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Kykko, das größte Kloster auf Zypern, wurde im 12. Jahrhundert von den byzantinischen Kaisern gegründet. Sie wählten den Standort gut, eingedenk der Tatsache, daß Mönche ihr Leben in Isolation, Meditation und Einsamkeit verbringen sollen.

Das riesige Bauwerk steht auf einer Erhebung westlich des Marathassa-Tals. Nur zwei Straßen führen zu ihm hin, die sich unterhalb des Klosters zu einer einzigen Auffahrt zum Klostertor vereinigen.

Wie die Kaiser von Byzanz hatte auch McCready seinen Standort gut gewählt. Danny war in dem Häuschen gegenüber dem Hotel geblieben und beobachtete die verhängten Fenster des Zimmers, in dem Rowse schlief, während Bill auf einem Motorrad, das der griechisch sprechende Marks ihm besorgt hatte, nach Kykko vorausgefahren war. Bei Tagesanbruch saß der SAS-Sergeant schon gut versteckt in den Pinien oberhalb der Klosterauffahrt.

Er sah McCready ankommen, der sich von Marks hatte fahren lassen, und hielt Ausschau nach etwaigen anderen Besuchern. Wäre einer der drei Iren oder das libysche Auto (dessen Kennzeichen sie sich notiert hatten) aufgetaucht, wäre McCready durch drei Pieptöne im Funksprechgerät gewarnt worden und hätte sich in Luft aufgelöst. An diesem Morgen strömten aber nur die üblichen Touristen, hauptsächlich Griechen und Zyprioten, die Auffahrt hinauf.

In der Nacht hatte der Stationschef in Nikosia einen seiner jungen Mitarbeiter mit mehreren Nachrichten aus London und einem dritten Funksprechgerät nach Pedhoulas geschickt. Jetzt hatten neben McCready beide Sergeants ein solches Gerät.

Um halb neun berichtete Danny, Rowse sei auf der Terrasse erschienen und habe gefrühstückt - Brötchen und Kaffee. Von Mahoney und seinen zwei Kumpanen sei nichts zu sehen, ebenso wenig wie von der >Schönheit<, mit der er zu Abend gegessen hatte, und den anderen Hotelgästen.

»Er wirkt müde«, sagte Danny.

»Keiner hat behauptet, daß das eine Vergnügungsreise wird«, schnauzte McCready dreißig Kilometer entfernt im Hof des Klosters in das Funksprechgerät.

Um zwanzig nach neun verließ Rowse das Hotel. Danny unterrichtete McCready. Rowse fuhr aus Pedhoulas hinaus, vorbei an der großen, bemalten Kirche des Erzengels Michael, die über dem Bergdorf thronte, und bog in nordwestlicher Richtung auf die Straße nach Kykko ab. Danny beobachtete weiter das Hotel. Um halb zehn kam das Zimmermädchen in Rowses Zimmer und zog die Vorhänge zurück. Das erleichterte Danny seine Aufgabe. Auch an anderen Fenstern auf der Talseite des Hotels wurden die Vorhänge zurückgezogen. Obwohl ihn die noch tief stehende Sonne blendete, konnte sich der Sergeant zehn Minuten lang am Anblick von Monica Browne ergötzen, die splitternackt am Fenster Atemübungen machte.

»Das ist besser als South Armagh«, murmelte der Veteran dankbar.

Um zehn vor zehn meldete Bill, Rowse sei in Sicht - er fahre die steile, gewundene Straße nach Kykko hinauf. McCready stand auf und ging in das Kloster; er staunte über die Kunstfertigkeit der Meister, die Fresken in Blattgold, Scharlachrot und Blau gemalt hatten, mit denen der nach Weihrauch duftende Innenraum ausgeschmückt war.

Rowse fand ihn vor der berühmten Ikone. Draußen überzeugte sich Bill, daß Rowse nicht verfolgt worden war, und meldete dies durch zwei Doppel-Pieper im Funksprechgerät, das sein Chef in der Brusttasche trug.

»Sieht so aus, als sei Ihnen niemand gefolgt«, murmelte McCready, als Rowse neben ihm auftauchte. Es war nichts Seltsames daran, daß er so leise sprach. Auch die anderen Touristen unterhielten sich nur im Flüsterton, als scheuten Sie sich, die Ruhe des Heiligtums zu stören.

»Fangen wir mal ganz von vorne an«, sagte McCready. »Meine letzte Erinnerung ist, daß ich Sie vor Ihrer Stippvisite in Tripolis auf dem Flughafen in Valletta verabschiedet habe. Also alles, was seitdem passiert ist, bitte mit allen Details.«

Rowse begann von vorne.

»Also dann haben Sie den berüchtigten Hakim al-Mansur kennengelernt«, sagte McCready nach ein paar Minuten. »Ich hatte kaum zu hoffen gewagt, daß er persönlich am Flughafen auftauchen würde. Karjagins Nachricht aus Wien scheint ihn ja wirklich neugierig gemacht zu haben. Erzählen Sie weiter.«

Einzelne Angaben von Rowse konnte McCready anhand seiner eigenen und der Beobachtungen seiner Sergeants bestätigen - den mürrisch dreinblickenden jungen Agenten, der Rowse nach Valletta gefolgt war und ihn beim Abflug nach Zypern beobachtet hatte, den zweiten Agenten in Nikosia, der ihn beschattet hatte, bis er in die Berge gefahren war.

»Haben Sie meine zwei Sergeants irgendwann gesehen?«

»Nein, nie. Aber ich verlasse mich darauf, daß sie in meiner Nähe sind«, sagte Rowse. Gemeinsam sahen sie zu der Madonna auf, die sie mit sanften, mitfühlenden Augen anblickte.

