VIERTES KAPITEL

Svenja saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, vor sich den Laptop, und schrieb mit hoher Geschwindigkeit. Sie schaute dabei weder auf die Tastatur noch auf den Bildschirm, sondern starrte aus dem Fenster und versuchte, sich möglichst präzise zu erinnern und niemals zu übertreiben. Übertreibungen bei der Auswertung mochten ihre Chefs nicht.

Unter der Rubrik »Besondere Vorkommnisse« notierte sie: »Es war am dritten Tag gegen Abend, und ich befand mich in einem der alten Häuser in der Innenstadt von Damaskus (genaue Adresse im Info-Teil). Ich saß auf der nicht einsehbaren Dachterrasse des Hauses auf einem hölzernen Scherenstuhl und wartete auf meinen Begleiter. Es war das Haus eines Mannes, dessen Familie eindeutig der Opposition zuzuordnen ist. Der erwachsene Sohn des Hausbesitzers sollte mich in der Nacht in ein anderes Haus bringen und mir dort die Möglichkeit geben, mit einem hochrangigen Offizier zu sprechen, der die Situation der Streitkräfte des Landes erläutern konnte. Die Streitkräfte stehen fraglos unter starkem Stress, weil viele von ihnen die Freiheitsliebe der Menschen teilen (siehe Erläuterung in Teil IV). Die Bevölkerung erlebt ständig, dass Soldaten unter diesem hohen Druck desertieren. Dann erschien ein Mann, dessen vollständiger Name mir nicht bekannt ist, die Familie nannte ihn nur Onkel Gi. Offensichtlich gehörte er der Familie des Hausbesitzers an. Er war etwa vierzig Jahre alt, circa eins fünfundachtzig groß und von kräftiger Statur. Er schien betrunken zu sein und begann ein Gespräch mit der Bemerkung, ich sei eine sehr schöne Frau (wörtlich: eine schöne Kriegerin) und habe zuweilen sicherlich Lust auf intime Nähe und bestimmt auch Verständnis für ihn, denn er sei verwitwet und einsam. Er stand über mich gebeugt und begann mich zu betasten. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht wolle. Dann wurde er heftiger, und ich griff nach seinem Kopf und zog ihn zu mir herunter. Er war überrascht, und ich konnte ihn mit einer Doublette an den Kopf bewusstlos schlagen (wie im Lehrgang VII geübt). Der Scherenstuhl ging dabei zu Bruch. Ich trug eine Waffe, brauchte sie jedoch nicht einzusetzen. Das Ereignis hatte keinerlei Auswirkungen auf meine Recherchen. Der Sohn des Hausbesitzers deutete später an, dieser Mann bringe dauernd Schande über das Haus.«

Sie beendete die Serie ihrer Memos über ihren Einsatz in Syrien. Dauer: elf Tage. Schlaf insgesamt: nicht mehr als dreißig Stunden. Einreise: über die türkisch-syrische Grenze bei Jarabulus, als Beifahrerin in einem türkischen Truck. Ladung: Mehl. Ausreise: mit einem Jet der UNO als diplomatischer Kurier nach Rom. Ergebnisse insgesamt: zufriedenstellend, siehe Memos.

Unterschrift: Svenja Takamoto.

Ihr Festnetzanschluss meldete sich. Sie hoffte inständig auf Müller, aber es war Esser.

Er fragte: »Wenn Sie mit Oppositionellen in Berührung kamen, wie haben diese Leute Assads Position beschrieben?«

»Als ziemlich aussichtslos. Sie sagten, er stehe unter extremem Stress und es müsse als sicher angenommen werden, dass er seine Flucht inklusive Familie bereits geplant habe. Er kann die Uhr nicht mehr zurückdrehen, spätestens seit er den Westen gewarnt hat, sich einzumischen. Aber bis dahin wird auf alles geschossen, was sich bewegt. Sie wissen, dass die Opposition immer wieder skandiert hat, Assad solle aufhören zu bellen. Das sagt alles. Sie sprechen von einem räudigen Köter.«

»Was sagen die Kreativen?«

»Ich habe einen Mann getroffen, der ein Bühnenstück geschrieben hat, das davon ausgeht, dass Präsident Assad von CIA-Leuten nach Pakistan ausgeflogen wird, weil das das einzige Land ist, in dem man ihn noch erfolgreich verstecken kann. Es gibt in diesem Bühnenstück auch die Figur eines Erzählers, der beschreibt, dass Assads Armee während des Beschusses der rebellischen Städte durch Panzerartillerie ungefähr siebentausend Leute getötet hat, nicht dreitausend, wie die Regierung eingestanden hat. Und dieser Bühnenautor rechnet damit, dass Assads Geheimdienst zu jeder Tages- und Nachtzeit aufkreuzen könnte, um ihn einzulochen und zu foltern. Im sechsten Teil meiner Memos können Sie das lesen.«

»Was glauben Sie: Hat die Dame ein paar Urlaubstage verdient?«

»Ich wäre schon froh, wenn ich schlafen könnte.«

»Und Schlafmittel als Anschub?«

»Da sage ich Nein. Nehmen Sie welche?«

Esser lachte. »Das steht hier nicht zur Debatte. Es kann sein, dass der Chef mit der Perle unseres Berufsstandes sprechen möchte. Heute, gegen Abend.«

Svenja lachte, sie mochte seine sprachlichen Schleifen. »Sie sollen einfach durchrufen, dann komme ich. Was ist mit meinem Müller?«

»Alles klar, keine Schwierigkeiten. Einsatz in Tripolis, Treffen einer alten Quelle.«

»Ist das ein XXL

»Selbstverständlich. Die Gegend ist ja nicht gerade berühmt für ihre provinzielle Ruhe. Wollen Sie die Festnetznummer des Hotels?« Das verstieß gegen jede Regel, aber er dachte: Man muss es ihnen zuweilen leicht machen, bevor es unweigerlich dicke kommt.

