NEUNTES KAPITEL

Sie saßen vor einem Bauplan, Svenja, Dehner und der Israeli Moshe Jugo.

»Haben wir irgendeine Möglichkeit rauszukriegen, wie es gehen könnte?«, fragte Dehner. »Gibt es Sichtmöglichkeiten in das Gebäude hinein?«

»Da haben wir nichts zu bieten«, antwortete der Israeli. »Es gibt zwei quer liegende Fensterleisten in der Höhe von etwa zwei Metern. Das sollte früher vor neugierigen Blicken schützen. Ich würde aber nicht zu einer Leiter raten, das hat was Selbstmörderisches. Und wir wissen nicht, ob sie schusssicheres Glas eingebaut haben. Sie waren in Sicherheitsfragen immer schon verrückt und haben das Gebäude praktisch ohne Fenster gebaut.«

»Wir haben ziemlich schlechte Karten«, bemerkte Svenja. »Wir haben die Nummer von Onkel Tobruks Handy nicht und keine Möglichkeit, einen der Bodyguards zu erreichen. Nach dem, was ich im Keller der Villa gesehen habe, ist Müller verletzt. Wir wissen nicht einmal, ob er gehen kann.«

»Du klingst erstaunlich sachlich«, sagte Dehner wütend.

»Das muss ich auch, verdammt noch mal«, fauchte Svenja. »Glaubst du denn, ich wäre hier, wenn ich ausgerastet wäre?«

»Prügelt euch anschließend, wenn diese Sache hier erledigt ist«, riet der Mann aus Israel lächelnd.

»Ich entschuldige mich«, sagte Dehner etwas gequält. »Also, das Gebäude B1 hat einen großen Raum zum Flughafen, zum Vorfeld hin. Da gibt es auch eine Tür, durch die die Passagiere die Lounge zur Maschine hin verlassen. Das Gepäck wird über eine etwas breitere Tür auf der Westseite in die Maschine gebracht. Dann gibt es zwei weitere Räume im Obergeschoss, von denen dieser Galina behauptet hat, sie seien nur für die Servicekräfte gedacht und dafür, die Speisen anzurichten. Wir können also das Obergeschoss vergessen. Wie sehen die Keller aus?« Dehner wendete den Bauplan. »Also hier, das ist der Keller. Galina sagte, da sei nur Stauraum für die Dinge, die man zur Bewirtung der Gäste braucht. Und auch Stauraum für ihr Gepäck. Ein Raum ist voller Eisschränke, Kühltruhen und so was. Ferner ein Aufenthaltsraum für die Bedienungen. Die Lounge soll für etwa dreißig Gäste ausgelegt sein. Sie befinden sich also voraussichtlich alle in diesem einen Raum.«

»Einen Zugang zum Gebäude haben wir nicht. Der Eingang ist abgeschlossen, die beiden anderen Türen ebenfalls. Normale Sicherheitsschlösser. Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir die Schlösser knacken, da braucht nur jemand Wache zu stehen, schon haben sie uns. Was machen wir also?« Der Israeli fuhr mit dem rechten Zeigefinger über seinen Nasenrücken und fuhr fort: »Wir haben keine gute Ausgangssituation. Und wir können nicht warten, bis sie zur Maschine gehen.«

»Nicht so schnell«, wandte Dehner ein. »So, wie ich meine Vorgesetzten kenne, werden die schon länger über das Problem nachgedacht haben, und wahrscheinlich kommen sie in der Nacht mit einem Vorschlag. Oder wir werden zurückgepfiffen, die Maschine hebt ab, und wir können nach Hause gehen.«

»Was ist mit Kellerschächten?«, fragte Svenja.

