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Bei ihrem Ausflug gerieten sie schon vor München ins Stocken, weil der Luise-Kiesselbach-Platz untertunnelt werden sollte und München wahrscheinlich wie jedes Jahr im Sommer bei einem heimlichen europäischen Wettbewerb mitmachte: Welche Stadt hat die meisten nervigen Baustellen? Diesmal würde München gewinnen, da war sich Irmi sicher.

Der Verkehr staute sich schon lange vor dem Ring, doch schließlich erreichten sie die Passauer Autobahn und kamen eine Weile lang ganz gut voran. Bis die Autobahn endete und in die B12 überging. Lkw reihte sich an Lkw, Überholen war definitiv unmöglich, und mit fünfzig Stundenkilometern konnte man sich gut vorstellen, wie es weiland zu Zeiten der Postkutsche gewesen sein musste. Wahrscheinlich war die aber schneller gewesen.

An einer überdimensionalen Tankstelle im Nirgendwo aßen sie Debreziner, die es fertigbrachten, fettig und geschmacklos zugleich zu sein. Dafür war das Brot von vorgestern und der Senf ranzig. Irmi war erst etwas versöhnt, als sie auf dem Stadtplatz von Mühldorf einfuhr. Eine hübsche Stadt war das. Und dass der Kollege Sepp Walch erst mal eine Einladung zum Lunch im Alten Wasserschlössl aussprach, stimmte sie ebenfalls versöhnlich.

Sie saßen auf der Terrasse, aßen vorzüglich, geradezu wie Urlaub. Der Kollege stammte ursprünglich aus Lenggries und sah sich wohl in der Pflicht, den Werdenfelser Berggewächsen die Schönheit seiner neuen Heimat nahezubringen. Auf dem Weg zum Sockenstrobl erfuhren sie, dass der Mühldorfer Maibaum rot-weiß geringelt war statt blau-weiß.

»Nicht, dass die Mühldorfer farbenblind wären, nein, das sind die Farben Salzburgs, denn Mühldorf am Inn war salzburgerisch, umgeben von den feindlichen Bayern. Im Nagelschmiedturm saßen dann eben auch die Schmiede, weil das kräftige Burschen waren, die sich im Verteidigungsfall durchsetzen konnten. Und dumm waren sie nicht, diese Mühldorfer. Sie verstanden es sehr gut, den Salzburger Bischof zu erpressen, nach dem Motto: Wir kriegen Privilegien, dafür halten wir den Kopf gegen die Bayern hin. Und so wurde Mühldorf eine große Handelsstadt«, erzählte der Mann fast ohne Punkt und Komma.

Sollte die Polizei ihn nicht mehr benötigen, würde er sicher im Tourismusbüro unterkommen, dachte Irmi.

»Die Häuser haben alle die typischen Grabendächer, wobei das dritte Geschoss stets blind ist«, fuhr er fort. »Was elegant aussieht, hat einen handfesten Grund. Ohne überspringende Vordächer kam man im Falle einer Feuersbrunst leichter aufs Dach. Der Nachteil: Es gab keinen trockenen Stauraum, weswegen der Inn-Salzach-Stil stattdessen auf Arkadengänge setzte. Drum haben wir hier eine überdachte Fußgängerzone, wo man immer flanieren kann. Wenn’s bei euch in den Bergen schüttet, bleibt ihr mal besser zu Hause, wir gehen shoppen.«

Nun, Irmi befürchtete, dass Flanieren und Shoppen auch in Zukunft nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählen würde. Weder in Garmisch noch in Mühldorf.

Die Sockenfabrik lag direkt am Inn, und es war ein Factory Outlet angegliedert, der auch Marken anderer Hersteller feilbot. Ob die Preise wirklich so günstig waren, vermochte Irmi nicht zu sagen. Kathi hingegen zog Hotpants von irgendeinem Jeans-Label, das Irmi gar nichts sagte, vom Bügel und musste sie unbedingt anprobieren. Als sie wieder herauskam mit ihrer makellosen Figur und den makellosen Beinen, sog der Kollege hörbar Luft ein. Wenig später hatte Kathi wieder ihre normale Jeans in einer etwas sittlicheren Länge an. Ihre Haare waren nun zum Pferdeschwanz gebunden. Kathi machte jetzt ganz eindeutig auf seriöse Polizistin.