»Ja, das wäre schön.«

Esser diktierte ihr die Nummer und verabschiedete sich mit den Worten: »Sie werden von uns hören, wenn Sie gebraucht werden.«

Svenja überlegte eine Weile, ob sie Müller im Hotel in Tripolis anrufen sollte. Es war jetzt siebzehn Uhr, in Tripolis eine Stunde später. Sie überlegte, was sie sagen könnte, aber sie fand keine Worte. Da ließ sie es sein.

Sie stand auf, ging ins Bad und duschte ausgiebig. Dann zog sie graue Jeans und einen leichten dunkelblauen Pullover an, dazu schwarze Slipper, eine schlichte weinrote Jacke, kein Schnickschnack, kein Make-up. Ehe sie die Wohnungstür hinter sich zufallen ließ, schickte sie die Memos vom Laptop auf die Anlage von Goldhändchen. Er würde dafür sorgen, dass sie auf den richtigen Computern landeten.

Sie schlenderte ein wenig durch die Straßen, sah sich Schaufenster an. Als sie plötzlich anfing zu frieren, schlug sie den Weg zu Bens Kneipe ein. Dort angekommen, setzte sie sich auf einen der hohen Hocker am Tresen.

»Hallo, Mädchen«, sagte Ben. »Was möchtest du?«

»Einen Sekt. Und hast du Soleier? Wenn ja, dann zwei, und eine Scheibe Schwarzbrot ohne alles.«

»Du hast Schatten unter den Augen.« Ben war geradezu unanständig dick, und er durfte so etwas sagen.

»Ich habe Schlafstörungen«, sagte Svenja. »Zu viel gearbeitet.«

»Willst du was zum Runterkommen?«

»Um Gottes willen, nicht so was.«

»Ich habe Zwanziger Valium, wenn du magst. Aber wenn ich dich so ansehe, stehst du wohl eher nicht auf so was.«

»Das ist richtig«, sagte sie. »Niemals Pillen.«

»Der Sekt, zwei Soleier, Essig, Öl, Senf, weißer Pfeffer«, murmelte Ben und stellte alles vor sie hin. Dann betrachtete er sie erneut. »Wo ist dein Kumpel?«

»Noch unterwegs, kommt später. War irgendwas Besonderes los hier?«

»Nein, eigentlich nicht«, sagte Ben. Dann warf er einen schnellen Blick in die Runde und beugte sich weit zu ihr vor. »Da ist ein Typ aufgetaucht, der nach dir gefragt hat. Vor zehn Tagen ungefähr. Er sagte, er will dich treffen, um dir einen Job anzubieten. Also, ich fand das schon ziemlich merkwürdig.«

»Was hast du ihm geantwortet?«

»Ich sagte: Ja, die Japanschickse ist öfter hier, das stimmt. Ich habe gesagt, dass ich dir Bescheid gebe. Ich habe auch gefragt, ob er eine Telefonnummer hinterlassen will. Aber das wollte er nicht.«

»Dann ist er auch nicht sauber«, sagte Svenja.

Sie schälte die hart gekochten Eier, zerschnitt sie in Hälften, nahm den Dotter heraus, gab Essig und Öl in die Kuhle, darauf Pfeffer, dann eine Messerspitze Senf, und setzte den halben Dotter wieder drauf.

»Das tut richtig gut«, sagte sie und schob sich die erste Hälfte in den Mund.

»Also, wenn du mich fragst, ist der Kerl garantiert nicht sauber«, sagte Ben.

»Wie sah er denn genau aus?«, fragte Svenja mit vollem Mund.

»Schwer zu beschreiben. Durchschnitt, mittelgroß, mittelschlank, mittelgekleidet, eben alles mittel. Um die vierzig.«

»Und für welchen Job will er mich?«

»Hat er nicht gesagt. Und wenn er wieder auftaucht? Was mache ich da?«

»Sag ihm einfach, ich bin umgezogen und du weißt nicht, wohin.« Svenja überlegte kurz, ob sie beunruhigt sein sollte, aber sie fand keinen logischen Grund dafür.

Ben war ihre Kneipe. Hier hatte Müller übermütig wie ein kleiner Junge einmal gesagt: »Einer von uns bleibt zu Hause, der andere gibt den Spion. Das ist die einzige Möglichkeit, unsere Beziehung zu retten.«

Er hat damals gar nicht geahnt, wie sehr er damit recht behalten sollte, dachte sie.

Sie blieb noch eine halbe Stunde und las leicht lächelnd in einer Hochglanzpostille, dass es schwer in Mode sei, sich das Schamhaar nicht nur zu rasieren, sondern Muster und Bögen und große Buchstaben einzuarbeiten. Als Bens Kneipe sich langsam füllte, bezahlte sie und ging.

Sie hatte die Wohnungstür gerade hinter sich geschlossen, als ihr Festnetztelefon klingelte.

