71.

 

Von seinem Apartment aus, das einen halben Block entfernt im vierten Stock eines anderen Gebäudes lag, beobachtete Sergei Shvets entsetzt, wie die Schwarzen Panther der französischen Elitetruppe RAID sich auf die Stürmung des iranischen Agentenapartments vorbereiteten, in dem er vor zwei Nächten noch selbst gewesen war. Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln, woher sie den Tipp mit dem Apartment bekommen hatten. Irgendwo musste es eine undichte Stelle geben. Vielleicht hatte jemand sich verplappert. Jemand aus seinem engsten Vertrautenkreis. Eine genaue Untersuchung nach Abschluss der Operation würde den Schuldigen ans Tageslicht bringen. Jetzt aber musste er erst einmal handeln und dafür sorgen, dass seine sorgfältige, monatelange Planung nicht in einem Desaster endete. Shvets griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer, die von niemand anderem benutzt wurde.

»Was ist los, Papi?«, fragte Emma Ransom.

»Wo steckst du gerade?«

»Im CPF. Gerade noch rechtzeitig. Sie haben die Sicherheitsmaßnahmen am Haupteingang verstärkt.«

»Davon war auszugehen, nachdem die Briten den wahren Grund für das Bombenattentat herausgefunden haben.«

»Warum rufst du dann an?«

»Zerbrich dir darüber jetzt nicht den Kopf. Beeil dich. Erledige den Job so schnell wie möglich. Ich erwarte dich am Flughafen.«

»Sorg dafür, dass die Maschine startklar ist.«

»Worauf du dich verlassen kannst. Und jetzt beeil dich.«

Shvets beendete das Gespräch und ging ins Schlafzimmer, wo er seine Sachen zusammensuchte und in die Reisetasche packte. Mit einem feuchten Tuch wischte er Lampen, Lichtschalter, Fernbedienung und sämtliche Gegenstände in der Küche ab, die er berührt haben könnte. Überzeugt, dass die Wohnung sauber war, zog er den Mantel an, verstaute die Pistole im Halfter und warf einen Blick auf die Armbanduhr: kurz vor halb sieben.

In diesem Moment zerrissen Schüsse die morgendliche Stille. Shvets rannte zum Fenster. Die schwarz gekleideten Polizisten der Spezialeinheit waren nirgendwo zu sehen, aber an einer Straßenecke hatte sich eine Menschenmenge gebildet. In einem der oberen Stockwerke des Gebäudes ratterten Maschinenpistolen. Ein Fenster zerbarst in tausend Stücke. Die Leute auf der Straße schrien, als der Glasregen auf sie herunterprasselte. Aus dem Fenster quoll Rauch und stieg zum Himmel. Shvets griff mit der einen Hand nach seiner Reisetasche, mit der anderen nach dem Handy und eilte zur Wohnungstür.

»Juri«, rief er seinem Piloten übers Handy zu. »Füll den Tank auf und bereite alles für den Start vor. Ich bin in einer Stunde am Flughafen ... Ja, ich weiß, es ist noch verdammt früh, aber unser Zeitplan hat sich ein wenig geändert, weil ...« Shvets brach mitten im Satz ab. »Himmel«, sagte er und starrte auf den Mann, der mit gezückter Pistole vor ihm stand und mit entschlossener Miene genau auf sein Gesicht zielte. »Was tun Sie denn hier?«

 

»Machen Sie das Handy aus.«

Jonathan Ransom setzte dem korpulenten Mann die Mündung der Waffe an die Schläfe und stieß ihn zurück ins Apartment.

Der Mann gehorchte. »Wo ist Alex?«, fragte er dann mit starkem russischem Akzent.

»Tot.« Jonathan schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Sie sind Shvets?«

»Sie können Papi zu mir sagen. Lara nennt mich so. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich sie Emma nenne?«

»Sie können sie nennen, wie Sie wollen. Und jetzt drehen Sie sich um, und gehen Sie zurück ins Wohnzimmer. Setzen Sie sich aufs Sofa. Hände auf die Oberschenkel, sodass ich sie sehen kann.«

Shvets gehorchte und ging in das spärlich möblierte Eckzimmer mit den großen Fenstern, die einen Blick auf die Straße boten. »Sie haben viel dazugelernt«, sagte er und warf einen Blick über die Schulter.

