Dutiful Passage
Sprung

 

 

Ein seltsamer Stolz durchdrang das Schiff. Shan fühlte es wie eine elektrische Spannung, als er sich dem Tower näherte.

Die Stimmung im Schiff störte ihn. Vor nicht einmal drei Stunden waren sie von Hafenmeister Vinikovs rasch zusammengestoppelter Armada zum Sprungpunkt eskortiert worden und die Crew – seine Mannschaft manierlicher Händler! – hatte sich ganz diesem Ruhm hingegeben.

Er hatte alle auf die Kampfstationen beordert, und es wurde sofort und schmerzhaft deutlich, dass es kein Schiff in diesem System gab, das es mit der Dutiful Passage aufnehmen konnte. Tatsächlich waren die zehn militärischen Einheiten, die sie eskortierten, zusammen kein ernsthafter Gegner. Die Passage hatte drei Waffenträger in Reserve und die anderen hatten dreifache Zielerfassung. Sie konnten die Systemverteidigung überwinden und den Planeten als Geisel nehmen.

Hafenmeister Vinikov und seine Flotte hatten die Position gehalten, bis die Passage gesprungen war.

Wenn er sich entschieden hätte, ein Pirat zu werden …

Shan zitterte.

Das Problem war Macht.

Die Mannschaft war sich plötzlich der Macht dieses Schiffes bewusst. Plötzlich hatten sie eine Idee von Korvals Macht.

Wie auch die Feinde Korvals, da solch eine Eskorte kaum unbemerkt geblieben sein konnte. Binnen Tagen würde die Galaxis wissen, dass die Dutiful Passage Krisko verlassen hatte, Baum-und-Drache an jedem wichtigen Punkt, nicht die neutrale ID eines Frachters sendend, sondern die schrille Warnung eines Schlachtschiffs.

Ich wage es. Korvals Motto. Octavia Vinikov kannte das Motto und das eine oder andere Ereignis aus Korvals Geschichte.

Octavia Vinikov hatte ihren alten Saufkumpanen und Schachpartner das Dock verlassen sehen, als Kommandant eines Kriegsschiffes. Und gehandelt, wie es eine Hafenmeisterin musste, um die Sicherheit des Hafens zu gewährleisten. Obwohl sie als erfahrene Taktikerin, die sie war, gewusst haben musste, dass ihre Flotte niemals einem Angriff seitens der Passage widerstehen könnte.

Shan seufzte. »Die Götter mögen die Unschuldigen beschützen«, murmelte er und drückte seine Handfläche gegen die Tür des Kommunikationsraums. »Unschuldig? Wer ist unschuldig?«, fragte die vertraute Stimme des Senior-Radiotechnikers Rusty Morgenstern. Shan schaffte es, schwach zu lächeln. »Wir sind alle unschuldig, mein Freund«, sagte er und nickte in Richtung der Konsole, vor der Rusty saß. »Wie geht's voran mit der neuen Konfiguration?«

»Fast fertig. Wir wären schon fertig, wenn wir nicht eine Menge Arbeit in letzter Minute gehabt hätten wegen dieser schönen Abschiedsparade.« Rusty grinste, sein weiches, rundes Gesicht leuchtete vor martialischer Wichtigkeit, bevor er ihm etwas anderes einfiel und er etwas aus einem Fach der Konsole holte.

»Hier sind ein paar für dich …«

Er hielt ihm einen versiegelten Umschlag hin, mit einem Holostreifen quer über dem Siegel.

Shan hob seine Augenbrauen.

»Es kam Code heraus, nachdem ich die Meldung dekodiert habe«, erklärte Rusty mit einem Male schüchtern. »Also dachte ich mir, ich sollte sie versiegeln …«

»Natürlich.« Shan nahm den Umschlag und wog ihn in der Hand. »Von nun an will ich, dass alles dieser Art direkt in meine …«

Rusty nickte ernsthaft.

