18

 

Vor vierzehn Jahren, als Richard und ich uns kennen lernten, lief meine Karriere wie am Schnürchen. Ich hatte zwar nicht Summers Aussehen, aber das spielte keine Rolle. Meine Stimme war sehr gefragt, und die Werbebranche riss sich förmlich um mich. Sie wollten für eine Bank werben? Ich konnte sehr vertrauenswürdig klingen. Oder für ein Parfüm? Wie sinnlich dahingehaucht hätten Sie es denn gerne? Lebendiges Cockney, knorrige Nordlichter, Schönheiten aus dem Süden ... das gehörte alles zu meinem Repertoire. Ich habe für die BBC Naturdokumentationen synchronisiert und Radiosketche für Radio Four gemacht ... Und ich habe sogar bei einer frühen Folge der Simpsons mitgewirkt. Da damals die Hautevolee von der Satire nicht verschont wurde, war meine Maggie Thatcher dementsprechend begehrt. (Heute erledigt das der echte Tony Blair ganz von selbst, den kann man gar nicht mehr parodieren.)

Und dann das viele Geld! Nicht für Die Simpsons oder Spitting Image, sondern von Sony und Procter & Gamble. Wenn ein Werbespot verlängert wurde und immer weiter Tantiemen abwarf, konnte ich mit einer halben Stunde Arbeit in der Aufnahmekabine ein Vermögen verdienen.

Vor zwölf Jahren hatte Richard sein Studium beendet und verdiente zunächst gerade so viel, dass es für die Miete reichte. Nachdem wir ein halbes Jahr zusammen waren, zog er bei mir ein. Aus praktischen Gründen, wie wir uns sagten, aber wir wussten beide, dass mehr dahinter steckte. Wir waren bis über beide Ohren verliebt. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als wir – ha, nennen Sie uns liebestoll – zusammen in der Badewanne lagen. Wir waren zwar eingequetscht wie die Ölsardinen, und das Wasser schwappte ständig über den Wannenrand und durchnässte unsere Kleider, die achtlos auf dem Boden verstreut waren, aber wen kümmerte das? Wir waren, wie gesagt, toll vor Liebe.

Heute haben wir zwei Badezimmer und eine zusätzliche Dusche, sodass wir freie Wahl haben. Keiner muss mehr das Bad mit dem anderen teilen. Aber das war nicht der Sinn der Sache, oder? Müssen wir getrennte Bäder haben? Früher wollten wir immer alles zusammen machen.

Warum verstreuen wir unsere Klamotten nicht mehr wild auf dem Boden, ohne uns darum zu kümmern, dass sie nass werden oder wir darauf herumtrampeln? Wo ist die Spontaneität geblieben?

Komm her, ich will, dass du es mir jetzt besorgst, gleich hier auf dem Küchentisch, und mir ist egal, ob uns jemand dabei zusieht, aber besser, ich lege vorher dieses Messer hier zur Seite, und oh, die Vase stelle ich auch besser weg. Da fällt mir ein, ich muss noch eben kurz das Fleisch zum Auftauen herauslegen. Dabei könnte ich auch noch schnell die Spülmaschine anstellen, aber dann werde ich hemmungslos über dich herfallen, usw.

Nicht gerade, wie in Wenn der Postmann zweimal klingelt, oder?

Aber so ist es nun mal. Während die Leidenschaft mit der Zeit nachlässt, entwickelt sich eine innige Liebe, die wie ein Krebsgeschwür wächst. Leidenschaft erzeugt Liebe erzeugt Verachtung. Wie traurig.

Für ein paar Jahre lebte Richard mehr oder weniger auf meine Kosten. Dann machte er auf der Karriereleiter einen Sprung nach oben, und sein Gehalt ebenso. Bevor wir wussten, wie uns geschah, gab es eine große Hochzeitsfeier und schicke Autos und exotische Urlaubsreisen und schließlich die Kinder. Inzwischen sind vierzehn Jahre vergangen. Es ist Samstagmorgen: Richard ist bei seiner Forschungsgruppe in Bristol, und ich bin mit den Kindern alleine. Wieder einmal. Aber ich kann ihm keinen Vorwurf machen. Ich vermute, er geht mir aus dem Weg wegen der Sache am Montag, als ich nicht dort war, wo ich hätte sein sollen.