Goldhändchen säuselte: »Kann es vielleicht sein, dass du mir den aktuellen Operationshintergrund von Müller geben kannst?«

»Was soll das denn, meine Schöne?«, reagierte sie gut gelaunt.

»Ich dachte, ich frage einfach mal. Hat er irgendetwas vergessen? Eines seiner Handys vielleicht?«

»Wieso fragst du mich das? Er hat eine eigene Wohnung. Wie oft müssen wir das denn noch erörtern?« Dann begriff sie plötzlich, und sie fragte entsetzt: »Ihr habt ihn verloren, nicht wahr? Stimmt das?«

»Ich kriege ihn nicht mehr auf den Schirm«, gab Goldhändchen zu.

»Was bedeutet das technisch?«, fragte sie.

»Kein Handy reagiert, es gibt alle drei nicht mehr. Kein Leuchtfeuer in der Nacht. Aber kein Grund zur Sorge. Ich rufe dich an, sobald ich deinen Liebsten aufgetrieben habe. Und jetzt bitte ich dich, sofort in seine Wohnung zu fahren. Sieh nach, ob er irgendetwas vergessen hat, Handys zum Beispiel. Und melde dich umgehend.«

»Wieso sollte er so etwas vergessen?«, blaffte sie.

»Weiß ich nicht. Sieh einfach nach.« Seine Stimme klang ungewohnt scharf, mit einem Hauch von Hysterie darin.

Svenja wurde in ihren Bewegungen nicht schneller, sie atmete nicht einmal flacher. Sie nahm Müllers Wohnungsschlüssel vom Brett, bestellte ein Taxi, zog sich einen Trenchcoat über, weil es nach Regen aussah, und dachte mit einem Anflug von Ärger: Ausgerechnet jetzt, wo ich langsam müde werde!

Das änderte sich schlagartig, als sie in Müllers Wohnung stand. Sie dachte: Warum, zum Teufel, soll ich nachschauen? Er vergisst so etwas niemals, das gehört quasi zur Kleidung. Trotzdem schaute sie überall nach, aber sie entdeckte nichts von Belang, ganz gleich, welche Schublade sie inspizierte, in welchem Schrank sie herumkramte.

Sie holte die Post aus dem Kasten und sah sie gewissenhaft durch, als könne etwas darin einen entscheidenden Hinweis geben. Da gab es einen Zettel, wahrscheinlich hastig aus einem Block gerissen. Ein gewisser Toni schrieb: »Deiner Mutter geht es sehr schlecht. Wir fürchten, dass sie stirbt. Lass Dich sehen, sobald Du kannst.«

»O nein!« Svenja schlug die Hände vor den Mund und fing an zu weinen.

Als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte, rief sie Goldhändchen im Dienst an und sagte: »Hier ist gar nichts.«

»Das dachte ich mir schon«, erwiderte er ruhig. »Du sollst bitte in einer Stunde beim Chef sein. Aber nicht hierherkommen, ich schicke dir einen Wagen, der Fahrer ist instruiert.«

»Du hast ihn also noch nicht?«

»Ich habe ihn noch nicht.«

Krause schrieb wütend die Mitteilung an den Präsidenten des Dienstes. Er nahm kein Blatt vor den Mund. »Ich bin einiges gewöhnt, was meinen Etat anlangt, aber dieser Mann schlägt alles. Das ist unglaublich dumm und überheblich zugleich. Ich gehe davon aus, dass der Mann sofort aus dem Dienst entfernt wird.«

Zum Thema Atze: »Es war deutlich, dass der Genannte über Informationen verfügt, die er eigentlich nicht haben darf, und ich kann nach einer Besprechung im kleinsten Kreis nur vermuten, dass es sich um einen massiven Angriff auf unsere Abteilung handelt, eine ziemlich unglückliche Mischung aus Tratsch und Gerücht, die darüber hinaus auch noch irgendwie mit der Bundeskanzlerin und der Regierung zusammenhängt. Falls es unter diesen Umständen jemals zu Veröffentlichungen kommt, in den herkömmlichen Printmedien etwa, haben wir den nächsten unausweichlichen Skandal. Wir werden der Sache mit allen verfügbaren Mitteln nachgehen und Sie selbstverständlich über das Ergebnis unserer Recherchen in Kenntnis setzen.«

Und in eigener Sache: »Ich ziehe mich vorübergehend ins zivile Leben zurück, bin zu Hause und dort jederzeit erreichbar. Ich bin nicht in Urlaub, ich bin nicht krankgeschrieben, ich arbeite im vollen Umfang weiter, will mich aber deutlich distanzieren. Ich nehme also an Konferenzen und Zusammenkünften aller Art vorläufig nicht teil. Mit einfachen Worten: Wir sind ein Geheimdienst und sollten es auch bleiben. Ich lasse es nicht zu, dass der Dienst korrumpiert und heruntergewirtschaftet wird, und erwarte von Ihnen eine baldige Bereinigung der Situation. Mit dem Ausdruck meiner Hochachtung, Ihr …«

Gillian hatte ihm einen Wagen der Bereitschaft gerufen.

Das Chaos in seinem bescheidenen Einfamilienhaus schien zum Himmel zu schreien. Zwei Techniker im Blaumann turnten auf seinem Dachfirst herum, sie hatten irgendwelche langen Drähte in der Hand. Undeutlich erinnerte er sich an Sowinskis Worte, man müsse sein Haus technisch aufrüsten.

