(29)

»Und hier sind meine Söhne«, sagte 2-Juwelenbesetzter-Schädel, »und Frau Koh

Von den Rasslern, und ihre Rückenstützen und Flöten.«

Damit meinte er ihre Unterstützer. Er fuhr eine Weile fort und geizte dabei nicht mit Lob. Hmm. 2-Juwelenbesetzter-Schädel sagte alles, was von ihm erwartet wurde, doch er wirkte anders – älter. Vielleicht sah er nicht mehr ganz so furchterregend aus wie damals, als ich der Neue in der Stadt war und er sich vor mir aufgebaut hatte, die Hände voller Folterinstrumente.

Er kam schwankend näher, umarmte mich auf jene steif-tänzerische Art und überreichte mir eine zeremonielle Kampfsäge. Sie hatte einen drei Arme langen Schaft mit einem Griff, auf dem in Perlen die Muster meiner Namen und Gefangennahmen geschrieben standen, wobei die letzten zwei Fuß sich zu einer flachen Holzklinge verbreiterten, die mit kreisrunden rosafarbenen Stachelausterschalen verziert und an der Kante mit einer Doppelreihe aus wunderbar zueinander passenden dreieckigen Klingen aus gelb schillerndem Obsidian besetzt waren wie die Nase eines goldenen Sägefischs.

Holla, dachte ich. Normalerweise nervte mich dieses ganze hyperschmeichelnde blumige Gerede, aber diesmal schienen es nicht nur hohle Floskeln zu sein; es schien wirklich etwas zu bedeuten. So abgedroschen es klingt: Ich war gerührt, und mir wurde ganz warm ums Herz.

»Du wendest dein Becken mit Blut mir zu«, gab ich die korrekte Antwort. »Vielleicht

Hast du mich mit jemandem verwechselt,

Mich, der ich unzuverlässig bin, von Sünde, von Kot,

Der sich nicht als würdigen Empfänger deiner Gunst zu sehen wagt.«

Mann, das hab ich gut gemacht, was?, dachte ich. Ich war ganz von einem Gefühl der Wärme erfüllt. Selbst der lang anhaltende Nachgeschmack der Folter, der er mich unterzogen hatte, ließ ihn nur umso väterlicher erscheinen – auf eine ziemlich kranke Weise allerdings, aber ich konnte von der Empfindung einfach nicht abrücken. Ich verstand gut, was in ihm vorging. Immerhin war er ein alter Mann. Er hatte über sechzig Sonnenjahre auf dem Buckel, was viel war für einen Maya, für jeden aus einer vorindustriellen Gesellschaft. Vielleicht war ich jetzt an der Reihe, mich um ihn zu kümmern.

In der korrekten Reihenfolge sprach er jedem seine Anerkennung aus, hielt den Austausch der Reden jedoch knapp. Dem Lärm der Trommler auf dem Spielplatz nach zu urteilen würde der erste Ball in acht Maßen zu viertausend Schlägen fallen, in etwa zwei Stunden, was Ihnen vielleicht ganz schön lange vorkommen mag, 2-Juwelenbesetzter-Schädel aber kaum genügend Zeit ließ, nach all dem Empfangen und Begrüßen noch pünktlich an seinen Platz zu kommen. Zwischen den Schlägen hörte man die Menge aufgeregt schnalzen wie ein Kind, das Geschenke öffnet.

Nimm hier Asyl, sagte 2-Juwelenbesetzter-Schädel zu Frau Koh. Er berührte eine Schale mit Kakao. Sein Herold reichte sie ihr.

»Des Sternenrasslers Brut möchte dein zu freundliches Angebot annehmen«, sagte Koh, ehe sie die Schale berührte.

»Aber unsere Kinder haben auch für dich ein Geschenk.«

Sie meinte das Tzam lic und die beiden gefangenen Addierer.

»Doch sie sind noch nicht hier, und wir erscheinen mit ungebeugtem Rücken.«

Auch wenn die Erklärung unnötig sein mag, »mit ungebeugtem Rücken« bedeutete so viel wie »mit leeren Händen«.