»Das habe ich versucht, aber Priscilla sagte, du wärst schon fast hier.«

»Ich verstehe. Und hat dir Priscilla noch etwas gesagt?«

»Nur, dass ich alle nach außen gehenden Kanäle doppelt überprüfen soll, dass unsere ID überall gespeichert ist, und das Gleiche soll ich für die Rettungsboote tun, wenn ich die Chance habe.«

Shan schüttelte etwas frustriert den Kopf. »Ich hätte mir den Weg hierher sparen können.«

»Nein, wir mussten uns treffen. Ich brauche hier eine Unterschrift.«

Shan schaute auf die offiziell aussehende orangefarbene Karte. Korvals Siegel war oben aufgedruckt, und am Ende stand »Codebestätigung«.

Er sah Rusty an und fühlte dessen Erregung, dessen Angst.

»Es steht so im Buch, Captain«, sagte Rusty sorgfältig. »Es tut mir leid …«

»Ja, so ist es, nicht wahr, Radiotechniker?« Shan beugte sich vor und kritzelte seinen Namen. Er gab die Karte zurück und schaute direkt in die besorgten, braunen Augen. »Es tut mir auch leid.«

Rusty nickte, zeichnete gegen, nahm den Durchschlag ab und gab ihn Shan.

Dieser steckte ihn ein, hoffte, sich daran zu erinnern, ihn zu den Akten zu nehmen, und stopfte den Umschlag in seine Tasche.

»Danke, alter Freund. Weitermachen.«

Dann ging er und wob einen flüchtigen Teppich guten Willens, um die Furcht Rustys zu vertreiben.

 

Die erste Disk enthielt Informationen, die er von ihrem Agenten im System erwartet hatte, eine aktuelle Liste aller Schiffe Korvals und Korvals Verbündeter auf regulärem Frachtflug sowie die ersten und zweiten Rückfallpunkte eines jeden.

Mehr zu erfahren würde den Codeschlüssel der Ersten Sprecherin verlangen.

Wie dem auch sei, dachte Shan mit ungewöhnlicher Grimmigkeit. Es ist wohl besser, wenn ich nicht alles weiß. Er aktivierte eine Verbindung mit dem Ersten Maat auf der Brücke.

»Priscilla, ich schicke dir einige Informationen unter dem Siegel des Captains. Bitte nimm dir einen Moment, drüberzuschauen, und merke dir die drei oder vier Koordinaten in der unteren Hälfte der Liste.«

»Ja, Captain. Ich lese sie auf Nummer vier.«

Er kopierte die Daten in das Terminal und lernte selbst zwei neue Koordinaten auswendig. Die anderen beiden kannte er schon.

Dann kümmerte er sich um die zweite Disk.

Er lachte, als sich der Code auf dem Bildschirm formte. »Armer Rusty!«

Natürlich war der Codeschlüssel nicht im Codebuch des Schiffes enthalten – wie denn auch? Er basierte auf den sich ständig verändernden Situationen von vier parallel laufenden Fernschachpartien.

Shan tippte die algebraischen Codes der letzten vier Spielzüge ein.

Sa5×Lb2. 0-0-0+. d5×e4. g6.

Er machte eine Pause und überlegte sich den letzten Zug. Diese Bauernkette war ein sehr verheißungsvolles Ziel und würde …

»Narr!«, grummelte er zu sich selbst und drückte die Entertaste mit solcher Macht, dass das Terminal protestierend aufpiepte. Verwirrter Shan – kümmert sich um das Ergebnis einer Schachpartie, wo Plan B galt!

Er ließ den Code durchlaufen und starrte auf den Bildschirm. Die dekodierte Nachricht war knapp. Adrenalin schoss durch seine Adern und er stellte sofort eine Verbindung zum Lademeister her.

»Die Reservebrücke bemannen!«, befahl er knapp. »Ich werde gleich bei euch sein.«

Es gab einen Herzschlag erstaunter Stille. »Ja, Captain!«, sagte Ken Rik und die Leitung war tot.

Der nächste Ruf ging wieder auf die Brücke.