Er sagte aufseufzend: »Du lieber Gott!«, und wälzte sich schwerfällig aus dem Auto.

Wally, seine Wally, stand in der offenen Haustür und hatte ein vor Erregung gerötetes Gesicht. Ohne Einleitung fauchte sie ihn an: »Sie machen alles kaputt, sie machen hier einfach alles kaputt! Die sind verrückt, verrückt sind die.« Sie sah aus wie ein zorniger Kobold.

Er stand drei Stufen unter ihr und sagte hilflos: »Es tut mir so leid, Wally.«

»Sie sind hier angekommen und sagten nur, das müsse jetzt sein. Und unser Dieter hat jetzt keinen Fernseher mehr.«

»Gehen wir erst einmal hinein«, sagte Krause unglücklich. Er hatte gar nicht an Dieter gedacht.

Im Wohnzimmer waren zwei weitere Männer im Blaumann an der Arbeit, einer von ihnen lag auf dem Rücken unter einer Truhe und beschwerte sich laut: »Verdammt, dieser Anschluss hier ist nicht sauber, da brauchen wir eine neue Buchse.«

In seinem Sessel saß Sowinski, rauchte einen Zigarillo und bestimmte: »Wir legen die ständige Leitung unter der Tür durch in den Garten, alles andere machen wir digital und gehen bei der Alarmleitung über Funk.«

»Das ist ja furchtbar«, sagte Krause matt. »Geht es nicht einfacher?« Sein Wohnzimmer sah aus wie eine Baustelle.

»Auf keinen Fall«, entgegnete Sowinski. »Ich habe meine Vorschriften.«

»Und Dieter?«, fragte Wally aufgebracht. »Er braucht doch den Fernseher für seine Märchen.«

»Da müssen wir für diesen Zeitraum eine andere Lösung suchen«, antwortete Sowinski.

»Wo ist denn Dieter?«, fragte Krause.

»Oben in der Mansarde«, antwortete seine Frau. »Und er wollte eben schon Schneewittchen anschauen.«

Dieter war das Kind, das sie nie hatten. Er war ein junger Mann, der Wally von einem privaten Verein stundenweise zur Pflege anvertraut worden war. Dieter war ein Spastiker, der als multibehindert geführt wurde, den es ununterbrochen schüttelte, der keine Sprache hatte außer wilden, unartikulierten Lauten, der nicht in der Lage war, irgendetwas an seinem Körper zu kontrollieren, für den eine Treppe mit sechs Stufen ein nicht überwindbares Hindernis war. Wally war Mitglied in diesem Verein, zusammen mit der Frau von Esser, die die Patenschaft für eine junge Frau übernommen hatte. Irgendwann hatten die beiden wütend festgestellt: Unsere Männer haben nie Zeit, weil sie tagtäglich die Welt retten müssen, also wenden wir uns denen zu, die unsere Hilfe wirklich brauchen.

»Das geht so aber wirklich nicht, Sowinski«, stellte Krause hilflos und leise fest. »Dann muss der Fernseher sofort im Gästezimmer aufgebaut werden. Und für Dieter muss der Sessel, in dem du jetzt sitzt, auch da rauf.«

»Jawoll!«, sagte Sowinski resignierend. »Ach, wie schön waren doch die Zeiten, als du in einem normalen Büro gearbeitet hast. Aber ich habe dir einen Zettel gemacht, auf dem genau beschrieben steht, was du mit welchem Gerät machen kannst oder sollst oder könntest.«

»Das ist fein«, murmelte Krause.

»Und noch etwas«, sagte Sowinski leichthin, »vielleicht gehen wir mal eben in die Küche.«

»Jetzt auch noch die Küche?«, fragte Wally empört. Sie war eine kleine, schmale Frau mit feuerrot gefärbten Haaren, und sie war stinksauer darüber, was diese eigentlich völlig fremden Männer mit ihrem Haus anstellten. Denn das Haus war ihr Haus, und ihr Mann kam normalerweise nur gelegentlich zum Schlafen vorbei.

»Nur für drei Sekunden«, sagte Sowinski entschuldigend. Er stand auf und ging in die Küche.

Krause folgte ihm brav.

»Wir haben Müller verloren«, flüsterte Sowinski. »Wir können die Handys nicht mehr orten.«

»Was heißt das genau?«, fragte Krause.

»Es gibt die drei Geräte nicht mehr, die er normalerweise mit sich herumträgt«, sagte Sowinski. »Irgendetwas ist passiert, und wir wissen nicht, was.«

»Wissen wir, wo er zuletzt war?«

»Ja, er hat Quelle Sechs in dessen verlassenem Haus gesucht. Das war laut Ortszeit etwa um 16.30 Uhr. Wir können aber nicht ausschließen, dass sich dort andere Personen versteckt hielten, dass also irgendetwas passiert ist.«

»Ist das eine technisch erklärbare Panne?«

»Nein«, sagte Sowinski. »Leider nicht. Wir können diese sehr speziellen Handys anpeilen. Das ist jedoch nur möglich, wenn alle drei funktionstüchtig sind. Das erledigt Goldhändchen ein paarmal am Tag, reine Routine. Wenn das nicht mehr funktioniert, sind diese Handys aller Wahrscheinlichkeit nach zerstört. Das würde aber bedeuten, dass der Zerstörer dieser Geräte weiß, dass es sich um eine sehr spezielle Technik zum Schutz von Müller handelt. Und ehrlich gesagt: Darüber würde ich im Augenblick nicht gern nachdenken wollen.«

Krause stand an den Eisschrank gelehnt und hielt die Augen geschlossen. Er war grau im Gesicht, und seine Kieferknochen zeichneten sich scharf ab.

