SIEBTER TAG
 
Krause sagte: »Da ich dachte, dass Sie die Amis verprügelt haben, erwartete ich nicht, dass Ihr Kopf so aussieht, als seien Sie in eine Wäschemangel geraten.«
Es war frühmorgens. Müller saß nach nur zwei Stunden Schlaf bereits wieder im Amt. »Die Amis haben ohne Vorwarnung zugeschlagen. Die wollten alle Informationen über Achmed. Ich habe ihnen eine Geschichte von einem gewissen Abu Omar erzählt. Und dann wurde ich wütend.«
»Ich habe den Arbeiter-Samariter-Bund mit einem Arzt hingeschickt. Sie haben tatsächlich zwei Unterkiefer aus dem Verkehr gezogen. Und ich werde mich mit einem wahnsinnigen CIA-Chef herumzuschlagen haben.« Er lächelte. »Na, gut, mein Lieber. Wir haben keine Zeit, Protokolle zu schreiben. Ich habe Goldhändchen beauftragt, Ihnen etwas über diesen Breidscheid zu erzählen.«
»Gibt es irgendwelche neuen Spuren?«
»Nein. Ich persönlich erwarte, dass es ziemlich bald irgendwo kracht. Politiker tönen ununterbrochen: Um Gottes willen keine Panik! Und die, die noch an ihrem Profil arbeiten, sagen: Eigentlich haben wir alles wunderbar im Griff. Aber Sie kriegen keinen Flug mehr raus aus Berlin. Wir haben Bereitschaftspolizei an allen gefährdeten Stellen der Stadt, wobei mir deren Definition nicht klar ist. Am unglaublichsten sind die Kommentatoren von den Zeitungen, die so tun, als hätten sie eben noch einen Kaffee mit den Gangstern getrunken. Ich habe noch nie im Leben so viele Fachleute für radioaktive Stoffe und deren Diebe erlebt. Wir beide machen an der Stelle weiter, an der wir aufgehört haben. Wir suchen Achmed, und wir wollen herausfinden, was dieser Breidscheid für eine Rolle spielt. Denn wir sind in einem Punkt absolut sicher: Achmed ist Teil der Operation. Und der Herr Breidscheid wohl auch, auf welche Weise auch immer. Und jetzt ab mit Ihnen zu Goldhändchen. Und verlassen Sie das Haus nicht, ohne mir Bescheid zu geben. Wenn ich etwas habe, melde ich mich, und rechnen Sie damit, in den nächsten achtundvierzig Stunden ohne Schlaf auszukommen.«
Müller nickte. »Ich habe übrigens Frau Swoboda gebeten, in ein anderes Hotel zu ziehen.«
Krause begann leise zu lachen. »Die ist stinksauer auf Sie, mein Lieber. Die hat hier über die offizielle Leitung angerufen und gemeldet, wo sie ab jetzt wohnt. Und sie hat darum gebeten, alle zukünftigen Befehle an den Empfang in ihrem neuen Hotel weiterzugeben. Da seien durchweg vertrauenswürdige Leute beschäftigt. Sie hat Sinn für Humor.«
 
Goldhändchen residierte vor einer Reihe von vier großen Flachbildschirmen, und es ging die Sage, dass er sie gleichzeitig alle auf den Punkt genau im Auge haben konnte. Er hauste in einem Raum ohne Fenster, und er hauste allein, wobei bewiesen war, dass er mit jedem Bildschirm sprach, ihn beschimpfte, laut verfluchte oder zärtlich lobte. Bei Goldhändchen war Bromelienzeit. Die Blumen mit den langen lanzenförmigen Blättern und den geometrisch wundersam geschnittenen Blüten standen auf Regalen im ganzen Raum und wurden von speziellen Lampen, die wie Kugeln von der Decke hingen, in einem Tag-und-Nacht-Rhythmus bestrahlt.
Es gab weiße, bläuliche, rote und gelbe Bromelien, und Müller sagte noch in der offenen Tür: »Das sieht wunderschön aus.«
»Danke«, murmelte Goldhändchen automatisch und strahlte dann: »Ach, du bist das.«
»Ich komme wegen Breidscheid«, sagte Müller und schloss die Tür. »Du sollst einiges über ihn gefunden haben.«
»Und trotzdem bleibt der Kerl rätselhaft.« Es klang Ärger aus seiner Stimme, denn Goldhändchen war grundsätzlich wütend, wenn er irgendetwas nicht fand.
»Wieso rätselhaft?«, fragte Müller.
»Na ja, die Angaben zur Person sind ziemlich präzise, aber Angaben zu seinem Lebenslauf gibt es nicht, sie bleiben seltsam blass. Informationen zu seiner Haushaltsführung sind, vorsichtig gesagt, voller Lücken, die zu seinem Reichtum sehr ungenau. Er hat jede Menge Wohnsitze und unzählige Bankverbindungen. Auf jeden Fall ist er der einzige international tätige Kaufmann, der ständig mit einem eigenen katholischen Kaplan unterwegs ist. Und mit einem schwarzen Sekretär mit dem merkwürdigen Namen Basie Blossom, der als George Pinter in einem lausigen Nest in Alabama wegen Totschlags verurteilt wurde und dann plötzlich spurlos verschwand. Bis er als Basie Blossom an der Seite dieses Breidscheid wieder auftauchte. Das ist alles höchst verwirrend, und ich kann dir das als braver deutscher Kleinbürger auch gar nicht erklären. Und dann gibt es noch den Kardinal und diese merkwürdige Ehe, die im Namen des Heiligen Vaters zu Rom für null und nichtig erklärt wurde. Aber merke auf und sei ehrfürchtig: Ich habe diese Frau in Bremen als Inhaberin eines Blumenladens gefunden. Und ziemlich sicher macht dieser Breidscheid Geschäfte mit Kriegsgerät und Drogen. Doch zu beweisen war das bisher nicht. Na ja, um es einfach auszudrücken: Du wirst lange Wege gehen müssen, um diesen Breidscheid einzukreisen.«
»Wir haben keine Zeit für lange Wege«, sagte Müller knapp.
