Liad
Jelaza Kazone

 

 

Es war spät, als sie das alte Buch zuklappte und es an seinen angestammten Platz zurückstellte. Dies getan streckte sie sich, Hände hoch über ihrem Kopf, Füße über dem Boden schwebend, den Sessel fast horizontal gestellt. Sie zählte bis zehn, hielt die Position, angestrengt, jeden Muskel angespannt. Bei elf entspannte sie sich abrupt, atmete heftig aus, mit einem Laut, der sich an den Metallwänden brach.

Der Sessel klappte wieder in die Vertikale und sie lachte, nutzte eine Hand, um das wilde, schwarze Haar aus ihrem Gesicht zu streichen. Die andere Hand hielt sie nach unten, ihre Finger auf der Suche nach dem Kamm, der seiner Pflicht entkommen war und auf dem Boden lag, gute drei Fuß jenseits ihrer Reichweite. Sie rief ihn.

Und so gerufen flog er in ihre Hand. Sie benutzte ihn, um ihr hastig zusammengeflochtenes Haar zu binden, die Finger ruhten für einen Moment auf dem seidenen Holz. Es war ein wertvolles Objekt – geschnitzt von Daav yos'Phelium, Val Cons wahrem Vater, um das Haar seiner lieben Lady zu schmücken. Anthora hatte ihn zu ihrem Namenstag bekommen, überreicht von Val Con. Damit war das Geschenk dreifach wertvoll und es war der Schmuck, den sie am häufigsten trug.

Sie streckte sich erneut, diesmal etwas weniger heroisch und begleitet von einem Gähnen, dann erhob sie sich sanft. Die Jüngste der yos'Galans hatte den drallen Körper ihrer terranischen Mutter geerbt, jedoch ohne die notwendige Größe, um den Eindruck zufriedenstellend zu kompensieren. Dennoch gehörte sie zu Korval, war Pilotin der Linie, schnell auf den Füßen und elegant in ihrer Haltung.

Sie wandte sich um, drehte sich graziös im Kreis und rief laut: »Lord Merlin? Kommen Sie, Sir! Wir gehen spazieren und dann ins Bett!«

Ihre Stimme kam von den Metallwänden zurück, tief und vibrierend, mit einem Oberton, der am Rande ihres Gehörs klingelte.

Von irgendwoher inmitten der Bücher kam ein »Mmerwef!« und der Aufschlag von etwas Solidem auf dem Teppich. Einen Moment später spazierte ein recht großer, grauer Kater über die Kante eines Regals und schaute sich mit runden, goldenen Augen um.

Anthora lächelte und bewegte sich in Richtung Tür, der Kater strich an ihrem Knöchel vorbei. Er wartete geduldig, während sie die Druckschleuse betätigte und folgte ihr in den getäfelten Gang, wartete erneut, während sie das Licht ausschaltete und die Bibliothek versiegelte.

Alle Pflichten erfüllt, spazierten die Katze und die Frau den Gang hinunter und hinaus in den inneren Garten.

 

Der Garten wurde durch das Licht der Sterne erhellt – genug für jemanden, der den Weg kannte. Anthora ging langsam, genoss die Nachtluft, kühl mit den Gerüchen wachsender Dinge. Sie spazierte den Pfad entlang, bis sie zum Zentrum kam, dem Platz des Herzens, und hier verließ sie den Weg und schritt über das Moos, um ihre Hand an Jelaza Kazone zu legen, Jelas Erfüllung, der Welt bekannt als Korvals Baum.

»Guten Abend, Ältester«, murmelte sie und fühlte, wie ihre Handfläche warm wurde, wo sie auf der Borke lag. Sie atmete den kühlen, minzigen Geruch tief ein und lehnte sich an, die Schultern wohlig entspannt. Zu ihren Füßen, in einem Delta aus dunklen Wurzeln, kuschelte Merlin sich hin, die Vorderpfoten unter seiner Brust, die goldenen Augen zufrieden geschlitzt.

In der Dunkelheit schloss Anthora die Augen. Sie füllte ihre Lungen mit der würzigen Luft, Jelaza Kazone wärmte ihren Rücken durch die Haustunika hindurch, die sie trug. Langsam, als ob mit eigenem Willen beseelt, hoben sich ihre Hände, die Flächen den Sternen zugewandt.