»Die, die es mir beigebracht hat, gehört zu den Besten.«

»Das fasse ich als Kompliment auf. Spasibo.«

»Zum Teufel mit Ihnen.«

Shvets setzte sich aufs Sofa und legte die Hände gut sichtbar auf den Oberschenkeln ab. »Zufrieden?«

»Ja«, sagte Jonathan nervös. Beim Blick aus dem Fenster hatte er die zahlreichen Einsatzfahrzeuge und die Polizeibeamten unten auf der Straße bemerkt. Wie es aussah, war er von einem Hornissennest ins nächste geraten. »Was machen die vielen Polizisten hier?«, fragte er.

»Sie glauben, dass Ihre Frau und ich uns in dem Haus da drüben an der Ecke aufhalten«, sagte Shvets.

»Wo ist sie?«

»Jedenfalls nicht dort. Kein Grund zur Besorgnis.«

Jonathan wandte sich vom Fenster ab und starrte Shvets an. Die Bewegung verursachte einen stechenden Schmerz in der Schulter und im Nacken, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzustöhnen. Nachdem die Polizei die Tür der Villa in Èze gesprengt hatte, war Jonathan zu dem Schluss gelangt, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als seinen Tod vorzutäuschen. Es hatte bei Emma funktioniert, warum also nicht auch bei ihm?

Den Peugeot so zu präparieren, dass er ohne Fahrer weiterfuhr, war kein Problem gewesen. Er hatte den Tempomat auf hundert Stundenkilometer eingestellt, den toten Russen auf den Fahrersitz gehievt, die Wagentür aufgerissen und war aus dem fahrenden Auto gesprungen. Nur der Sturz auf die Schotterstraße war nicht nach Plan verlaufen. Er hatte versucht, sich wie ein Profi abzurollen, war aber schmerzhaft mit der linken Schulter aufgeprallt und hatte sie sich verrenkt. Wahrscheinlich hatte er sich obendrein einen Haarriss im Schlüsselbein zugezogen. Doch seine unbändige Wut hatte ihn sofort wieder auf die Beine kommen lassen und ihm die Energie verliehen, den Berghang hinunterzusteigen. Es ist ein für alle Mal vorbei, hatte er sich im Stillen geschworen, während seine Schulter höllisch schmerzte und seine Ellenbogen bluteten. Er würde sich von niemandem mehr für dumm verkaufen lassen.

Eine halbe Stunde später hatte er hinkend den Bahnhof von Monaco erreicht, wo er sich auf der Herrentoilette notdürftig gesäubert und dann den Zug nach Nizza genommen hatte. Von dort war er mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV um 22.58 Uhr nach Paris weitergefahren und war um 5.24 Uhr am Gare de Lyon ausgestiegen.

»Was ist La Reine?«, fragte er nun. Dieser Begriff war ziemlich oft in mehreren E-Mails aufgetaucht, die er auf dem Laptop entdeckt hatte. Die Mails stammten von Shvets und waren an eine Agentin oder einen Agenten mit dem Kürzel »L.« adressiert. In den Texten standen so viele Kürzel und Tarnbegriffe, dass Jonathan kaum etwas hatte entziffern können. Er hatte lediglich die Adresse von Shvets' Apartment in Paris herausgefunden und war auf die Information gestoßen, dass Emma in eine Operation verwickelt war, die heute stattfinden und bei der ein gut bewachtes Gebäude in die Luft gejagt werden sollte.

»La Reine«, fragte Jonathan noch einmal. »Was ist das?«

Shvets erwiderte nichts. Er hockte auf dem Sofa und rieb sich behutsam den geschundenen Kiefer. Auf seinem Gesicht lag ein selbstsicherer, leicht amüsierter Ausdruck.

»Wenn Sie es mir nicht verraten wollen, frage ich die Polizisten da unten.« Jonathan machte eine Kopfbewegung zum Fenster.