»Oh, das weiß ich. Was willst du zuerst wissen? Ich biete dir eine Finanzspur, eine katholische Spur und eine Ehespur. Du hast die Wahl.«
»Verdammt noch mal, da ist radioaktives Material geraubt worden, und wir sind sicher, dass es eine schmutzige Bombe gibt. Und du bietest mir eine aufgelöste Ehe, eine internationale Finanzspur und irgendetwas spezifisch Katholisches. Was hat der Breidscheid mit dem radioaktiven Material zu tun?«
»Nichts«, antwortete Goldhändchen brav. »Absolut nichts.« Dann lächelte er kurz und flüchtig. »Aber er hat deinen Freund Achmed gekauft. Und der kam nach Berlin und bastelte eine schmutzige Bombe. Sehe ich das richtig?«
»Ja«, antwortete Müller. »Das siehst du richtig. Fang also an. Such dir aus, womit du anfangen willst.«
»Ich liebe diese Ehespur«, sagte Goldhändchen mit einem schiefen Lächeln. »Du wirst deine helle Freude haben.«
»Also die Ehespur«, entschied Müller und setzte sich in einen Sessel.
»Zunächst musst du einiges über Breidscheids Herkunft wissen. Der Mann ist zurzeit siebenundfünfzig Jahre alt und stammt aus einer sehr katholischen Familie aus einer kleinen Stadt im nördlichen Münsterland. Der Vater war Grundschullehrer, die Mutter Hausfrau. Der Sohn wurde streng katholisch erzogen. Also: Onanie ist eine Todsünde, lautes, grelles Lachen eine Beleidigung des Herrn, das andere Geschlecht schlicht verboten, außer, man heiratet und zeugt Kinder in totaler Dunkelheit …«
»Hör mal«, unterbrach Müller, »das sind unglaubwürdige Stereotypen, wir schreiben das Jahr 2005. So etwas gibt es doch gar nicht mehr.«
»Das ist sehr, sehr falsch«, sagte Goldhändchen. »Bei Breidscheids hat es das gegeben. Und ich denke, bei Breidscheids gibt es das noch immer.«
»Woher, zum Teufel, hast du das? Im Internet wird das nicht stehen.«
»Selbstverständlich nicht. Aber ich habe mit dem Bürgermeisteramt gesprochen, da gibt es eine einfühlsame Dame, die mit ihm zusammen in der Schule war. Und fast alle Leute klatschen gern. Der Knabe Helmut besucht zuerst die Grundschule, dann das Gymnasium, er macht Abitur. Es fällt auf, dass er keine Freunde hat, von Freundinnen ganz zu schweigen. Es gibt für ihn auch keine Cliquen. Dieser Breidscheid ist ein Solist und hat jetzt überhaupt keine Anbindung mehr zu seinem Geburtsort. Wenn man fragt, was dieser Breidscheid getrieben hat, erfährt man im Grunde nichts. Es wiederholen sich die Sätze: Eines Tages war er weg. Und dann las man nur noch etwas über ihn in Zeitungen. Nun gut, ich habe also recherchiert, dass der Vater ziemlich früh starb. Da war Helmut etwa achtzehn. Der Vater starb übrigens an Lungenkrebs, hat aber nie geraucht. Die Mutter kümmerte sich um den Sohn und hatte gleichzeitig ein inniges Verhältnis zu einem Kaplan der katholischen Kirchengemeinde. Der zog nicht nur bei den Breidscheids ein, der muss auch etwas gehabt haben mit Helmuts Mutter. Das glauben die meisten Leute, mit denen ich sprechen konnte. Helmut machte eine Banklehre am Ort, lebte brav und bieder und vertrat die Meinung, er könne nur eine Frau heiraten, die noch niemals mit einem anderen ins Bett gestiegen sei …«
»Das ist verrückt«, sagte Müller aufgebracht, »woher weißt du das?«
»Von der Mitschülerin auf dem Gymnasium. Wie du siehst, habe ich mich richtig umgehört. In der Bank spezialisierte sich Helmut sehr schnell auf das Immobiliengeschäft, und in diesem Städtchen erinnert man sich noch ganz genau, dass dieser Milchbubi als absolutes Ass auf dem Immobilienmarkt in den Konferenzen mit den Mächtigen in der Region gesessen hat. Das geht so drei bis vier Jahre. Helmut dürfte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, als er plötzlich verschwindet, zunächst spurlos. Dann taucht er wieder in München auf, später in Hamburg und in Genf. Und er hat jedes Mal eine eigene Immobilienfirma. Es sieht aus, als trainiere er für den großen internationalen Markt. Und tatsächlich ist es wohl auch so. Während Immobilienfirmen gegründet werden, Pleite gehen, aus dem Markt verschwinden, katastrophale Untergänge erleben, wächst und gedeiht das Geschäft von Helmut Breidscheid. Er hat, das muss man zugeben, einen genialen Riecher, das goldene Händchen eben. Und ganz langsam wird er international. Dann ist er achtundzwanzig Jahre alt, bereits mehrfacher Millionär und heiratet plötzlich. In New York. Da denkt man, er hat sich eine flotte Biene aus dem internationalen Jetset geholt, aber nichts da. Es ist eine junge Frau aus Bremen, und sie sitzt in seinem Sekretariat. Sie heißt Marion Krug und stammt, ganz wie der kleine Helmut, aus achtbaren, aber bescheidenen Verhältnissen. Sie heiraten in New York, wir sind im Jahr 1976. Die Ehe zerfällt sehr schnell. Im Jahr 1978 werden die beiden wieder geschieden. Und im gleichen Jahr, höre und staune, Genosse Müller, hebt die katholische Kirche diese Ehe auf, das heißt: Die Ehe wird annulliert. Und an diesem Punkt erwacht mein Misstrauen. Eine Ehe kann in der katholischen Kirche nur nach einem komplizierten, mindestens zweijährigen Verfahren annulliert werden. Und auch nur dann, wenn vor dieser Eheschließung irgendetwas entscheidend Störendes vorhanden war, was dem Ehepartner verschwiegen wurde. Breidscheid gab an, seine Frau habe heimlich getrunken und Drogen genommen. Und davon habe er nichts geahnt.«