Anthora öffnete ihr inneres Auge für das Geglitzer der Galaxis und begann, in ihrem nächtlichen Ritual zu zählen.

Da, die kalte Flamme, war Nova, verschwommen durch die Schleier des Hyperraums. Und dort Shan, warm wie eine Umarmung. Durch ihn, mehr erahnt als gesehen, fand sie Priscilla. Und da war Cousin Pat Rin, entspannt wie immer.

Es war ein dummes Ritual, da sie jenen, die so fern waren, keine Hilfe sein konnte, sollten sie sich in Not befinden. Sie lebte durchaus in Angst vor jener Nacht, in der eine der fragilen Kerzen nicht mehr flackern würde und sie nichts tun konnte, um die Flamme wieder zu entzünden.

Dennoch tat sie es immer wieder, ließ sich trösten, wenn es sich anbot – und heute Nacht hatte sie schon vier gezählt, Nova, Shan, Priscilla, Pat Ring, sicher, zumindest jetzt, und in ihrem Herzen.

Also weiter. Sie nahm noch einen tiefen Atemzug und schickte ihren Geist erneut auf die Reise. Val Con … Sie fand ihn, seine Flamme leuchtete genauso hell wie zu seiner Zeit vor der Falschheit, die, wie Anthora nun wusste, Abteilung für Innere Angelegenheiten hieß; an seiner Schulter ein Feuer, Miri – seine Lebenspartnerin, die Anthora noch in schwesterlicher Umarmung willkommen heißen musste.

Gut, also sechs, mit ihr selbst sieben. Sie fokussierte sich auf ein einfacheres Ziel, berührte die Kinder – Quin, Padi, Syl Vor, Mik und Shindi – und Großtante Kareen yos'Phelium, und Cousin Luken bel'Tarda, hell, alle hell, an sicheren Orten, und dann atmete sie erneut ein und warf ihren Geist noch weiter aus.

Sie hatte diese hier zuerst bemerkt, als sie mit den Zwillingen schwanger gewesen war. In jenem Zustand erhöhter Macht war diese Flamme ihr deutlich erschienen wie ein Komet am Horizont. Nun war es ein helles Glitzern, ein edelsteinbesetzter Nadelkopf, manchmal gefühlt, manchmal gesehen, und dann auch wieder verloren im Dschungel der vielen Welten. Heute Nacht dachte sie, sie würde sie verpassen, doch dann erhaschte sie eine Ahnung des ganz eigenen Glitzerns, am extremen Rande ihrer Fähigkeit zu erkennen.

Es gab noch keinen Namen, den man diesem Edelstein geben konnte, aber sie hieß ihn willkommen, wie sie die Flammen ihrer bekannten und mit Namen versehenen Verwandten willkommen hieß, und hatte genauso Angst vor seinem Verlust.

Also, die Erwachsenen, gezählt und bekannt, . Kinder, alle fünf. Clan Korval, bestehend aus exakt vierzehn, vom Ältesten zum Jüngsten. Die Wärme in ihrem Rücken wurde kurz noch intensiver und Anthora lächelte, als sie ihre Hände senkte.

Fünfzehn, natürlich. Man durfte den Baum nicht vergessen.

Aber trotz des Baums schienen sie wenige zu sein – sehr wenige. Keine Fähigkeit konnte ihr helfen, die Zahl jener zu schätzen, die sie jagten – aber sie schätzte sie auf deutlich mehr als fünfzehn.

Sie öffnete ihre Augen und schritt vom Baum fort, doch ohne das Gefühl des Glücks, das sie normalerweise zu dieser Gelegenheit erfüllte. Stattdessen verabschiedete sie sich vom Baum in einem Tonfall voller Ernst und ging sanft über den bemoosten Teppich zum Pfad, wo sie innehielt und zurückblickte.

»Lord Merlin?«

Der Kater öffnete seine Augen, streckte sich und schlenderte zu ihr, rieb sich an ihrem Bein, ehe er ihr in Richtung Haus und Bett voraneilte.

Flucht nach Lytaxin: Ein LIADEN-Roman
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