»Nur zu. Die Bullen werden Sie verhaften und ins Gefängnis werfen, bevor Sie auch nur zwei Worte über die Lippen bringen. So wie ich es sehe, steht Ihnen eine lange Haftstrafe in einem britischen Knast bevor.«

Shvets sprach die Worte so gelassen aus, als hätte man ihm bereits mit viel Schlimmerem gedroht. Ihn würde so schnell nichts aus der Ruhe bringen.

»Was mit mir passiert, ist mir im Moment ziemlich egal. Ich mache mir Sorgen um Emma.«

»Ich könnte es arrangieren, dass Sie sie wiedersehen. Schon morgen könnten Sie mit ihr zusammen sein. Weit weg von hier.«

»Morgen ist es zu spät. Ich will wissen, wo sie jetzt ist. Genau in diesem Augenblick.«

»Sie sollten sich mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich kann dafür sorgen, dass sie sicher von hier wegkommen. Als freier Mann. Ohne Gefahr zu laufen, den Rest Ihres Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen. Was halten Sie davon?«

»Nein, danke«, sagte Jonathan. »Ich verzichte.«

Von der Straße drang Sirenengeheul herauf. Jonathan blickte aus dem Fenster und sah, dass zwei Rettungswagen sich einen Weg durch die Menge der Polizisten und Schaulustigen bahnten. Jonathan richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Shvets und versuchte sich vorzustellen, dass dieser müde, grauhaarige Mann in dem verknitterten Anzug der Chef des FSB war.

»Wo haben Sie Emma überhaupt gefunden?«

»Sie meinen Lara. Sie stammt aus einem kleinen sibirischen Dorf mit Namen Kolymskoye. Ein trostloser Ort. Ihr Vater hat auf einem Fischerboot gearbeitet und war im Jahr elf Monate auf See. Ihre Mutter hat in einer Fischfabrik gearbeitet und in ihrer Freizeit gesoffen. Lara wurde oft von ihr verprügelt. Als ihre Mutter ihr im Suff den Arm und das Bein brach, nahmen die Behörden ihr Lara weg. Damals war sie sieben. Wir haben eine Abteilung, die darauf spezialisiert ist, Leute wie Lara aufzuspüren. Blitzgescheit, ohne Elternhaus und auf die Hilfe vom Staat angewiesen. Diamanten im Rohzustand, wenn Sie so wollen. Der Direktor ihrer Schule hat uns auf Lara aufmerksam gemacht. Mit dreizehn Jahren konnte sie mühelos Differentialgleichungen lösen und hatte sich selbst Italienisch, Französisch und Deutsch beigebracht. Sie hatte einen Spitzen-IQ.« Shvets Augen leuchteten, als er an die Vergangenheit zurückdachte. »Ich habe sie höchstpersönlich nach Moskau gebracht. Sie hätten sie sehen sollen. Diese unglaubliche Sehnsucht. Dieser Ehrgeiz. Dieses Temperament. Und natürlich ihre Schönheit. Völlig unberührt von westlichen Einflüssen. Sie war damals ein bisschen zu dünn und hatte ein Ekzem im Gesicht, aber man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass sie bei angemessener medizinischer Versorgung und guter Pflege zu einem ganz besonderen Juwel heranreifen würde.«

»Haben Sie sie denn gefragt, ob sie zum KGB will?«

»Das war nicht nötig. Es war von Anfang an ihr Wunsch. Sie war für diese Arbeit wie geschaffen. Eine der wenigen Ausnahmen. Sie ist wie ein Hai, der stirbt, wenn er nicht mehr jagen kann. Nur dass sie statt Fleisch den Adrenalinkick braucht. Machen Sie sich nichts vor, Dr. Ransom. Sie war niemals das nette Mädchen von nebenan.«

Jonathan trat dicht vor den Russen hin. Er spürte das Gewicht der Pistole in seiner Hand. Mit festem Griff umklammerte er die Waffe und legte den Finger an den Abzug. Er hatte schon einmal einen Menschen getötet. Er hatte dem Mann die Pistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt. Und er hatte nichts dabei empfunden, weder Reue noch Schuld. Nur die Gewissheit tief im Inneren, dass er getan hatte, was unvermeidlich gewesen war. Jonathan war klar geworden, dass er Shvets zutiefst verabscheute. Es würde ihm leichtfallen, den Mann zu töten.