Ich habe Summer kurz gesimst, dass ich hoffe, dass sie sich auf der Party gestern gut amüsiert hat. Mein schlechtes Gewissen trieb mich dazu – weil ich keinerlei Anstrengungen unternommen hatte, um dorthin zu gehen. Doch selbst wenn ich einen Babysitter aufgetrieben hätte, was hätte ich dann anziehen sollen?

Ein neues Outfit! Meine Geburtstagsfeier ist in einer Woche, und der Gedanke, dass ich nichts zum Anziehen habe, versetzt mich in Panik. Dabei dachte ich, eine Lösung gefunden zu haben. Morgen, Sonntag – Richards freier Tag und damit auch mein freier Tag – wäre ideal, um in Ruhe shoppen zu gehen, während Daddy die Kids beschäftigt. Aber dann fiel mir zu meiner großen Enttäuschung ein, dass Richards Schwester morgen Geburtstag hat. Ich werde den ganzen Tag auf einer Familienfeier festsitzen.

Was soll ich bloß tun? Der Gedanke quält mich schon den ganzen Tag, und ich muss mich dringend auf etwas anderes konzentrieren.

Thomas hat schlechte Laune und zieht ein Gesicht, als wäre er des Lebens überdrüssig. Er war heute Morgen beim Fußballtraining, aber das ist zwei Stunden her, und er hat schon wieder Hummeln im Hintern. Es ist ein sonniger Herbsttag. Ich beschließe, mit Thomas, seinem Ball und Molly in den Park zu gehen.

Bevor wir uns auf den Weg machen, versuche ich Richard auf seinem Handy zu erreichen. Eigentlich hatte ich gehofft, er würde schon längst zurück sein. Vielleicht hängt er ja im Stau fest, wer weiß? Seine Mailbox meldet sich. Ich spare mir die Mühe draufzusprechen.

 

Als wir den Park erreichen, schaue ich nach vorne zu dem Café. Heute scheint viel Betrieb zu sein. Während wir darauf zugehen, entdecke ich Annabel, eine der anderen Schulmütter. Genauer gesagt, die mit der Warze auf der Nasenspitze, die mir in der tief stehenden Spätseptembersonne nun regelrecht entgegenleuchtet. Annabel ist in Begleitung von Cassie, die wiederum, obwohl sie keine Warze im Gesicht hat, die Arlington-Oberhexe ist. Je näher wir kommen, desto mehr Gesichter erkenne ich. Sieht fast so aus, als hätten sich hier sämtliche Arlington-Mütter versammelt. Was machen die alle hier?

»Bis später!«, ruft Thomas und saust los in Richtung Fußballwiese, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dort ist gerade ein Spiel im Gange, aber ich weiß, dass es sofort unterbrochen wird, wenn Thomas auftaucht. Dann werden sich die beiden Mannschaften erst einmal um ihn streiten. Ich muss Richard ja recht geben, es wäre ziemlich gewagt, eine Karriere als Profifußballer anzustreben. Die Chancen, es zu schaffen, sind mehr als gering. Trotzdem bin ich froh, dass er Fußball spielt. Thomas ist nicht einfach und sehr sensibel – man kann schon sagen unergründlich. Aber obwohl er mir, seinen Lehrern und wahrscheinlich auch sich selbst lauter Rätsel aufgibt, hat er zumindest im Fußball eine Antwort gefunden. Die Spielregeln sind einfach, er kann gut mit dem Ball umgehen, Ende der Geschichte.

Während Thomas zwischen der Spielermeute auf dem Rasen verschwindet, gehe ich mit Molly weiter zum Café. »Komm«, sage ich, »lass uns ein Eis essen.«

Bevor ich weiß, wie mir geschieht, ist im nächsten Moment Annabel an meiner Seite. »Fran, kann ich mal mit Ihnen reden?« Jetzt stehen wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Beziehungsweise von Angesicht zu Warze. Sieh auf die Augen, nur auf die Augen, bloß nicht auf die Nase, und schon gar nicht auf die Warze.