»Da haben wir zwei«, sagte Dehner. »Beide auf der Seite zu diesem Hauptgebäude hin. Die Frage ist nur, ob ein Einstieg sinnvoll ist. Wir kennen die Situation im Inneren des Gebäudes nicht, wir können also nicht damit rechnen, dass die Türen offen stehen. Ich denke eher, sie werden verschlossen sein, weil Onkel Tobruk kein Risiko eingehen wird. Galina hat zugegeben, dass er alle Schlüssel zu dem Komplex B1 rausgerückt hat.«

Sie saßen um den Schreibtisch herum, an dem vorher Galina gesessen hatte. Galina selbst hatten sie, mit Stricken gefesselt, auf seinen Schlafplatz im Raum nebenan verbannt. Hatten ihm eine Unmenge Schokoriegel aus seinem eigenen Vorrat überlassen und ihn mit wüsten Drohungen eingeschüchtert. Er hatte versprochen, still zu sein, nicht zu schreien und sich leise bemerkbar zu machen, falls so etwas wie Verdauung in jeglicher Form drohte. Damit sie nicht von ihm gestört wurden, hatten sie den Taxifahrer Ali auf einem Stuhl vor ihrem Gefangenen platziert und ihn gebeten, Galina im Auge zu behalten.

»Vielleicht sollten wir etwas mit den Kellerschächten versuchen«, sagte Svenja.

Dehner griff zu seinem Handy und sagte: »Ja?« Dann stand er auf und ging hinaus auf den Korridor.

»Wir wissen inzwischen«, sagte Sowinski hastig, »dass Tobruk seiner Leibgarde viel Geld schuldet. Er hat kaum Möglichkeiten, an Bargeld zu kommen. Die meisten Konten seiner Familie sind eingefroren, sowohl in Europa wie in den Staaten. Er hat seiner Leibgarde versprochen, sie in Beirut zu bezahlen, es geht um knapp hunderttausend Dollar. Die Zahlung wird bezweifelt, weil er dort keine Bankverbindung hat. Sein Vater ist ihm in Tripolis abhandengekommen, und er will ihn wiederhaben. Angeblich war der Alte mit brisanten Unterlagen unterwegs. Das sollten wir sehr ernst nehmen, denn Onkel Tobruk ist ein Familientier. Wie ist die Situation bei dir?«

Dehner beschrieb sie schnell, dann sagte er: »Wir können hier nur wenig tun, sitzen im Airport herum und fragen uns, wie wir an Tobruk herankommen. Wir haben gleich Mitternacht, wegen der NATO-Jets ruht der zivile Flugverkehr. Wir denken, dass sie Sirte bombardieren, um Gaddafi weichzuklopfen. Militärisch ist hier nichts los. Die zivile Fliegerei ist erst ab drei Uhr morgens wieder möglich. Wird der Flieger für Tobruk kommen?«

»Wir denken ja, aber wir sehen große Risiken, weil alle Beteiligten mehr als nervös sind. Ruf mich an, wenn es irgendetwas Neues gibt. Wir denken, dass Onkel Tobruk wahrscheinlich zwischen alle Fronten gerät und nervös wird. Das macht die Situation für Müller verdammt heikel. Und jetzt gebe ich dir eine Nummer, mit der du einen der Bodyguards erreichen kannst. Aber sei vorsichtig, du weißt nicht, ob der Mann sprechen kann.« Er diktierte die Nummer.

»Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt«, versprach Dehner. Dann ging er zurück zu Svenja und dem Israeli.

»Die Situation spitzt sich zu«, erklärte er. »Tobruk sucht seinen Vater, der ihm irgendwie abhandengekommen ist. Er schuldet seinen Bodyguards einen Haufen Geld und behauptet, dass er ihnen das in Beirut geben kann. Daran wird gezweifelt.«

»Sein Vater ist tot«, sagte Svenja in die Stille. »Er wollte Ali erschießen, da habe ich eine Pirouette gedreht und ihn am Kopf erwischt. Das war in der Villa, in der Tobruk und seine Leute sich versteckt hielten und auf die Möglichkeit warteten, hierher auf den Airport zu kommen.«

»Klasse!«, sagte Dehner. »Genau das hat uns noch gefehlt.«

»Es war unvermeidlich. Das diskutiere ich nicht mit dir, das regele ich mit meinen Vorgesetzten.«

»Angeblich hatte der Alte brisante Unterlagen bei sich.« Dehner starrte Svenja an, als sei sie seine Feindin, und hatte Mühe, sich zu beherrschen.