»Keine Sorge, sie sind da«, sagte McCready. »Einer ist draußen und paßt auf, ob Ihnen oder mir jemand gefolgt ist. Die beiden haben übrigens richtig Spaß an Ihren Abenteuern. Wenn das alles vorbei ist, könnt Ihr ja mal zusammen ein Bier trinken. Aber jetzt noch nicht. Also - nachdem Sie in dem Hotel angekommen waren -«

Rowse machte gleich mit dem Augenblick weiter, in dem er Mahoney und seine beiden Kumpane zum ersten Mal gesehen hatte.

»Moment mal, die Frau. Wer ist das?«

»Nur eine Urlaubsbekanntschaft. Eine Pferdezüchterin, die auf die drei Araberhengste wartet, die sie letzte Woche auf einer Auktion in Syrien erstanden hat. Gebürtige Amerikanerin. Monica Browne. Mit einem >e< am Ende. Kein Problem. Nur eine hübsche Tischgenossin.«

»Ist uns nicht entgangen«, murmelte McCready. »Weiter.«

Rowse berichtete von Mahoneys Auftauchen und den zudringlichen Blicken auf der Terrasse.

»Glauben Sie, er hat Sie wiedererkannt? Von der Geschichte an der Tankstelle?«

»Ausgeschlossen«, sagte Rowse. »Ich hatte mir eine Wollmütze tief in die Stirn gezogen, war seit Tagen nicht rasiert und außerdem halb hinter der Zapfsäule versteckt. Nein, der würde jeden so anstarren, der seinem Akzent nach Engländer ist. Er haßt uns alle, wissen Sie.«

»Mag sein. Weiter.«

McCready interessierte sich vor allem für den überraschenden Auftritt Hakim al-Mansurs und das nächtliche Verhör durch Frank Terpil. Immer wieder unterbrach er Rowse, um Einzelheiten zu klären. Der Täuscher hatte ein dickes Buch über die byzantinischen Kirchen und Klöster auf Zypern dabei. Während Rowse redete, machte er sich umfangreiche Notizen in dem Buch, die er über den griechischen Text schrieb. Die Spitze seines Stiftes hinterließ keine Spuren - die Schrift würde erst später durch eine chemische Behandlung hervortreten. Für jeden Beobachter war er nur ein Tourist, der sich Notizen über das machte, was er sah.

»So weit, so gut«, sinnierte McCready. »Ihre Operation Waffentransport haben sie offenbar erst mal gestoppt, weil sie von irgendwo noch grünes Licht brauchen. Daß Mahoney und al-Mansur im selben Hotel in Zypern auftauchen, kann einfach nichts anderes bedeuten. Was wir rauskriegen müssen: wann, wo und wie. Land, See, Luft? Von wo und wohin. Und mit welchem Transportmittel. LKW, Luftfracht, Frachtschiff?«

»Sie sind immer noch überzeugt, daß die das durchziehen? Daß sie die Sache nicht abblasen?«

»Ja.«

Rowse brauchte es nicht zu wissen, aber es war noch eine Nachricht von Gaddafis Leibarzt eingegangen. Die Lieferung werde Kisten für verschiedene Adressaten umfassen. Ein Teil der Waffen sei für die baskischen Separatisten bestimmt, die ETA. Ein weiterer für die linksextremen Franzosen, die Action Directe. Auch die kleine, aber äußerst gefährliche belgische Terroristenorganisation, die CCC, würde bedacht werden. Weiterhin solle die deutsche Rote Armee Fraktion ein ansehnliches Geschenk erhalten, wovon zweifellos mindestens die Hälfte für Bars und Diskotheken bestimmt sei, in denen US- Soldaten verkehrten. Aber mehr als die Hälfte der gesamten Lieferung werde für die IRA sein.

Außerdem wurde berichtet, daß eine der Aufgaben der IRA die Ermordung des amerikanischen Botschafters in London sein würde. McCready hatte den Verdacht, daß die IRA diese Operation mit Rücksicht auf ihre Geldgeber in Amerika delegieren würde, wahrscheinlich an die deutschen Terroristen der RAF, der Nachfolge-Organisation der Baader-Meinhof- Gruppe, die zwar geschrumpft, aber immer noch bereit und in der Lage war, als Gegenleistung für Waffenlieferungen Auftragsarbeiten zu übernehmen.

»Haben die Sie gefragt, wohin die Lieferung für Ihre amerikanische Terroristengruppe gehen soll, falls der Handel zustande kommt?«

»Ja.«

»Und was haben Sie gesagt?«

»Irgendwo in Westeuropa.«

»Und der Weitertransport in die Staaten?«

»Da habe ich mich an Ihre Instruktionen gehalten. Ich würde die Lieferung, die keinen sehr großen Umfang hat, abholen und in eine nur mir bekannte, gemietete Garage bringen. Dann würde ich mit einem Wohnmobil mit verborgenen Hohlräumen hinter den Wänden zu der Garage fahren, die Sachen einladen und nach Dänemark, mit der Fähre nach Schweden und weiter nach Norwegen fahren, um mich dort mitsamt dem Wohnmobil auf einem der vielen Frachter nach Kanada einzuschiffen. Als harmloser, an Naturbeobachtungen interessierter Tourist.«

»Und, haben sie Ihnen das abgenommen?«

»Terpil ja. Er hielt es für einen sauberen Plan. Al-Mansur wandte ein, daß ich mehrere Staatsgrenzen überqueren müßte. Daraufhin habe ich gesagt, daß in der Urlaubszeit Wohnmobile massenweise in ganz Europa unterwegs sind und daß ich an jeder Grenze behaupten würde, ich müßte meine Frau und die Kinder am Flughafen der nächsten Großstadt abholen. Dazu hat er mehrmals genickt.«

»Na gut. Wir haben unser Angebot vorgetragen. Jetzt können wir nur noch abwarten, ob Sie sie überzeugt haben. Und ob ihre Gier nach Rache an den Amerikanern sich gegen die natürliche Vorsicht durchsetzen wird. So was ist schon vorgekommen.«

»Und was nun?« wollte Rowse wissen.

