6
Summer trägt heute eine Sonnenbrille, normalerweise eine affektierte Eigenart von prominenten Schauspielern - damit auch wirklich jeder zweimal hinsieht –, aber ich weiß, bei Summer liegt der Fall anders. Als sie vorhin ins Restaurant kam, nahm sie kurz die Sonnenbrille ab, sah mein entsetztes Gesicht und setzte die Brille schnell wieder auf. Summer Stevens zeigt die klassischen Anzeichen einer frühen Schwangerschaft: dicke Tränensäcke unter den Augen.
»Ist mit dem Baby alles okay?«, frage ich sie.
»Mensch, Fran, sprich gefälligst leiser, ja?«, fährt sie mich an.
Ich habe nicht besonders laut gesprochen, aber auch hier handelt es sich wieder um ein klassisches pränatales Anzeichen: Paranoia – alle wissen Bescheid, alle beobachten mich. Summers scharfer Ton lässt die beiden jungen Frauen am Nebentisch die Köpfe zu uns drehen. Ob sie Summer erkannt haben? Wie auch immer, jedenfalls starren sie zu uns herüber, sodass ich meine Stimme zu einem Flüstern senke.
»Sorry, Summer, aber du machst einen ziemlich fertigen Eindruck. Warum hast du mich nicht schon früher angerufen?«
»Ich habe angerufen. Mehrmals. Hörst du deine Nachrichten überhaupt ab?«
»Tut mir leid. Ich habe momentan so viel um die Ohren, weil Richard in Mailand ist und so.«
»Nun, schön, dass du beschäftigt bist.«
Summer ist die Zweite, die ich belüge. Meine Mutter war die Erste. Obwohl, streng genommen, habe ich nicht gelogen. Ich habe nur verschwiegen, was passiert ist. Warum sollte ich das auch erzählen? Ich rede mir ein, dass ich niemanden beunruhigen will, aber im Grunde weiß ich, dass ich mich total lächerlich und kindisch ver halte nach dem Motto: Wenn ich nicht darüber rede, ist es auch nicht passiert. Wie Molly damals, als sie die Vase von Oma Elaine zerbrach, ein altes Erbstück. Wenn es bei Molly funktioniert hat ...
Summer trinkt einen großen Schluck Wasser. Komisch. Normalerweise säuft Summer jeden Kerl unter den Tisch. Aber nicht heute. Heute trägt sie nämlich ein Kind unter dem Herzen (Summers Worte. Nun ja, sie ist Schauspielerin, wie soll sie es sonst ausdrücken? Schwanger? Pah! Das ist doch nur etwas für gewöhnliche Sterbliche), und darüber ist sie nicht glücklich.
»Mann, ich bin total im Arsch«, stöhnt sie. »Ich bringe neues Leben hervor und gehe selbst dabei drauf. Ist das nicht paradox?«
»Du machst nur das durch, was schon Millionen Frauen vor dir durchgemacht haben.« Ich zucke zusammen, kaum dass der Satz heraus ist. Er sollte eigentlich lustig klingen, nicht belehrend. Ich frage mich, seit wann es mir schwer fällt, witzig zu sein. Besser, ich wage vorerst keinen weiteren Versuch.
»Es ist alles so ätzend«, fährt Summer niedergeschlagen fort. »Ich kann nicht mal mehr genüsslich eine Zigarette rauchen.«
»Was sagt eigentlich der Vater dazu? Oder war das, du weißt schon, eine künstliche Befruchtung ... oder so?« Ich gerate etwas ins Schwimmen. »Ein Retortenbaby oder so ...?« Ich habe schließlich keinen blassen Schimmer, oder? Summer und ich haben noch nicht über ihre Schwangerschaft gesprochen. Ich nehme an, das ist auch der Grund, weshalb sie dieses Treffen zum Lunch vorgeschlagen hat – bereits das zweite innerhalb von zwei Wochen.
»Du und deine Schnapsideen.«
Summer denkt, ich habe einen Witz gemacht. Ich lache und lasse sie in dem Glauben. Vielleicht ist das ja das tiefere Geheimnis, witzig zu sein, indem man ernst ist.