»Das ist richtig«, bestätigte Svenja ruhig. »Er hatte wichtige Unterlagen über die Vernehmungen der Terrorverdächtigen aus den Staaten, die sein Sohn hier in Tripolis durchgezogen hat. Ich habe sie mitgebracht, sie sind im Taxi des Jungen.«

»Lieber Himmel!«, sagte der Israeli und lächelte. »Könnte ich vielleicht eine Kopie davon haben?«

»Die hast du wirklich?« Dehner starrte Svenja aus schmalen Augen an.

»Wenn du willst, kannst du sie holen. Der Junge nebenan hat den Wagenschlüssel.«

»Da gehe ich doch gleich mal los«, sagte Dehner.

Es war deutlich, dass in ihm zwei Gefühle miteinander kämpften. Da war Svenja, die einfach alle Regeln missachtet hatte, um nach Tripolis zu kommen und sich ihren Müller zu holen. Und da war die andere Svenja, die ganz nebenbei wichtige Unterlagen eingesammelt hatte, aber bei der Gelegenheit auch den Vater dieses Tobruk getötet hatte. Dehner fand die Frau faszinierend, obwohl er wusste, dass sie auch schrecklich unberechenbar war. Unberechenbarkeit war für Dehner allerdings etwas, das er gar nicht leiden konnte.

Er stand auf, und der Israeli sagte hastig: »Ich gehe mit dir, wir sollten jedes Risiko vermeiden. Schließlich wissen wir nicht, was draußen los ist.«

»Lass nur, das mache ich«, sagte Svenja. »Ich hole den Autoschlüssel von Ali.« Damit stand sie auf und ging hinaus.

Als sie zurückkam, ging Dehner mit ihr in den Flur hinaus. Sie zogen beide ihre Waffe und entsicherten sie.

Das Gebäude war taghell erleuchtet, aber menschenleer und gespenstisch still. In einer weit entfernten Ecke waren zwei Putzfrauen an der Arbeit und schoben schweigend Scheuerlappen vor sich her. Die beiden Schnellfeuerkanonen waren abgezogen worden. Das Summen der Klimaanlage war das einzige Geräusch, das sie hören konnten.

Als sie durch die Haupttür gingen, sagte Svenja: »Du rechts, ich links, absichern!«

Sie starrten auf den großen Flughafenplatz und tauchten im Halbdunkel unter. Die Lichter der Stadt erleuchteten einen grauen, wolkenbedeckten Himmel. An den Schildern mit der Bezeichnung TAXI war kein Fahrzeug zu sehen, auf dem großen Parkplatz standen nur vier Autos weit entfernt.

»Okay auf meiner Seite«, sagte Dehner.

»Okay hier«, sagte Svenja. »Es ist das Auto, das rechts außen steht.«

»Ich will nur etwas klarstellen, damit wir beide keine Schwierigkeiten miteinander haben«, sagte sie, als sie wieder zusammentrafen. »Es ist richtig, dass ich gegen jede Regel hierhergekommen bin, um Müller herauszuholen. Es ist aber auch richtig, dass ich das jeden Tag noch einmal durchziehen würde, wenn es nötig wäre. Ich liebe diesen Mann, verstehst du das? Natürlich verstehst du das. Und kein Befehl, auch nicht der von Krause, wird mich daran hindern, so lange hier auszuhalten, bis wir Müller wiederhaben. Das verstehst du auch, wie ich annehme. Ich möchte aber niemals, dass du deswegen in Gefahr gerätst, und ich würde alles tun, um dich herauszuhauen, wenn du in Schwierigkeiten bist. Das würde Müller auch tun, das weißt du. Also lass uns bitte friedlich miteinander umgehen.«

Svenja war stehen geblieben und hatte sich dicht vor ihm aufgebaut. Sie schaute ihm in die Augen, während sie sprach.

»Krause hat gesagt, du sollst heimkommen, sofort!«, sagte er und sah an ihr vorbei in die Nacht. »Und irgendwie ist das verständlich, denke ich. Aber du bist ziemlich raffiniert, du hebelst das einfach mit einem Hinweis auf die Liebe aus.« Dann kicherte er plötzlich leise. »Wenn jemand uns hier beobachtet, wird er denken, er hat es mit zwei Irren zu tun, die sich gemütlich mit gezogenen und entsicherten Waffen unterhalten. Lass uns deine Beute holen. Und wenn ich tatsächlich mal in Schwierigkeiten gerate, möchte ich, dass du mich da rausholst.«

»So machen wir es«, sagte sie nur.