2JS konnte jetzt nicht einfach erwidern: »Ach ja? Wann zum Henker kreuzen sie denn auf?« Als Gastgeber durfte er nur sagen: »Ach, das ist schon in Ordnung, lasst euch Zeit, nur keine Eile.« Die Art, wie wir redeten, rückte das, was man nicht aussprach, unter Berücksichtigung dessen, was man sagte, in den Mittelpunkt. Es war wie in Strange Interlude; man stellte sich vor, wie jeder laut durch eine Maske sprach und dann wisperte, was er wirklich dachte.

»Unsere Boten sagen, deine Kinder haben erst heut Morgen

Unsere Felder erreicht«, sagte er, »doch wir alle hoffen,

Sie kommen zu unserem Siegesfest bei Mondaufgang.«

Nun war es an Koh, eine rasche Entscheidung zu fällen. Sie nahm die Schale mit dem Kakao, hielt sie in »Angenommen«-Stellung hoch, trank sie aus und reichte sie zurück.

»Und bitte nimm dies als unseren Schwur, unserem Gastgeber zu dienen,

Mit unserer ganzen Zahl, ganzer Seele, ganzem Blut und Blick«, sagte sie.

Sie reichte Coati vier lange blaue Schwanzfedern eines Kleinen Soldatenaras, und er gab sie dem Herold. 2JS nahm sie an. Alles seufzte zwar nicht gerade vor Erleichterung, aber jeder schien zu denken: Okay, und jetzt zur Sache. Wir schickten die Randfiguren hinaus, sodass unser Kreis gegen den Uhrzeigersinn nur noch aus 2-Juwelenbesetzter-Schädel, 2-Tote-Koralle, 2-Hand, mir, 14-Verwundeter, Frau Koh, Coati und Hun Xoc bestand.

Wir gingen in dem kleinen heißen Raum in die Hocke, denn wir wollten weder auf dem Steinfußboden sitzen noch uns die Zeit nehmen, unsere Matten auszubreiten. Coati stellte die Figur einer Gila-Krustenechse vor sich hin und zeigte damit an, dass er auch für die Gila-Sippe sprach.

Es war an 2-Juwelenbesetzter-Schädel, als Erster das Wort zu ergreifen.

Schweigen breitete sich aus.

Unsere Unterstützungstruppen, des Rasslers Neugeborene, waren verdammterweise noch nicht da.

Man konnte weder 1-Gila noch sonst jemandem die Verzögerung zum Vorwurf machen; dennoch war sie eine Krise, an der alles scheitern konnte. Die Stimmung wechselte von »Wenn wir kühlen Kopf bewahren, sind wir unschlagbar« zu »Vielleicht bekommen wir Ärger, egal, was wir tun.« 2JS und ich blickten uns an. Beide wollten wir bloß weg und uns austauschen, aber diesmal ging die Arbeit wirklich vor.

»Dann also«, sagte er, »könnten wir am Ende

Enge Grenzen auf allen vier Seiten haben.«

Das war das Understatement schlechthin, so als hätte er gesagt: »Das gibt eine unruhige Nacht.« Ich schaute Koh an. Sie erwiderte meinen Blick, und beide sahen wir zu Hun Xoc. Genauso gut hätten wir sagen können: Verflixt, wir sitzen ganz schön in der Tinte. Wir sind die Essensreste von morgen. So weit sind wir gekommen, und außer Spesen nichts gewesen. Ich fühlte mich schuldig, denn ich hatte sie in die denkbar schlimmste Lage gebracht, obwohl wir eigentlich nur im Bett hätten bleiben sollen.

Dass die Verstärkungen hinter ihrem Zeitplan zurückblieben, war keineswegs ein Schock. Aber man kennt das ja: Zuerst macht einen etwas nur ein bisschen unruhig, und es wird schlimmer und schlimmer, und während es schlimmer wird, begreift man immer mehr, wie bedeutsam es ist, bis man sich am bitteren Ende fragt, wieso man diese Situation nicht gleich im Keim erstickt hat.