»Sie fahren ins Hotel zurück. Wenn die endgültig anbeißen und Ihre Sachen der Lieferung beipacken, wird al-Mansur Kontakt mit Ihnen aufnehmen, entweder persönlich oder durch einen Boten. Halten Sie sich peinlich genau an seine Anweisungen. Mich sehen Sie erst wieder, wenn die Luft rein ist für einen neuen Lagebericht.«

»Und wenn sie nicht anbeißen?«

»Dann werden sie versuchen, Sie zu beseitigen. Wahrscheinlich werden sie Mahoney und seine Jungs auffordern, als Zeichen ihres guten Willens die Sache zu erledigen. Dann bekämen Sie Ihre Chance, Mahoney zu erledigen. Die Sergeants werden auf jeden Fall in Ihrer Nähe sein. Sie werden eingreifen, um Sie lebendig rauszuholen.«

Den Teufel werden sie tun, dachte Rowse. Damit hätten sie verraten, daß man in London Wind von der Sache bekommen hatte. Die Iren würden das Weite suchen, und die ganze Sendung würde sie auf einer anderen Route, zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort erreichen. Wenn al-Mansur ihm ans Leder wollte, direkt oder indirekt, würde er ganz auf sich gestellt sein.

»Wollen Sie einen Piepser?« fragte McCready. »Damit Sie uns zu Hilfe holen können?«

»Nein«, sagte Rowse brüsk. Das hätte keinen Zweck gehabt. Es würde ohnehin keiner kommen.

»Dann fahren Sie jetzt zum Hotel zurück und warten Sie«, sagte McCready. »Und verausgaben Sie sich nicht zu sehr mit der hübschen Mrs. Browne, mit einem >e< am Ende. Es könnte sein, Sie brauchen Ihre Kräfte noch für was anderes.«

Er mischte sich unter die Touristen. McCready wußte natürlich genauso gut wie Rowse, daß er nicht eingreifen konnte, falls die Libyer oder die Iren Rowse tatsächlich den Garaus machen wollten. Trotzdem, niemand hatte gesagt, daß das eine Vergnügungsreise werden würde. Für den Fall, daß der libysche Fuchs Rowse doch nicht glaubte, hatte McCready beschlossen, ein viel größeres Team von Beobachtern einzufliegen und Mahoney im Auge zu behalten. Wenn er sich bewegte, würde sich auch die Waffenlieferung für die Iren bewegen.

Rowse beendete seinen Rundgang durch das Kloster und trat hinaus in die grelle Sonne, um zu seinem Wagen zurückzugehen. Aus seinem Versteck unter den Pinien oben auf dem Hügel, unterhalb der Grabstätte des verstorbenen Präsidenten Makarios, beobachtete ihn Bill und gab Danny durch, daß ihr Mann den Rückweg angetreten habe. Zehn Minuten später fuhr McCready los, mit Marks als Chauffeur. Unterwegs nahmen sie einen Anhalter mit, einen zypriotischen Bauern, der an der Straße stand und winkte, und so gelangte auch Bill wieder nach Pedhoulas.

Nach einer Viertelstunde, als sie ein Drittel des Wegs hinter sich hatten, knackte es in McCreadys Funksprechgerät. Es war Danny.

»Mahoney und seine Leute sind gerade in das Zimmer von unserem Mann eingedrungen. Sie stellen alles auf den Kopf. Soll ich zur Straße runtergehen und ihn warnen?«

»Nein«, sagte McCready. »Bleiben Sie, wo Sie sind, und melden Sie sich wieder.«

»Wenn ich schneller fahre, holen wir ihn vielleicht noch ein«, schlug Marks vor.

McCready sah auf die Uhr. Eine leere Geste. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Entfernung nach Pedhoulas und Rowses Vorsprung zu überschlagen.

»Zu spät«, sagte er. »Wir würden ihn nicht mehr einholen.«

»Armer Tom«, sagte Bill von hinten.

Sam McCready verlor nur selten die Geduld mit einem Untergebenen, aber diesmal platzte ihm der Kragen.

»Wenn wir hier Mist bauen, wenn diese Ladung Scheiße durchkommt, dann Gnade Gott den Kunden von Harrods, den Touristen im Hyde Park, den Kindern und alten Frauen überall in England«, brüllte er.

Bis nach Pedhoulas sagte keiner mehr etwas.

Rowses Schlüssel hing wie gewohnt am Empfang. Er nahm ihn sich selbst - es war niemand hinter der Theke - und ging hinauf. Das Schloß an seiner Tür war unbeschädigt; Mahoney hatte den Schlüssel benutzt und ihn wieder zurückgebracht. Aber die Tür war nicht abgeschlossen. Rowse dachte, das Zimmermädchen sei vielleicht noch beim Bettenmachen, und ging einfach hinein.

Der Mann hinter der Tür gab ihm einen Stoß, daß er durchs Zimmer torkelte. Die Tür krachte ins Schloß, und der Dicke stellte sich davor. Teleaufnahmen, die Danny gemacht hatte, waren noch vor Morgengrauen mit dem Kurier nach Nikosia geschickt, nach London gefaxt und dort analysiert worden. Der Untersetzte war Tim O’Herlihy, ein Killer der Derry-Brigade, der wabblige Rotblonde am Kamin Eamon Kane, ein Schutzgeld-Eintreiber aus West-Belfast. Mahoney saß im einzigen Sessel des Zimmers, mit dem Rücken zum Fenster, dessen Gardinen zugezogen waren.