»Sicher«, entgegne ich. »Was ist hier eigentlich los?«, frage ich mit einem Kopfnicken in Richtung Café. Die Verandatüren stehen offen, sodass man ins Innere sehen kann, wo gerade ein Clown Luftballons zu Tierfiguren knotet, während offenbar Mollys gesamte Grundschulklasse um ihn herumtobt.

»Fabian feiert heute seinen Geburtstag«, teilt Annabel mir in kühlem Ton mit.

Das Kreischen der Kinder dringt nach draußen. Ich blicke auf Molly, auf ihr süßes Gesicht, während sie zu ihren Klassenkameraden hinüberstarrt, und es bricht mir fast das Herz.

»Sieh mal, Kasperle ist auch gekommen!«, kreischt sie plötzlich. »Und Maisy ist auch da! Kann ich zu den anderen, Mummy?«

Annabels Tochter Maisy und meine Molly sind in der Schule unzertrennlich.

Aber was soll ich ihr antworten?

Nein, du bist nicht eingeladen?

Nein, die wollen dich nicht dabeihaben?

Ich verspüre Gewissensbisse. Die arme Molly wird nicht oft zu Kindergeburtstagen eingeladen. Das ist nicht ihre Schuld – sie ist so ein süßes und braves Kind. Ich bin schuld. Die wenigen Frauen, mit denen ich befreundet bin, sind mir alle sympathisch – eine recht vernünftige Art, Freundschaften zu schließen, mögen Sie jetzt denken. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es falsch ist, mit Menschen befreundet zu sein, deren Gesellschaft man genießt. Wenn man will, dass die eigenen Kinder vorankommen – das heißt zu den richtigen Partys eingeladen werden –, muss man sich mit den Müttern ihrer Freunde gut stellen, da sie die Einladungslisten machen. Beweis: Molly steht hier draußen, und drinnen geht die Party ab.

»Bitte, Mum«, bettelt sie.

»Tut mir leid, Molly«, sage ich bedauernd. Ich versuche, sie zu trösten. »Aber ich kaufe dir gleich ein Eis. Ich muss vorher nur ganz kurz mit Annabel reden.«

Ich wende das Gesicht wieder der Warze zu und korrigiere rasch meine Blickrichtung um ein paar Zentimeter nach oben. Annabel sieht mich verlegen an, dann schenkt sie mir ein herablassendes Lächeln. »Hören Sie, es handelt sich um eine delikate Sache, daher will ich ganz offen mit Ihnen reden«, beginnt sie. »Maisy liegt mir ständig damit in den Ohren, was Molly in ihrer Lunchbox hat. Gestern waren es Gummibärchen, vorgestern Kekse mit Marmeladenfüllung ... und am Tag davor hatte sie, glaube ich, Freddie the Frog dabei.«

»Nun, ich lege ihr auch noch andere Sachen in die Lunchbox, aber es stimmt schon, sprechen Sie weiter.«

»Ich will Ihnen nur ersparen, in Verlegenheit zu geraten. Haben Sie gewusst, dass es momentan Überlegungen gibt, Süßigkeiten in der Schule zu verbieten? Das betrifft auch den Inhalt der Lunchboxen.«

Nein, das habe ich nicht gewusst, aber es überrascht mich nicht. Es wäre vermessen zu glauben, der von Müttern regierte Polizeistaat Arlington würde jemals Süßes oder Schokolade dulden, Dinge, die nun mal zu einer Kindheit gehören. Ich stelle mir Mollys betrübtes Gesicht vor, wenn sie ihre Lunchbox aufmacht, die ich mit Naturreis und Tofu gefüllt habe, während sie sich verzweifelt nach einem Stück Schokolade in Form einer schleimigen Amphibie sehnt.

»Mummy, die Party.« Molly zerrt an meiner Hand.

»Nur als kleine Anregung«, fährt Annabel fort, »ich habe herausgefunden, dass Joghurt und zerkleinertes Obst ein idealer Ersatz sind für Süßes ... und vor allem viel gesünder.«

Wissen Sie was? Ich habe es satt, mich belehren und herumkommandieren zu lassen. Und die ekelhafte Warze habe ich schon lange satt. Ich werde jetzt mal Tacheles reden.