Summers Gesicht nimmt plötzlich einen besorgten Ausdruck an. »Hör zu, er weiß es nicht! Und du brauchst es ihm auch nicht zu sagen.«
»Beruhige dich wieder. Wie soll ich es ihm denn sagen? Ich weiß ja nicht einmal, wer er ist.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass Laurence der Vater ist.«
»Richtig, Laurence. Und wer ist dieser Laurence?«
»Mensch, hörst du mir überhaupt jemals zu? Laurence ist der Regisseur von Angel Face.«
»Angel Face?«
»Aaaahh! Der Film mit mir und Clive Owen, verflucht.« Summer bringt das Kunststück fertig, gleichzeitig zu schreien und zu flüstern.
Ich glaube nicht, dass ich ihr folgen kann.
»Okay, lass uns noch einmal zurückspulen, an den Anfang. Du hast also mit einem Regisseur geschlafen?«
Summer nickt ganz kurz, als würde eine ausdrucksstärkere Reaktion zu viele unerwünschte Emotionen auslösen.
»Warum?«, frage ich.
Summer nimmt ihre Sonnenbrille ab, sodass ich ihr endlich in die Augen sehen kann. Sie ist ein halbes Jahr älter als ich, sieht aber einige Jahre jünger aus ... normalerweise. Aber nicht heute.
»Weil ich total bescheuert war, darum. Das denkst du doch, oder? Du solltest mal dein Gesicht sehen.«
Offenbar sehe ich genauso schockiert aus, wie ich bin. Ich versuche, ein anderes Gesicht zu machen. Ich will nicht, dass diese Unterhaltung einen falschen Verlauf nimmt. »Nein, sorry. Ich bin nur überrascht ... Ich meine, du musst zugeben, dass du mit Männern bislang nicht besonders viel ... äh, am Hut hattest.«
Summer stößt einen tiefen Seufzer aus und wartet, bis die Kellnerin uns die Pasta serviert hat. »Ja, ich war mit dem Regisseur im Bett«, sagt sie schließlich. »Voll das Klischee, ich weiß, aber es ist nun mal passiert. Laurence kam gleich am ersten Tag am Set auf mich zu und meinte: ›Oh, du bist doch die, die bei Minnie abgeblitzt ist, nicht?‹, aber trotzdem hat er auf mich gewirkt wie ein Aphrodisiakum ... Oh Mann, er hat mir richtig imponiert. Gott, wie armselig.«
»Sag das nicht. Niemand kann etwas für seine Gefühle«, entgegne ich. Ich kann mich erinnern – obwohl ich mich lieber nicht erinnern würde –, dass Richards beruflicher Durchbruch damals ebenfalls wie ein Aphrodisiakum auf mich wirkte.
»Ich hatte danach keine Selbstachtung mehr ... ich kam mir richtig billig vor, wenn du es genau wissen willst«, fährt Summer fort. »Ich weiß nicht, warum ich mich mit ihm eingelassen habe, ich konnte einfach nicht anders. Ich habe mir nicht mal besonders viel davon versprochen, aber ... Verflucht, ich bin total durch den Wind.«
Und wenn ich mich auch noch so sehr anstrenge, ich kann mir beim besten Willen Summer nicht mit einem Kerl im Bett vorstellen. Und wenn das mich schon ganz wirr im Kopf macht, möchte ich nicht wissen, was in Summers Kopf los ist.
»Laurence ist ein toller Mann, Fran. Ich hätte zwar nie gedacht, dass ich mal so von einem Mann spreche, aber auf Laurence trifft das zu. Er strahlt so eine natürliche Autorität aus, ich habe ihn nicht ein einziges Mal laut werden hören. Er ist begabt, witzig, unheimlich kreativ, und er scheint wirklich ... mir ans Herz zu gehen.«
»Weiß er, dass du auf Frauen stehst?«
»Ja. Ich war so eine Art Mutprobe für ihn. Der Regieassistent, mit dem ich schon bei diesem blöden Zombiefilm zusammengearbeitet habe, hat Laurence über mich ins Bild gesetzt. Ist auch egal, ich dachte ohnehin, dass das eine einmalige Sache bleibt. Aber jetzt halt dich fest, er hat mir vor kurzem gestanden, dass er sich in mich verliebt hat.«
»Wahnsinn«, bemerke ich leise, da mir bewusst ist, dass die Ohren nicht nur an unserem Tisch glühen.