Wortlos packte Kane den taumelnden Engländer, riß ihn herum und drückte ihn an die Wand. Geübte Hände tasteten rasch sein kurzärmliges Hemd und beide Hosenbeine ab. Hätte Rowse den von McCready angebotenen Piepser dabeigehabt, wäre das Gerät entdeckt worden, und das Spiel wäre aus gewesen.

Im Zimmer herrschte ein furchtbares Durcheinander. Alle Schubladen waren herausgerissen und ausgeleert. Der Inhalt des Kleiderschranks über den Boden verstreut. Der einzige Trost für Rowse war, daß er nur Sachen dabei hatte, die zur normalen Ausrüstung eines recherchierenden Autors gehören - Notizhefte, Kapitelentwürfe, Touristenkarten, Prospekte, eine Reiseschreibmaschine, Kleider und Waschzeug. Seinen Paß hatte er in der Gesäßtasche. Kane zog ihn heraus und warf ihn Mahoney hin. Mahoney blätterte ihn durch, erfuhr aber nichts, was er nicht schon wußte.

»Also, SAS-Mann, vielleicht sagst du mir jetzt, was du verdammt nochmal hier zu suchen hast.«

Er zeigte sein übliches charmantes Lächeln, aber die Augen blieben kalt.

»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, sagte Rowse ungehalten.

Kane holte zu einem Faustschlag aus, der Rowse in der Magengrube traf. Er hätte ihm ausweichen können, aber hinter ihm stand O’Herlihy und neben ihm Kane. Er hätte kaum eine Chance gehabt, nicht einmal ohne Mahoney. Diese Männer waren keine Waisenknaben. Rowse stöhnte auf und krümmte sich und mußte sich nach Luft ringend an die Wand lehnen.

»Was du nichts sagst«, sagte Mahoney, ohne aufzustehen. »Also normalerweise kann ich mich auch ohne Worte verständlich machen, aber weil du es bist, SAS-Mann, will ich mal nicht so sein. Ein Freund von mir hat dich wiedererkannt, neulich in Hamburg. Tom Rowse, ehemaliger Hauptmann im Special Air Service Regiment, einem Verein, der in Irland jede Menge Fans hat, kommt nach Hamburg und stellt komische Fragen. Hat zwei Einsätze in Irland hinter sich, und jetzt taucht er auf einmal in Zypern auf, ausgerechnet, wenn ich mir mit ein paar Freunden einen schönen, ruhigen Urlaub hier machen will. Also, noch mal, was machst du hier?«

»Also hören Sie«, sagte Rowse. »Gut, ich war in dem Regiment. Aber ich hab aufgehört. Hab’s einfach nicht mehr ausgehalten. Hab die Typen alle verflucht. Das war vor drei Jahren. Ich bin raus, für immer. Das britische Establishment würde mich nicht mal mehr mit der Kneifzange anfassen. Ich lebe jetzt davon, daß ich Romane schreibe. Thriller. Das ist alles.«

Mahoney nickte O’Herlihy zu. Der Schlag von hinten traf Rowse in die Nieren. Er schrie auf und brach in die Knie. Trotz der Übermacht hätte er sich wehren und zumindest einen von ihnen erledigen können, vielleicht sogar zwei, bevor er selbst seinen letzten Schnaufer getan hätte. Aber er biß die Zähne zusammen. Er hatte den Verdacht, daß Mahoney trotz seiner Arroganz eigentlich nicht wußte, was er von der ganzen Sache halten sollte. Er mußte bemerkt haben, daß er und Hakim al- Mansur letzten Abend auf der Terrasse miteinander gesprochen hatten, bevor sie weggefahren waren. Rowse war nach diesem nächtlichen Ausflug wiedergekommen. Und Mahoney stand im Begriff, ein sehr großzügiges Geschenk von al-Mansur entgegenzunehmen. Nein. Der IRA-Mann ging nicht aufs Ganze. Noch nicht. Er wollte nur seinen Spaß haben.

»Du lügst mich an, SAS-Mann, und das kann ich nicht leiden. Diesen Quatsch mit den Recherchen für dein Buch hab ich schon mal gehört. Weißt du, wir Iren sind ein sehr literarisches Volk. Und manche von den Fragen, die du gestellt hast, sind überhaupt nicht literarisch. Also was machst du hier?«

»Thriller«, jappte Rowse. »Thriller müssen heutzutage genau sein. Mit allgemeinem Gewäsch lockt man heute keinen mehr hinterm Ofen hervor. Denken Sie an Le Carré, Clancy - meinen Sie, die würden nicht jedes kleinste Detail recherchieren? Anders geht’s heute einfach nicht mehr.«

»Was du nicht sagst. Und der Gentleman aus dem fernen Land, mit dem du gestern abend geredet hast? Ist er einer von deinen Co-Autoren?«

»Das geht nur uns beide was an. Fragen Sie ihn doch selbst.«

»Stell dir vor, SAS-Mann, das hab ich schon getan. Heute morgen, telefonisch. Und er hat mich gebeten, dich im Auge zu behalten. Wenn es nach mir ginge, würden meine Freunde dich von einem ganz hohen Berg runterschmeißen. Aber mein Freund hat mich gebeten, dich im Auge zu behalten. Und das tu ich jetzt, Tag und Nacht, bis du verschwindest. Das war alles, worum er mich gebeten hat, aber eine kleine Aufmerksamkeit unter alten Freunden muß schon erlaubt sein.«

Kane und O’Herlihy gingen ans Werk. Mahoney sah zu. Rowses Beine versagten den Dienst, er ging zu Boden und kauerte sich zusammen, um Unterleib und Genitalien zu schützen. Für einen guten Schlag war er zu weit unten, und so bearbeiteten sie ihn mit den Füßen. Er drehte den Kopf zur Seite, um sein Gehirn zu schützen, und spürte, wie die Schuhspitzen in Rücken, Schultern, Brust und Rippen krachten; der Schmerz schnürte ihm die Luft ab, und nach einem Tritt an den Hinterkopf umfing ihn barmherzige Dunkelheit.