Von der Menge draußen drang Gelächter zu uns, oder eher Wellen hysterischen Gekichers. Offenbar traten schon die Schlangenmenschen und Tierjongleure auf, und das hieß, dass es später war, als ich gedacht hatte. Nach den Jongleuren kamen die Spottredner, und dann fiel der erste Ball in dem Augenblick, in dem der Schatten der smaragdgrünen Ozelot-Mul das Ostende des Platzes berührte. Der Zeitpunkt war so gewählt, um zu verhindern, dass die eine Seite versuchte, mit der tief stehenden Sonne im Rücken Punkte zu machen, aber hauptsächlich deswegen, weil der Ball ein astrales Gebilde war, das man nur benutzen durfte, wenn es nicht mit der Sonne konkurrierte.

2-Tote-Koralle fragte, auf wie viele Geblüte wir wirklich zählen könnten, wenn sie hierherkämen. Er benutzte keinerlei Codesprache. Wahrscheinlich sind wir uns sicher, dachte ich, dass niemand uns belauschen kann. Immerhin sollte die gesamte Hälfte des Platzes für die Dauer des Festes als Harpyien-Territorium gelten.

Coati antwortete, es seien wenigstens dreißig mal zwanzig Zwanzigschaften im Anmarsch, aber man müsse bedenken, dass wenigstens fünfzehn davon kaum ausgebildet seien und aus noch nicht vollgültigen Geblüten beständen. Dazu kämen etwa neunzig mal zwanzig Zwanzigschaften nichtmännlicher Anhänger. Nach Maya-Maßstäben stellte das einen gewaltigen Heerbann dar, der selbst nach teotihuacánischen Standards respektabel war. Mehr als genug, um das Blatt zu wenden, wenn diese Streitmacht richtig eingesetzt wurde.

Coati fragte 2-Tote-Koralle, ob es irgendeinen Sinn hätte, den Ozelots bekannt zu geben, dass des Rasslers Brut in diese Richtung zog.

Offensichtlich nicht, antwortete 2-Tote-Koralle. Er sagte, die Harpyien besäßen im Haus der Ozelots nur noch eine Informantin, und sie war vielleicht nicht einmal eine präzise Quelle, doch zumindest heute Morgen hätten die Ozelots noch geglaubt, Kohs Bekehrte wären weiterhin in südwestlicher Richtung nach Kaminaljuyu unterwegs. Offenbar hatte 1-Gila ein paar Vorauskommandos nach Kaminaljuyu geschickt, um diesen Eindruck zu untermauern. Soweit es Kohs Anwesenheit bei diesem Fest betraf, schienen die Ozelots zu glauben, sie schaue hier vorbei, um ihrem Heerbann aus Bekehrten ein paar abtrünnige Harpyien mitsamt Familien hinzuzufügen, die beim Aufbau ihrer neuen Stadt im Süden helfen sollten.

Und wenn die Rassler gerade erst ins Jagdgebiet kämen, wie schnell könnten die Ersten von ihnen die Tore erreichen?, fragte 14-Verwundeter.

Coati erwiderte, 1-Gila und die Verwalter des Harpyien-Gebietes wüssten das besser als Frau Koh. Doch aufgrund der letzten Botenmeldungen vermute er, dass sie wenigstens eine Vierteltagesreise entfernt seien, also könnten sie zum Wega-Aufgang hier sein, gegen zwei Uhr morgens also. Und wenn wir wollten, dass sie nicht völlig erschöpft einträfen, sondern bewaffnet, instruiert und in einer Schlachtformation, dauere es noch länger. Selbst wenn wir Befehl gaben, nur die Geblüte zu schicken, und zwar im Eiltempo, müssten wir uns noch immer bis zum Jupiter-Aufgang gedulden, kurz vor Mitternacht.

2-Tote-Koralle wollte einen Scherz über Coatis Namen machen, aber 2JS schnitt ihm das Wort ab.

Leider, sagte 2-Juwelenbesetzter-Schädel, würde dieses Ballspiel nicht einmal halb so lange dauern.

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman
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