Sie wurden in einen lieblos eingerichteten Raum geführt, wo es Mineralwasser und Kaffee gab. Irmi schaute sich um. In den aufgestellten Vitrinen lagerten Socken. Nun ja, Socken waren vielleicht nicht so sexy, aber Irmi war sich sicher, dass Babsi Hundegger auch aus einer Socke das »sexiest product alive« gemacht hätte, erst recht, wenn der Gatte es getragen hätte. Fraglich allerdings, ob die Damen dem Veit Hundegger auf die Füße gesehen hätten.

Sepp Walch stellte dem Sockenfabrikanten die beiden Kommissarinnen vor: »Meine Kolleginnen Frau Mangold und Frau Reindl aus Garmisch. Ferdl, die Damen hätten ein Anliegen.«

Herr Strobl schickte ein polterndes »Grüß Gott« zurück und wirkte etwas genervt. Wahrscheinlich hatte er Besseres vor.

»Wie geht’s den Schlangen, Herr Strobl?«, fragte Irmi.

Strobl, der gerade an seinem Mineralwasser genippt hatte, verschluckte sich.

»Haben Sie auch Pfeilgiftfrösche? Skorpione? Oder eine Coloradoschildkröte?«

Strobl war mit Sicherheit ein Mann, der von Haus aus schwitzte. Er war stark übergewichtig, und was er da vor sich hertrug, war schon kein Hendlfriedhof mehr, sondern wirkte eher so, als hätte eine Elefantenkuh massiv übertragen. Er trug Trachtenhemd und Janker und eine Leinenhose, alles war mit Sicherheit extra für dieses Mammut angefertigt worden. Strobl war jetzt schon ungut rot im Gesicht und wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.

»Was soll das? Sind Sie vom Zoo?«

»Lieber Herr Strobl, wir könnten statt vom Zoo vom Zoll sein und Sie wegen illegaler Einfuhr von geschützten Tieren belangen, das machen später sicher noch andere. Nein, wir sind von der Mordkommission und wollen Ihnen erst mal herzliches Beileid zum Tod Ihres Freundes Kilian Stowasser aussprechen.«

Der Sockenfabrikant war sicher niemand, der leicht ins Wanken geriet, aber Irmi hatte ihn wirklich auf dem falschen Fuß erwischt. Ein Fuß, der übrigens viel zu klein war für die Wuchtbrumme. Die Trachtensocken, die er trug, stammten sicher aus Eigenproduktion.

»Was wollen Sie von mir?«

»Erstens: Erzählen Sie uns etwas von den tschechischen Tierchen, die Sie über Stowasser bezogen haben. Zweitens: Wo sind Ihre Viecher, wir würden sie gerne sehen. Drittens: Haben Sie eine Mamba? Viertens: Warum haben Sie Ihren Spezl umgebracht?«

Irmis Rede zeigte Wirkung. Der Lenggrieser Sepp stieß einen merkwürdigen Laut aus, Ferdl Strobl haute sein Glas so auf den Tisch, dass das Wasser überschwappte und eine Sockenbroschüre überflutete.

»Muss ich mir das bieten lassen?«

»Herr Strobl, wir warten gern auf Ihren Anwalt, sollten Sie diesen konsultieren wollen«, sagte Irmi.

Strobl hatte sich gefasst. Er erhob sich und brüllte zur Tür, dass seine Sekretärin bittschön den Rechtsverdreher anrufen solle. Dann sagte er nur: »Kommen S’ mit!«

Kathi wollte schon aufbegehren, aber Irmi schüttelte unmerklich den Kopf. Strobl ging zu den Aufzügen, von denen einer augenscheinlich nur mit Schlüssel funktionierte. Sie fuhren in die Tiefe und gelangten in einen Keller. Ohne den Kollegen wäre es Irmi unwohl geworden, aber so folgten sie alle dem Mammut, dessen Schritte im Gang dröhnten. Er tippte schnell ein paar Zahlen in ein Türsystem, und Sesam öffnete sich.

Gleißendes Licht umfing sie. Warm war es auch. Sie fanden sich inmitten tropischer Landschaften wieder, in Wüsten und Halbwüsten – alles hinter Glasscheiben. Das waren Terrarien, die eine Reise durch die Klimazonen der Erde ermöglichten.

»Wahnsinn«, sagte Sepp Walch.

»Imposant«, meinte Irmi nach einer Weile.