Er kam zu sich wie nach einem schweren Unfall: Erst wurde ihm zaghaft bewußt, daß er nicht tot war, dann spürte er die Schmerzen. An seinem ganzen Körper schien keine Stelle zu sein, die nicht weh tat.

Er lag auf dem Gesicht, und eine Zeitlang betrachtete er das Muster des Teppichs. Dann rollte er sich herum; das war nicht gut. Er betastete sein Gesicht. Bis auf eine Schwellung unter dem linken Augen war es im großen und ganzen noch dasselbe, das er seit Jahren rasiert hatte. Er versuchte sich aufzusetzen und zuckte zusammen. Jemand griff ihm unter die Arme und setzte ihn behutsam auf.

»Um Himmels willen, was ist denn hier passiert?« fragte eine Frauenstimme.

Monica Browne kniete neben ihm, einen Arm um seine Schultern gelegt. Mit den kühlen Fingern ihrer rechten Hand berührte sie den Bluterguß unter seinem linken Auge.

»Ich bin zufällig vorbeigekommen. Die Tür war offen - «

»Ich muß ohnmächtig geworden sein und mich irgendwo gestoßen haben«, sagte er.

»War das bevor oder nachdem Sie Kleinholz aus dem Zimmer gemacht haben?«

Er sah sich um. Er hatte die herausgerissenen Schubladen und verstreuten Kleider vergessen. Monica knöpfte sein Hemd auf.

»Mein Gott, muß das ein Sturz gewesen sein«, sagte sie nur. Dann half sie ihm auf und führte ihn zum Bett. Er setzte sich. Sie drückte ihn nach hinten und hob seine Beine aufs Bett.

»Laufen Sie nicht weg«, sagte sie unnötigerweise. »Ich hab was in meinem Zimmer.«

Sie war gleich wieder da, schloß die Tür hinter sich und drehte rasch den Schlüssel um. Sie hob seinen rechten Arm hoch und zog ihm vorsichtig das Hemd aus, nicht ohne mehrmals den Kopf zu schütteln über die schon hübsch blau angelaufenen Quetschungen, die seinen Körper zierten.

Er kam sich hilflos vor, aber sie wußte offenbar, was sie tat. Ein Fläschchen wurde entkorkt, und sanfte Finger rieben die verletzten Stellen ein. Es brannte. Er sagte »Au«.

»Das wird Ihnen guttun. Es läßt die Schwellungen zurückgehen und vermindert die Verfärbung. Umdrehen.«

Sie rieb ihm auch die blauen Flecken auf Schultern und Rücken ein.

»Wieso tragen Sie solche Salben mit sich herum?« murmelte er. »Passiert das allen, mit denen Sie einmal zu Abend essen?«

»Die ist für die Pferde«, sagte sie.

»Na wunderbar.«

»Stellen Sie sich nicht so an. Bei Männern wirkt sie genauso, obwohl die kleinere Köpfe haben. Wieder umdrehen.«

Er gehorchte. Sie stand am Bettrand, das goldene Haar fiel ihr über die Schultern.

»Haben die Sie auch in die Beine getreten?«

»Ja, überall.«

Sie knöpfte ihm den Hosenbund auf, öffnete den Reißverschluß und zog ihm ohne Umstände die Hose aus - eine Hilfeleistung, die für die junge Frau eines Mannes, der gerne eins über den Durst trinkt, nichts Ungewohntes ist. Abgesehen von einer Beule auf dem rechten Schienbein fand sich noch ein halbes Dutzend blauer Flecken auf den Oberschenkeln. Sie massierte auch hier ihr Mittel ein. Wenn das Brennen nachließ, war das Gefühl äußerst angenehm. Der Geruch erinnerte Rowse an die Rugby-Spiele in der Schule. Monica hörte auf und stellte das Fläschchen hin.

»Ist das auch eine Beule?« fragte sie.

Er sah auf seine Unterhose. Nein, es war keine Beule.

»Gott sei Dank«, murmelte sie. Sie wandte sich ab und griff nach dem Reißverschluß am Rücken ihres cremefarbenen Kleides aus Shantung-Seide. Wegen der zugezogenen Gardinen war das Licht im Zimmer gedämpft und kühl.

»Wo haben Sie gelernt, Prellungen und Quetschungen zu verarzten?« fragte er.

Nach der Prügelei und der Massage fühlte er sich benommen. Zumindest sein Kopf war nicht voll einsatzfähig.

»Daheim in Kentucky. Mein kleiner Bruder war AmateurJockey«, sagte sie. »Bei ihm habe ich oft Erste Hilfe geleistet.«

Ihr Kleid glitt herab und fiel zu einem weichen Häufchen zusammen. Sie trug einen winzigen Janet-Reger-Slip und keinen Büstenhalter. Trotz ihrer vollen Brüste brauchte sie keinen. Sie

drehte sich um. Rowse schluckte.

