Kopf auf den Arm gelegt, kaum zu etwas nütze.
Er hatte sie schon gesehen, sodass sie nicht mehr wegfahren konnten. «Wir können es auf später verschieben», sagte sie. «Es ist nicht dringend.»
Aber James bestand darauf, jetzt gleich mitzukommen.
«Wollen Sie Ihrer Frau Bescheid sagen?»
«Ich bin früher fertig, als ich dachte. Sie wird mich erst in ein paar Stunden erwarten.»
Sie befanden sich in einem Raum ohne Tageslicht, eine Neonröhre flackerte, und es roch nach kaltem Zigarettenrauch. Vera und James saßen einander gegenüber an einem Tisch, und Joe Ashworth hatte seinen Stuhl ein Stück zurückgeschoben, sodass er wie ein unparteiischer Beobachter wirkte, wie ein Schiedsrichter bei einem Schachturnier vielleicht. Vera trug eins ihrer sackartigen Kleider und eine Strickjacke, die sie vorn schief zugeknöpft hatte. James, immer noch in seiner Uniform, sah tadellos aus.
«Das hier ist ein inoffizielles Gespräch», sagte Vera. «Bei einer solchen Ermittlung kommen alle möglichen Dinge ans Licht. Sie sind wahrscheinlich nicht wichtig, aber sie müssen geklärt werden. Das verstehen Sie sicher.»
Er nickte.
«Keith Mantel sagt, dass er Ihnen schon einmal begegnet ist. Damals hatten Sie allerdings einen anderen Namen. Dem mussten wir nachgehen.»
«Selbstverständlich.» Er klang sehr höflich, fast, als täte es ihm leid, dass sie seinetwegen in der Vergangenheit herumschnüffeln mussten.
«Ich hoffe, dass Sie das für uns aufklären können. Uns erklären, worum es dabei ging. Und gleichzeitig können Sie uns vielleicht noch ein bisschen was aus Keith Mantels Vergangenheit erzählen.»
Vera hatte nichts Bestimmtes erwartet – und nichts Besonderes. Vielleicht, dass er sie belehren würde, dass es völlig legal sei, seinen Namen zu ändern, und Rechtfertigungen nicht vonnöten seien. Dass sie das überhaupt nichts angehe. Gewiss aber nicht das. Denn James nestelte kurz an seiner Mütze herum, die umgedreht vor ihm auf dem Tisch lag, schloss die Augen für einen Moment der Entscheidung und fing dann an zu sprechen, um sie ganz an den Anfang zu führen und ihnen letztlich sein ganzes Leben zu erzählen.
«Als mein Dad jung war, hat er auf den Trawlern gearbeitet. Ich bin mit den Geschichten groß geworden – von den Stürmen und den legendären Kapitänen und den spektakulären Fängen –, aber als ich dann in die Schule kam, war er an Land gegangen. Vielleicht wogen die Gefahr und die Anstrengungen ja schwerer als das Abenteuer, schon damals musste man weit rausfahren, um was zu fangen. Es war kein leichtverdientes Geld. Aber ich glaube, es war wohl eher meine Mutter, die ihn überredete, den Fischfang aufzugeben. Es war bestimmt nicht angenehm für sie, wenn er auf See war.»
Vera nickte, schwieg, wartete darauf, dass er fortfuhr.
«Damals führten er und meine Mutter in der Gegend, wo sie beide aufgewachsen waren, einen Zeitungskiosk. Ich war ein Einzelkind, aber ich hatte Vettern, mit denen ich auf der Straße spielte, und meine Oma kochte mir was, wenn Mum und Dad zu viel zu tun hatten. Alles war freundlich und sicher. Natürlich gab es viel Klatsch und Tratsch. Ich nehme an, in kleinen Gemeinden gibt es immer böses Gerede. Aber mich hat das nie berührt. Meiner Erinnerung nach war es eine gute Zeit.