Sie schloss den Toyota auf, nahm den schweren Pilotenkoffer heraus und reichte ihn an Dehner weiter. »Da sind auch sämtliche Disketten aus den Rechnern von Onkel Tobruk drin. Ich dachte mir, die sollte man sich mal ansehen. Goldhändchen wird begeistert sein. Und die Waffe von dem Alten ist auch drin.«

»Was macht dich eigentlich so sicher, dass Müller tatsächlich in dem Versteck in Tobruks Villa war?«

»Er hat mir seine Armbanduhr dagelassen«, erklärte sie. »Seine Breitling.«

»So etwas besitzt der? Mein lieber Mann!«

Müller saß in einem breiten, bequemen Ledersessel. Sie hatten ihm einen zweiten Sessel dagegengestellt, auf dem sein linkes Bein lag. Die Schmerzen pulsierten heftig bis in die Hüfte hoch.

»Cooper, was ist? Kann ich dich überreden, in die Villa zu gehen und nach meinem Vater zu suchen?«, fragte Tobruk, der an der Rückwand des Raumes auf einem hohen Hocker saß und einen Tomatensaft trank.

»Das mache ich nicht, Sir«, antwortete Cooper, ein dünner, blonder Texaner, trocken. »Um Ihren Vater müssen Sie sich schon selbst kümmern, Sir. Das ist nicht mein Arbeitsbereich.«

Zwei der Männer links von Müller lachten ungeniert über Coopers Antwort und fummelten an den Maschinenpistolen herum, die sie auf den Knien liegen hatten.

»Red, was ist mit dir?«, fragte Onkel Tobruk.

»Cooper hat recht, Sir.« Red war ein schmaler, rothaariger Mann mit einem verschlagenen Gesicht, das vollkommen von Sommersprossen bedeckt war. »Ihr Vater wollte nachkommen, Sir, jetzt ist er weg. Das ist Sache Ihres Vaters, nicht wahr? Vielleicht will er auch gar nicht mitkommen nach Beirut. Das weiß ich nicht. Und außerdem ist es besser, wenn wir alle zusammenbleiben, nicht wahr, Sir?«

Die Stimmung war schlecht, voller Misstrauen.

Sie hatten Müller einfache beigefarbene Hosen angezogen, die ihm viel zu kurz waren. Dazu weiße Socken mit einem Paar einfacher Sportschuhe. Darüber ein T-Shirt, weiß mit rotem NIKE-Zeichen. Er fühlte sich unwohl in seiner Rolle als Garantiekarte für Onkel Tobruk. Er konnte einfach nichts unternehmen, er wusste nicht einmal, ob das linke Bein sein Gewicht tragen würde. Wahrscheinlich nicht.

»Wenn Sie mir jetzt fünftausend Dollar geben, Sir, nehme ich ein Taxi und schaue nach, was Ihr Vater macht. Vielleicht sehe ich ihn, vielleicht kann ich ihn überreden hierherzukommen.« Der Mann, der das sagte, wollte nicht ernst genommen werden, sein schiefer Mund verriet reinen Hohn.

»Mein Geld ist in Beirut, das wisst ihr doch«, antwortete Onkel Tobruk. »Ihr könnt mir vertrauen, Leute, ihr kriegt euer Geld, alles, Mann für Mann. Ich habe immer für euch gesorgt.«

Müller war unsicher. Er wusste, dass zwei Leute unter den Amerikanern waren, die notfalls auf seiner Seite standen. Das war zum einen ein Farbiger, der erwähnt hatte, er sei aus Milwaukee, und zum anderen ein muskulöser Schwarzhaariger, ein stämmig gebauter Mann mit katzenartigen Bewegungen. Müller hatte sie angesehen und bemerkt, dass sie so etwas wie Verständnis für seine Lage signalisierten. Sie hatten alle begriffen, dass er eine Geisel war, aber sie hatten sich herausgehalten. Sie wollten ihr Geld, sonst nichts.

»Gibt es vielleicht eine Hausapotheke mit Aspirin oder so was Ähnlichem?«, fragte Müller.

»Ich glaube nicht«, sagte Onkel Tobruk und trank einen Schluck von seinem Tomatensaft.