»Wir sollten uns vielleicht eine Frist setzen. Sagen wir sechs Stunden. Danach reagieren wir.«

»Und wie?«, fragte Sowinski.

»Wir schicken Dehner«, entschied Krause. »Ist er einsatzfähig?«

»Ist er. Er war in Tirana und schreibt gerade seine Memos.«

»Schickt ihn hin, wenn sich die Lage bis dahin nicht verändert hat. Und mach hier mehr Tempo, ich habe sonst für Monate die Pest am Hals.«

»Willst du Svenja noch heute Abend sehen?«

»Um Gottes willen, nein. Mir reicht das Durcheinander hier.«

»Es wäre aber verdammt wichtig. Nur ein paar Minuten lang.«

»Na gut, aber erst in einer Stunde. Und schaff diesen saublöden Fernseher ins Gästezimmer, und den Sessel und die DVDs mit den Märchen.«

»Wird gemacht«, sagte Sowinski genervt und dachte gleichzeitig: Ich mache alles, damit ich so schnell wie möglich aus diesem Irrenhaus hier rauskomme.

Wally kam mit beängstigender Geschwindigkeit in die Küche geschossen. »Und sie haben den Teppich versaut. Und draußen am Haus sind überall Strippen.« Dann wandte sie sich wütend an ihren Mann: »Könntest du mir das wenigstens erklären?«

»Aber ja doch«, antwortete er verkniffen. »Ich habe vorübergehend gekündigt.«

»Du hast was?«

»Das nicht auch noch«, flüsterte Sowinski und glitt durch die halb offene Tür in die Freiheit.

»Ich werde es gleich erklären«, sagte Krause. »Lass die Männer das erst mal zu Ende machen.«

Die Techniker waren allerdings erst nach einer weiteren vollen Stunde fertig. Dann stand Wally im Wohnzimmer und sagte aufgebracht: »Jetzt sieh dir bloß mal an, was die aus meinem Wohnzimmer gemacht haben. Da, wo der Fernseher stand, ist jetzt ein Loch. Und dein Sessel ist weg, und im Übrigen …«

»Wally«, sagte ihr Mann gefährlich leise. »Ich habe im Moment für deine empörte Hausfrauenseele einfach keine Zeit. Ich habe andere Sorgen, glaub mir. Und die gehen weit über Dieter und Fernseher und Märchen hinaus. Und jetzt hörst du mir bitte einmal zu, ja?« So hatte er noch nie mit ihr geredet.

Sie betrachtete ihn kritisch, dann spürte sie, dass er stinksauer war, aber auch, dass dieser Zustand nicht das Geringste mit ihr zu tun hatte. Sie sagte: »Also, die vorübergehende Kündigung bitte.«

Krause hatte seiner Frau in all den Jahren ihrer Ehe so gut wie nichts aus dem Dienst berichtet, weder von den großen Dingen noch von den kleinen. Und Wally hatte gelernt, damit zu leben.

»Wir haben ein U-Boot im Dienst, nehme ich an«, stieß er schließlich wütend hervor.

»Ach ja? Mann oder Frau?«, fragte sie sofort sachlich.

»Bisher Mann.«

»Und wer hat das U-Boot geschickt?«

»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Aber da ist noch etwas anderes. Der Müller, einer meiner besten Leute, ist verschwunden.«

»Und wo?«

»In Tripolis, Nordafrika.«

»Da war doch der Gaddafi«, sagte sie.

In dem Moment schellte es an der Tür.

»Ich erwarte niemanden«, beteuerte sie mit großen Augen.

»Ich auch nicht«, sagte Krause. »Ach so, ja, Svenja.«

Wally warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu und ging zur Haustür. »Guten Abend, meine Liebe. Kommen Sie doch durch, mein Mann erwartet Sie schon.«

Die ganze Situation erschien Svenja irgendwie bizarr.

Goldhändchen hatte angerufen und mitgeteilt, dass der Wagen für sie vor dem Haus stehe. Sie war hinuntergegangen und hatte einen Mercedes S 600 auf dem Gehsteig vorgefunden, eine ziemlich protzige schwarze Staatslimousine. Noch dazu mit einem Fahrer, der eilfertig aus dem Vehikel ausstieg und ihr den hinteren Schlag aufriss.

Svenja sagte entgeistert: »Du lieber Gott!«

»Dann wollen wir mal«, sagte der Fahrer und schaltete das Blaulicht auf dem Dach ein.

»Sind Sie sicher, dass Sie mich abholen wollen?«, fragte Svenja.

»Aber ja.« Der Mann nickte begeistert. »Klare Adresse.«

»Na denn.«

Die Fahrt verlief schnell, das Fahrziel allerdings kam ihr befremdlich vor: kleine Einfamilienhäuser mit winzigen Vorgärten und dem deutlichen Geruch von geordnetem Leben.