»Hier ist der Captain. Sei so gut, und rufe alle auf die Kampfstationen – gelber Alarm. Wenn 80 % auf Station sind, geh auf rot.«

»Shan, wir sind im Sprung.«

»Das sind wir. Kampfstationen. Und Gordy soll …« Er schaute auf den Masterplan des Schiffes über seinem Tisch. »Gordy soll Kurierboot dreizehn bemannen. Jetzt.«

Die Geräusche der Kampfstationen übertönten beinahe seine folgenden Worte: »Denk immer daran, dass ich dich liebe, Priscilla!«

 

Die Kopfhörer des leichten Druckanzuges, den Shan trug, übermittelten das harte Geräusch von Atem. Weiter hinten in Waffenträger sechs, trug Lademeister Ken Rik yo'Lanna einen schweren Druckanzug gegen die Auswirkungen möglicher Sprengfallen oder Verstrahlungen.

»Fingernägel«, murmelte Ken Rik, Wut und Angst bildeten einen interessanten Gegensatz zur Blutlust in seiner Stimme. »Einen pro Stunde, und dann die Zehennägel – mit meinen eigenen Zangen, ich schwöre es! Gib mir nur die Möglichkeit – Götter! Noch drei, Shan. Ich werde sein Gesicht mit Diamantenstaub abreiben!«

»Hast du das, Priscilla?«, murmelte Shan in seine Verbindung zur Brücke. »Noch drei. In Bucht sechs. Wie viele sind es jetzt insgesamt?«

»Vierzehn.« Ihre Stimme war kühl in seinem Ohr, besänftigende Heilernerven rieben sich mit dem Bewusstsein von Ken Riks Emotionen. »Der Computer erstellt bereits einen Vorschlag für ein Muster. Es …«

»Noch eine!«, schnappte Ken Rik. »Diese ist schlimm. Aktiv. An die Jump-Scanner angeschlossen.«

»Standort?«

»Zugangspanel zwischen Bucht sechs und dem Notfall-Energiemodul. Da läuft ein dünner Draht rechts aus der Ecke des Panels. Ich kann …«

»Nicht berühren!«, schrie Priscilla, die Kommandostimme ließ sogar Shan für einen Moment gefrieren.

»Wie du sagst, Lady, wie du sagst.« Die Stimme des alten Lademeisters hatte den Unterton einer nahenden Hysterie.

»Ken Rik, das darf nicht angerührt werden«, sagte Priscilla sehr sorgfältig – sehr sanft. »Ich habe ein Gefühl …«

Shan zitterte, denn dies war nicht das erste Mal, dass Priscillas magische Fähigkeiten ein Leben gerettet hatten.

»Ein Gefühl?«, fragte er.

Er hört das Summen einer offenen Verbindung, aber es dauerte eine Minute, ehe sie sprach.

»Absicht«, sagte sie. »Es gibt böse Absichten dahinter. Ich …«

»Die haben alle böse Absichten«, unterbrach Ken Rik, aber Shan hatte bereits die Bedeutung des Satzes verstanden. Die anderen Geräte waren als … nun, als notwendige Geräte installiert worden, um ein Ziel zu erreichen. Was Priscilla um diesen letzten Fund fühlte, waren verborgene Sehnsucht und Erwartung.

Wer immer diese Sprengfalle gelegt hatte, wollte, dass sie starben.

»Ja, mein Freund«, sagte Priscilla nun zu Ken. »Aber du kannst das Muster nicht sehen, dass ich hier auf dem Bildschirm habe. Es gibt eine gewisse Dichte und …«

»Erspare mir das Offensichtliche, Mädchen«, schnappte Ken Rik. »Es ist eine Spirale, das sieht doch jeder Narr. Und sie führt hinunter in die Energiespeicher, und je mehr sie sich den Kapazitoren nähert, desto gefährlicher wird sie. Wir dürfen keinen Fehler machen, wenn wir sie entschärfen. Wie werden möglicherweise nicht einmal alle finden! Ich habe noch keinen Blick auf die Sprengköpfe geworfen!«

Ohne, dass es jemand sehen konnte, nickte Shan. Jemand hatte den Tod der Passage sehr sorgfältig geplant. So geplant, dass er mysteriös sein sollte, und nicht nachforschbar – eine Explosion im Sprung, begrenzt durch die Sprungmatrix – da konnte es kaum Überlebende geben.

