(64)

Gegen seinen Willen stöhnte er auf. Ich zog die Spitze langsam hin und her, und er stöhnte noch mehr. Genau wie Intimitäten weckt Folter beim anderen eine tiefe, augenblickliche Reaktion. Man muss auf Rhythmen achten und darauf eingehen, ob ein Schmerz eine Steigerung des vorherigen darstellt. Folter hat auch die Intimität an sich, die man empfindet, wenn man ein gutes Spiel gegen einen cleveren Gegner spielt. Beides gehört zusammen wie drei Spitzen eines Dreiecks.

2JS verzog keine Miene, aber das Stöhnen nahm zu. Als es verebbte, musste ich innehalten, ehe er vor Schmerz das Bewusstsein verlor. Der Necker kroch hervor, löste eine gepolsterte Baumwollbinde von 2JS’ Schulter und massierte ihm den Nacken. Es war wichtig, dass keine seiner Gliedmaßen taub wurde. Komm schon, brich zusammen, dachte ich. Du wirst mir entweder sagen, was das Zeichen ist, oder du wirst jeden Quadratmikrometer eines Kontinents aus Schmerz erkunden – ein Schmerz, wie ihn noch nie jemand erduldet hat. Eine Kurpackung Chilischoten wird dir vorkommen wie Marenas Memoryschaumsofa.

Ich lernte. Ein Experiment hat einmal gezeigt, dass fast jeder es genießen kann, Folterknecht zu sein, solange jemand ihn anleitet und ihm immer wieder versichert, er tue das Richtige. Ein Vergnügen für die ganze Familie. Der Necker suchte eine Klistierblase aus und quetschte 2JS daraus ein paar Tropfen in den Mund. Es war ein dreifach gereinigtes B’alche’, mit Vanille und Honig versetzt, fast ein Stärkungsmittel. 2JS schluckte unwillkürlich, obwohl er mit dem Kopf nach unten hing, und ich merkte, wie er das Getränk wider Willen genoss. Dahinter stand der Gedanke, Belohnungen und Erleichterungen zu den unmöglichsten Zeiten zu gewähren, um den Delinquenten auf ein tierhaftes Niveau von Stimulus und Reaktion zu bringen. Folter war hier wie Kampfsport in Asien – etwas, das man mit Stil betrieb, manchmal sogar mit Komik. Im 21. Jahrhundert existieren zur Folter grundsätzlich zwei Ansichten. Einmal das, was die großen Organisationen wie die US Army ihren Kommandeuren eintrichtern, nämlich nicht unter Folter zu verhören, weil der Gefolterte einem sowieso nur das sagen werde, von dem er glaube, dass man es hören wolle. Zum anderen, dass gegen geschulte Vernehmungsspezialisten niemand wirklich lange durchhalte. Und beides stimmt: Als Erstes sagt ein Gefolterter einem das, von dem er glaubt, man wolle es hören. Das nutzt ihm aber nur so lange, wie man seine Informationen nicht überprüfen kann. Ist dies jedoch möglich, muss der Gefolterte dem Folterer so weit trauen können, dass er entweder aufhört zu foltern, sollte sich die Aussage als wahr erweisen, oder dem Delinquenten wenigstens ein Messer gibt, mit dem dieser sich selbst töten kann.

Soweit ich weiß, hat noch kein Gefolterter durchgehalten, es sei denn, die Folterer haben Mist gebaut. Aber wenn die Folterer sich auskennen, nutzten einem sämtliche Durchhaltetechniken gar nichts. Schmerz ist einfach zu mächtig.

Aber etwas Bestimmtes aus einem Maya-Geblüt herauszukitzeln war eine andere Geschichte und gestaltete sich heikel, obwohl mein Necker ein Meister des neunten Grades war und sich eindeutig auskannte. 2-Juwelenbesetzter-Schädel war über die Hartgesottenheit hinaus. Er wurde schwächer, und im Moment schwieg er nur aus schierer Willenskraft. Doch ich hatte das Gefühl, er könnte ohne Weiteres vor Schmerzen sterben, ehe er mir auch nur Frage Nummer 1 beantwortet hätte.

Deshalb hatten wir zunächst die üblichen, keine Schmerzen verursachenden Foltern probiert. Wir hatten seine Matten zerschnitten und entweiht und Wandbilder malen lassen, auf denen er in verschiedenen feigen Haltungen das Hüftballspiel verlor. Wir hatten Leute bezahlt, Gerüchte über ihn in Umlauf zu bringen, und dann hatten wir andere Leute herbeigeholt, ihn wegen dieser Gerüchte zu verspotten. Wir hatten so viele sterbliche Überreste seiner Ahnen zusammengetragen, wie wir finden konnten, und ausgehungerte Hunde daran reißen lassen, während er zuschaute. Aber vielleicht hatte er, was diese Dinge anging, bereits seinen Frieden geschlossen, denn es zeigte keine Wirkung auf ihn. Womöglich besaß er gerade dadurch, dass er so viel von mir in sich trug, einen besonderen Abstand zu der Situation.