»Molly hat eine Glukose-Intoleranz«, verkünde ich. Das war zwar nicht gerade Tacheles, aber ich setze mich trotzdem zur Wehr. Irgendwie jedenfalls.

»Was habe ich, Mummy?«, fragt Molly, die immer noch in Richtung Party starrt.

»Sie meinen wohl eine Laktose-Intoleranz?«, fragt Annabel stirnrunzelnd.

Offenbar bin ich mir nicht sicher, was ich meine. »Ja, das auch, und wissen Sie, Annabel, Mollys Ernährungsplan ist schon sehr stark eingeschränkt.« Ich spüre, dass ich rot werde, und wende das Gesicht ab, wobei ich so tue, als würde ich fasziniert den Clown beobachten.

»Aber heutzutage gibt es doch zahlreiche Alternativen. Ich gebe Ihnen mal bei nächster Gelegenheit eine Einkaufsliste, dann können Sie im Naturkostladen vorbeischauen«, sagt Annabel.

Ich will am liebsten ganz schnell verschwinden, Molly zuliebe und mir zuliebe. Ich kann zwar Annabels Aufdringlichkeit ignorieren, nicht jedoch Mollys Enttäuschung darüber, nicht zu der Party eingeladen zu sein. Wie gerne würde ich ihr jetzt sagen, dass »Fabian« ein ziemlich bescheuerter Name ist. Ein bescheuerter Junge, eine bescheuerte Party, eine bescheuerte –

»Oh, hallo, Fran.«

Ich drehe mich um, und Natasha steht plötzlich vor mir. Die Mutter von Fabian.

»Worauf wartest du noch, Molly?«, sagt Natasha lächelnd. »Du kommst ein bisschen spät, aber das macht nichts. Hier ist dein Sticker.« Sie zieht den Klebestreifen von einem weißen Namensschild ab, auf dem mit dickem orangefarbenem Filzstift »Molly« geschrieben steht.

Oh Gott, ich bin eine schlimme Person. Ich traue Fabians Mutter ohne weiteres zu, dass sie Molly von der Geburtstagsparty ausschließt, und dabei hat sie schon auf sie gewartet. Molly ist also doch eingeladen – wie das Namensschild beweist. Als ich ihr strahlendes Gesicht sehe, während sie davonhüpft, hebt das kurz meine Stimmung.

Aber nur kurz, denn gleich darauf – Shit! – wird mir bewusst, dass wir kein Geschenk haben. Und es ist allgemein bekannt, dass einem Kind, das zu einer Geburtstagsparty ohne Geschenk auftaucht, lebenslange soziale Ächtung droht.

»Möchten Sie vielleicht etwas trinken?«, fragt Natasha, während ich fieberhaft überlege. »Für uns Mütter habe ich einen Wein mitgebracht. Das Personal weiß Bescheid und stellt sich blind, vorausgesetzt, wir trinken aus Plastikbechern. Wenn einer fragt, dann trinken wir Apfelsaft, okay?«

Natasha zwinkert mir zu. Gott, ich bin wirklich eine schreckliche Person, weil ich grundsätzlich vom Schlimmsten ausgehe und alle über einen Kamm schere. Ich kenne zwar Natasha nur flüchtig, aber jeder, der das Alkoholverbot umgeht und das beschauliche Parkcafé in eine Trinkhölle verwandelt, ist mir auf Anhieb sympathisch.

»Ich würde gerne ein Glas Wein trinken«, erwidere ich, »aber dummerweise habe ich Fabians Geschenk zu Hause vergessen.«

Annabels Augen werden schmal. Wahrscheinlich ahnt sie, dass das nur eine Ausrede von mir ist. »Wir haben Fabian ein Ratequiz geschenkt«, plappert sie dazwischen. »In dem Alter sind sie ganz wild auf Lernspiele, nicht wahr?«

Am liebsten würde ich ihr entgegnen – vorzugsweise während ich sie nebenher verprügle –, dass das Blödsinn ist, weil Kinder in diesem Alter sich am liebsten Murmeln in die Nase stecken, aber ich halte mich zurück.