»Ken Rik, markiere deinen Standort, dann lass die Zugangsluken offen und komm zu mir.« Sein Befehl war schärfer und abrupter, als er beabsichtigt hatte.

»Sofort, Captain.« Erleichterung wusch Kens Angst fort, aber Shan bemerkte das kaum.

»Priscilla, Waffenträger sechs auf minimale Energie. Verlege so viele von der Crew wie möglich auf die andere Seite des Schiffes. Ohne Ken und mich hast du noch acht Piloten. Drei sollen bei dir bleiben, einer soll auf die Innere Brücke, zwei außerhalb meines Quartiers warten, damit sie die Kontrollen dort benutzen können, falls es notwendig werden sollte. Gordy soll zur Lagereinheit 117-A gehen und alles, was er dort findet, in das Kurierboot schaffen. Sobald er wieder im Boot ist, soll er auf autonome Energie schalten und mit dem anderen Piloten startbereit bleiben.

Ach ja – und sei so gut und hole jeden Datensatz zum Vorschein, den wir über die theoretischen und mathematischen Aspekte des Sprungs haben.«

 

»Die Situation«, sagte Shan vorsichtig, »ist recht seltsam.«

Er schaute auf den Splitscreen, von dem ihm ernsthafte Gesichter entgegen blickten: Gordy, sein Ziehsohn – und Priscillas –, dünne Lippen und graues Gesicht neben den großen Augen und dem dunklen Gesicht Thrina Makamis; Vilobar, der Schnurrbart feucht vom Schweiß; Seth, wie immer lakonisch; Priscilla …

Es war schwer, Priscilla nicht anzuschauen. Er wäre jetzt lieber auf der Brücke, wo er sich durch ihre Gegenwart trösten lassen konnte, aber das Melant'i der Situation war klar. Ressourcen mussten so weit ausgebreitet werden wie möglich. Schiff und Crew hatten eine höhere Überlebenschance, wenn mindestens ein Pilot überlebte.

»Waffenträger sechs ist … vermint. Voller Fallen. Wurde sabotiert, während er im Lager war.«

Da war ein kurzer Ausbruch von Angst und Wut; Shan hob eine Hand und der Lärm erstarb.

»Wer? Das ist im Moment nicht so wichtig. Wie? Offenbar unter dem Deckmantel von Wartungsarbeiten, während derer die normalen Module durch vorbereitete Fälschungen ersetzt worden sind. Woher wissen wir es? Ich habe einen codierten Richtstrahl erhalten – eine vertrauenswürdige Quelle. Sie behauptet, der Waffenträger habe gewisse Gerüchte verursacht in der Galaxis. Man würde bald von der Zerstörung eines großen Liaden-Handelsschiffes unter seltsamen Umständen hören.

Soweit wir haben feststellen können, gibt es mehr als fünfzehn Sprengkörper an Bord, einige, die nur begrenzten Schaden anrichten können, andere, die richtig große Zerstörungen verursachen. Das Problem ist, dass diese Sprengsätze verschiedene Zeituhren und Auslöser haben – zumindest einer scheint durch den Sprungantrieb aktiviert zu werden – und wir haben möglicherweise noch gar nicht alle gefunden. Master Ken Rik glaubt, die Chance, alle zu finden, ehe der Sprung zu Ende ist, sei sehr gering.«

Er sah sich jedes der ernsten Gesichter nacheinander an. Niemand schien zu verzweifelt zu sein. Er schaute auf seine eigenen Hände, groß, braun, geschickte Hände, ruhig gefaltet, der Amethyst des Meisterhändlers glänzte wie eine kleine, rosa Sonne im Licht des Instrumentenpults. Er schaute wieder auf den Schirm.

»Im Normalraum würden wir schlicht die Schilde umpolen und schauen, dass wir weit genug weg sind, ehe das Ding explodiert – oder es als Übungsziel benutzen, falls es das nicht macht.