»Ihr Vater war wesentlich höflicher«, stellte Müller fest.

»Er hat seinem Sohn nicht alles beigebracht«, sagte Onkel Tobruk und lachte breit, als habe er einen guten Witz gemacht.

»Sie sind ein verdammtes Arschloch!«, sagte Müller heftig. »Ich weiß, dass Sie einer Frau die Schultergelenke ausgehebelt haben und sie dann einfach sterben ließen.«

»Das stimmt nicht«, sagte der General scharf.

»Es ist aber bei uns dokumentiert«, widersprach Müller. »Wahrscheinlich auch bei der CIA, wenn mich nicht alles täuscht.«

Onkel Tobruk ließ sich von seinem Hocker gleiten und ging gemächlich an all den Ledersesseln vorbei, auf denen seine Leibgarde saß. Er lächelte sie alle an. Er war ein großer, stolzer, etwas untersetzter Mann mit dunklen Augen und einem dichten schwarzen Schnurrbart, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Saddam Hussein hatte.

»Wir sind bald unterwegs, Leute, wir sind bald in Beirut, und dann können wir die Freuden des Lebens genießen.«

Er kam an Müllers linker Seite vorbei, neigte sich leicht über ihn, sein Gesicht verzog sich zu scharfen Linien, und er schlug mit der rechten Handkante hart auf Müllers linken Oberschenkel.

Müller schrie auf, schnappte verzweifelt nach Luft und wurde augenblicklich ohnmächtig.

»Das war nicht fair«, sagte der Mann, der Red hieß, vorwurfsvoll in die Stille. »Er kann sich doch nicht wehren, der ist doch hilflos, der war schon verwundet. Was machen Sie denn da, Sir?«

»Er sagt Dinge, die nicht stimmen«, behauptete Onkel Tobruk wütend.

»Aber einen Hilflosen schlägt man nicht, Sir.«

Müller kam langsam zu sich, starrte mit verkrampftem Gesicht auf seinen linken Oberschenkel und sah zu, wie die aufgerissene Wunde die Hose durchblutete.

Krause fasste seinen Entschluss um zwei Uhr dreißig.

Er sagte: »Tobruk will einen Flieger. Dann geben wir ihm doch einen Flieger.«

»Was soll das denn jetzt?«, fragte Sowinski leicht empört. »Wir haben noch immer keine Landeerlaubnis für Beirut, wir haben eigentlich überhaupt nichts, wenn wir ehrlich sind.«

»Hoheit hat entschieden«, antwortete Esser.

»Wir brauchen jetzt den Operationschef des Flughafens Tripolis.«

Sowinski begann zu lachen und sagte schließlich: »Ich ahne Böses!«

»Treibt den Mann auf«, sagte Krause, »und zwar schnell! Dann sprechen wir mit Dehner, danach mit diesem Mann von den Bodyguards, dessen Handynummer mir Gregor gegeben hat.«

Innerhalb von zwanzig Minuten gelang es Goldhändchen, die Nummer des Chief of Operations vom Flughafen Tripolis aufzutreiben. Er hieß Adari, und er war ein freundlicher, zuvorkommender Mann, der im ersten Stock des Towers eine kleine Wohnung hatte.

»Sie haben ein Problem auf Ihrem Airport, von dem Sie nichts wissen, Mister Adari«, murmelte Krause mit einer Stimme wie auf einem Cocktailempfang. »In Ihrer privaten Lounge für die Mächtigen dieser Erde sitzt der Mann, der auch unter dem Namen Onkel Tobruk bekannt ist, und er wartet darauf, nach Beirut ausgeflogen zu werden. Er hat eine achtköpfige Gruppe von US-Amerikanern bei sich. Und er hat einen Agenten, der verwundet ist und als Geisel benutzt wird. Das ist mein Agent, und ich möchte ihn unter keinen Umständen verlieren. Ich werde mit dieser Geisel erpresst, und darüber bin ich ziemlich wütend.«

Adari antwortete nicht sofort. Er überlegte kurz und sagte dann hastig: »Das halte ich für ausgeschlossen.«