Müller musste grinsen. »Heißt das, dass du in den Archiven des Vatikans herumspaziert bist?«
Goldhändchen grinste ebenfalls und erwiderte: »Das geht dich überhaupt nichts an, das willst du gar nicht wissen. Tatsache ist, dass die Ehefrau mit geradezu erschreckender Geschwindigkeit wieder aus Helmut Breidscheids Leben geschossen wurde. Und zwar zivilrechtlich wie kirchlich. Und das Letztere lässt aufhorchen. Und damit sind wir schon auf der Finanzspur.«
»Moment, Moment, das geht mir jetzt zu schnell. Wie hat Breidscheid es geschafft, außer der Reihe eine kirchliche Annullierung seiner Ehe zu erreichen? Ich denke, so etwas setzt Beziehungen voraus, erstklassige Beziehungen, oder?«
»Die hat er. Ich sag es ja: Damit kommen wir zu den Finanzen.« Goldhändchen stand auf, ergriff eine Sprühflasche und sprühte seine rund zwei Dutzend Bromelien ein. »Ich würde gern eine züchten, deren Blüte grün ist. Das wäre das Größte.«
»Also, was ist mit den Finanzen? Junge, mach schnell, gleich bricht der Tag an, und ich weiß immer noch nichts.«
»Also, setz einmal voraus, dass Breidscheid immer reicher und immer internationaler wird. Wo immer Neues gebaut wird, ist Breidscheid schon da. Das gilt besonders für alle neuen und riesigen Handelsplätze in Fernost. Wenn in Bombay neue Wolkenkratzer in den Himmel wachsen, dann gehört der höchste immer Breidscheid. Normalerweise wird ein solcher Mann viele Firmen gründen und als Dach eine Holding, die irgendwo, meinetwegen in New York sitzt. Breidscheids Geld versickert.«
»Wie bitte?«
»Na ja, er hat in New York zwar ein Zentralbüro, das sämtliche Umsätze verwaltet, aber die Gelder, die gemacht werden, versickern. Das heißt, man kann sie nicht verfolgen, man kann sie nicht zuordnen. Und Steuern zahlt er so gut wie überhaupt nicht, nirgendwo auf der Welt. Zumal der Knabe rund vierzehn Wohnsitze rund um den Globus besitzt. Das ist im Zeichen der Globalisierung einsame Spitze. Des Rätsels Lösung bietet ein Hochglanzmagazin, das in Tokio erscheint und sich in einer Serie mit den heimlichen, wirklich Reichen des Planeten beschäftigt hat. Das Magazin ist zu dem Schluss gekommen, dass Breidscheids Gelder, also seine Bruttoeinnahmen, sämtlich bei Banken landen, die entweder von der katholischen Kirche beaufsichtigt werden oder sogar ausschließlich der Kirche gehören. Sind die Gelder irgendwo richtig schön katholisch eingelaufen, werden sie in Teilchen gesplittet und um den Globus gejagt. Dabei kann es passieren, dass Gelder, die eine Bank auf den Seychellen heute losschickt, in kleine Portionen geteilt morgen wieder in der gleichen Bank auf verschiedenen Konten auftauchen. Diese Konten können dann nicht eindeutig Breidscheid zugeordnet werden, ein Heer von Staatsanwälten wäre dazu nicht in der Lage. Das hatten wir schon einmal im Verlauf der Kokainkriege, als die Dealer so viel Bargeld in den karibischen Raum brachten, dass eigene Offshore-Banken gegründet wurden, in denen man diese Gelder zählte. Das Zeug kam nämlich in Koffern oder sogar in Plastiktüten an und wurde in diesen Filialen gezählt. Geradezu wahnwitzige Mengen an Dollars. Und dann entdeckte ein Journalist, dass einige dieser Geldzählbuden dem Vatikan gehörten. Das wurde im allseitigen Einvernehmen blitzschnell wieder vergessen, aber nicht ungeschehen gemacht. Mit anderen Worten: Breidscheid wickelt seine Geschäfte über Banken ab, die entweder zu hundert Prozent der Kirche gehören oder aber von der Kirche dominiert werden. Und damit kommen wir zu dem Verdacht, dass unser Freund Mitglied des Opus Dei ist. Von ihm selber weiß man natürlich nichts, er hat ja nie ein Interview gegeben. Tatsache ist jedoch, dass dieser immens reiche Mann einen Freund hat, mit dem er fast täglich redet: Es handelt sich um einen deutschen Kardinal. Leider kann ich aber bei diesen Gesprächen nicht zuhören, sie finden auf einer sicheren Leitung statt.« Er grinste. »So etwas gibt es tatsächlich.« Dann setzte er nach Sekunden hinzu: »Hier und da.«
»Frage: Hast du Breidscheid abgehört?«
»Ja. Aber er verfügt über mindestens zwei sichere Leitungen, in die ich nicht hineinkomme. Also bin ich ausgeschlossen.«
»Es ist von faulen Geschäften die Rede gewesen. Also von Drogen- und Waffenhandel. Ist darüber etwas herauszufinden?«