»Hier ist es«, sagte der Fahrer, rutschte von seinem Sitz, kam um das Vehikel herumgerannt und riss die Tür für Svenja auf. Dann deutete er auf das kleine Haus. »Sie müssen dort klingeln. Ich warte.«

Svenja ging durch die kleine hölzerne Pforte in einer niedrigen Buchsbaumhecke und stieg die drei Stufen zum Eingang hinauf. Kein Namensschild. Sie drückte auf den Klingelknopf.

Eine Frau mit einer ungebändigten feuerroten Mähne öffnete die Tür. Svenja wusste augenblicklich, dass es sich nur um Krauses Frau handeln konnte. Sie wusste, dass diese Frau einen Brustkrebs überlebt hatte, und sie wusste auch, dass es sich um eine höchst energische kleine Person handelte. Das behaupteten zumindest die Buschtrommeln. Nach einer knappen, aber freundlichen Begrüßung folgte sie Krauses Frau durch einen winzigen Flur und durch eine offen stehende Tür hindurch ins Wohnzimmer, das mit einer geradezu unsinnig erscheinenden Fülle an digitalem Gerät ausgestattet war.

Ihr Chef stand verloren im Raum und starrte hilflos auf das Durcheinander.

Svenja fragte unsicher: »Ist irgendetwas passiert, habe ich etwas nicht mitgekriegt?«

»Nein, alles in Ordnung«, sagte Krause. »Ich arbeite nur vorübergehend von hier aus. Nehmen Sie doch Platz.«

»Sind Sie … sind Sie denn krank?« Das war eine Vorstellung, die Svenja zutiefst erschreckte. Krause war wie ein Vater für sie, und sie liebte ihn aufrichtig.

»Aber nein.« Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Es gab Ärger mit einem von den Haushältern, der mir etwas Unsinniges untergeschoben hat. Und ich will erreichen, dass man den Mann feuert. Ich bin sozusagen ein Erpresser im Wartestand. Aber nun nehmen Sie doch bitte Platz.«

Svenja ging auf das Sofa zu, setzte sich und registrierte irritiert auf einem Couchtisch fünf Handys, zwei Mikrofone, zwei kleine Bildschirme, einen großen Bildschirm, zwei Tastaturen sowie drei Festnetzanschlüsse samt Apparaten. Dazu zwei Kameras, die auf das Sofa gerichtet waren. Und ein weißes DIN-A4-Blatt, auf dem groß in schwarzen Lettern stand: GEBRAUCHSANWEISUNG FÜR DICH! Und alle diese Geräte waren in Funktion, es gab eine große Menge kleiner grüner und roter Lichter, die vor sich hin blinkten.

Krause fragte: »Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten, meine Liebe?«

»Danke, nein.«

»Sie sind sehr erschöpft, wie ich hörte«, sagte Krause, setzte sich etwas unbeholfen neben sie und fegte dabei mit seinem Jackett zwei der Handys auf den Boden. Er bückte sich, hob sie auf und hatte jetzt ein Problem: In welcher Reihenfolge hatte Sowinski die Handys ursprünglich angeordnet? Schließlich legte er sie einfach hin und dachte: Ist doch wurscht, ich kann ja fragen.

Wie immer freute er sich, Svenja zu sehen, und insgeheim war er stolz darauf, so eine bildhübsche Spionin zu steuern. Esser hatte irgendwann in einer privaten Sekunde Svenja gegenüber geäußert: »Ihr seid nun mal seine Kinder, auch deshalb ist er so gut.«

Svenja war auffallend blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen.

»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Dazu ist keine Zeit. Ich habe gehört, ihr habt meinen Müller verloren«, sagte sie tonlos.

»Das ist richtig. Vorübergehend. Aber das wird sich bald aufklären. Wie war Damaskus?«

Sie lächelte schmal. »Damaskus ist einigermaßen gut gelaufen, aber ehrlich gesagt können Sie das besser in meinen Memos nachlesen. Ich will hier über Müller reden.«

»Sie haben recht, das ist jetzt wohl wichtiger als alles andere.«

»Ja!« Svenja nickte mit geschlossenen Augen.

»Aber ich kann Ihnen nichts sagen, weil ich nichts weiß. Seine Handys sprechen auf die Ortung nicht mehr an. Das bedeutet …«

»Das bedeutet, dass jemand sie zerstört hat«, sagte sie. »Das weiß ich bereits, denn ich habe auch solche Handys bei mir, wenn ich irgendwo unterwegs bin. Meine Frage ist, ob der Dienst irgendwelche Hinweise auf bestimmte, möglicherweise feindliche Figuren hat.«

»Solche Hinweise gibt es nicht«, antwortete Krause unglücklich. »Müller sollte eine Quelle treffen, einen hohen Militär, der uns dankenswerterweise jahrelang mit guten Informationen unterstützt hat. Aber dieser Mann ist verschwunden, und das erscheint mir auch logisch, denn er lebte viele Jahre lang im unmittelbaren Umfeld Gaddafis und gehörte somit zu denen, die die Rebellen todsicher sofort erschossen hätten.«

»Um welche Uhrzeit hatten wir den letzten Kontakt?«

»Etwa um fünfzehn Uhr unserer Zeit, also bei Müller eine Stunde später, und es lag nicht der geringste Störfaktor vor. Im Gegenteil, Müller sagte in aller Ruhe, er werde weitersuchen.«

»Machte die weitere Suche denn Sinn? Tripolis ist doch längst Gaddafi-frei, oder?«

»Na ja.« Krause lächelte. »Wenn Müller sagt, er will weitersuchen, dann hat er dafür einen Grund. Müller ist sehr gut, wie Sie wissen.«

»Ja, das ist er. Dann fahre ich mal wieder heim. Würden Sie mich benachrichtigen, wenn er wieder auftaucht?«

»Selbstverständlich«, sagte Krause. »Versprochen. Und versuchen Sie ein bisschen zu schlafen.«

Er hätte gern ganz vorsichtig mit ihr über ihr Verhältnis zu Müller gesprochen. Er wusste, dass die beiden Probleme hatten. Aber er tat es nicht. Das musste an einem anderen Tag geschehen. Und er wusste schon zwei Sekunden später, dass das eine falsche Entscheidung war.

