(37)

»Kot Chuupol! Ile Kot Chuupol!«

Seine Stimme klang, als versuchte er, sich zu erbrechen, nur dass sie sehr laut war. Du solltest still sein wie dein dämlicher Name, dachte ich. Ch’uupol war im Ch’olan ein Wort wie Schwuler oder Homo; daher war es der beliebteste Schimpfname für mich, da das Wort vom Klang her irgendwo in der Mitte zwischen diesem Ausdruck und »Chacal« lag.

»Yan Kot Chacal!«, rief er. »Das ist Harpyie Schakal!«

Beachte sie einfach nicht, Liebling, dachte ich.

»Yan Chuupol Chacal! Yan Chuupol Chacal!«

Einige Geblüte auf den Ozelot-Tribünen hatten gehört, was Smaragd-Sturmschritt gerufen hatten, und zeigten unterschiedliche Reaktionen. Einige waren entsetzt und salbaderten herum, doch der Kantor, der Magister, die Schläger und alle anderen taten weiterhin, was sie zu tun hatten, und folgten per Massenträgheit dem Protokoll.

Wie auch immer, der Ball kam. Hun Xoc schnappte ihn sich und spielte zu mir ab. In der Femtosekunde, die ich ihn anblickte, merkte ich, dass er zu ausgepumpt war, um selbst wieder anzugreifen. In einem normalen Match mit mehr Ersatzspielern auf der Bank wäre er längst ausgewechselt worden.

Ich spielte zu Rote Schnur, und der gab den Ball an mich zurück.

Okay, dachte ich. Es hat keinen Sinn mehr, sich noch zurückzuhalten.

Ich kellte den Ball aus der Luft, gab ihn an Hun Xoc ab, fiel zurück und wendete, um jenen Lauf zu beginnen, der mein Markenzeichen war. Schakals Markenzeichen, meine ich. Ich hatte ihn durch so viele Wiederholungen perfektioniert, dass er mir wie eine einzige Bewegung vorkam und sich schon abgeschlossen anfühlte, sobald ich ihn begann. Ich baute Geschwindigkeit auf und rannte die rote Mauer hoch, fast wie Donald O’Connor in Singin’ in the Rain. Ich verriet mich damit, gab aber einen Rattenschiss darauf. Ich würde meinen transzendenten Tanz machen, und nichts konnte mich aufhalten.

Wie ein Skateboarder wendete ich knapp unterhalb der Mauerkante und fegte hinunter, baute Wucht auf, überquerte diagonal die Gasse und stürmte die smaragdfarbene Mauer der Ozelots hinauf. Ich erreichte den Augenblick völligen Gleichgewichts und stand bewegungslos da, in einem verrückten 45°-Winkel wie eine Fliege. Ich spürte den Wind von den Baatob’ der Ozelot-Zuschauer, die nach mir schlugen und mich knapp verfehlten. Das Tor war nur sechs Arme vor und drei Arme über mir. Hun Xoc schleuderte mir mit seinem Joch den Ball zu, wie er es schon tausend Mal getan hatte, und während ich fiel, kam der Ball hoch, fast genau an die Stelle, wo ich ihn haben wollte, sodass ich seine rasende Drehung mithilfe eines rosa Fleckens aus blutigem Kreidestaub erkennen konnte. Ich grub meinen Handgelenkschutz in den schwarzen Mond und trieb ihn seitlich gegen die Vase. Ich sah die Blüte aus Türkispulver aufsteigen, während ich das Gleichgewicht verlor, und als ich zurückrollte, hörte ich die Harpyien-Geblüte singen: »Kax! Kax! Kax!« – »Sieg! Sieg! Sieg!«, während die Ozelot-Meute brüllte: »Tuus! Tuus! Tuus!« – »Schiebung! Schiebung! Schiebung!«

Doch der Schiedsrichter erkannte mich nicht – er war ein Idiot –, und bis ihn jemand erreichte, hatte er das Tor bereits gezählt. Der Kantor musste verkünden:

»Großtor, Harpyie!

Neunzehn Tore, Ozelots,

Und einundzwanzig Tore, Harpyien –

Sieg Harpyien!«

Ich rollte mich bis zum Südhang ab, kam auf die Beine und hörte Hun Xocs Stimme.