Hier aber haben wir eine andere Situation. Wir sind, wie alle wissen, im Sprung und können nicht manövrieren. Auf der anderen Seite deuten die physikalischen Gesetze, die den Sprung regeln, darauf hin, dass eine Explosion im Waffenträger die darin enthaltene Energie freisetzen wird, die dann die Ortsmatrix des Sprungs selbst auffüllen sollte, ohne das Energie-Masse-Gleichgewicht zu verändern. Jemand anderer Meinung?«

bestürzte Gesichter zeigten Zustimmung.

Shan seufzte.

»Der Captain sieht keine Lösung, die sich von selbst anbietet. Ich schlage vor, dass jeder sich eine Alternative überlegt, während der kommenden zwölf Minuten. Dann entscheiden wir es. Piloten – legt los!«

»Pogostab!«, protestierte Vilobar und strich sich nervös über den Schnurrbart. »Ich kann nicht sehen, wie …«

»Keine Streitigkeiten«, befahl Shan. »Wir sammeln Ideen.«

»Nein, aber die Federn … wenn Raketen nicht helfen, dann vielleicht Federn.« Gordy sprach weiter, übertönte sowohl den älteren Piloten wie auch den Captain. »Installiert sie am Verbindungsgang, zusammengedrückt und gespannt. Dann auslösen – die Federn springen auf und drücken den Waffenträger fort. Dann ziehen wir den Tunnel ein.«

»… benutzen die Schirme des Waffenträgers, falls wir ihnen trauen können. Sobald wir getrennt sind, hängt es von der Philosophie ab. Wird die Energie durch das gesamte System fließen oder stoppt der Verlust der physikalischen Kongruenz den Energiefluss?«

Seth schaute von seinen Notizen auf und grinste. »Wenn es funktioniert, werden wir den Philosophen und den Physikern viel Stoff zum Nachdenken geben.«

»Wir schneiden den Waffenträger ab, wenn es sein muss«, sagte Ren Zel schnell. »Der Energieverlust ist innerhalb der Toleranzwerte, wie auch die Schwächung der Schiffsintegrität. Wir werden aber das Schneideteam verlieren …« Er schaute hoch, die Augen leer im höflich-ausdruckslosen Liadengesicht. »Notwendigkeit, Captain.«

Auch dies veranlasste Shan dazu, es bei den zwölf Minuten zu belassen, es war wirklich nicht mehr genug Zeit, um zu entscheiden, wie viel Zeit sie noch hatten.

 

Shan starrte auf den Bildschirm, der angefüllt war mit einem wachsenden Dschungel aus Leitungen, Plattformen, Landestützen und dem gelegentlichen Schatten eines der Freiwilligen, der Anpassungen durchführte, alles tat, was er konnte, um einen gleichmäßigen Druck zu erzeugen.

Ken Rik leitete das Team der Freiwilligen. Ein Pilot hatte dabei sein müssen, und ein alter Mann mit Basisqualifikation – so hatte Ken es selbst ausgedrückt, mit einem ernüchternden Mangel an seiner sonst sichtbaren Leidenschaft – würde von Schiff und Besatzung weniger vermisst werden als ein Meisterpilot, wenn etwas schiefging. Selbst, wenn der Meisterpilot ein junger Idiot war.

Shan beobachtete und wartete. Auf seinem zweiten Schirm sah er Priscilla ebenso warten und wurde von einer Woge des Verlangens überrascht, so stark, dass seine Augen tränten. Er musste bald etwas bezüglich der Anpassung der Prioritäten tun; diese Gewohnheit, den ersten und zweiten Offizier aus Sicherheitsgründen getrennt zu halten, sah nicht nach einer dauerhaft funktionierenden Lösung aus.

»Das war der letzte«, erklärte Ken Rik aus dem Waffenträger, immer noch in diesem bestürzend ruhigen Tonfall. »Wir kommen jetzt raus, Captain.«

»Gut«, sagte Shan. »Jeder muss sich melden und gezählt werden, wenn er im Schiff ankommt. Wir wollen niemanden aus Versehen in dem Ding lassen.«

Er drückte einen Knopf; das Bild zeigte nun die Außenhülle des Waffenträgers, und er erhöhte die Vergrößerung, bis er die farbigen Markierungen erkennen konnte – jeweils im Abstand eines halben Meters, um die Bewegung zu messen, die die Instrumente während des Sprungs nicht erkennen konnten. Bewegung, die im Sprung eigentlich nicht möglich war.