»Es ist aber wahr«, sagte Krause sehr ruhig. »Können Sie das überprüfen?«

»Wir haben eine Kameraleitung, die aber nicht eingeschaltet ist. Sie wurde zur Absicherung der Staatsgäste gelegt. Ich überprüfe das, Sir. Bleiben Sie bitte in der Leitung.«

»Ich danke Ihnen.«

Nach zwei Minuten kam Adari zurück: »Sie haben recht, ich zähle insgesamt zehn Männer. Ich hatte wirklich keine Ahnung davon.«

»Das will ich Ihnen gerne glauben, Mister Adari. Ich könnte jetzt die zivile Leitung und Verwaltung der Rebellen informieren, und Sie hätten in etwa einer halben Stunde ein Massaker. Wahrscheinlich würden alle zehn Männer getötet, also auch mein Mann. Das sollten wir mit allen Mitteln verhindern.«

Adari schwieg wieder einen Moment und sagte dann: »Sie haben absolut recht. Und wie können wir das vermeiden?«

»Das ist ziemlich einfach«, erklärte Krause. »Wenn Sie mir zuhören, hätte ich einen Vorschlag.«

»Aber wie konnte das überhaupt passieren?«

»Der Vertreter der Rebellen auf dem Flugplatz, ein gewisser Mister Galina, hat sich bestechen lassen.«

»Ich kenne Galina«, sagte Adari. »Ich mag ihn nicht.«

»Da haben wir schon etwas gemeinsam«, sagte Krause. »Haben Sie technisches Personal vor Ort?«

»Das habe ich, Sir. Die komplette Frühschicht. Kann ich Ihren Namen und den Namen der Organisation haben, die Sie vertreten?«

»Selbstverständlich«, sagte Krause und diktierte Adari, was er wissen musste. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich zwei Leute in Ihrem Airport habe. Das sind mein Agent Thomas Dehner, der sich ausweisen kann, und der Agent des israelischen Mossad namens Moshe Jugo, der sich ebenfalls durch internationale diplomatische Papiere ausweisen kann. Ich bitte Sie, diesen Leuten schwere Drahtzangen zu bringen.«

»Wieso denn Drahtzangen, Sir, das ist wirklich etwas ungewöhnlich.«

»Ich erkläre es Ihnen gerne«, sagte Krause geduldig.

In Tripolis war es um diese Zeit 3.50 Uhr. Der Himmel war von den Stäben der NATO für den zivilen Flugbetrieb freigegeben worden. Alle Luftangriffe der NATO hatten Zielen in Sirte gegolten, weil dort Gaddafi vermutet wurde. Es war seine Geburtsstadt.

Dehner hielt sich zusammen mit Svenja und Moshe Jugo noch immer in Galinas Büro auf. Sie waren müde, das Warten zerrte an ihren Nerven.

Dann rief Esser auf Dehners Handy an.

»Hör zu, wir planen so etwas wie eine abgestimmte Aktion, und damit keine Ungereimtheiten auftreten, legen wir jetzt den Beginn der Aktion für dich auf 4.30 Uhr Ortszeit fest. Du musst zu diesem Zeitpunkt an Ort und Stelle sein. Wir haben entschieden, das Ganze in einer vom Gebäude B1 ausgehenden V-Form zu erledigen, das heißt auf gut Deutsch, du und Moshe Jugo bringt euch links und rechts vor dem Gebäude in Stellung. Ihr agiert also schräg nach vorn, damit kein Fehler passiert und womöglich einer den anderen erledigt. Jeder von euch bekommt eine schwere Drahtzange, die werden euch gleich gebracht. Nach Beendigung des Einsatzes verlässt du sofort und ohne jede Diskussion den Airport. Für Tobruks Leibgarde steht ein Kleinbus bereit, für euch ebenfalls, weil wir nicht wissen, ob Müller überhaupt gehen kann. Auf ihn wartet ein Ärzteteam in einer städtischen Klinik. In deinem Hotel werdet sowohl ihr wie die Gruppe der Bodyguards untergebracht. Und dann kannst du erst einmal ausschlafen.«

»Ja«, sagte Dehner kühl, »alles verstanden. Aber Ausschlafen ist nicht, ich frühstücke um zehn Uhr mit Atze. Ich freue mich schon drauf.«

»Also, dann nach dem Frühstück. Alles Weitere sehen wir später. Und halte um Gottes willen Frau Takamoto da heraus.«

»Sie wird nur beobachten«, sagte Dehner. »Das können wir ihr nicht verwehren. Over.«

»Jetzt will ich Gregor«, verlangte Krause von Goldhändchen.