»Du sagst es. Kannst du das glauben? Ich hasse Männer, und dann verliebt sich ausgerechnet ein Mann in mich!«
Im Grunde überrascht mich das nicht. Ich finde nämlich, sieht man mal von den Divaallüren ab, dass Summer wirklich zum Verlieben ist.
»Herrje, es ist alles so verflucht kompliziert. Ich habe mich auf Phoebe nur eingelassen, um wieder klar im Kopf zu werden. Die arme Kleine. Laurence läuft mir hinterher, Phoebe läuft mir hinter her, und ich wirble herum, um zu verhindern, dass die beiden aufeinander treffen. Nicht ganz einfach, wenn alle Beteiligten am selben Set arbeiten.«
»Und, hat Phoebe dir dabei geholfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen?«
»Allerdings. Dank Phoebe ist mir klar geworden, dass ich nichts von ihr will. Ein großer Irrtum.«
»Aha. Bedeutet das jetzt, du bist nicht mehr lesbisch?«
Summer ist sofort wieder eingeschnappt. »Was denkst du eigentlich? Dass Laurence mich mal eben kuriert hat? So eine blöde Frage hätte ich eher von meiner Mutter erwartet.«
Ich zucke zusammen, wie jemand, der in dem Moment das Schild mit der Aufschrift Achtung: Nicht betreten bemerkt, als das Eis unter seinen Füßen schon erste Risse bildet.
»Mensch, Fran«, schimpft Summer weiter, »du bist mir keine große Hilfe, weißt du das?«
»Ja«, stimme ich ihr zu. »Das weiß ich.«
Was auch der Wahrheit entspricht. Ich bin keine große Hilfe. Ich hatte unzählige Krisen, seit ich Summer kenne, und sie war immer für mich da. Sie behielt stets den Durchblick in dem ganzen Chaos und wusste immer genau, was zu tun war. Und nun hat sie eine Krise, und was mache ich? Ich sitze ihr am Tisch gegenüber und habe Angst, etwas zu sagen, um nicht alles noch schlimmer zu machen.
Gut, zu meiner Verteidigung muss ich erwähnen, dass Summer im Moment absolut hormongesteuert ist, und wir wissen schließlich alle, wie tödlich das sein kann. Hormone sind winzige chemische Massenvernichtungswaffen. Hätten Bush und Blair den Hormonen den Krieg erklärt, hätte es keinen Untersuchungsausschuss gegeben.
Trotzdem ist mein Verhalten mehr als kläglich.
»Hör zu, es tut mir leid«, sagt Summer, die meine Verzweiflung zu spüren scheint. »Die ganze Situation ist so verworren, dass ich da selbst nicht durchsteige. Einerseits liebe ich Laurence nicht, andererseits will ich auch nicht ohne ihn sein. Ich habe noch nie so für einen Mann empfunden. Und dann bin ich auch noch schwanger ... Ich und ein Baby!«
»Ist doch cool. Man ist, was man ist, oder nicht?«
»Das dachte ich auch immer. Aber warum zum Teufel verhalte ich mich dann so?«
»Wie denn?«
»Zum Beispiel lege ich jedes Mal die Hand auf den Bauch, bevor ich die Straße überquere; und ich habe ständig den Drang, Babyausstattung zu kaufen; und ich liege im Bett und überlege, wie es heißen soll ...«
Jetzt bin ich total baff. Vor diesem Gespräch hätte ich es nicht im Entferntesten für möglich gehalten, dass Summer über mütterliche Instinkte verfügt. Dass sie diese sogar mehr als deutlich an den Tag legt, jagt mir einen Schrecken ein. Ganz ehrlich, bis jetzt habe ich geglaubt, dass Summers Schwangerschaft nur eine Richtung nimmt, und die führt nicht dahin, dass Summer ihr Gästezimmer in ein Kinderzimmer verwandelt.