»Also, Ladys, ich red ungern zu viel. Das hier ist mein Hobby. Den Tieren geht’s hier besser als in jeder professionellen Anlage im Reptilienzoo. Ich überschreite alle Empfehlungen, was den Platzbedarf betrifft, um Längen. Die haben hier ein Leben wie Gott in Frankreich. Meine Fütterung ist auf dem aktuellen Stand, die Tiere leben alle artgerecht mit den erforderlichen Temperaturschwankungen, mit Wärmeplätzen, mit Verstecken, absolut naturnah, allerdings ohne den Stress, ihre Nahrung jagen zu müssen. Da können Sie mit Sicherheit den internationalen Herpetologen-Kongress einladen, und der wird Ihnen sagen, dass meine Viecher perfekt untergebracht sind.«

»Die bei Stowasser waren das aber nicht«, bemerkte Irmi spitz.

»Ich hab dem Kilian immer gesagt, dass er die Gitterkäfige endlich mal gegen Terrarien tauschen soll. Er hatte da auch schon einen Plan. Hat er mir gezeigt. Aber wissen Sie, da herrscht auch viel Fehlinformation. Die meisten unserer Freunde hier sind Lauerjäger und haben auch in der Natur ein sehr kleines Revier. Für ein wechselwarmes Tier ist es fatal, sich zu weit von seinem kühlen Unterschlupf zu entfernen, zudem erhöht zu viel Bewegung die Gefahr, selbst zur Beute zu werden. Wer sich an die Empfehlungen hält, ermöglicht Schlangen und Echsen ein großzügiges Platzangebot. So hat ein zwei Meter langes Krokodil vierzig Quadratmeter zu Verfügung, ein deutsches Kind sollte ein Zimmer von zwölf Quadratmetern besitzen, ein Stallhase hat gar keine Rechte, und einem Huhn muss ein DIN-A4-Blatt reichen … Da hat man als Schlange ein weitaus besseres Los gezogen. Und wie gesagt: Kilian wollte einiges verbessern.« Er atmete schwer. »War eben alles etwas hektisch in seinem Leben. Erst stirbt die Frau, dann dieser Zinnober wegen der Daunen. Schließlich die Wahl zum Unternehmer des Jahres. Der Kilian war keinen Deut besser oder schlechter als jeder andere.«

»Jeder andere von euch honorigen bayerischen bauernschlauen Unternehmern«, provozierte Kathi ihn.

»Junge Frau, mit Schmusekurs und Samthandschuhen erhalten Sie keine Arbeitsplätze in Deutschland. Sie bezahlt der Staat, egal, ob Sie Ihre Mörder fangen oder nicht. Ich muss meine fünfunddreißig Leute jeden Monat aus meinem Geldtopf zahlen.«

»Und wie Sie den füllen, ist egal?«, mischte sich Irmi ein.

»Egal, was heißt schon egal? Mit Romantisiererei und Gesellschaftsutopien kommen wir nicht weiter, und ein paar Viecher sind da im Lauf der Welt recht unerheblich.«

»Drum haben Sie immer wieder Tiere über ihn bezogen?«

»Ja, weil ich sie anders nicht bekommen hätte. Und weil es denen bei mir besser ergangen ist als beim Kilian.«

»Sie haben schwere Vergehen gegen das Tierschutzgesetz einfach toleriert oder übersehen, Herr Strobl.«

Er sah sie an, wie er wahrscheinlich seine Enkelin angesehen hätte, die den Tod einer überfahrenen Schnecke bemängelt. »Frau Kommissar, jetzt lassen wir doch endlich das Pathos sein. Wir haben wichtigere Probleme auf der Welt. Menschen verhungern zu Abertausenden. Immer dieses Geheule der Tierschützer. Was ist denn schon groß passiert?«

»Kilian Stowasser ist tot!«

»Ja, aber das werden Sie mir nicht anhängen, Frau Kommissar!«

»Besitzen Sie eine Schwarze Mamba?«, fragte Kathi.

»Ja, eine Schwarze und eine Grüne. Da!«

Er stampfte wieder los und blieb an einem himmelhohen Terrarium stehen. Irmi entdeckte die Tiere erst nach intensivem Suchen. Sie hatten sich um je einen Ast geringelt und sahen selber aus wie einer. Von oben fahren sie auf dich herab – das hatte Irmi immer im Ohr.

»Hatte Stowasser eigentlich eine Mamba? Sie müssten das doch wissen, vermutlich waren Sie der Einzige, der sein Reptilienversteck betreten durfte.« Irmi wusste natürlich, dass es auf Stowassers Anwesen eine Schwarze Mamba gegeben haben musste, schließlich hatten sie die Schlangenhaut gefunden, aber sie wollte es gern von Strobl selbst hören.