»Sofort«, bestätigte der. »Ich sage, wenn er drauf ist.«

Nach zwei Minuten meldete er sich: »Sprechen!«

»Hör zu, noch einmal der aus Deutschland. Reicht das, wenn ich mich für die ausstehende Honorarzahlung der Gruppe verbürge?«

»Das reicht«, sagte Gregor. »Aber das kann ich auch.«

»Das wäre noch besser. Rufst du diesen Bodyguard in der Lounge an?«

»Ja. Wann?«

»Jetzt«, bestimmte Krause. »Und sag ihnen bitte, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

»Okay, mein Alter.«

»Und jetzt den Tobruk«, verlangte Krause.

»Ja, bitte?«, sagte Onkel Tobruk.

»Hören Sie«, sagte Krause. »Sie bekommen gleich eine Maschine vor das Haus gestellt. Sie ist startbereit, die Motoren laufen. Die Kennung der Maschine ist LIBNY 256. Sie fliegen nach Beirut, verlassen dort die Maschine auf dem Runway 25. Sie sind dann vierhundert Meter von der ersten Halle entfernt. Wenn Sie die Halle zu Fuß erreicht haben, folgen Ihnen Ihre Bodyguards, nicht eher. Das ist die Bedingung der Leute in Beirut. Und niemand, ich wiederhole niemand soll eine Waffe schussbereit tragen. Die wollen nur die Taschen und Rollkoffer sehen. Mein Mann bleibt in der Maschine zurück. Und keine Tricks, sonst sind Sie ein toter Mann. Ist das klar? Und ich hoffe, nie mehr etwas von Ihnen zu hören.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Onkel Tobruk.

»Sie können mich mal, Sie Arsch«, sagte Krause und unterbrach die Verbindung.

Zu diesem Zeitpunkt schnitten Dehner und der Israeli mit schweren Seitenschneidern rechts und links vom Gebäude B1 den dicken Maschendraht des Zauns durch. Sie machten großzügige Löcher, durch die ein Mann mühelos laufen konnte, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren.

Dann bekam der Bodyguard, der ehemalige Marine Gordon Blossom, einen Anruf auf seinem Handy.

Er wandte sich von seinen Kameraden ab und sagte leise: »Ja, bitte?«

»Hier ist die CIA«, sagte Gregor. »Ich weiß, dass Sie in der privaten Lounge des Flughafens in Tripolis sitzen. Ich weiß auch, wer Ihre Kameraden sind. Es ist mir bekannt, dass Sie seit zwei Jahren für den General Mashi, genannt Onkel Tobruk, arbeiten. Er ist ebenfalls in dieser Lounge. Es ist mir bekannt, dass Sie aus Illinois stammen und dass Ihre Eltern eine große Landwirtschaft betreiben. Ich weiß auch, dass Sie unter Colonel Hawkins in Südkorea gedient haben. Die CIA garantiert das Ihnen und Ihren Kameraden zustehende Honorar von sechsundneunzigtausend Dollar. Ich rate Ihnen dringend, sofort aus diesem Job auszusteigen. Ich weiß auch, dass Ihre Gruppe eine Geisel hat. Dem Mann darf unter keinen Umständen etwas passieren. Er ist ein Freund. Reicht das?«

»Ja, Sir«, sagte Blossom leise.

»Dann befehle ich Ihnen und Ihren Männern, sofort den Boden zu küssen, sobald etwas geschieht. Gehen Sie in einem Abstand von fünf Metern. Sie selbst sollten die Geisel tragen, und zwar über der Schulter. Und Sie sollen auf der Position sechs gehen. Mister Tobruk sollte als Vierter das Gebäude verlassen und auf das Flugzeug zugehen. Ist da etwas, das Sie noch nicht verstehen?«

»Nein, Sir, alles klar.«

»Dann freue ich mich, wenn Sie mich bei Gelegenheit hier in Virginia besuchen. Mein Name ist Gregor. Ich wünsche euch allen viel Glück.«

»Ja, Sir.«

Blossom lehnte sich tief in seinen Sitz zurück und gab die Nachricht weiter.