»Das war eine nette Idee, Annabel, aber Sie hätten sich nicht solche Mühe machen müssen«, entgegnet Natasha. »Fabian spielt nämlich immer noch am liebsten mit den leeren Verpackungen. Ich dachte eigentlich, dass das spätestens ab dem achtzehnten Monat aufhört.« Lachend beugt sie sich hinunter, um ihren Kleinsten auf den Arm zu nehmen. »Trist ist seinem Bruder Fabian sehr ähnlich, nur Quinn schlägt etwas aus der Art, nicht wahr, Trist?«

Ich hatte ganz vergessen, dass Natasha drei Jungs hat. Und seht sie euch an: schlanke Figur, gepflegtes Äußeres, natürliches Auftreten.

Ich scharre mit den Füßen und blicke auf meine dreckigen Turnschuhe und meine ausgefranste Jeans. Ich versuche mich mit dem Gedanken zu trösten: Na gut, Natasha sieht zwar klasse aus, aber trotzdem haben ihre Kinder bescheuerte Namen. Seltsamerweise heitert mich das nicht auf. Eher im Gegenteil. Warum denke ich nur immer so schlecht von den Menschen?

»Machen Sie sich wegen dem Geschenk keine Gedanken. Setzen Sie sich einfach hin und entspannen Sie sich«, sagt Natasha jetzt zu mir. »Ich hole Ihnen inzwischen einen Wein.«

Während Natasha sich entfernt, gesellt auch Annabel sich wieder zu ihren Mitstreiterinnen, samt ihrer Warze. Die Oberhexe Cassie lächelt mich verkniffen an und wendet dann rasch den Blick ab. Warum macht sie so ein komisches Gesicht? Egal, Hauptsache, Molly ist glücklich. Und Natasha bringt mir in diesem Moment einen Wein. Was will ich mehr?

Ich entferne mich ein kleines Stück von dem Café und setze mich auf eine Parkbank, wo ich Thomas beim Fußballspielen beobachten kann. Ich trinke einen Schluck Wein und spüre, wie der Alkohol meine Anspannung löst. Mag sein, dass ich mich noch immer über Annabels lächerliche Strafpredigt wegen Mollys Lunchbox ärgere, aber noch ein paar Schlucke von dem Wein, und mich kann nichts mehr erschüttern.

Ich werfe einen Blick zurück zum Café, wo Cassie, Annabel und die anderen Hexen gerade eifrig die Köpfe zusammenstecken. Worüber die wohl reden? Vielleicht tauschen sie ja Kochrezepte aus.

Molchauge, Fledermausohr, Rattenschwanz, Katzenkralle. Aber nicht vergessen, einen Löffel Couscous und eine Hand voll Sojasprossen hinzuzufügen. Schließlich, meine Damen, ist eine gesunde Ernährung das A und O.

Natasha hat mich allerdings angenehm überrascht mit ihrer Freundlichkeit und ihrem Wein. Vielleicht bin ich ja zu vor eingenommen. Ich beschließe, mir die Mütter der anderen Kinder in Zukunft genauer anzusehen, bevor ich über sie urteile, als mein Handy klingelt.

»Was willst du zuerst hören?«, sagt Richard. »Die gute oder die schlechte Nachricht?«

»Die Gute, schätze ich.«

»Ich habe dir ein Profiglätteisen von GHD mitgebracht. Aus der neuen Sonderkollektion in Pink.«

Richard macht eine Pause und wartet darauf, dass ich ihm ewige Dankbarkeit schwöre. Nachdem ich ihn vergangenen Montag so schlimm enttäuscht habe, sollte ich das eigentlich tun. Aber ich tue es nicht.

Stattdessen sage ich: »Schön. Danke. Und die schlechte Nachricht?« Wie Richards Idol, Don Corleone, bin auch ich ein Mensch, der gerne weiß, woran er ist.

»Das Meeting war ein totaler Flop. Wir müssen uns heute noch mal zusammensetzen, um zu einem Ergebnis zu kommen, und morgen ist ein Dringlichkeitstermin zur weiteren Zukunftsstrategie anberaumt.«

»Am Sonntag?«

Aber warum überrascht mich das? Schließlich wäre das nicht das erste Mal.