»Und, weißt du schon, wie es heißen soll?«
»Britney, wie denn sonst? ... Ich habe keine Ahnung. Ich muss das alles erst einmal richtig verarbeiten.«
»Ich finde es toll«, sage ich und drücke Summers Hand. »Auch wenn du das anders sieht.«
»Nein, ich stimme dir zu. Ich kann zwar nicht glauben, dass ich das sage, aber im Grunde finde ich es auch toll. Nur leider gibt es schon jetzt ... Komplikationen.«
»Oh mein Gott, ist etwas mit dem Baby?« Vor meinem geistigen Auge sehe ich Summer einen Buggy schieben, in dem ein siamesisches Zwillingspaar mit zwei Köpfen und drei Beinen sitzt.
»Nein, dem Baby geht’s gut. Es ist wegen Laurence. Er dreht als Nächstes einen Film mit Samuel L. Jackson, den George Clooney produziert. Ein Polizei-Thriller, der bestimmt einschlagen wird. Laurence möchte damit den Durchbruch in Hollywood schaffen. Momentan ist er drüben, um den Setaufbau zu überwachen. Und er möchte, dass ich nächste Woche nachkomme.«
»Das ist doch großartig, Summer.« Ich strahle sie an. Diese Neuigkeit haut mich wirklich um. »Endlich erfüllt sich dein Traum. Und wo ist nun das Problem?«
»Ich soll erst einmal vorsprechen. Laurence möchte mich gerne für die weibliche Hauptrolle haben. Und George Clooney hat ein paar Ausschnitte von Angel Face gesehen und war sehr angetan von mir.«
»Aber ich dachte, du hattest in dem Film nur eine winzige Nebenrolle?«
»Sei nicht albern. Das habe ich doch nur gesagt, um dich nicht noch depressiver zu machen, weil du nichts mit deinem Leben anfängst.«
Mir bleibt erspart, darauf zu antworten, weil in diesem Moment die Kellnerin kommt, um unsere Teller abzuräumen. Bis jetzt habe ich erst ein Glas Wein getrunken, aber da mich diese Unterhaltung sehr anstrengt, bestelle ich ein zweites Glas.
»Mensch, Summer«, sage ich, nachdem die Kellnerin wieder weg ist. »George Clooney hält große Stücke auf dich.«
»Na ja, die Sache ist noch nicht in trockenen Tüchern. Universal möchte gerne Sharon Stone haben. Ich meine, für die bin ich ein No-Name. Darum muss ich auch für die Rolle vorsprechen.«
»Nun, Georges Meinung wird doch wohl Gewicht haben«, bemerke ich zuversichtlich. George Clooney hält große Stücke auf Summer! Wenn man überlegt, wie sie einmal angefangen hat ...
Die beiden Frauen am Nebentisch brechen in diesem Moment auf und bleiben an unserem Tisch kurz stehen. »Verzeihung, aber arbeiten Sie nicht fürs Fernsehen?«, fragt die eine der beiden.
Summer ist nicht in der Stimmung, Autogramme zu geben, und sie wirft mir einen flehenden Blick zu. »Wir nicht wissen, wovon Sie sprechen«, sage ich mit meinem besten spanischen Akzent und greife nach Summers Hand. »Meine Liebe und ich wohnen meiste Zeit in Madrid, manchmal auch in Barthelona. Sie kennen Barthelona?«
Nachdem die beiden die ganze Zeit die Ohren gespitzt haben, um unsere Unterhaltung zu belauschen, die wir natürlich im besten Englisch geführt haben, brechen sie nun in lautes Kichern aus, als hätten sie zwei Geistesgestörte vor sich.
»Aber, Summer, das Vorsprechen ist doch die Gelegenheit«, sage ich, nachdem die beiden weg sind. »Wo also liegt das Problem?«
»Nun, der Umstand, dass der Produzent, der mich für die Rolle haben will, nicht weiß, dass ich schwanger bin, könnte durchaus ein kleines Problem darstellen«, erwidert Summer sarkastisch. »Fran, in dem Film spiele ich eine Terroristin. Ich habe vier Kampfszenen und eine Stuntszene, bei der wir mit dem Helikopter abstürzen. Und ich bezweifle, dass das mit einem dicken Bauch und geschwollenen Beinen geht, du etwa nicht?«
Ah, jetzt verstehe ich.