Svenja hätte ihn am liebsten angebrüllt. Schlafen! Der hatte Nerven. Stattdessen stand sie auf und ging zur Haustür.

Als sie die Staatskarosse auf der schmalen Straße warten sah, dachte sie beinahe trotzig, dass sie das ausnutzen wollte. Sie wies den Fahrer barsch an, sie so schnell wie möglich in den Dienst zu fahren. Er antwortete nur: »Selbstverständlich.«

»Und schalten Sie dieses dämliche Blaulicht aus.«

»Selbstverständlich«, sagte er wieder.

Sie ließ sich in die Tiefgarage fahren und vor einem der Aufgänge absetzen. Mit dem Lift fuhr sie in die dritte Etage, ging in das Zimmer, in dem sie gelegentlich arbeitete oder Instruktionen empfing. Sie hockte sich auf einen der unbequemen Stühle und starrte vor sich hin.

Sie hatte nur eine Chance: Goldhändchen. Falls er überhaupt im Haus war. Falls er nicht zufällig mal dort war, wo er schlief. Falls es einen solchen Schlafplatz für ihn überhaupt gab. Falls er guter Laune war und etwas preisgab. Falls, falls, falls …

Nein, wenn Karl Müller auf der Verlustliste stand, würde Goldhändchen auf jeden Fall im Haus sein.

Sie ging die Flure entlang, als würde sie schlafwandeln, und nahm nichts um sich herum wahr. Auch nicht die vielen Menschen, die Goldhändchens Schattenwelt vierundzwanzig Stunden am Tag auf Hochbetrieb laufen ließen.

Sie drückte auf den kleinen roten Knopf rechts neben der Tür und wusste, dass sich im selben Moment eine Kamera über ihr einschaltete, sodass Goldhändchen sehen konnte, wer Einlass begehrte.

Der Summer ertönte, und sie drückte die Tür auf.

Goldhändchen sagte leicht gereizt: »Setz dich, ich bin sofort bereit.«

»Oh, lass dir ruhig Zeit«, murmelte sie. »Es eilt überhaupt nicht, wir können ja sowieso nichts tun.«

Sie ließ sich in den ekelhaften Ledersessel fallen, dessen Armlehnen so hoch lagen, dass man sich wie bei einer idiotischen Dehnübung und gleichzeitig vollkommen hilflos fühlte.

»Dass wir nichts tun können, halte ich für ein Gerücht«, erwiderte er. Er trug ein seidenes babyblaues Hemd zu einer weißen Leinenhose und spitz zulaufenden weißen Schuhen, und er wirkte perfekt gestylt wie immer. Es roch leicht nach einem guten Aftershave, und er hatte sich blonde Strähnchen färben lassen, die wie Gold schimmerten. Vielleicht war es sogar Gold, verrückt genug war er für so etwas.

»Die Karre steckt im Dreck«, stellte sie fest. »Mein Müller ist verschwunden, und niemand kann sagen, ob er überhaupt noch lebt.«

»Es ist inzwischen aber sehr sicher, dass er lebt, junge Frau«, sagte Goldhändchen. »Ich habe das vor zwanzig Minuten dem Chef übermittelt.«

»Ich weiß. Da komme ich gerade her«, sagte Svenja.

»Du bist ja eine ganz Schnelle!«, sagte Goldhändchen anerkennend und beinahe liebevoll. »Ja, ja, wenn Liebe im Spiel ist …«

»Was weißt du denn schon?«, sagte Svenja.

Er drehte ihr den Kopf zu. »Davon, meine Liebe, weiß ich eine Menge«, widersprach er lächelnd und zeigte dabei eine Reihe blendend weißer Zähne.

Er saß im Halbdunkel vor etwa zwanzig großen Bildschirmen, die er mit einem einzigen handtellergroßen Gerät steuerte, und es hieß, dass er niemals den falschen Knopf drückte, obwohl das schlicht unmöglich schien.

Zuletzt hatte er mit einer Kür geglänzt, die als Wahnsinn klassifiziert werden musste: Er hatte es fertiggebracht, eine hoch geheime Operationskonferenz der großen CIA-Häuptlinge in Echtzeit mitzuschneiden. Und es war ihm gelungen, beinahe zeitgleich ein Zusammentreffen großer chinesischer Industrieller abzuhören, in dem es um zukünftige Einflussnahmen im EU-Bereich ging. Derartige Kunststücke pflegte er durchschnittlich einmal im Monat vorzuführen, und die Kritik an ihm hielt sich daher in sehr engen Grenzen.

»Hast du eine Zigarette?«, fragte Svenja.