Als er noch zur See fuhr, war mein Vater aktives Gewerkschaftsmitglied, und auch danach interessierte er sich weiter für die Politik. Man hätte meinen können, er wäre ein geborener Konservativer, der kleine Geschäftsmann, der sich allein durchkämpft, aber so war’s nicht. Er war kein Kommunist, jedenfalls nicht so richtig, aber auf jeden Fall ein Sozialist der alten Schule. Mit einer Regierung der Neuen Mitte hätte er bestimmt nichts zu tun haben wollen. Jedenfalls war er schon immer in der Partei gewesen, und damals hatte er dann mehr Zeit, sich zu engagieren. Ich weiß noch, wie er bei Wahlkämpfen um Stimmen warb und wie er, wenn er nach Hause kam, immer noch mit den Diskussionen beschäftigt war, die er ausfocht, wenn er bei den Leuten klingeln ging. Keine Ahnung, was meine Mutter davon hielt. Wahrscheinlich war ihr klar, dass er etwas tun musste, weil er sich sonst gelangweilt hätte. Zu Beginn, glaube ich, betrachtete sie es als harmloses Hobby, wie Angeln oder Trainspotting.
Als ich die High School zur Hälfte hinter mir hatte, überredeten sie ihn, für den Gemeinderat zu kandidieren. Das heißt, es brauchte gar nicht viel Überredung. Die Ehe meiner Eltern war damals schwer am Kriseln. Für mich wahrten sie die Form und machten gute Miene, aber es war wie gesagt eine kleine Gemeinde, und die Leute verbreiteten nur zu gern ihren Klatsch. Ich erfuhr, dass er eine Menge Affären hatte. Schließlich entschied er sich offenbar für eine andere Frau, auch Mitglied der Partei, eine Lehrerin. Wie ich hörte, waren sie unzertrennlich. Ich war fuchsteufelswild damals, schämte mich. Wie konnte er das tun und abends zu meiner Mutter nach Hause kommen? Sie musste zu demselben Schluss gekommen sein, denn als mein Vater eines Abends auf einer Gemeinderatssitzung war, packte sie ihre Sachen und verschwand. Sie hat mich nicht gefragt, ob ich mitkommen will, und selbst wenn sie es getan hätte, wäre ich wohl nicht mitgegangen. Trotz all seiner Fehler war ich immer der Meinung, mehr mit meinem Vater gemein zu haben, und überhaupt war er verletzlicher als sie. Ich spürte, dass er jemanden brauchte, der sich um ihn kümmert, mehr noch als sie, und dass ich eine Verantwortung für ihn hatte. Meine Mutter konnte auf sich selbst aufpassen. Ich hatte wohl auch recht, denn schon bald danach ist sie mit einem Versicherungsvertreter zusammengezogen. Zumindest hatte sie so ein regelmäßiges Einkommen. Sie hat mich eingeladen, sie in ihrem neuen Haus irgendwo in den Randbezirken zu besuchen, aber das konnte ich nicht. Es mag ungerecht gewesen sein, aber um meines Vaters willen war ich wütend auf sie. Als ich mit der Schule fertig war, bin ich bei ihm im Kiosk eingestiegen.»
Er hielt inne, und Vera sah, wie erschöpft er war. «Kann ich Ihnen etwas bringen lassen, Kapitän Bennett? Kaffee? Ein Glas Wasser?»
Ihr freundlicher Ton schien ihn zu überraschen, und er schüttelte den Kopf. «Es tut mir leid, dass ich so weitschweifig bin. Wahrscheinlich ist nichts davon wichtig.»
Vera beugte sich über den Tisch zu ihm hinüber, es sah beinahe so aus, als wollte sie seine Hand tätscheln. «Erzählen Sie es auf Ihre Art, Herzchen. Ich höre zu.»