Laut Theorie.

Shan seufzte. Er hatte berechnet, dass sie eine Abtrennungsgeschwindigkeit von etwas unter einem halben Meter pro Sekunde erreichen würden, unter normalen Bedingungen. Wer konnte wissen, was das im Sprung bedeutete, wo es eigentlich weder Geschwindigkeit noch Entfernung noch Richtung gab – vorausgesetzt, dass Gordys »Pogostab« überhaupt funktionierte.

»Fünf!« Rustys Stimme bei der Rückmeldung zeigte nichts anderes als Erschöpfung und Shan empfand einen Ausbruch starker Zuneigung für den gedrungenen Radiotechniker. Dann war da Ken Rik, der in die Kamera winkte und über das Interkom sprach.

»Alle sind raus, Captain. Noch zwölf Sekunden, damit wir aus der Halle verschwinden können …«

»Du hast achtundvierzig, beginnend mit meiner Zählung. Drei – zwei – eins – ab jetzt. Priscilla?«

»Ich bin dran, Captain. Bei minus zwölf Sekunden starten wir die Energieabschaltung. Der Trägersequenzer wird die Meteoritenschilde für vierundzwanzig Sekunden abschalten, danach gehen die Kollisionsschirme hoch.«

»Das wird das Schiff beim Zugang zu Waffenträger sechs versiegeln, während dieser in die Hölle taumeln wird. Hoffentlich.« Shan schüttelte den Kopf, bemerkte Ken Riks Klarmeldung – zweiundzwanzig Sekunden – und schaute wieder auf Bildschirm zwei.

»Eintrag ins Bordbuch: Gordon Arbuthnot ist hiermit als Pilot dritter Klasse bestätigt und wird als Kandidat für die provisorische Klasse zwei registriert.«

Die Mannschaft, auf Gefechtsstation, bekam eine Warnung von vierundzwanzig Sekunden, wofür das auch immer gut war.

Die Passage ruckelte – durchaus vertraut – ein wenig, als die externen Trägerklammern sich zurückzogen. Nichts veränderte sich.

Zwölf Sekunden. . Sechs. Drei. Zwei. Eins. Ein Rucken – die internen Klammern wurden geöffnet.

Sein Hauptschirm zeigte Dutzende sich verbiegender Landestützen, seitlich abdrehenden Wartungsgestellen, wackelnde Plattformen – und da war der winzigste aller Rucke, während der dritte Bildschirm die Markierungen an der Wand zeigte: ein halber Meter – ein Meter – und mehr …

Der Monitor zeigte ein verwackeltes Bild, als sich der Waffenträger unter dem ungleichen Schub bewegte.

Und dann war da nur noch Grau. Sprunggrau. Kein Träger. Keine Wand. Keine Markierungen. Grau.

Priscilla sah ihn von Bildschirm zwei aus an.

»Die Instrumente haben den Träger verloren, Captain. Keine Anzeige vom Docking-Radar. Die Sprungmatrix zeigt keine Veränderungen. Meteorschilde hoch in sechs Sekunden – wir haben einen Bericht von der Richtungsmessung: eine Anpassung um null-Komma-zwei-fünf Meter pro Sekunde.«

Das war es. So weit, so gut. Was auch immer sie getan hatten, war getan, und das Ergebnis lag nun auf den Knien der Götter. Shan griff zu den Kontrollen und schaltete die grauen Schirme ab.

»Danke, Priscilla. Ich schlage vor, dass wir uns in unserer Kabine zum Mittagessen treffen. Wir haben noch sechs Stunden bis zum Sprungende und ich will wenigstens eine davon mit dir verbringen.«

Flucht nach Lytaxin: Ein LIADEN-Roman
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