»Es wird immer wieder behauptet, dass er mit beidem handelt. Aber: Diese Geschäfte verlaufen so blitzschnell, dass sie schwer zu beweisen sind. Zuweilen sind die infrage kommenden Summen auf dem Markt kaum zu erkennen, im Netz nicht nachzuweisen, strömen in Sekunden aus allen Himmelsrichtungen auf einem einzigen Finanzplatz zusammen. Von den entsprechend beteiligten Banken kann ich nur sagen, dass diese Gelder plötzlich verschwunden sind. Das heißt, die Bosse der Banken wissen Bescheid, es ist also ein abgesprochenes Verfahren. Zu beweisen, dass Breidscheid dahinter steckt, dürfte sehr schwer sein, wenn nicht unmöglich. Aber eines scheint klar: Breidscheids Gelder verschwinden immer in Richtung Vatikan.«
»Scheiße!«, fluchte Müller. »Was hat Breidscheid mit einer schmutzigen Bombe zu tun? Was du sagst, ist wirklich hoch interessant, aber es zeigt keinen Weg zu Achmed. Weshalb hat Breidscheid ihn gekauft?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Goldhändchen. »Aber ich mache weiter. Hier ist die Adresse von Breidscheids Exfrau in Bremen. Wenn ich Neues finde, sage ich sofort Bescheid. Vielleicht ist die Lösung ganz einfach, und wir sehen sie nur nicht. Aber jetzt brauche ich erst mal dringend so etwas wie ein Frühstück.«
»Unsere Kantine schläft noch.«
»Ja, richtig. Aber ich kenne eine entzückende Frühkneipe, die mir jetzt Bratkartoffeln macht und ein mageres Stück Fleisch.«
»Du bist ein Luxusgeschöpf«, stellte Müller fest. »Aber ein gutes. Ich danke dir jedenfalls herzlich. Wieso wird denn dieser Mensch mit dem erstaunlichen Namen nicht verhaftet? Dieser Sekretär oder Butler oder was er ist.«
»Du meinst Basie Blossom? Der ist im Grunde alles gleichzeitig. Ich nehme an, dass Breidscheid den angestellt hat, weil jemand, der erpressbar ist, fantastisch in diesen Laden passt. Wahrscheinlich hat Breidscheid mit irgendeinem Mächtigen der US-amerikanischen Justiz ein Augenzwinkern gewechselt. Derartige Bekanntschaften sind immer von Nutzen. Basie Blossom hat in Alabama eine Nutte erschlagen und anschließend behauptet, das sei aus Versehen passiert. Soll ich dir den Vorgang ausdrucken?«
»Ja, bitte, bei Gelegenheit. Hat Breidscheid eigentlich auch in Deutschland einen Wohnsitz?«
»Ja, im Werdenfelser Land. Der Ort heißt Graswang und liegt in der Nähe von Oberammergau, neben dem Kloster Ettal.«
»Hat er eine Art Haushalt dort? Bei all seinen verschiedenen Bleiben?«
»Er hat einen eigenen Jet. Er reist mit seinem Kaplan und Basie Blossom. In jedem Haus gibt es eine Haushälterin oder eine Art Hausmeister. Und wenn man seine Reisen verfolgt, dann bleibt er selten länger als eine Woche an einem Platz. Im Grunde ist er wahrscheinlich eine arme Sau und nirgendwo zu Hause. Als festen Wohnsitz gibt er die Bermudas an, aber seriös ist das gerade nicht. Und da taucht er auch nur für jeweils ein paar Tage auf. Er hat einen deutschen Pass, einen amerikanischen Pass und einen weiteren aus Kuweit. Rein behördlich gesehen sieht es so aus, dass er sagt, er sei ein Deutscher. Aber Steuern zahlt er hier nicht. Keinen Cent.«
»Wie geht so was?«
»Das weiß ich nicht, sonst würde ich auch keine Steuern zahlen und säße nicht hier. Übrigens sind derartige Figuren nicht gerade selten. Im Gegenteil, das häuft sich, das nennt man auch Globalisierung.«
Müller erinnerte sich an eine Bemerkung, die Karen gemacht hatte. »Ich habe gehört, dass Breidscheid von einem Handelspartner als Schiffsspezialist bezeichnet wurde. Ist er etwa auch Reeder?«
»Nein, aber er hat Reeder an der Hand. Und er verschifft mit Vorliebe alle Waren, mit denen er handelt. Er bringt es fertig, Ware von Fernost per Schiff zunächst nach Neuseeland zu bringen und dort zwischenzulagern, um sie dann im genau richtigen Moment irgendwo anlanden zu können. Dieses Verfahren sichert Märkte und macht ihn stark. Abgesehen davon kann er selbstverständlich Zuladungen auf diese Weise verstecken, Drogen eben oder Waffen und Munition, Maschinen und weiß der Teufel was alles. Dabei hilft ihm die Tatsache, dass er es sich erlauben kann, Märkte leer zu kaufen, um dann sechs Monate später plötzlich mit der gewünschten Ware aufzutauchen. Er ist ein teuflisch guter Kaufmann. Aber das kann man ihm nicht anlasten. Noch etwas solltest du wissen: Er taucht grundsätzlich nicht im Jetset auf. Wenn sich also die Reichen und Schönen in Monte Carlo treffen, ist Breidscheid todsicher nicht dort. Er scheut Gesellschaft.«
»Hat er eigentlich überhaupt keine Anbindung an die Politik, international oder national? Dass er in Südamerika Waisenhäuser unterstützt, weiß ich schon. Aber gibt es Stiftungen, die er unterhält, irgendwelche politischen Strömungen?«
»Bisher habe ich den Strang nicht recherchiert. Soll ich das herausfinden?«
»Ja, bitte. Und Dank noch einmal.«
Der Tag war gekommen, Müller fühlte sich erschöpft. Er zog an einem Automaten eine Cola und schlenderte trinkend die Flure entlang, als sei er auf einem Spaziergang.