»Ich weiß, mir passt das ebenfalls nicht. Außerdem bin ich hundemüde. Ich habe letzte Nacht kein Auge zubekommen.«

»Du Armer«, sage ich, wobei ich versuche, jeglichen Sarkasmus in meiner Stimme zu unterdrücken. Es stinkt mir, dass Richard morgen in die Firma muss und ich alleine zu seiner Familie fahren kann, ohne ihn. Während ich gegen meine aufkeimende Panik ankämpfe, höre ich Richard, der über die Arbeit schimpft, nur noch halb zu und beobachte, wie Thomas in diesem Augenblick ein Tor macht – mit einem athletischen Volleyschuss, wonach sich seine Mannschaftskameraden jubelnd auf ihn stürzen und ihn unter sich begraben. Mein Sohn!

»Was ist los?«, fragt Richard, der gemerkt hat, dass ich ihm nicht mehr zuhöre.

»Thomas hat soeben ein Tor geschossen. Wir sind im Park. Und Molly ist auf Fabians Geburtstagsparty.«

»Stimmt, ich habe letzte Woche die Einladung in ihrer Lunchbox gefunden«, entgegnet Richard gedankenverloren.

»Und warum hast du sie mir nicht gezeigt?«, pflaume ich ihn unbeabsichtigt an.

»Das habe ich doch!«, protestiert er. »Ich habe die Einladung auf deinen Papierstapel in der Küche gelegt.«

»Wie dumm von dir, das war das Altpapier.« Meine Stimme klingt jetzt sehr laut.

»Warum regst du dich so auf?«, schreit Richard zurück. »Molly ist doch auf der Party, oder?«

»Ja, aber fast hätte sie sie verpasst. Das hätte ein ziemliches Drama gegeben.«

»Ich habe es nur gut gemeint.«

»Nun, in Zukunft kümmerst du dich besser um deinen Job, und ich kümmere mich um die Kinder.«

»Schön, ich werde dich an diese Worte erinnern, wenn du dich mal wieder beschwerst, dass es dich langweilt, nur Hausfrau und Mutter zu sein.«

»Schön

»Gut.«

»Gut.«

»Okay ... Ich leg jetzt auf.«

Und weg ist er.

»Fick dich«, sage ich zu niemandem und leere meinen Plastikbecher in einem Zug, um zu feiern, dass ich das letzte Wort hatte, auch wenn Richard es nicht gehört hat ... und auch wenn er wahrscheinlich gerade ein lautloses »Fick dich selbst« in den Himmel über Bristol schickt. Nein, Richard würde nie »Fick dich« sagen. Er hält nichts von Vulgärsprache – laut Richard der Beweis für einen mangelhaften Wortschatz. Allerdings scheint es ihn nicht zu stören, dass Tony Soprano jeden Satz mit »Fick dich« anfängt.

Richard, der Mafiafan. Ein beliebter Partygag: Man nenne eine beliebige Szene aus Goodfellas, und Richard zitiert den genauen Wortlaut, er kann ganze Szenen wortgetreu nacherzählen. Sein Akzent ist zwar verbesserungswürdig (aber das ist nur meine bescheidene Meinung), dennoch ist sein Gedächtnis phänomenal. Da ich ihm schon unzählige Male dabei zugehört habe, bin ich mit den Jahren unfreiwillig zur Expertin geworden. Es gibt eine Szene, in der Henry und Jimmy die Straße entlanggehen und Jimmy fragt: »Ob Morrie seiner Frau etwa alles erzählt?« Und obwohl die Frage ganz harmlos klingt, weiß Henry, dass Morrie erledigt ist. So einfach und schnell können lebensverändernde (und lebensbedrohliche) Entscheidungen gefällt werden.

Ich werde genauso vorgehen. Nein, nein, das heißt nicht, dass ich Richard erledigen werde ... zumindest noch nicht. (Das war ein Witz!)