»Wo ist sie?«, fragte er.

Shvets schüttelte den Kopf und warf Jonathan einen bemitleidenden Blick zu. »Ich weiß, weshalb Sie hier sind. Sie reden sich ein, dass Sie sie aufhalten wollen, aber Sie machen sich nur etwas vor. In Wahrheit lieben Sie sie noch immer. Sie glauben, dass Lara aus irgendeinem Grund auf Sie hören und ihre Operation abbrechen wird. Aber Sie täuschen sich.«

»Halten Sie den Mund.«

»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«

»Was für eine Frage?«

Shvets blickte Jonathan prüfend in die Augen. »Glauben Sie wirklich, dass sie Division verraten hat, weil sie verhindern wollte, dass ein vollbesetztes Passagierflugzeug abgeschossen wird?«

Jonathan schwieg.

»Dieselbe Frau, die ohne mit der Wimper zu zucken um die Mittagszeit eine Bombe auf einer belebten Straße im Herzen Londons hochgehen ließ? Hat die Polizei Ihnen gesagt, wie sie Robert Russell getötet hat? Sie hat ihm mit bloßen Händen das Genick gebrochen und ihn dann über den Balkon aus dem fünften Stock geworfen.«

»Das mit dem Flugzeug war etwas anderes«, sagte Jonathan. »Es hätte viel mehr Menschen getroffen und viel mehr Unschuldige das Leben gekostet. Sie unterscheidet zwischen Leuten aus ihrem Metier und Leuten, die nichts damit zu tun haben.«

»Und was ist mit all den anderen Opfern aus ihrer Vergangenheit? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie viele Operationen sie bei Division durchgeführt hat und wie viele Unschuldige dabei ihr Leben verloren haben?«

Jonathan versuchte, etwas zu erwidern, aber sein Mund war plötzlich wie ausgedörrt. »Was wollen Sie eigentlich damit bezwecken?«

Shvets rieb sich die Wange und blickte Jonathan weiter unverwandt in die Augen. Sein Blick schien zu sagen, dass er Jonathan nur allzu gut verstehen konnte und sich wie ein Vater um ihn sorgte, weil er nicht wollte, dass Jonathan noch mehr unter der Lüge litt.

»Nein«, sagte Jonathan mit fester Stimme. »Ich glaube Ihnen kein Wort.«

»Sie haben sicher schon Ihre Zweifel gehabt«, sagte Shvets. »Sie sind nicht auf den Kopf gefallen. Sie müssen sich gefragt haben, warum sie plötzlich Gewissensbisse bekommen hat.«

»Das Flugzeug war vollbesetzt mit Leuten, die nichts mit der Sache zu tun hatten. Division war einfach einen Schritt zu weit gegangen. Das wollte sie nicht zulassen.«

»Nein, Jonathan, das war nicht der Grund, und das wissen Sie genau.«

Jonathan schüttelte den Kopf. Er wollte die Worte nicht hören, von denen er im Herzen wusste, dass sie stimmten. Der Verdacht hatte an ihm genagt, seit er Emma in London beobachtet hatte.

»Emma arbeitet nicht erst seit dieser Sache für mich«, sagte Shvets. »Ich habe ihr aufgetragen, das Attentat von Division auf das Flugzeug zu verhindern.«

»Sie lügen.« Die Worte klangen wenig überzeugend, wie eine rein mechanische Antwort auf einen unvorstellbaren Verrat. »Ich glaube Ihnen nicht.«

»Doch, das tun Sie. Das sehe ich. Ich habe ihr aufgetragen, den Anschlag auf das El-Al-Flugzeug zu vereiteln, nicht weil mir die Passagiere leidgetan haben, sondern weil ich Division vernichten wollte.« Shvets rutschte in die Sofaecke. »Und Sie, Jonathan, haben mir dabei geholfen. Sie haben General Austen getötet. Sie haben verhindert, dass die Drohne ihr Ziel erreichte, weil Ihre geliebte Emma zu schwer verwundet war, um ihre Mission zu beenden. In meinen Augen ist sie nicht die Einzige, die für mich arbeitet. Sie tun es ebenfalls.«