«Etwa um die Zeit muss es dann gewesen sein, dass Dad sich mit Keith Mantel anfreundete. Damals war Keith ein kleiner Bauunternehmer. Er kaufte Immobilien in heruntergekommenen Gegenden der Stadt, richtete sie her und verkaufte sie weiter. Die Häuser am Strand versuchte er als Ferienhäuser zu vermieten. Man merkte, dass er hochfliegende Pläne hatte, aber Dad meinte wohl, sie würden in der gleichen Liga spielen – selbständige Geschäftsleute, die versuchen, sich im Wettbewerb mit den Großen durchzuboxen.»
«Haben sie sich auch privat getroffen?»
«Darum ging’s am Anfang überhaupt nur, man traf sich unter Freunden.»
«Waren Sie auch dabei?»
«Nicht oft. Manchmal kam Keith bei uns zu Hause vorbei. Auf der Flucht vor einer seiner Frauen, sagte er immer. Dann haben sie die ganze Nacht dagesessen und getrunken. Dad fing mit seinen Geschichten vom Leben auf See an, und Keith mimte den bereitwilligen Zuhörer. Ich versuchte, mich da rauszuhalten. Einer musste schließlich früh aufstehen, um die Zeitungen zu sortieren, und außerdem traute ich dem Mann nicht über den Weg. Dad war im Planungsausschuss des Gemeinderats. Für mich war klar, dass Mantel nicht bloß kam, um über die guten alten Zeiten zu plaudern. Er war hinter irgendwas her.
Dann nahm er Dad auf eine Ferienreise mit. Die Lehrerin war da schon von der Bildfläche verschwunden, und Keith organisierte die Reise zu einer Villa an der Algarve mit ein paar jungen Frauen im Schlepptau. Dad musste keinen müden Penny dafür zahlen. Er war völlig naiv. ‹Siehst du denn nicht, was du dir damit einbrockst?›, fragte ich. ‹Was meinst du, will er wohl im Gegenzug dafür haben?› Aber er wollte es nicht wahrhaben. Sie waren doch nur Freunde. So was tun Freunde nun mal. Sie teilen ihr Glück miteinander.»
«Und was wollte Mantel im Gegenzug haben?», fragte Vera.
«Beim ersten Mal bin ich mir nicht ganz sicher. Die Einzelheiten habe ich nie erfahren. Ich weiß nur, dass bald danach ein Bauvorhaben von Mantel durch den Ausschuss gewinkt wurde. Da ging’s um Wohnungen für Senioren, glaube ich. Betreutes Wohnen. Die Eröffnung wurde groß gefeiert, und Dad schleppte mich dahin mit. Mir war schleierhaft, wie er das mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Vielleicht hätten sie das Vorhaben ja ohnehin genehmigt. Aber danach wurde es immer schwieriger, sich Mantel zu widersetzen. Der große Knall kam dann mit dem Plan für den Bau eines neuen Freizeitzentrums. Mantel reichte das günstigste Angebot ein, aber seine Entwürfe waren nicht so gut wie die des mitbietenden Unternehmens. Nach dem Treffen des Ausschusses rief mein Vater ihn an, um ihm zu sagen, dass sein Entwurf nicht ausgewählt worden sei. Ich war gerade im Zimmer, als sie telefonierten. ‹Mach dir nichts draus, alter Junge. Mal gewinnt man, mal verliert man. Vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal.› Er glaubte wirklich, dass Mantel ein paar Bierchen trinken und das Ganze als Erfahrung verbuchen würde.»
«Aber das tat er nicht.»
«An jenem Abend kam er zu uns nach Hause. In der einen Hand eine Flasche Whisky, in der anderen einen großen braunen Umschlag. Ich versuchte, dabeizubleiben, aber Mantel schickte mich weg. Ich war dann ein paar Stunden unterwegs, und als ich wiederkam, ging er gerade. Mein Vater saß auf dem Fußboden. Das hatte ich vorher noch nie gesehen. Die Männer seiner Generation saßen nicht auf dem Fußboden. Um ihn herum auf dem Teppich lagen überall Fotos von dem Ausflug nach Portugal. Dad im Liegestuhl, auf ihm rekelt sich eine halbnackte Blondine. Dad, der neben Mantel im Restaurant sitzt und über einen seiner Witze lacht. Er saß auf dem Fußboden und weinte.»