Achmed, ich würde gern wissen, ob du noch lebst.
Er hatte plötzlich das Verlangen, Karens Stimme zu hören. Aber er verzichtete auf einen Anruf. Es war zu früh.
Es gab einen Automaten für Süßigkeiten. Er zog sich einen Schokoriegel und aß ihn bedächtig in einem Treppenhaus. Dann wollte er einen Kaffee und ging in sein Büro, um sich einen aufzugießen.
Kurz darauf rief Krause an. »Es gibt Neues von Achmed: Al-Dschasira hat ein Foto von ihm gesendet. Mit dem Hinweis, dass dieser Mann hinter dem Kobalt-Raub steckt, man aber sonst so gut wie nichts von ihm weiß. Er stamme aus Damaskus und sei von Bin-Laden ausgebildet worden …«
»Aber das ist doch absoluter Unsinn!«, rief Müller ärgerlich.
»Natürlich. Aber auf diese Weise bleibt die Schuld bei den Muslimen. Russen tauchen keine auf, Breidscheid sowieso nicht, und sämtliche Rechtsaußen haben wieder eine Steilvorlage. Ungefähr siebzig Muslime sind vorläufig verhaftet worden, weil man sie in die Nähe gewaltbereiter Islamisten rückt. Sehr zweifelhaft, ob die Verhöre ein Ergebnis bringen. Wir jagen ein Phantom.«
»Ich weiß nicht mehr recht, wie es weitergehen kann. Das Einzige, was mich reizen würde, ist die Exfrau von Breidscheid. Die hat ein Blumengeschäft in Bremen.«
»Fahren Sie hin. Was kann das bringen?«
»Keine Ahnung. Ich möchte diesen Breidscheid näher beleuchten. Der Kerl ist mir ein vollkommenes Rätsel. Ich kann ihn in unserer Geschichte nicht unterbringen. Aber er hat Achmed gekauft.«
»Fahren Sie. Ich rufe Sie an, wenn ich Sie brauchen sollte.«
»Okay. Ich bin dann auf der Autobahn.«
Müller rief die Fahrbereitschaft und verlangte ein Auto.
»Wir haben ein schnelles C-Modell mit einem Dreieinhalb-Liter-Kompressor. Das könnten Sie haben.«
»Sehr gut. Ich komme.«
 
 
 
 
Das Blumengeschäft war Teil eines kleinen Einkaufscenters in einer Vorstadt. Alle Bauten waren aus rotem Klinker und strahlten satte Behäbigkeit aus. Das Geschäft hieß »Blumen und Blüten«.
Die Frau hinter der Theke war eine schlanke Blonde, ungefähr um die fünfzig, mit langen, eleganten Händen. Und sie band gerade ganz versunken einen Strauß.
»Mein Name ist Reichert«, sagte Müller freundlich. »Einer meiner Kollegen hat schon mit Ihnen gesprochen. Es geht um Ihren ehemaligen Ehemann. Ich kann selbstverständlich begreifen, wenn Sie nicht gern über diese Phase Ihres Lebens sprechen …«
Sie strahlte ihn an: »Warum denn nicht? Der Mann ist für mich nicht mehr akut, er ist eine vergangene Verfehlung, wie ich immer sage. Du lieber Gott, das ist eine Ewigkeit her. Was wollen Sie denn wissen, oder nein, erst mal: Wieso ist denn der Kerl jetzt von Interesse?«
»Das kann ich Ihnen genau sagen«, erklärte Müller. »Wir brauchen einige Auskünfte, die mit Vorgängen zu tun haben, die wir in unserer Behörde bearbeiten. Aber wir kommen an den Menschen nicht heran, der ist ständig unterwegs und nicht erreichbar. War das zu Ihrer Zeit auch schon so? Also, wissen Sie, wir brauchen die Auskünfte auch für statistische Zwecke, und wir suchen Leute, die etwas über seinen Werdegang wissen. Von wegen: internationale Handelsbeziehungen und dergleichen. Der Mann ist schließlich ein Aushängeschild für die Globalisierung. Und weil das Leben wieder Spaß machen soll und die Leute Ehrgeiz entwickeln sollen, machen wir eine Regierungsbroschüre. Das sind die stillen Helden, so in der Art.«
»Der wollte damals schon nichts anderes als international arbeiten. Er wollte ein Haus auf den Bahamas und eins in Hongkong und eins in der Südsee, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ehrlich gestanden verstehe ich das nicht«, sagte Müller.
»Na, ja, eben die Welt des Geldes, des internationalen Handels und so.«
»Da kenne ich mich nicht so gut aus.«
»Also, junger Mann: Der wollte kein deutsches Geschäft, der wollte nicht GmbH und Co. KG, der wollte richtig klotzen.«
»Ach so, ich verstehe.« Müller lächelte freundlich und unbedarft in ihre blanken, blauen Augen. »Sie waren nach offiziellen Angaben nur zwei Jahre verheiratet. Ich nehme also an, das Geschäft war ihm wichtiger als die Familie.«
Sie gluckste. »Ja, das kann man wohl so sagen. Ach, du lieber Gott, wir waren ja so was von unbedarft, das können Sie sich gar nicht vorstellen.«
»Keine Kinder, nicht wahr?«, sagte Müller eifrig und naiv.