Und weil die Männer allesamt Soldaten gewesen waren, gab es keinerlei Missverständnis, alles war glasklar.

Dehner bekam einen Anruf von Esser: »Pass auf, mein Junge. Tobruk geht an der Position vier. Müller liegt auf der Schulter eines Mannes auf der Position sechs. Over.«

»Tobruk an Position vier, Müller auf sechs«, sagte Dehner zu Svenja. »Und tu mir den Gefallen und schieß nicht.«

»Einverstanden«, sagte Svenja.

In diesem Augenblick flammten die Lichtmasten vor dem Gebäude B1 auf. Es war ein grelles, unbarmherziges Licht, an das man sich erst einige Sekunden gewöhnen musste.

Dehner hatte eine Verbindung zu Moshe Jugo, der auf der anderen Seite des Gebäudes stand. »Position vier«, sagte Dehner. »Angriff, wenn Position eins am Einstieg in die Maschine ist. Abstand fünf Meter.«

»Okay«, sagte Jugo. »Keine Probleme hier.«

Dann hörten sie Motorengeräusch, das sehr schnell sehr laut wurde. Eine Maschine tauchte in den grellen Schein der Lichtfluter. Sie war weiß und blau lackiert, eine zweimotorige Turbopropmaschine des Herstellers Fokker, ausgelegt auf achtzehn Passagiere, Reichweite dreitausend Kilometer. Im Cockpit brannte Licht, ebenso im Passagierraum.

»Dann wollen wir mal«, sagte Onkel Tobruk mit breitem Grinsen.

»Moment, Chef«, sagte Blossom gelassen. »Das überlassen Sie wie immer mir, wenn es recht ist. Davon haben Sie keine Ahnung, das müssen wir übernehmen. Red, du legst mir den Verwundeten auf die Schulter, Sam kann dir dabei helfen. Sie gehen an Position vier, General. Libby, du bist der Erste, dann folgen Cruzer und Cooper. Dann kommt der Chef. Ich gehe auf der Sechs, und ich wünsche uns einen ruhigen Flug. Hat jeder sein Gepäck?« Das klang sehr bestimmt, und der General konnte sich wie immer darauf verlassen, dass sie ihr Bestes gaben.

Onkel Tobruk schob den Schlüssel in die Tür nach draußen und schloss auf. Ein wohltuender Schwall frischer Luft drang herein. Tobruk trat beiseite und ließ die ersten drei Männer passieren. Dann folgte er selbst.

Für Blossom war es ziemlich schwierig, denn Müller war ein durchtrainierter, eins achtzig großer Mann. Blossom keuchte verhalten, als Müller mit dem Bauch auf seine Schulter gelegt wurde.

»Tut mir leid«, flüsterte Müller.

»Lass gut sein, Bruder«, gab Blossom zurück. »Nur noch ein paar Sekunden, dann hast du es hinter dir.« Dann ging er los.

Libby war der Erste. Als er den kleinen Auftritt zur Maschine erreichte, sagte Dehner: »Start!«

Sie kamen von schräg hinten, und sie rannten, so schnell sie konnten. Tobruk wandte sich leicht nach links, begriff das Manöver aber nicht, sah nur die ungeheuer schnelle Bewegung von Dehner, der direkt auf ihn zulief und noch im Laufen schoss. Moshe Jugo sah die Amerikaner scheinbar leblos zu Boden sinken und schoss selbst, als er noch ungefähr zehn Meter von Tobruk entfernt war. Er war ein sehr sicherer Schütze.

Svenja rannte mit entsicherter Waffe neben Dehner her, und sie schrie, als sie Tobruk fallen sah. Dann war sie bei Blossom und Müller und heulte Rotz und Wasser vor Erleichterung.

»Und was ist jetzt mit der Maschine?«, fragte jemand von den Bodyguards etwas verunsichert.

»Die hat ein defektes Fahrwerk, undichte Spritleitungen und ein Höhenruder, das demnächst allein segelt«, antwortete irgendjemand aus dem Flugzeug. »Fliegen kannst du mit der wirklich nicht, es sei denn, du willst ganz schnell sterben.«