Und wir hatten ihm natürlich Bestechungen angeboten. Männer, Geld und einen Fluchtweg. Wir hatten vorgeschlagen, einige seiner alten Feinde zu töten, fast alles, was er wollte, sofern wir es mit einiger Glaubwürdigkeit versprechen konnten. Doch er war halsstarrig. Vielleicht merkte er, dass wir in einer beinahe genauso aussichtslosen Situation steckten wie er. Oder er traute uns nicht, ganz gleich, wie viele Zeugen wir anschleppten. Oder er war einfach wild entschlossen, mir den Triumph vorzuenthalten, den ich bei seinem Zusammenbruch empfinden würde, und brannte darauf, meine Welt ihrer Chancen auf eine Zukunft zu berauben.

Zu Beginn des zweiten Tages waren wir daher ins Reich des körperlichen Schmerzes übergegangen. Mit jemandem, der Schmerzen genießt oder ihnen zumindest so gleichgültig gegenübersteht, war das so eine Sache. Doch man darf nicht vergessen, dass es unterschiedliche Arten von Schmerz gibt. Dazu kommen Jucken und Erstickung, obwohl beides im strengen Sinne keine Schmerzen sind. Und es gibt andere Dinge, die zu lindern den Menschen wichtig ist, sodass es sich lohnen kann, sie daran zu hindern, dass sie es lindern. Schöner Reim, finde ich. Wie auch immer, jeder mag irgendetwas ganz und gar nicht, und der Trick besteht darin herauszufinden, was das ist.

Der Necker hatte zuerst Fleischaale angesetzt und war dann zu Erstickung übergegangen, gab es aber nach zwei Stunden auf. Die meisten Leute verfallen in eine tierhafte Panik, nachdem man sie ein paar Mal fast hat ersticken lassen, aber 2JS hatte einfach den Atem angehalten und versucht, die Adern in seinem Kopf zum Platzen zu bringen. Als Nächstes hatte der Necker die Haut an 2JS’ Füßen geröstet und abgezogen, das rohe Fleisch mit Salz eingerieben und seinen Hund das Salz ablecken lassen. Aber das brachte ihn auch nicht weiter. Er hatte 2JS’ Mittelfinger beider Hände vom Fleisch entblößt, das Endglied abgenommen und den Mittelhandknochen gespitzt, immer wieder mit der Bimssteinfeile darübergerieben und ihn zu einer Nadelspitze poliert. Danach hatte er 2JS mit Wasser abgefüllt, ihm den Penis abgebunden und den Anus verstopft. Dann hatte er eine Schale voll Goldaugenbremsen gebracht, die ihn stechen sollten. Zu allem Überfluss hatte er ihn die Adrenaldrüsen essen lassen und ihm ein paar Dosen Psilocybin verpasst, halluzinogene Pilzdrogen, das hiesige Wahrheitsserum. Doch 2JS hatte nur gebebt und geschnieft und gesabbert, aber im Kern war er ungebrochen. Man musste den Kerl bewundern.

»Sie bewegen sich«, sagte der Necker. Er befühlte gerade 2JS’ Bauch nach den Aalen. Ich erhob mich auf die Knie und sah genau hin. 2JS’ Unterleib zitterte, und über sein Gesicht zuckten alle möglichen seltsamen Grimassen, als wäre er ein Komiker, der ein Niesen unterdrücken wollte. Er hatte wieder einen Anfall. Die kleine Menge Alkohol hatte ihn geradezu ins Trudeln gebracht. Der Necker nahm ein Muschelschalenmesser und zeichnete einen Schnitt gleich unter dem Nabel an.

»Nein, nein, versuch es im Kopf«, sagte ich. Ich wollte nicht, dass er uns unter den Händen starb. Der Necker betastete das geschwollene Gewebe rings um 2JS’ Augenhöhlen.

Sie werden fett, dachte ich. Ich sagte zum Necker, er solle ein paar von den Viechern herausholen, wenn er könne. Der Necker schob eine Bambuspinzette in 2JS’ linkes Nasenloch und wühlte herum.

Gib mir den Schlüssel, du Scheißer, dachte ich. Den Scheißschlüssel. Ich konnte nicht fassen, dass ich noch immer in dieser verfahrenen Situation steckte.

Glaub es ruhig.

Der Necker begann 2-Juwelenbesetzter-Schädel etwas aus der Nase zu ziehen, das sich verjüngende Ende einer weißen nudelartigen Schnur, die einfach nicht aufhören wollte und über einen Fuß lang war, als ihr vom Blut rosa gefärbter Nicht-Kopf schließlich sich windend hervorkam. An der Luft erstickte der Wurm. 2JS zitterte, gab aber keinen Laut von sich. Der Necker warf den Wurm in eine Tasse mit B’alche’. Das Tier wand sich dort und knüpfte sich praktisch selbst zur Schlinge.

»Trink viel B’alche’«, sagte der Necker lachend, »und du bekommst keine Würmer.« Das war ein alter Witz.