»Chokow pol!« Es bedeutete »verrückt« oder »Verrückter«, eine andere verbreitete, in diesem Fall aber bewundernde Verballhornung meines Namens. Ich drehte mich um. Ich sah nur noch dieses große schwarze Ding, aber ich duckte mich rechtzeitig, und es riss mir nicht den Kopf ab.

2-Smaragdgrüner-Brüllaffe hatte den toten Ball aufgekellt und gegen meinen Kopf gejocht.

Was ist denn jetzt los?, wunderte ich mich ein wenig dumpf. Mir schwirrten noch immer die Endorphine durch den Körper. Hüftball sollte ein elegantes Spiel sein – im besten Fall kombinierte es die Kunstfertigkeit von Wettkampfgymnastik mit der Spannung und der Finesse von Lacrosse –, und jetzt verwandelte es sich in australischen Football. Brüllaffe stürmte, dem Ball folgend, auf mich zu. Ich wandte mich ab, als wollte ich fliehen; dann stemmte ich mich mit dem rechten Fuß gegen den Hang, stieß mich von dem Winkel zwischen Boden und Steigung ab und kam zum Stillstand. Affenschlampe schlitterte von hinten in mich hinein. Ich beugte mich nach vorn, hob Hinterteil und Rücken und spürte, wie die linke Zinke meines hufeisenförmigen Jochs mit Knochen in Kontakt kam. Ich rollte nach vorn und stand wieder auf den Beinen. Affenschlampe glitt in einem dem Uhrzeigersinn folgenden Bogen die Rampe hinunter und hinterließ eine breite dunkle Spur. Die Menge raste. Ich duckte mich zur »Schildkröte«, weil ich erwartete, dass Smaragd-Sturmschritt sich auf mich stürzte, aber er kam nicht. Ich sah hoch. Roter Schnabel hatte ihn gepackt. Nicht für lange aber, wie es aussah. Hinter ihnen sah ich 4-Schnappschildkröte und die zwei smaragdgrünen Ersatzspieler, die in unsere Richtung rannten. Wabbelschnapper war ein riesiger Kerl mit schweren Knochen, und einen Schlag lang dachte ich, es wäre um mich geschehen, doch er verlor das Gleichgewicht. Als er auf mich zufiel, brachte ich mein Joch genau unter seinen Kopf. Ich hörte kein Krachen, sondern mehr ein leises Glutsch. Während Wabbelschnapper zusammensank, packte er mein Joch und zerrte mich runter auf den Schlachthausboden. Ich rollte mich weg, ehe er sich auf mich wälzen und plattdrücken konnte. Smaragd-Sturmschritt kam von rechts auf mich zu. Die Treiber der Schiedsrichter und die Unsichtbaren beider Seiten waren bereits auf dem Feld und versuchten die Spieler abzuschirmen, denen sie zugeteilt waren.

»Lothic ekel ytzam«, brüllte 20-Schweigen von der anderen Seite des Platzes. Es bedeutete so viel wie: »Du bist Taco-Fleisch«, nur dass ytzam dieses billige Pemmikan war, das die geschichtslosen Sippen aßen und verkauften. Jeder wusste, dass es einen hohen Anteil an Eichhorn und Fledermaus, Käfern, Schlamm und Kot enthielt.

»Chikin ukumil jotzpaljal«, erwiderte ich und kellte den Ball aus der Luft. »Man kann deinen schrumpeligen Schwanz sehen.« Dieses spezielle Wort für »schrumpelig« hatte einen Bezug zu »Schrumpfkopf«.

Mit dem Joch schleuderte ich den Ball im Bogen über seinen Kopf. Dabei rutschte ich in einer Blutlache aus und fiel auf den Rücken. Oben auf den Tribünen artete der allgemeine Streit in ein allgemeines gleichzeitiges Niederbrüllen aus. An den beiden offenen Enden des Spielfeldes, wo die Anhänger von Ozelots und Harpyien zusammenstießen, hörte ich die Geräusche wilder Schlägereien. Einige Harpyien skandierten meinen Namen – ich sei Schakal, ich sei aus der Unterwelt zurück.