»Aber das«, sagte sie, »habe ich nicht von meinem kleinen Bruder gelernt.«

Er dachte kurz an Nikki zu Hause in Gloucestershire. Er hatte das noch nie getan, nicht seit er mit Nikki verheiratet war. Aber wozu Gewissensbisse: Ein Krieger braucht nun einmal gelegentlich Trost, und wenn sich eine mitleidige Seele findet, müßte er ein Übermensch sein, um das Angebot zurückzuweisen.

Er wollte die Hände auf ihre Hüften legen, als sie sich über ihn kniete, aber sie packte seine Handgelenke und drückte sie auf das Kopfkissen zurück.

»Lieg still«, flüsterte sie. »Du bist viel zu lädiert, um dich aktiv zu beteiligen.«

Sie ließ sich dann doch vom Gegenteil überzeugen.

Nach einer guten Stunde stand sie auf und zog die Gardinen zurück. Die Sonne hatte ihren Höhepunkt längst überschritten und näherte sich den Bergen. Auf der anderen Talseite stellte Sergeant Danny sein Fernglas scharf und sagte:

»Tom, du verdammter Hund du.«

Die Affäre dauerte drei Tage. Die Pferde aus Syrien ließen ebenso auf sich warten wie eine Nachricht für Rowse von Hakim al-Mansur. Monica fragte regelmäßig bei ihrem Agenten im Hafen nach, aber die Antwort lautete immer >morgen<. Also unternahmen sie Spaziergänge in den Bergen, machten Picknick hoch über den Kirschgärten und liebten sich unter den Pinien.

Sie frühstückten und dinierten auf der Terrasse, während Danny und Bill sie stumm aus ihrem Versteck beobachteten und Mahoney und seine Kumpane sie von der Bar aus mürrisch beäugten.

McCready und Marks blieben in ihrer Pension in Pedhoulas, und McCready organisierte unterdessen noch weitere Männer von der Station Zypern und ein paar von Malta. Solange Hakim al-Mansur Rowse nicht wissen ließ, daß sie die Geschichte von den Waffen für die amerikanischen Terroristen akzeptiert - oder als unwahr erkannt - hatten, mußte er sich an den Iren Mahoney und seine beiden Kollegen halten. Sie waren für das IRA- Unternehmen verantwortlich. Solange sie blieben, würde die Operation nicht in die Verschiffungsphase eintreten. Die beiden SAS-Sergeants würden in Rowses Nähe bleiben, die übrigen würden die IRA-Leute rund um die Uhr überwachen.

Zwei Tage nachdem Rowse und Monica zum erstenmal miteinander geschlafen hatten, waren McCreadys Leute alle auf dem Posten. Sie waren über die ganze Umgebung verteilt und behielten alle Straßen und Wege im Auge.

Die Telefonleitung zu dem Hotel war angezapft worden. Abgehört wurden die Gespräche in einem anderen Hotel. Nur wenige der neu hinzugekommenen Leute sprachen Griechisch, aber zum Glück waren schon so viele Touristen unterwegs, daß ein weiteres Dutzend keinen Argwohn erregte.

Mahoney und seine Männer verließen nie das Hotel. Auch sie warteten auf etwas; auf einen Anruf oder einen Kurier.

Am dritten Tag stand Rowse wie immer kurz nach Tagesanbruch auf. Monica schlief weiter, und Rowse nahm an der Tür das Frühstückstablett vom Zimmerkellner entgegen. Als er sich seine erste Tasse Kaffee eingießen wollte, sah er einen zusammengefalteten Zettel, der unter dem Kännchen gelegen hatte. Er legte ihn zwischen Tasse und Untertasse, goß sich den Kaffee ein und ging damit ins Bad.

Die Nachricht lautete einfach: Club Rosalina, Paphos, 23.00. Asis.

Das stellte ihn vor ein Problem, überlegte er, während er die Schnipsel durch die Toilette spülte. Wie sollte er Monica erklären - oder vor ihr geheimhalten -, daß er in der Nacht ein paar Stunden nicht da sein würde. Das Problem erledigte sich von selbst, als gegen Mittag der Zufall eingriff und Monicas Reederei-Agent anrief, um ihr mitzuteilen, daß die drei Hengste an diesem Abend aus Latakia in Limassol eintreffen würden, und sie bat, rechtzeitig zur Stelle zu sein, um den Empfang zu bestätigen und für die Unterbringung der Pferde in Ställen außerhalb des Hafens zu sorgen.

Als sie um vier wegfuhr, erleichterte Rowse seinen Sergeants ihre Aufgabe, indem er ins Dorf hinaufging, das Apollonia anrief und dem Geschäftsführer sagte, er wolle am Abend nach Paphos zum Essen fahren, und was denn bitte die beste Route sei. Der Anruf wurde abgehört und an McCready weitergeleitet.

Der Rosalina Club entpuppte sich als ein Kasino mitten in der Altstadt. Rowse betrat es kurz vor elf und sah sofort die schlanke, elegante Gestalt Hakim al-Mansurs an einem der Roulette-Tische. Neben ihm war ein Stuhl frei. Rowse nahm Platz.

»Guten Abend, Mr. Asis. Welch angenehme Überraschung.«

Al-Mansur neigte ernst den Kopf. »Faites vos jeux«, sagte der Croupier. Der Libyer setzte mehrere hohe Chips auf eine Kombination höherer Zahlen. Das Rad drehte sich, und die weiße Kugel fiel in das Fach mit der Nummer 4. Dem Libyer war nicht der geringste Unmut anzumerken, als seine Chips weggeharkt wurden. Von dem Geld, das er bei diesem einen Spiel verloren hatte, hätten sich ein paar libysche Bauernfamilien einen Monat lang ernähren können.