»Ja, die Käthe. War zwei Meter siebzig lang!«

Sepp Walch grunzte. Irmi atmete tief durch. Käthe hieß das Viech? Das hatte was!

»Herr Strobl, wann haben Sie die gute Käthe denn zuletzt gesehen?«

»Vor vierzehn Tagen. Da war ich auf dem Gelände. Hab mir ein paar Skorpione mitgenommen.«

Vor vierzehn Tagen. Das war gerade mal eine Woche vor dem Tod von Kilian Stowasser gewesen. Dann war das verdammte Viech womöglich doch noch da? Hatte vielleicht einfach nur zugebissen? Und sie jagten immer noch den Phantommörder?

»Wo war das Tier damals?«

»Wo schon, im Käfig. Also, Ladys. Da Sie mich ja wahrscheinlich wegen Zollvergehen und Verstößen gegen das Artenschutzabkommen am Arsch haben, hab ich meinen Anwalt angefordert. Darüber leg ich gern Rechenschaft ab, mit dem Tod von Kilian hab ich aber nichts zu tun.«

»Wo waren Sie Dienstag letzter Woche?«

Er überlegte kurz. Dann sagte er unwillig: »Sie scheinen ganz pfiffig zu sein, aber Sie erfahren es eh. Ich war im Hotel Post in Garmisch am Marienplatz beim Frühstücken.«

»Wie bitte?«

»Jeden letzten Mittwoch im Monat spielen wir in Burgrain Golf. Am Tag davor übernachte ich immer in der Post. Das hat Tradition.«

»Sie waren an dem Tag, an dem Kilian Stowasser zu Tode kam, in Garmisch?«

»Ja, war ich. Jetzt machen Sie doch nicht so ein Bohei darum. Ich bin zum Golfplatz gefahren, Kilian war nicht da, er hat sich auch weder bei mir noch bei den beiden anderen Freunden aus unserer Golfrunde abgemeldet. So einfach ist das. Ich gebe Ihnen gern die Kontaktdaten der Herren, mit denen ich golfen war.«

»Ihnen ist schon klar, was ich mir jetzt denke?«, fragte Irmi.

»Dass ich zwischen meinem Auftritt am Frühstücksbüfett im Hotel und dem ersten Abschlag nach Krün gefahren bin? Das müssten Sie aber beweisen, und das können Sie nicht, weil ich es nicht getan habe. So, meine Damen, lieber Sepp, dann packen wir’s mal. Mein Anwalt dürfte da sein. Wir kauen das gerne mit ihm nochmals durch. Aber bitte nicht länger als bis fünfzehn Uhr, da habe ich einen Termin mit dem Bürgermeister und dem Tourismuschef, übrigens auch ein Oberbayer.«

Seine erste Unsicherheit war komplett gewichen. Er war wieder der Macher im XXL-Gewand. Sein Anwalt hingegen war ein kleines dünnes Männchen, das allerdings verbal eine messerscharfe Klinge führte. Ferdl Strobl blieb bei seiner Geschichte. Und dass er vor zwei Wochen auch noch mal in Garmisch gewesen war, begründete er damit, dass sie außerturnusmäßig zweimal hintereinander Golf gespielt hätten. Weil die Golferei nämlich den gesamten August ausfalle und erst wieder Mitte September beginne.

»Herr Strobl, da Sie ja öfter das Vergnügen hatten, in Krün eingeladen zu sein, dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, dass Ihr Freund Kilian Stowasser zusammen mit Ihrem Schlangengetier auch Daunenpartien aus Tschechien eingeführt hat.«

»Ja, und?«

»Ja, und? KS-Outdoors hatte die Keiner-ist-reiner-Weste angelegt. Stowasser wurde zum Unternehmer des Jahres gekürt wegen seiner Produktion, die auf Daunen aus Lebendrupf verzichtet. Wegen seiner Auditierungsprozesse. Wegen seines vorbildlichen Tierschutzgedankens. Da ist es Ihnen egal, dass er illegal Daunen eingeschleust hatte?«

Bevor der Sockenstrobl noch etwas sagen konnte, grätschte der Anwalt mit schneidender Stimme dazwischen: »Mein Mandant hat Daunen gesehen, Federn, meine lieben Damen. Woher die stammen, konnte er kaum wissen. Er war an den Reptilien interessiert, und dafür werden wir uns auch verantworten.«

Irmi war klar, dass sie hier nicht weiterkommen würde. Es blieb ihr, ein gefährlich klingendes »Wir überprüfen Ihre Aussagen, Herr Strobl« auszustoßen und sich zu verabschieden. Der Kollege Walch brachte sie noch bis zum Auto.