»Keine Kinder! Gott sei Dank! Das hätte mir gerade noch gefehlt.«
»Warum denn nicht? Ich meine, Kinder sind doch was Schönes, oder? Na ja, geht mich nichts an.«
»Also, mein Lieber. Um Kinder kriegen zu können, muss man ja erst mal zusammen ins Heu. Und das war eben nur sehr, sehr spärlich der Fall.«
»Sie meinen, er war zu viel unterwegs, gar nicht zu Hause?«
»Das auch. Aber der intensive körperliche Kontakt, der nun mal nötig ist, um ein Kind auf Kiel zu legen, der passierte nur einmal. In der so genannten Hochzeitsnacht.«
Müller erschrak programmgemäß: »Wollen Sie damit sagen, dass Sie in zwei Jahren Ehe nur einmal … also nur einmal, also, die Ehe vollzogen haben?«
»Sie sagen es«, antwortete sie sehr erheitert. »Und das Schlafzimmer war stockduster. Er sagte, eigentlich hätte er für fleischliche Begierden keine Zeit. Und er fände das auch sehr sündig. Da musste ich lachen, und er keuchte und sagte, nun wäre es aber genug. Danach strafte er mich richtig mit Verachtung.«
»Das ist nicht Ihr Ernst?«
»Doch, doch«, sagte sie. »Ich bin eine sündige Eva. Aber das verstehen Sie nicht, das versteht keiner, nur der Breidscheid.«
»Aber jemand, der so hart und international arbeitet, muss doch eigentlich ein Interesse daran haben, eine Familie zu gründen. Ich meine, er hat ja ein Riesengeschäft zu vererben.«
»Breidscheid doch nicht. Der gibt alles der Kirche. Das stand schon damals fest. Da lebte seine Mutter noch und vögelte im hohen Alter mit irgendeinem Kaplan herum. Zustände, kann ich Ihnen sagen, Zustände! Das glaubt einem kein Mensch.«
»Ich kann das nicht fassen«, raunte Müller in ehrfürchtigem Erstaunen. »Zwei Jahre verheiratet und nur einmal miteinander geschlafen. Wie geht so was?«
»Das weiß ich eigentlich auch nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich zuweilen den körperlichen Kontakt gesucht habe, schließlich war ich eine junge Frau. Da hat er herumgeschrien, ich sei die Sünde persönlich. Und ich bin heute noch der Meinung, dass er mich am liebsten totgeschlagen hätte. Der rastete richtig aus, dem trat Schaum vor den Mund, ungelogen. Mein Lebensgefährte sagt immer, das müsste ich eigentlich mal aufschreiben. Aber ich habe ja unterschrieben, dass ich nichts über die Ehe verbreite. Das wollte sein Anwalt damals. Und das Gespräch hier bleibt ja unter uns.«
»Mit welcher Begründung hat man Sie eigentlich geschieden?«
»Na ja, das Übliche, weil wir uns nicht verstanden haben. Über die Kirche kam dann, ich hätte vorher Drogen genommen und außerdem jede Menge getrunken. Das Einzige, was ich getrunken habe, war ein Malzbier pro Monat, und meine Droge war ein Aspirin, wenn ich Kopfschmerzen hatte. Aber ich hätte alles unterschrieben, ich wollte nix wie weg. Die offizielle Scheidung war dem Helmut auch ziemlich egal, doch die kirchliche Annullierung der Ehe, die war lebenswichtig. Na ja, und kurz danach hat ihm der Kardinal dann den Kaplan ins Haus geliefert. Als ich das erfahren habe, bin ich vor Lachen ausgeflippt. Das sieht ihm ähnlich.«
»Also, ganz privat«, Müllers Stimme wurde leise. »Ich habe sogar irgendwo gelesen, dass er möglicherweise krumme Geschäfte macht. Also, irgendwas mit Kriegsgerät und Drogen. Also, ein ausländisches Magazin hat das angedeutet … Wir von der Regierung, wissen Sie, müssen ja vorsichtig sein, wenn wir erfolgreiche Unternehmer vorstellen wollen. Am Ende kommt dann der Spiegel und deckt einen Skandal auf, und wir stehen dumm da.«
»Von krummen Dingern weiß ich nichts, ich weiß nur was von riskanten Dingern. Aber da hat der Kardinal oft gesagt, so was muss man riskieren.«
»Das hat der Kardinal gesagt?«
»Ja, den hat mein Ehemann immer gefragt, wenn er sich bei einem Geschäft nicht ganz sicher war. Aber sonst kann ich Ihnen zu Geschäften nichts sagen, das hat mich auch nie interessiert.«
»Nun ist er ja auch sehr hilfsbereit. Ich sage immer: Der ist die Caritas persönlich. Also die Waisenhäuser in Rio sind schon ein gewaltiges Ding. Gibt es noch andere solche Beispiele?«
»Ich kenne keine, aber ich war ja auch nur ein paar Jahre dabei.«
»Und dann hat er Ihnen den Laden hier gekauft, nehme ich mal an.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Anwälte haben mir Geld angeboten, aber ich habe es nicht genommen. Ich bin raus aus der Ehe, und das war es dann. Ich wollte sein Geld nicht.«
»Weil es irgendwie schmutzig war?«
»Nein. Weil ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Gar nichts.«
»Also aus den Augen, aus dem Sinn?«
»Kann man so sagen. Manchmal ruft er an.«
»Ach, nein. Erzählen Sie mal, also das interessiert mich wirklich.«
»Aber das dürfen Sie nicht drucken!«
»Um Gottes willen, das wollen wir nicht, oh nein, so was kommt nicht in die Tüte. Mehr privat.«
»Nun, er hatte ja diesen furchtbaren Vater. Der hat dem Jungen, als er so zwölf, vierzehn war, die Hände im Bett angebunden, damit er nicht … also, sich selbst befriedigte. Der Vater hat mal eindeutige Flecken in seinem Bett gefunden, und da hat er den Jungen so geschlagen, dass er drei Tage nicht zur Schule gehen konnte. Und die Mutter war nicht anders. Als beide Eltern gestorben waren, wurde Helmut international. Er kaufte Haus um Haus, er wollte haben, haben, haben. Aber: Ich sage immer, Geld macht nicht glücklich, aber viel Geld macht einsam. Ich erinnere mich, dass wir in der Südsee waren. Es war eine kleine Insel, zwei Dörfer und ein Hotel. Und ich ging den Strand entlang und sagte: »Weißt du, so ein Leben, das wäre einfach Spitze«, und er antwortete: »Kein Problem, dann kaufe ich diese Insel.« Ich habe laut gelacht, bis ich merkte: Der meint das so, das war kein Scherz. Nach der Scheidung war ein paar Jahre Funkstille. Ich habe in einem Büro gearbeitet und gespart. Ich wollte schon immer einen Blumenladen. Dann fing er an, mich anzurufen. Zweimal im Jahr, dreimal im Jahr. Das wird immer mehr. Und wissen Sie, was ich denke? Der Mann ist einsam, der Mann hat kein Zuhause und auch keinen Menschen, mit dem er reden kann. Dann reden wir eine Stunde, und es ist wieder gut. Bis zum nächsten Mal.«
»Über was redet denn einer, der im Geld schwimmt und alles hat, was er braucht?«
»Erstaunlicherweise gerade über die einfachen Dinge. Er sagte mal: Weißt du, ich würde gern deinen Kartoffelsalat essen. Mit Würstchen. Und anfangs habe ich sogar gedacht: Der Kerl ist schwul und kann es nicht zugeben. Dann habe ich gedacht, vielleicht ist er bi. Aber in Wirklichkeit ist er gar nichts, er hat keinen Arsch und keinen Schwanz, wenn Sie wissen, was ich meine. Und er hat kein Zuhause. Haben Sie mal die Einrichtungen in seinen Häusern gesehen?«
Müller schüttelte den Kopf.