Aber ich muss etwas tun. Ich weiß, dass ich ein paar Dinge ändern muss. Und zwar jetzt, und nicht erst nächste Woche, nächsten Monat oder nächstes Jahr, wie ich mir sonst immer sage. Nicht nur meine geistige Gesundheit steht auf dem Spiel, sondern auch meine Ehe.

Es ist doch so: Richard und ich leben zwar zusammen in einem Haus, aber auf völlig unterschiedlichen Planeten. Und wenn wir uns zwischendurch begegnen, geraten wir jedes Mal aneinander. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen das anders war ...

Unser erstes Rendezvous: drei überaus fröhliche Stunden in einem billigen Pizza-Imbiss. Wenn ich ehrlich bin, fiel es mir früher kinderleicht, andere Menschen zum Lachen zu bringen – ich brauchte nur die Speisekarte mit meiner Joan-Rivers-Stimme vorzulesen, und schon hatte ich gewonnen. Aber Richard hörte hinter die Stimmen, die ich imitierte. Er sah über meine Schönheitsfehler – nur knapp über einsfünfzig, zu schmale Lippen, kaum Brust – hinweg und verliebte sich ausgerechnet in mich. Und ich mich in ihn. Sein trockener Humor, den er immer im richtigen Moment einzusetzen wusste, begeisterte mich so sehr, dass ich Tränen lachte. Ich habe es vor Augen, als wäre es erst gestern gewesen. Diese glückliche Zeit ... dieses Lachen ...

Aber wissen Sie was? In diesem Moment, während ich noch immer auf der Parkbank sitze, fällt mir kein einziger von Richards Scherzen ein.

Früher fand ich ihn cool. Er kokste, kiffte, soff und pflegte eine »Mir doch scheißegal«-Einstellung, was mich sehr beeindruckte. Später beeindruckte er durch seine gute Arbeit, woraufhin die Beförderung erfolgte. Ab da hatten die lässigen T-Shirts ausgedient, die sein Tattoo immer so schön zur Geltung brachten, und stattdessen waren jetzt Anzug und Krawatte angesagt, um einen professionellen Eindruck zu machen. Ich sagte ihm damals, mir würde sein neuer Look gefallen, was wohl auch gestimmt hat. Allerdings forderte der berufliche Aufstieg immer mehr Freizeit, aber damals war das noch okay. Damals hatte Richard noch Energie im Überfluss, mit der er uns ansteckte, wenn er nach Hause kam. Dank der Gehaltserhöhungen und Aktienbeteiligungen leben wir nun in einem großen Haus und führen ein wunderbares Leben.

Vor zehn Jahren, als ich mit Thomas schwanger war, gab Richard – wie Sureya und offenbar auch jeder andere – das Rauchen auf. Ich sagte zu ihm, dass ich ebenfalls aufhöre, was ich auch tat – achtzehn Monate lang. Ich überstand zwei Schwangerschaften ohne Zigaretten. Aber während meine Freundin und mein Mann bis heute standhaft geblieben sind, sitze ich hier auf einer Parkbank, in der einen Hand einen Becher Wein, in der anderen eine Zigarette. Aber immerhin, sage ich mir zum Trost, habe ich während der Schwangerschaften auf Nikotin verzichtet und zwei hinreißende, pausbäckige Achtpfünder zur Welt gebracht, die sich, wie zu erwarten war, prächtig entwickeln.

Ganz im Gegensatz zu unserer Ehe.

Was geschieht mit Paaren, wenn sie Eltern werden? Wie kommt es, dass Kinder winzige Keile zwischen ihre glücklich verliebten Eltern treiben? Ehrlich, Molly und Thomas bedeuten mir alles. Ohne sie möchte ich nicht sein. Aber wo bleibt Richard? In Bristol, da hängt er nämlich fest. Doch was soll ich sagen? Mag sein, dass er nicht dort ist, wo er an diesem sonnigen Samstagnachmittag sein sollte, aber ich war am Montag ja auch nicht dort, wo ich hätte sein sollen.

Wer im Glashaus sitzt ...

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, als Richards bezaubernde Tochter auf mich zugehüpft kommt. Sie winkt triumphierend mit ihrer Geschenktüte, als hätte sie soeben den Da-Vinci-Code geknackt. »Sieh mal, Mummy, sieh doch!«, brüllt sie und winkt mit einem Ungetüm aus gelbem Zellophan.