»Komische G’schicht«, meinte er. »Strobl ist eigentlich ein Pfundskerl.« Er lachte. »Alte Familie, wissen Sie, Mühldorf vereint die Eleganz der Salzburger und die Urwüchsigkeit der Bayern.«

»Hm, da hat die Salzburger Eleganz vor Herrn Strobl aber haltgemacht«, grinste Kathi.

»Aber die Urwüchsigkeit, die hat er im Übermaß!« Man versprach, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Und Walch verabschiedete sich besonders bei Kathi mit dem Spruch: »Und viel Spaß mit der kurzen Hos!«

Hinterher war es an Irmi, über das Thema Flirten zu lästern.

Kathi wehrte sich aufs Heftigste. »Hör mal, der ist uralt.«

»Keine vierzig, würd ich sagen, gut erhalten, humorvoll, und sein Hintern ist auch nicht zu verachten.«

»Irmi, echt!«, sagte Kathi in einem Ton, den eine Tochter angeschlagen hätte, die ihre Mutter echt peinlich findet.

Sie waren guter Laune, trotz der Erfolglosigkeit des Unternehmens. In Partenkirchen fielen sie erst mal beim Inder ein. So hübsch dieses Mühldorf auch gewesen war, Irmi spürte, wie sehr sie diese grauen Brocken vor der Nase brauchte. Wie sehr Alpspitze und Zugspitze zu ihrem inneren Landschaftsbild gehörten. Ohne Berge waren die Bilder einfach kahl. Da fehlte was in der oberen Hälfte.

Als sie heim nach Schwaigen fuhr, spielte die Antenne mal wieder Achtzigerjahre-Musik. Das war das letzte Jahrzehnt gewesen, in dem etwas geblieben war. Schon wieder fiel ihr der »Letzte Bulle« ein. Das war ja allmählich schon bedenklich. Fehlte nur noch, dass sie sich ein Poster von Henning Baum alias Mick Brisgau aufhängte. Sie musste grinsen.

Doch ihr fielen kaum irgendwelche Songs aus den Neunzigerjahren oder aus dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ein, die so viel Nachhall hatten. »Sing Halleluja«, das war in den Neunzigern gewesen, glaubte sie sich zu erinnern. Von wem war das noch gewesen? Irgendwas mit einem Doktor. Und Roxette hatte es gegeben, aber die beiden Schweden hatten auch schon in den Achtzigern begonnen. Robbie Williams – ja, der würde vielleicht ein Star bleiben und die Zeiten überdauern.

Aber würden in zwanzig Jahren die Lieder all jener Damen, die alle irgendwie gleich klangen, noch irgendjemanden interessieren? Würde man in zwanzig Jahren Lady Gaga hören wollen? Oder sich die sogenannten Kabarettisten anschauen? Irmi waren die zu laut, zu proletenhaft, so wirklich lachen konnte sie darüber selten. Vielleicht war sie auch zu alt, sie war nun mal die Generation Loriot – und über den würde man sich auch in hundert Jahren noch amüsieren. Aber Gott sei Dank konnte und musste man nicht in die Zukunft sehen.

Es war so eine schnelle kurzlebige Welt geworden. Keiner konnte sein Auto mehr selber reparieren. Automechaniker waren längst Mechatroniker an einer spacigen Analysestation geworden. Ein Bügeleisen warf man weg, den Toaster auch, wenn sie ihren Geist aufgaben. Ihr Vater hatte noch alles repariert, oft ebenso beherzt wie fahrlässig. Für ihn selber und all jene, die diese Geräte mit offen liegenden Kabeln später benutzt hatten. Den Toaster hatte sie heute noch und bisher überlebt.

Irmi machte sich eine Tomatensuppe warm und aß eine Breze dazu, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Währenddessen beobachtete sie den kleinen Kater, der sich von irgendwoher eine von Bernhards Socken geklaut hatte und diese nun hingebungsvoll hochwarf. Irmi hoffte für den Kater, dass es eine frische Socke war. Obwohl, Katzen haben ja eine andere Geruchswahrnehmung …