Wo ist der Ball hin?, überlegte ich. Ich rollte mich auf den Bauch – bei all der Polsterung verletzte man sich bei einem Sturz so gut wie nie –, und einen Schlag lang sah ich Frau Kohs Augen. Sie beobachtete mich. Reglos und scheinbar gelassen durchdrang ihr Blick die wirbelnden Bewegungen und das Federkonfetti. Ich dachte daran, ihr ein Zeichen zu geben, doch sie war zu weit weg; ich hätte zu heftig gestikulieren müssen. Von vor und hinter mir hörte ich, wie jüngere Geblüte aus beiden Endzonen in den Spielgraben strömten.

Ich bemerkte Hun Xocs Hand unter meinem Arm. Er zog mich hoch. Die Geblüte beider Seiten waren den Treibern zahlenmäßig überlegen, und die Treiber hatten ohnehin nur ihre kurzen Zeremonienstreitkolben, die mehr Amtszeichen waren als Waffe.

Hun Xoc spannte sich an, als Brüllaffe wieder auf uns zukam. Brüllaffe schlug ihn. Hun Xoc schlitterte auf dem blutigen Boden nach hinten in mich hinein. Ich stürzte, und wir beide lagen benommen da. Es kam mir vor, als kniete Affenschlampe zwei Minuten lang neben uns, blickte auf uns nieder und murmelte durch einen Klumpen aus Zahnsplittern und schaumigem Blutschleim irgendetwas von wegen, wie er uns nacheinander mit einem Kugelkaktus durchficken wolle. Ich biss die Zähne zusammen und schnaubte verächtlich. Dann gab es ein Krachen, als Hun Xoc sich aufrappelte und Brüllaffe mit der Handkelle eins über den Schädel zog. Affenschlampes Gemurmel verstummte. Ich richtete mich auf, indem ich mich an einem unserer Unsichtbaren hochzog, und hielt mich an Hun Xocs Schulter fest. Von den Tribünen regneten alle möglichen Schmuck- und teuren Kleidungsstücke; man konnte kaum noch etwas sehen. Das große Problem bestand jedoch darin, dass wir bereits zwischen all den Fans eingekeilt wurden – für uns keine ungewohnte Situation, nur dass diesmal einige mit obsidianbesetzten Kampfsägen bewaffnet waren, und wie gesagt, gegenüber diesen Mistdingern erscheinen Rasiermesser geradezu als stumpfe Gegenstände. Ich sah mich nach Koh um, konnte sie aber nicht entdecken. Doch ein Trupp aus sechs ihrer Rassler-Geblüte – die, die sie mir versprochen hatte – glitten vom Norddamm zu uns hinunter. Der Rest der Menge nahm es als Zeichen, die Rampen hinunter in den Graben zu strömen. Das war’s, dachte ich. Das Spiel ist aus. Les jeux sont totalement faits, copains. Furcht, Furcht, Feind, Fuck …

Vier von Kohs Rassler-Gardisten drangen zwischen den Knäueln aus sich windendem Fleisch auf das Feld zu uns durch und nahmen Hun Xoc und mich, so gut es ging, in die Mitte, wie eine Amöbe zwei Pantoffeltierchen einschließt. Am Ende hoben sie uns auf ihre Schultern. Ich schaute wieder hoch und entdeckte endlich Koh. Genau wie wir war sie komplett abgeschnitten, völlig von den Massen der Harpyien getrennt. Sie machte eine Geste zu mir: Geh zum Brunnen. Ich kletterte auf die Schultern eines Gardisten und schaute über all die Kopfputze hinweg nach Westen. Das V, das die Dammwände des Spielfelds bildeten, sah einladend offen aus, und darin ragte das smaragdgrüne ∆ der Mul der Ozelots auf. Du kannst das schaffen, sagte ich mir. Es ist ja keine echte Heldentat; zu neunundneunzig Komma vier vier Prozent bist du sowieso am Arsch, warum also verbringst du deine letzten paar Minuten in Freiheit nicht mit etwas wirklich Verrücktem? Außerdem ist es nicht so weit. Wir brauchen nur zwei Minuten Ablenkung.

Ich sah Koh wieder an. Sie gab mir weiterhin das Zeichen: Geh zum Brunnen. Geh zum Brunnen. Sie fügte ein drängendes »bitte« hinzu. Kannst du schön bitteschön sagen? Ko’ox tuun! Los. Los. Los. LosloslosLOSLOSLOSLOS!!!!!!

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman
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