Was für ein Chaos.
Um mir Zeit zum Nachdenken zu geben, hole ich eine Zigarette heraus. Als ich Summers Blick sehe, stecke ich sie schnell wieder zurück.
»Wenn ich nicht rauchen darf, sollst du auch nicht rauchen«, sagt sie. »Ich dachte ohnehin, du hast es aufgegeben.«
»Ich bin noch dabei«, entgegne ich, zumal ich wirklich die feste Absicht habe, damit aufzuhören ... irgendwann einmal. »Sag mal, Summer, willst du das Kind eigentlich bekommen?«
»Ja ... Nein ... Ich weiß es nicht, verdammt noch mal.«
»Okay, gut, ich sage dir jetzt, was du zu tun hast ...«
Summer blickt mich hoffnungsvoll an, mit Tränen in den Augen.
Was soll ich bloß sagen? Eigentlich ist Summer diejenige, die immer den richtigen Rat weiß – was würde sie mir wohl raten, wenn ich an ihrer Stelle wäre? Ich wünschte, ich könnte sie fragen ...
»Okay, du machst Folgendes ...«, ziehe ich meine Antwort noch etwas in die Länge. »Nämlich nichts.«
»Nichts?«
»Ganz richtig, absolut nichts ... vorerst jedenfalls. Du fliegst nach LA, du erzählst Laurence nichts von dem Baby, du bringst deinen Vorsprechtermin hinter dich, und dann triffst du eine Entscheidung. Ich meine, wenn am Ende Sharon Stone die Rolle bekommt, hast du lediglich das Problem, Laurence die Schwangerschaft zu beichten ... oder auch nicht.«
»Und wenn ich das Kind bekommen will?«
»Darüber können wir uns später noch Gedanken machen. Das wird alles bestimmt nicht einfach ... Aber wichtig ist, dass du dich im Moment nicht zu entscheiden brauchst. Mach dir einfach eine schöne Zeit in LA. Stell dir vor, Hollywood, Rodeo Drive, Mittagessen mit George und Samuel L ...«
Summer wirkt einen Moment lang nachdenklich. »Vielleicht hast du recht. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich dir wahrscheinlich genau dasselbe raten ...«
Wirklich?
»Ich meine, was bleibt mir anderes übrig?«
»Egal, was passiert, ich bin immer für dich da, Summer. Das weißt du, nicht wahr?«
»Ja, so wie jetzt«, entgegnet sie, und Tränen kullern über ihr Gesicht.
Als die Kellnerin die Rechnung bringt, setzt Summer ihre Sonnenbrille wieder auf. Nachdem die Kellnerin weg ist, lächelt Summer mich unter Tränen an. »Tut mir leid, Fran.«
»Was tut dir leid?«
»Dass du dir das ganze Gejammer anhören musstest. Wir haben die ganze Zeit nur von mir geredet. Sag, wie geht es dir überhaupt?«, fragt sie.
Ich überlege kurz, ob ich Summer die schlechte Neuigkeit – die Sache mit Richard – erzählen soll, entscheide mich jedoch dagegen, schließlich hat die »Was keiner weiß, ist auch nie passiert«-Strategie bis jetzt funktioniert ... Ich werde mich ausschließlich auf Positives beschränken. Und heute gab es etwas Positives. Noch mehr solche Tage wie heute, und ich bin mir sicher, dass die schlechte Neuigkeit bald kein Thema mehr ist.
»Ich habe heute Morgen ein paar Leute angerufen. Leute, mit denen ich früher gearbeitet habe«, erzähle ich Summer, während ich bei der Erinnerung daran lächeln muss.