Ein kurzer Freudenjubel scheint die angemessene Antwort zu sein, also juble ich.

Hinter Molly taucht nun auch Maisy auf, und beide setzen sich vor mir in das Gras und tauchen die Finger in die Brause, die in den Geschenktüten war. Während ich die beiden betrachte, frage ich mich, was wohl die Süßigkeitenpolizei dazu sagen wird.

»Ich habe Annabel eine Großpackung Brause mitgebracht. Natürlich als Geschenk verpackt.«

Es ist Natasha, und ich registriere positiv, dass sie offenbar Gedanken lesen kann. Es ist mir ein wenig peinlich, dass sie meine Unterhaltung mit Annabel vorhin mitbekommen hat, aber ich überspiele das mit einem Lachen und sage: »Die beiden sind jedenfalls glücklich. Danke.«

»Ja, sie haben ihren Spaß. Hier, nehmen Sie.« Sie reicht mir einen von zwei Plastikbechern, die bis zum Rand mit Wein gefüllt sind, und fügt hinzu: »Den habe ich jetzt nötig.«

Sie leert gierig ihren Becher in einem Zug.

»Nun, jetzt ist es ja überstanden. Bis wieder ein Jahr um ist«, erwidere ich fröhlich.

»Diese blöden Kinderanimateure sind das Allerletzte. Die hassen nicht nur uns Mütter, die hassen unsere Kinder sogar noch mehr. Alles arrogante Wichser ... Und Kasperle ist der Oberwichser.«

Diese Frau ist in Ordnung. Sie ist cool, besitzt einen guten Humor und – aber nicht weitersagen – sie flucht, was das Zeug hält!

»Blöd, dass ich mit dem Wein gewartet habe«, sagt sie weiter. »Ich hole mir noch einen. Ich bringe Ihnen auch noch einen mit. Bin gleich wieder da.«

Aber auf den nächsten Becher werde ich wohl verzichten müssen. Als Natasha sich auf den Weg macht, endet das Spiel auf dem Rasen, und Thomas trottet zu mir herüber. »Komm, lass uns gehen«, sagt er mürrisch – man würde nicht ahnen, dass er gerade sechs oder sieben Tore geschossen hat. Thomas bleibt ungern länger an einem Ort als nötig.

Und ich habe mittlerweile gelernt, dass es keinen Sinn hat, mit meinem Sohn zu diskutieren, also machen wir uns auf den Heimweg. Ich winke Natasha kurz zum Abschied, aber sie winkt nicht zurück. Sie sieht aus, als stünde sie kurz davor, dem Kasperl eine Kopfnuss zu verpassen, der ihr anscheinend gerade erklärt, wie man Reise nach Jerusalem richtig spielt. Am besten, ich störe sie nicht weiter.

Ich vermeide jeglichen Blickkontakt mit den Hexen, die immer noch am Tisch die Köpfe zusammenstecken. Gutes Gelingen wünsche ich. Die können mich mal. Der Nachmittag war doch nicht so ein Flop wie befürchtet. Außerdem wollte ich neue Freundschaften schließen, und was passiert? Es funkt sofort mit Natasha, die ich noch vor wenigen Stunden vorschnell mit den anderen in einen Topf gesteckt hatte. Manchmal ist es gut, eines Besseren belehrt zu werden.

Endlich fühle ich mich einmal so, wie die anderen Mütter immer aussehen – halbwegs glücklich. Ich beschließe, mit den Kindern einen Kuchen zu backen oder gemeinsam zu malen, wenn wir zu Hause sind. Oder vielleicht spielen wir auch Duke Nukem. Wer weiß? Jedenfalls werden wir Spaß haben, ob mit oder ohne Playstation.

Selbst den Streit vorhin mit Richard am Telefon sehe ich nun gelassener. Im Grunde war er sogar gut. Er hat mich nämlich in dem Entschluss bestärkt, etwas zu ändern. Und dieses Mal halte ich mich daran: Kuchen backen, Bilder malen, mein Leben sortieren. Natürlich in dieser Reihenfolge.