»Sag bloß, du willst hier rauchen? Und was sollen meine Pflanzen dazu sagen?«

Er hatte in den ewigen Dämmer seines Arbeitsplatzes ungefähr zwanzig sich hochwindende Pflanzen aus den Tropen gestellt, die er nach einem peinlich eingehaltenen Zyklus von oben bis unten mit Wasser bestäubte und ständig im Dämmer von Speziallampen hielt – Regenwald in Bodennähe.

Krause hatte geäußert: »Der Mann ist unbedingt und vorurteilslos als ein sehr seltenes Exemplar zu betrachten, aber er ist eindeutig auch der weltbeste Hacker – also darf er alles.«

»Ich will eine Zigarette!«, beharrte Svenja.

»Ich hatte mal welche. Die müssen hier irgendwo sein«, sagte Goldhändchen. »Hier sind sie!« Triumphierend hielt er eine Schachtel hoch und warf sie ihr dann zu.

»Danke!«, sagte Svenja müde. »Hast du auch Feuer?«

»Feuer? Feuer habe ich nicht. Wer braucht schon Feuer? Aber warte mal.« Er schnurrte in ein unsichtbares Mikrofon: »Sag mal, Goldie, mein Fräulein, habt ihr da so etwas wie Feuer? Wie heißen denn die Dinger? Ach ja, Streichhölzer. Oder ein Feuerzeug. Dann komm sofort damit rüber, dalli, dalli.«

Schließlich öffnete sich irgendwo eine verborgene Tür, und ein zierliches weißblondes Wesen schlängelte sich durch das Blättergewirr zu Goldhändchen durch und reichte ihm ein Feuerzeug. Der gab es weiter an Svenja und bemerkte: »Sag bloß niemandem, dass ich dich hier rauchen lasse. Das würde meinen Ruf total ruinieren.«

Svenja wollte nicht wirklich rauchen, außerdem gab es keinen Aschenbecher, und sie fürchtete sich vor dem erneuten Durcheinander, das eine Frage danach wahrscheinlich auslösen würde. Also paffte sie ein paarmal und trat dann die Zigarette mit dem rechten Schuh aus.

»Habt ihr die Nachricht denn geortet? Wo kam sie her?«, fragte sie.

»Auf jeden Fall Tripolis«, antwortete Goldhändchen. »Das ist schon mal sicher. Meine Geräte sagen, dass er einen Festnetzanschluss benutzte und dass er nicht im Geringsten nervös war. Das kann ich an der Stimmmodulation ablesen. Kluge Maschine. Das Einzige, was ich noch nicht weiß, ist, was mein Chef daraus machen wird. Aber der ist ja ein helles Köpfchen, dem fällt doch dauernd etwas ein, was wir traurigen Angestellten dann für ihn umsetzen dürfen. Auf jeden Fall, so viel ist schon mal sicher, werden sie Dehner schicken. Ich nehme an, gleich mit der ersten Maschine, die rausgeht.« Dann wandte er sich wieder ihr zu und lächelte sie ein wenig traurig an: »Und du, mein Mädchen, würdest gern mit einer Schnellfeuerkanone in Tripolis auftauchen und allen Feinden den Garaus machen. Nein, widersprich mir jetzt nicht, ich weiß es.«

»Das ist doch sinnlos«, sagte Svenja düster. »Kann ich noch einmal den Wortlaut haben?«

»Aber sicher«, sagte Goldhändchen. »Nicht erschrecken, die Aufnahme kommt jetzt von rechts hinter dir.«

Es gab ein kurzes Rauschen, dann ertönte eine sehr harte Stimme voller aufgesetzter Heiterkeit in gutem Englisch. »Hier ist Quelle Sechs aus Tripolis. Guten Abend, meine Herren. Ich entschuldige mich, dass ich so lange nichts von mir hören ließ, aber die hiesigen Zustände machten das unmöglich. Ich habe hier den ehrenwerten Sicherheitsberater der Bundesrepublik Deutschland mit Namen Doktor Kai Dieckmann, von Ihnen geschickt. Er kann zurzeit leider nicht persönlich sprechen, er ist noch ein wenig wirr im Kopf. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor: Sie schicken mir einen Jet nach Tripolis und fliegen mich nach Beirut aus. Im Gegenzug werde ich Ihnen den Doktor Dieckmann nach der Landung in Beirut lebend übergeben. Falls Sie mich linken wollen, so antworte ich Ihnen mit einer schnellen Kugel in den Kopf dieses sicher sehr wertvollen Spions. Und noch etwas möchte ich erwähnen: Wohin mich das Schicksal auch verschlägt, ich könnte Ihnen dort ein guter Agent sein.« Er lachte kurz auf. »Für mich, daran möchte ich Sie eindringlich erinnern, geht es um das Leben, und Kompromisse werde ich nicht eingehen. Ich gebe Ihnen jetzt eine Nummer durch, die mich eindeutig ausweist.« Dann folgte eine sehr lange Serie von Zahlen.

»Er hat seine Notrufziffern in der richtigen Reihenfolge genannt, er ist echt«, murmelte Goldhändchen.

»So eine Scheiße!«, sagte Svenja schluchzend, stand auf und ging hinaus.

Goldhändchen sah ihr mitfühlend hinterher, bis ihm nur wenige Sekunden später schlagartig bewusst wurde, was er getan hatte.

Er hatte ihr die Wahrheit geschenkt, von der sie eigentlich kein Körnchen haben durfte, sie hatte ihn schlicht gelinkt.

»Satansbraten!«, brüllte er.