»Wirklich?«, erwidert sie, plötzlich hellhörig geworden. »Mit wem hast du gesprochen?«
»Kannst du dich noch an Chris Sergeant erinnern?«
»Der Head of TV bei Saatchi?«
»Ja. Früher einmal war ich seine liebste Synchronstimme. Sei’s drum, jedenfalls war Chris am Samstag auch auf der Party, und ich war derart unhöflich zu ihm, dass ich ihn anrufen musste, um mich für mein Verhalten zu entschuldigen. Er will sich mit mir treffen. Er hat gesagt, dass er sich in den nächsten Tagen bei mir meldet, wenn er ein bisschen mehr Luft hat.«
»Das höre ich gerne. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du deinen faulen Hintern in Bewegung setzen und deine alten Kontakte spielen lassen sollst?«
»Das hat damit nichts zu tun. Chris ist ein alter Freund von mir.«
»Ja, ein alter Freund, der rein zufällig Head of TV von Londons größter Werbeagentur ist. Das hat sehr wohl damit zu tun, meine Süße, aber du brauchst dich deswegen nicht zu schämen. Wie auch immer, wen hast du noch angerufen?«
»Isabel ... du weißt schon, von Harvey und Isabel.«
Ich kann selbst nicht glauben, dass ich mich dazu überwunden habe. Ich habe tatsächlich Isabel kontaktiert, obwohl der bloße Gedanke daran mir so viel Angst gemacht hat, dass mir regelrecht übel war. Es hat eine Stunde gedauert, bis ich mich zu dem Anruf durchgerungen hatte. Ich erzähle Summer von der Mischung aus Krieg der Welten und Willy Wonka und von der Rolle als südafrikanisches Alien und dass Harvey und Isabel mich für die perfekte Besetzung halten, aber dass die Leute von Sony noch ein Wörtchen mitzureden haben.
»Das ist unglaublich, Fran. Wir sitzen sozusagen beide im selben Boot.«
»So habe ich das noch gar nicht betrachtet ... Bloß dass ich nicht gegen Sharon Stone antreten muss.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«
»Isabel schickt mir das Drehbuch zu. Und am Montag wollen die Verantwortlichen von mir eine Leseprobe hören. Mir geht jetzt schon die Düse.«
»Warum? Du hast es doch super drauf mit Südafrikanisch. Du klingst authentischer als Winnie Mandela. Das ist deine Chance. Herzlich willkommen in der grausamen Arbeitswelt. Das ist der Neubeginn, ich weiß es.«
»Ich bin mir da nicht so sicher. Gleich so eine große Rolle? Mir wäre für den Anfang eine etwas kleinere viel lieber, um ganz langsam wieder hineinzukommen und –«
»Hör auf, Fran«, unterbricht Summer mich, die ihre alte Unerbittlichkeit, die ich so sehr an ihr schätze, wiedergefunden zu haben scheint. »Ich warne dich, ich bin im Moment eine hormonelle Zeitbombe, und ich werde dich töten, wenn du erneut kneifst. Versprich mir, dass du mich nicht enttäuschst.«
»Okay, ich verspreche es.« Und das ist mein Ernst. Summer hat recht. Keine faulen Ausreden mehr.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. »Shit, ich komme zu spät«, fluche ich.
»Wohin musst du?«
»In die Schule. Ich habe wegen Thomas einen Termin bei der Konrektorin.«
»Deine armen Kinder. Es ist immer die Schuld der Eltern, wenn Kinder in der Schule negativ auffallen, weißt du?«, sagt Summer. Erst seit zwei Minuten schwanger und schon die Supermami. Wahrscheinlich gibt sie mir als Nächstes Tipps, wie man Auberginen am besten zubereitet.
»Du kannst mich mal«, erwidere ich, woraufhin Summer mir fest und liebevoll die Hand drückt. Da beleidigt man jemanden, und dann so etwas. Vielleicht sollte ich das mal bei Richard ausprobieren.
»Keine Angst, ich bin sicher, das ist alles halb so wild«, sagt sie. »Thomas ist ein guter Junge.«
Davon bin ich überzeugt.
»Ich bin sehr stolz auf dich«, sage ich. »Weil jetzt Hollywood ruft und so.«
»Nein, ich bin stolz auf dich.« Summer schenkt mir ein blasses Lächeln. »Geh ruhig. Ich übernehme die Rechnung. Und mach dir keinen Kopf. Alles wird gut. Das gilt für uns beide.«
Aber irgendwie macht Summer den Eindruck, als glaube sie selbst nicht daran.