»Na ja, überall dasselbe teure Zeug. Ein Haus ist wie das andere. Ich nehme an, der hat sich von einem Innenarchitekten das erste Haus einrichten lassen und dann dieselben Dinge für all die anderen Häuser gekauft. Im Grunde ist das stinklangweilig, und meinen Kartoffelsalat hat er auch nicht mehr. Er ist einfach allein. Er hat da diesen Basie, der um ihn herum ist und alles erledigt. Ich habe schon mal gedacht, vielleicht putzt der ihm auch noch den Hintern … Aber richtig reden kann er mit dem sicher auch nicht.«
»Und den Kaplan hat er vom Kardinal?«
»Genau. Weil er ja mindestens dreimal die Woche ein religiöses Gespräch braucht. Und beichten geht er auch alle naselang.«
»Da fällt mir ein, dass ich überhaupt nichts Politisches über ihn habe. Hat er denn irgendwelche politischen Ambitionen? Oder Freunde in der hohen Politik? Das haben doch Wirtschaftsgrößen wie Ihr Exmann häufig. Gibt es da einen?«
»Oh ja, Franz-Xaver Buchwinkel. Allgäuer Ecke. Das ist ein ganz Rechter. Der ist so weit rechts, dass man Tage braucht, um hinzukommen. Also, das sagt mein Lebensgefährte immer. Ich kenne ihn selbst nicht, der kam ja später. Aber die beiden sind ganz eng, soviel ich weiß. Politisches Interesse hatte mein Exmann immer schon. Genauso wie sein Vater, der Briefe nach Bonn schrieb. Damals war es ja noch Bonn, nicht Berlin. Helmut hat auch eine Menge Geld an die Parteien gegeben, also an die christlichen. Und eingemischt hat er sich dauernd und Briefe geschrieben an den Kanzler und den Bundespräsidenten. Mit Ratschlägen, wie sie es besser machen können. Das war immer schon so, aber es hat zugenommen in der letzten Zeit. Als Bush mit den Amerikanern in den Irak einmarschierte, hat er mir am Telefon gesagt, das wäre die einzige Möglichkeit, den ganzen Nahen Osten für das Christentum vorzubereiten, Bush wäre der Retter der christlichen Werte und so weiter.«
»Der geht ja wirklich ran«, sagte Müller in ehrfürchtigem Staunen und vermerkte innerlich: Buchwinkel also, der aus dem Fernsehen.
»Das kann man so sagen. Er kann sich eben alles kaufen. Und wenn er meint, die Politik geht die falschen Wege, dann wird er wütend. Und das ist in der letzten Zeit auch immer mehr geworden. Ich habe ihm mal gesagt: Dann musst du eben selbst Politik machen. Aber da sagte er: Das wollen die gar nicht. Das christliche Abendland, sagt er, ist längst untergegangen.«
»Wer ist denn damit gemeint, wenn er sagt: Die wollen das gar nicht?«, fragte Müller.
»Na ja, ich denke mal, die Christlichen oder so. Ich habe jedenfalls den Eindruck: Der Helmut wird immer einsamer. So klingt er auch am Telefon, eine lange Zeit schon, seit Jahren. Er ist mächtig, na klar, aber ich glaube nicht, dass er Freunde hat oder Frauen, zum Beispiel.«
»Wann haben Sie denn das letzte Mal mit ihm gesprochen?«
»Das muss vor vier Wochen gewesen sein oder so.« Sie sah ihn aufmerksam an, sie räusperte sich. »Sie machen keine Broschüre über ihn, nicht wahr? Sie jagen ihn. Oder?«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Müller und tat erstaunt.
»Na ja, weil Sie die offiziellen Daten über ihn doch schon alle haben, oder? Und weil Sie so nachbohren.«
»Richtig. Aber wir wollen eben sichergehen, dass nichts gegen ihn spricht. So einfach ist das.«
Sie glaubte ihm nicht ganz, sie zweifelte. »Warum fragt man eine alte Ehefrau? Also, ich könnte es ja verstehen.«
»Was könnten Sie verstehen?«
»Dass jemand hinter ihm her ist. Er denkt ja, er muss nirgendwo Steuern zahlen. Wollen Sie Geld von ihm? Oder irgendetwas in der Art?«
»Nein«, antwortete Müller entschieden. »Das wirklich nicht. Der Mann interessiert mich. Irgendwie auch privat. Und diese Kombination in seinem Leben, dieses Kirche und Geschäft, das ist ja nun wirklich faszinierend, oder? Wissen Sie, ob er für das Opus Dei arbeitet?« Du lieber Himmel, jetzt bin ich auf dünnem Eis, dachte er.