«Mantel hatte gedroht, an die Öffentlichkeit zu gehen?»
«Er sagte, er würde den Zeitungen eine Geschichte zuspielen, nach der er Dad bestochen hatte, um die Genehmigung für das Projekt mit dem betreuten Wohnen zu bekommen. Er würde schon wieder auf die Beine kommen, meinte er. Dad jedoch nicht. Stellen Sie sich mal die Schlagzeilen vor: Große Feriensause für Gemeinderat der Sozialisten. Sex und Sangria inklusive. Natürlich war da etwas Wahres dran. Mein Vater hatte sich beeinflussen lassen. Er war ein Narr gewesen.
Er machte sich nicht nur Sorgen, was seine Parteifreunde denken würden. Es ging ihm um die Leute, mit denen er im Club was trank, und um die Familie. Die ganzen Tanten und Vettern, die ihm während der Scheidung den Rücken gestärkt hatten.»
James schwieg. Die Neonröhre flackerte erneut und wurde schwächer. Ashworth stellte sich auf seinen Stuhl und schlug gegen die Plastikverkleidung. Das Licht wurde wieder heller. James fuhr fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
«Er war auf seine eigene Propaganda hereingefallen. Marty Shaw, der Anwalt der kleinen Leute. Daran hatte er geglaubt. Den echten Marty Shaw mochte er nicht leiden … Ich habe ihm gesagt, dass er von seinem Amt zurücktreten könne. Sich eine Weile im Hintergrund halten. Die Leute würden es vergessen. ‹Die Leute vielleicht›, sagte er. ‹Ich nicht. Und du auch nicht.› Darauf konnte ich nichts erwidern. Er hatte eine Menge getrunken, und ich half ihm ins Bett.
Als ich aufwachte, war er verschwunden und sein Auto auch. Ich dachte, er hätte sich bloß für ein paar Tage davongemacht. Das hätte ihm ähnlich gesehen, einfach wegzulaufen. Ich stellte mir vor, dass er sich mit einem alten Freund aus Fischereitagen irgendwo verkrochen hatte, sich selbst bemitleidete und seine Sorgen ertränkte. Ich machte weiter wie sonst auch, hielt den Kiosk am Laufen und entschuldigte ihn bei den Kunden.»
«Aber er war nicht einfach weggelaufen.»
«Nicht auf die Art. Drei Tage später wurde sein Wagen verlassen aufgefunden.»
«Wo?»
«In Elvet. Auf dem Parkplatz unten am Fluss.»
Wo Vera am Tag zuvor mit Michael Long gewesen war. Gleich bei der Telefonzelle, von der aus Christopher Winter versucht hatte zu telefonieren.
«Aber er saß nicht drin?»
«Er hatte einen Zettel hinterlassen. Wenigstens die Mühe hat er sich noch gemacht. Alles Gute für mich. Ich möge ihm ein freundliches Andenken bewahren …» James atmete tief ein. «Er muss gewartet haben, bis die Flut am höchsten stand. Er ist einfach in den Fluss rausgegangen. Schwimmen hat er nie gelernt. Er ging, bis ihn die Strömung packte, ihm die Füße wegriss und ihn in die Tiefe zog. Das Ufer ist dort ziemlich uneben, Schlick und Kies und Geröll. Vielleicht ist er auch gestolpert. Manchmal frage ich mich, ob er im letzten Moment wohl dagegen angekämpft hat. Ob er versucht hat, die Luft anzuhalten, als er unterging … Ein paar Wochen später wurde seine Leiche angespült. Das war schon gar keine Leiche mehr. Sie haben ihn anhand der zahnärztlichen Aufzeichnungen identifiziert. Wenn ich spätnachts am Hafen arbeite, glaube ich noch manchmal, ihn zu sehen.»
«Und daraufhin haben Sie dann Ihren Namen geändert?», fragte Vera. «Nach dem Selbstmord?»