»Schön, daß Sie gekommen sind«, sagte al-Mansur genauso ernst. »Ich habe Neuigkeiten für Sie. Gute Nachrichten, Sie werden erfreut sein. Es ist ja so angenehm, gute Nachrichten überbringen zu können. «

Rowse fühlte sich erleichtert. Schon daß der Libyer ihm eine Nachricht geschickt hatte, statt Mahoney zu befehlen, den Engländer in die Berge zu bringen und ihn für immer dort zu lassen, war ermutigend gewesen. Jetzt sah alles noch besser aus.

Er sah zu, wie der Libyer noch einen Stapel Chips verlor. Er selbst war gegen die Versuchung des Glücksspiels gefeit; das Roulette-Rad war für ihn das dümmste und langweiligste Gerät, das je erfunden wurde. Die Araber stehen jedoch in punkto Spielleidenschaft höchstens noch den Chinesen nach, und sogar der unterkühlte al-Mansur war von dem rotierenden Rad sichtlich fasziniert.

»Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können«, sagte al-Mansur, während er Weitere Chips setzte, »daß unser ruhmreicher Führer Ihrer Bitte entsprochen hat. Die Ausrüstungen, die Sie benötigen, werden Ihnen geliefert - ohne Abstriche. Na, was sagen Sie dazu?«

»Ich bin erfreut«, sagte Rowse. »Ich bin sicher, meine Auftraggeber werden die Sachen - nutzbringend verwenden.«

»Das wollen wir alle inständig hoffen. Schließlich ist das, wie ihr britischen Soldaten sagt, der Zweck der Übung.«

»Und wie soll die Zahlung erfolgen?« wollte Rowse wissen.

Der Libyer machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Nehmen Sie es als Geschenk der Volksdschamahirija, Mr. Rowse.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar. Und der Dank meiner Auftraggeber ist Ihnen ebenfalls gewiß.«

»Das bezweifle ich, denn Sie wären ein Narr, wenn Sie es Ihnen sagten. Und Sie sind kein Narr. Ein Söldner vielleicht, aber kein Narr. Und da Ihre Provision nun nicht hunderttausend, sondern eine halbe Million Dollar betragen wird, könnten Sie ja vielleicht mit mir teilen. Wie wär’s mit halbe-halbe?«

»Natürlich für die Kriegskasse?«

»Natürlich.«

Eher für den persönlichen Pensionsfonds, dachte Rowse.

»Mr. Asis, Sir, wir sind uns einig. Wenn meine Klienten das Geld wirklich herausrücken, gehört die Hälfte davon Ihnen.«

»Das hoffe ich sehr«, murmelte al-Mansur. Diesmal hatte er gewonnen, und ein Haufen Chips wurde ihm zugeschoben. Bei aller Souveränität konnte er seine Genugtuung nicht verbergen.

»Mein Arm ist sehr lang.«

»Vertrauen Sie mir«, sagte Rowse.

»Also das, lieber Freund, wäre geradezu beleidigend - in unserer Welt.«

»Ich brauche Angaben über die Lieferung. Wo ich sie abholen soll. Und wann.«

»Die bekommen Sie. Schon bald. Sie hatten einen Hafen in Europa genannt. Ich denke, das läßt sich arrangieren. Kehren Sie ins Apollonia zurück, und ich werde in Kürze Kontakt mit Ihnen aufnehmen.«

Er stand auf und gab Rowse seine Chips.

»Bleiben Sie die nächsten fünfzehn Minuten noch im Kasino«, sagte er. »Hier, machen Sie sich einen schönen Abend.«

Rowse wartete eine Viertelstunde und wechselte dann die Chips. Er wollte lieber Nikki etwas Hübsches kaufen.

Er verließ das Kasino und schlenderte zu seinem Auto. In den engen Straßen der Altstadt war am Abend kaum ein Parkplatz zu finden. Sein Wagen stand zwei Straßen weiter. Er sah Danny und Bill nicht, die sich vor und hinter ihm in Hauseingängen versteckten. Als er sich seinem Wagen näherte, sah er einen alten Mann in einem blauen Overall und mit einem Käppi auf dem Kopf, der mit einem Reisigbesen die Straße kehrte.

»Kali spera«, krächzte der alte Straßenkehrer.

»Kali spera«, erwiderte Rowse. Er zögerte. Der alte Mann war einer der unzähligen, endgültig vom Leben besiegten Menschen, die überall auf der Welt die niedersten Arbeiten verrichten. Er entsann sich des Bündels Banknoten von al-Mansur, zog einen großen Schein heraus und steckte ihn dem alten Mann in die Brusttasche.

»Mein lieber Tom«, sagte der Straßenkehrer. »Ich hab schon immer gewußt, daß Sie ein gutes Herz haben.«

»Nanu, was machen Sie denn hier, McCready?«

»Klimpern Sie weiter mit Ihren Autoschlüsseln und erzählen Sie mir, was gewesen ist«, sagte McCready, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Rowse sagte es ihm.

»Gut«, sagte McCready. »Sieht nach einem Schiff aus. Das bedeutet wahrscheinlich, daß sie Ihre kleine Ladung der viel größeren für die IRA beipacken. Das wäre ganz in unserem Sinne. Wenn sie Ihre Sachen in einem anderen Container auf einer anderen Route verschicken, stehen wir wieder am Anfang. Dann bleibt uns nur noch Mahoney, aber da Ihre Ladung so klein ist, daß sie in einen Lieferwagen paßt, transportieren sie vielleicht alles zusammen. Steht schon fest, welcher Hafen?«

»Nein, nur Europa.«

»Fahren Sie zum Hotel zurück und tun Sie, was er sagt«, ordnete McCready an. Rowse fuhr los. Danny folgte ihm auf dem Motorrad. Marks und Bill kamen mit dem Auto und ließen McCready einsteigen. Die ganze Fahrt zurück saß er auf dem Rücksitz und dachte nach.