»Er hat mal so etwas angedeutet. Aber das ist ja nun sehr lange her.«
»Ich bin Ihnen jedenfalls dankbar für die Auskünfte. Er ist schon ein sehr besonderer Mann.«
»Ja«, sagte sie zögernd. »Das ist er wohl. Und wenn die Broschüre erscheint, kann ich dann eine haben?«
»Natürlich.« Dann reichte Müller ihr die Hand und ging hinaus. Ein fades Gefühl erfüllte ihn.
 
Er rief Goldhändchen an und sagte: »Hol mir bitte alles zusammen, was du vom Bundestagsabgeordneten Franz-Xaver Buchwinkel finden kannst.«
»Hast du etwas Besonderes ausgegraben?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber er ist mir gerade zum zweiten Mal in kürzester Zeit untergekommen. Das gibt zu denken.«
Dann wählte er Krauses Nummer und sagte knapp, er käme jetzt heim und müsse erst einmal darüber nachdenken, was er erfahren habe.
»Und noch immer nichts von Achmed?«
»Nichts. Dabei haben wir sicher dreihundert Fahnder in der Stadt. Die haben bis jetzt sechshundert Personen beiderlei Geschlechts aufgetrieben, die ohne Papiere leben. Das Übliche eben. Wir haben sechzehn Gruppen aus dem ehemaligen Ostblock festgestellt, die in Berlin arbeiten. Ohne Papiere, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Mehr als vierhundert Leute. Das Kurioseste ist ein Berliner, der einen Schrebergarten mit einem Holzhäuschen drauf hat. Er hat das Ding vermietet an sechzehn Polen, die abwechselnd in drei provisorischen Betten schlafen und alles an Arbeit verrichten, was man sich vorstellen kann. Diese Stadt ist verrückt. Und dann noch diese Touristen, die keine sind.«
»Ich komme rein«, sagte Müller und unterbrach die Verbindung.
Er rief Karen an und sagte ohne Übergang: »Ich rufe dich an, weil ich mich entschuldigen will. Es war nicht gut, was ich da angerichtet habe.«
»Ja«, antwortete sie einfach.
»Bist du noch in Berlin?«
»Ja. Die Liberalen wollen den Vertrag ausdehnen.«
»Könnten wir uns sehen?«
»Wo bist du denn?«
»In Bremen«, sagte er. »Ich fahre jetzt zurück und melde mich, wenn ich in Berlin bin.«
Er fuhr schnell, bis er durch den dichten Verkehr aufgehalten wurde, der vor Hamburg einsetzte.
Er dachte an seine Tochter Anna-Maria, an seinen Vater, der nun beerdigt war, an seine Mutter, die wahrscheinlich unverdrossen ihr neues Leben angehen würde. Er dachte an Karen und überlegte, was er ihr erzählen konnte. Und er dachte an Achmed, der spurlos verschwunden war, so, als habe es ihn nie gegeben. Dann begannen die Gedanken sich zu verwirren.
Müller rief erneut Krause an.
»Haben Sie ein paar Minuten? Können Sie mir das Opus Dei schildern, meine Vorstellungen davon sind nur vage.«
»Sie haben wahrscheinlich herausgefunden, dass unser Breidscheid Mitglied ist. Das würde hervorragend passen. Das Opus Dei ist einem Geheimbund vergleichbar, wird in der Regel von einem Bischof oder Kardinal geleitet, der nur dem Papst verantwortlich ist. Zurzeit gehören ihm etwa zweitausend Priester an und über achtzigtausend Laien. In Deutschland geht man von eintausend Mitgliedern aus. Das Werk ist 1928 von einem Spanier gegründet worden. Die Mitglieder, ob Priester oder Laien, sind zwar immer noch Mitglieder ihrer heimatlichen Diözese, gehorchen aber anderen inneren Gesetzen: Sie sind darauf geeicht, die uralten Strukturen der Kirche wieder zu wecken, das geistliche Leben zu intensivieren, den Alltag zu heiligen. Sie haben Sozialstationen gegründet, Berufs- und Landwirtschaftsschulen, sogar Universitäten. Dabei sind diese Einrichtungen nicht mehr als Gründungen des Opus Dei erkennbar. Auch die Mitgliedschaft selbst ist geheim. Daher der häufig geäußerte Vorwurf, das Opus Dei sei ein Geheimbund. Die Laien in dieser Organisation arbeiten nach harten, ungeschriebenen Gesetzen, nicht wenige von ihnen zahlen der Kirche jährlich den Zehnten, also genau zehn Prozent ihrer Bruttoeinnahmen. Es gibt rituelle Einzelheiten, die geradezu an barbarische Sitten des Mittelalters erinnern. So tragen Mitglieder zum Beispiel stählerne Reifen um die Oberschenkel, die auf der Innenseite mit Nägeln gespickt sind, damit sie sich ständig daran erinnern, ein Leben lang Buße zu tun. Entscheidend ist die finanzielle Macht des Opus Dei. Deshalb kam es auch zu der Bezeichnung Fünfte Kolonne des Papstes, CIA des Papstes. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind samt und sonders stark indoktriniert. Man wirft ihnen nicht ganz zu Unrecht vor, die alte Kirche des Mittelalters wieder einführen zu wollen, die Frauen ganz scharf zurückzusetzen auf eine nur dienende Funktion. Reicht das?«
»Das reicht«, sagte Müller. »Und es könnte auf Breidscheid passen. Aber er wird es natürlich nicht zugeben.«
»Sicher nicht«, bestätigte Krause. »Bis später.«