Was man hier Fleischaal nannte, war tatsächlich eine Art in Flüssen lebende Bandwurmlarve, die man allein zum Zweck der Folter züchtete, eine weitere Spezies, die ich zu meinem Verdruss nicht bestimmen konnte, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie mit Spirometra mansoni verwandt sein musste. Jedenfalls sollte der Befall durch sie am absolut schmerzhaftesten sein, oder genauer gesagt, am unerträglichsten schmerzhaft, weil andere Dinge genauso wehtun konnten, aber nicht solche guten Ergebnisse erzielten. Der Fleischaal hatte Personen gebrochen, die monatelanger Folter standgehalten hatten. Wenn die Würmer in der Bauchhöhle waren, sollte es wie eine Übelkeit sein, aber andere Übelkeiten verhielten sich zu dieser Übelkeit wie ein juckender Finger zu einer zermalmten Hand. Wenn die Würmer in den Augen- und Nasenhöhlen saßen, war es wohl wie das Gefühl verstopfter Nebenhöhlen in einem dekomprimierenden Flugzeug, aber mit dem gleichen Grad der Verstärkung.

Muss mir was einfallen lassen. Okay. Na los. Er hat etwas von mir in sich. Stell damit etwas an. Selbst wenn 2JS etwas aushalten kann, schafft es der Jed in ihm vielleicht nicht.

Was ist mein »Zimmer 101«?, fragte ich mich. Wovor habe ich am meisten Angst? Blutverlust vielleicht. Bluten. Aber das habe ich hinter mir gelassen. Er wahrscheinlich auch. Der Tod? Darüber ist er ganz offensichtlich auch schon hinweg. Offen dazuliegen, entblößt zu sein, zuzusehen, wie mein Verstand von innen zerbröckelt?

»Hör zu«, sagte ich auf Englisch. »Jed? Alter Kumpel? Alter Freind? Ich weiß, dass du da drin bist.«

Er verkrampfte sein Gesicht stärker. Er war auf jeden Fall bei Verstand, auch wenn die Viecher seine Innereien zu Schweizer Käse verarbeiteten.

»Komm schon«, sagte ich. Meine Stimme wurde rau. »Erinnerst du dich noch, wie wir mit Marena Go gespielt haben? Erinnerst du dich noch, wie wir mit No Way und Sylvia und Sylvana in dem alten Thunderbird von Boulder nach Panama City gefahren sind, und jedes Mal, wenn wir angehalten wurden, das Koks schnell durch das Loch unter dem Gaspedal werfen und hinterher mit dem CB-Funkgerät neues vorbestellen mussten? Das willst du doch nicht alles löschen, oder?«

Keine Antwort. Tja. Vielleicht waren diese Erlebnisse so toll dann doch nicht.

»Weißt du noch, wie Sylvana gesagt hat, sie will mit dir schlafen? Du sagtest nur: Holla, okay, toll? Kannst du dich noch an dieses Kegelspiel erinnern, bei dem du Gata Kamsky fünfmal hintereinander geschlagen hast, und er wurde damit nicht fertig? Vergiss nicht, du bist es, der stirbt, nicht nur 2-Juwelenbesetzter-Schlemihl. Erinnerst du dich noch, als du einen ganzen Mundvoll Saccharin geschluckt hast? Weißt du noch, wie Stan dich in diesen Schwarzlichtposterladen in Salt Lake mitgenommen hat und es dich beinahe den Verstand gekostet hätte? Weißt du noch, wie du deine Schachuhr für ein Eulengesicht gehalten hast, das während eines Spiels Tausende unterschiedlicher Ausdrücke zeigte? Wenn das Spiel losging, guckte sie ganz erstaunt, und wenn ihr bei der Drei-Stunden-Markierung wart, hatte sie die Augen zusammengekniffen und wirkte müde oder vorsichtig oder was auch immer. Weißt du noch, wie sie manchmal mit dem einen oder anderen Auge zu zwinkern schien? Wie du dir mit deinem alten zusammenrollbaren Spielbrett die Geschichte von Ritter Unsichtbar ausgedacht hast? Weißt du noch, wie du zum ersten Mal draußen auf der Milpa mit deinem Vater im Schuppen übernachten durftest? Kennst du noch die Geschichte von Alter Affe und Junger Affe?«

Ich beschattete seine Augen mit der Hand und blickte ihm tief in das linke, vorbei an der blutgesprenkelten braunen Iris in die geschundene Pupille.

»Na komm. Willst du mich wirklich auch umbringen? Willst du mich mit dir nehmen? Bitte. Jed. Bring 2JS dazu, dass er zurücksteckt.«

Zeigte sich da ein winziges Anzeichen eines inneren Kampfes, oder bildete ich es mir nur ein?

»Alles geht in Trümmer, und das ist deine Schuld«, sagte ich. »Das heißt, unsere Schuld, aber ich versuche es zu ändern. Für uns, ja? Klar, sicher, ich weiß, es klingt abgeschmackt, aber ich werde auch für dich leben, ich versprech’s. Es ist mein Ernst. Was ist denn dann überhaupt mit dieser Kultursache von dir? Weißt du noch? Die Kultur bewahren, richtig? Die übrigens auch 2JS’ Kultur ist.«

Ich dachte, unten im dunklen Brunnen sähe ich etwas glänzen, wie winzige Fetzen von Blattgold in haselnussbraunem Likör.

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman
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