Das Schiff, wenn es denn ein Schiff war, würde nicht unter libyscher Flagge fahren. Das wäre zu auffällig gewesen. Wahrscheinlich würde man einen Frachter chartern, dessen Kapitän und Mannschaft keine Fragen stellten. Solche Schiffe gab es im östlichen Mittelmeer zu Dutzenden, und viele davon fuhren unter zypriotischer Flagge.

Wenn das Schiff hier gechartert wurde, mußte es zunächst einen libyschen Hafen anlaufen, um die Waffen an Bord zu nehmen, die sie wahrscheinlich unter einer ganz normalen Ladung wie Oliven oder Datteln in Kisten verstecken würden. Die drei Männer von der IRA würden die Ladung wahrscheinlich begleiten. Wenn sie aus dem Hotel auszogen, mußten sie unbedingt bis zur Anlegestelle verfolgt werden, denn um das Schiff aufbringen zu können, mußte man seinen Namen kennen.

Ein auf Seerohr getauchtes Unterseeboot würde sich ans Heck des Schiffes heften. Das Unterseeboot lag vor Malta, getaucht und einsatzbereit. Eine Nimrod von der britischen Luftwaffenbasis in Akrotiri auf Zypern würde das Unterseeboot zu dem Frachter führen und dann das Weite suchen. Das Unterseeboot würde die weitere Verfolgung übernehmen, bis die englische Kriegsmarine das Schiff im Ärmelkanal aufbringen konnte.

Er brauchte den Namen des Schiffes, am besten auch noch den Bestimmungshafen. Wenn er den Hafen hatte, konnte er seine Freunde bei der Lloyds Shipping Intelligence feststellen lassen, welche Schiffe Liegeplätze in diesem Hafen für welche Tage bestellt hatten. Dadurch würde sich die Zahl der in Frage kommenden Schiffe verringern. Möglicherweise würde er Mahoney nicht mehr brauchen, wenn nur die Libyer Rowse Bescheid sagten.

Die Nachricht für Rowse kam vierundzwanzig Stunden später per Telefon. Am Apparat war nicht al-Mansur, sondern ein anderer Mann. McCreadys Techniker verfolgten den Anruf später zum Libyschen Volksbüro in Nikosia zurück.

»Fahren Sie heim, Mr. Rowse. Wir werden dort in Kürze mit Ihnen Kontakt aufnehmen. Ihre Oliven werden per Schiff in einem europäischen Hafen eintreffen. Einzelheiten über Ankunftszeit und Abholung wird man Ihnen persönlich mitteilen.«

McCready grübelte in seinem Hotel über den Text des abgehörten Gesprächs. Hatte al-Mansur Verdacht geschöpft? Wollte er Rowse nur in Sicherheit wiegen? Wenn er ahnte, wer Rowses tatsächliche Auftraggeber waren, konnte er sich denken, daß auch Mahoney und seine Leute observiert wurden. Also Rowse nach England zurückschicken, um Mahoney die Beschatter vom Hals zu schaffen? Möglich.

Für den Fall, daß es nicht nur möglich war, sondern zutraf, beschloß McCready, zweigleisig zu fahren. Er würde gleichzeitig mit Rowse nach London zurückkehren, aber die Beschatter würden bei Mahoney bleiben.

Rowse beschloß, es Monica am Morgen zu sagen. Er war vor ihr aus Paphos ins Hotel zurückgekehrt. Sie war freudig erregt aus Limassol wiedergekommen. Ihre Hengste waren in prächtiger Verfassung und in einem Stall außerhalb der Stadt untergebracht. Sie brauchte jetzt nur noch die Transportpapiere,

um die Pferde nach England bringen zu können.

Rowse wachte am Morgen nach dem Anruf früh auf, aber Monica war schon aufgestanden. Er sah das leere Bett neben sich und ging in ihrem Zimmer nachsehen. Sie war nicht da. An der Rezeption hatte sie eine Nachricht für ihn hinterlassen, einen kurzen Brief in einem Umschlag des Hotels.

»Lieber Tom, es war wunderschön, aber es ist vorbei. Ich kehre zurück, zu meinem Mann und meinem Leben und meinen Pferden. Behalte mich in so guter Erinnerung wie ich Dich. Monica.«

Er seufzte. Natürlich hatte sie recht. Sie hatten beide ihr eigenes Leben; auf ihn warteten sein Haus, seine Schriftstellerei und seine Frau. Ganz plötzlich bekam er heftige Sehnsucht nach Nikki.

Auf der Fahrt zum Flughafen Nikosia nahm er an, daß seine zwei Sergeants irgendwo hinter ihm waren. Das stimmte auch. Aber McCready war woanders. Der Stationschef in Nikosia hatte erreicht, daß er mit einem Versorgungsflug der britischen Luftwaffe nach Lyneham in der Grafschaft Wiltshire mitfliegen konnte; das Flugzeug würde noch vor der Linienmaschine der British Airways in England sein, und in diesem Augenblick war er schon in der Luft.

Kurz vor Mittag schaute Rowse aus dem Fenster und sah unter der Tragfläche das grüne Troodosgebirge entschwinden. Er dachte an Monica, an Mahoney, der noch immer die Hotelbar stützte, und an al-Mansur, und er war froh, nach Hause zu kommen. Auf alle Fälle würden die grünen Wiesen von Gloucestershire viel weniger gefährlich sein als der Hexenkessel des Nahen Ostens.