Jonathan ließ sich in einen Sessel sinken. Er fühlte sich mit einem Mal völlig erschöpft. Die vielen Stunden ohne Schlaf raubten ihm die letzten Kraftreserven. Er wusste, dass Shvets die Wahrheit sagte. Nicht nur, weil er es tief im Inneren fühlen und in den Augen des anderen Mannes sehen konnte, sondern vor allem, weil die ganze Sache nur so einen Sinn ergab. Es gab keine andere logische Erklärung für Emmas Verhalten.

Jonathan richtete den Blick zum Fenster. Die Polizisten waren wieder aus dem Gebäude herausgekommen, und die Sanitäter trugen eine Bahre aus dem Haus. Jonathan entdeckte ein vertrautes Gesicht und schaute genauer hin. Der Mann dort unten war Graves, und ihm folgte Kate Ford. Da hatte er es den ganzen weiten Weg bis hierher geschafft, nur um das herauszufinden ...

Plötzlich sah Jonathan aus dem Augenwinkel eine rasche Bewegung. Er fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Shvets eine Waffe auf ihn richtete. Blitzschnell warf Jonathan sich auf den Boden und feuerte dabei seine eigene Pistole auf Shvets ab. Er sah das Mündungsfeuer und fühlte, wie etwas glühend Heißes an seinem Ohr vorbeisauste. Er prallte seitlich auf den Boden und stieß einen Schmerzensschrei aus, als seine verletzte Schulter aus dem Gelenk sprang. Trotzdem feuerte er blind weiter, rappelte sich mühsam auf, zielte auf Shvets Brust und drückte erneut ab, doch das Magazin war leer.

Shvets hockte auf dem Sofa und presste sich eine Hand auf den Bauch. Die andere Hand hielt noch immer die Waffe, lag aber schlaff auf dem Oberschenkel. »Bravo«, sagte Shvets in dem gleichen ungerührten Tonfall wie zuvor. »Ich wusste noch gar nicht, dass Sie ein so guter Schütze sind.«

Jonathan musterte den Russen argwöhnisch. Vorsichtig ging er zu ihm, hockte sich hin und öffnete die Finger um den Pistolengriff. Als er Shvets die Waffe abgenommen hatte, warf er sie außer Reichweite auf den Boden. »Lassen Sie mal sehen.«

Widerstrebend hob Shvets die Hand. Jonathan knöpfte das Hemd auf. Die Kugel steckte unterhalb der Leber. Aus der Wunde floss nur wenig Blut. »Ich schlage Ihnen einen Deal vor. Sie erzählen mir, was es mit La Reine und Emma auf sich hat, und ich rette Ihnen das Leben.«

»So ein eiskalter Hund sind Sie nicht.«

»Nein«, gab Jonathan zu. »Das bin ich wohl nicht.« Er holte ein paar Handtücher aus dem Bad und wischte Shvets das Blut ab. »Beugen Sie sich vor«, sagte er.

Shvets stöhnte, befolgte aber Jonathans Anweisung.

»Drücken Sie die Handtücher fest auf die Wunde und halten Sie still. Ich rufe einen Rettungswagen.«

»Nicht nötig«, sagte eine Stimme mit britischem Akzent. »Das übernehmen wir.«

Im Türrahmen stand Charles Graves mit einem Trupp schwarz gekleideter Polizisten.

»Ransom? Wie konnten Sie ...« Kate Ford trat hinter Graves hervor und kam ins Apartment. Auf ihrem Gesicht spiegelten sich Zorn und Erstaunen.

»Rühren Sie sich nicht von der Stelle«, befahl Graves und richtete seine Waffe auf Jonathan. »Ihre Flucht endet hier.« Er wandte sich an einen der Männer neben ihm. »Verhaften Sie den Kerl. Und achten Sie darauf, dass seine Handschellen fest sitzen.«