«Ja.»
«Eine ziemlich heftige Entscheidung.»
«Das verstehen Sie nicht. Es war ja nicht nur der Name. Ich wollte nicht mehr Marty Shaws Sohn sein, den man mit Bestechung und Schmiergeldern in Verbindung brachte. Ich wollte den Kiosk der Familie nicht weiterführen und auch nichts von Mitleid hören oder von dem Geschwätz der Kunden und der Familie. Ich wollte neu anfangen.»
«Trotzdem …»
«Schauen Sie, ich war jung. In dem Alter übertreibt man eben. Ich fand es schrecklich blamabel. Die Fotos. Mantel … Es war alles so schmutzig, so geschmacklos. Solche Geschichten hatte ich jeden Sonntag an die Idioten verkauft, die danach lechzten, und jetzt wurde ich selbstgerecht. Wenn mein Vater in einen anständigen Betrug verwickelt gewesen wäre, Insiderhandel oder so was, wäre es mir vermutlich leichter gefallen. Emma nennt mich manchmal einen Snob. Vielleicht hat sie ja recht.»
«Dann sind Sie also auch weggelaufen.»
«Wenn Sie so wollen, ja. Aber es war mehr als das. Ich fühlte mich wie ein ganz anderer Mensch, ich konnte von vorn anfangen und der Mensch sein, der ich wirklich sein sollte.»
«Sie sind zur See gegangen. War das der Einfluss Ihres Vaters?»
«Die ganzen Geschichten, die er mir erzählt hat, als ich klein war? Kann sein.»
«Warum sind Sie nach Elvet gezogen?»
«Emma ist von hier.»
«Wussten Sie, dass Keith Mantel im Dorf wohnt?»
«Als seine Tochter ums Leben kam, hat das viel Aufsehen erregt. Die Geschichte hat mir die Entscheidung, hierherzuziehen, leichter gemacht. Ich glaube nicht, dass ich sonst riskiert hätte, ihm über den Weg zu laufen. So aber wusste ich, dass er auch jemanden verloren hatte, der ihm sehr nahestand. Es war schwieriger geworden, ihn zu hassen.»
«Hatten Sie Rachegefühle?»
«Es tat mir nicht leid, dass sie tot war», sagte er schroff. «Aber ich hätte sie nicht umgebracht.»
«Ach nein?»
«Abgesehen davon», fuhr er fort, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, «führte ich damals schon ein neues Leben. Ich glaubte selbst daran, James Bennett zu sein, nicht Jimmy Shaw. Er durfte keinen Einfluss mehr auf mein Leben haben. Und ich habe auch nicht geglaubt, dass unsere Wege sich oft kreuzen würden.»
«Dann sind Sie also wegen Ihres Vaters nach Elvet gezogen? Um ihm ein freundliches Andenken zu bewahren.»
«Nein!», sagte er und klang auf einmal ärgerlich. «Ich bin hierhergezogen, weil ich ein Haus gefunden habe, das mir gefällt, und um in der Nähe der Familie meiner Frau zu sein. Einen anderen Grund gibt es nicht.»
Vera ließ es dabei bewenden. Er war ein guter Erzähler. Glaubhaft. Vielleicht war seine Geschichte sogar wahr. Sie organisierte einen Wagen, der ihn nach Hause bringen sollte. Dann begleitete sie ihn nach draußen.
«Warum haben Sie Emma das nicht erzählt? Glauben Sie nicht, dass sie ein Recht hat, es zu wissen?»
«Sie hat sich in James Bennett verliebt, und den hat sie auch geheiratet. Was hat sie mit diesem Fremden zu tun?»
«Sie sollten es ihr erzählen», sagte Vera. «Sie wollen sich doch nicht in eine Lage bringen, in der Keith Mantel Sie in der Hand hat.»
Vera hatte den Eindruck, dass James ihr zuhörte und ernsthaft über ihre Worte nachdachte, doch er gab keine Antwort.