Epilog
Die Sonne schob sich nur zögernd über den Horizont und machte sich an ihren Aufstieg in den wolkenlosen Himmel – über dem, was einmal als die Stadt Scree bekannt gewesen war. Das Licht der Dämmerung beleuchtete einen toten Ort, von menschlichen Händen gezeichnet und nun beinahe ohne Leben. Man hörte keinen Vogelchor singen, nur manchmal das Sirren von Käfern mit schillernden Flügeln und dann auch das von vorbeizischenden Libellen sowie das Summen einiger weniger harmloser Insekten. Früher einmal war die Stadt voller bewohnter Häuser gewesen, und an jeder Ecke hatte sich ein Essensstand befunden, ein Ort, an dem große Familien gemeinsam lebten und aßen, ständig tratschten und stritten. Nun lag eine seltsame Stille über der Stadt, die nur von dem gelegentlichen, kaum hörbaren Rascheln der Asche gestört wurde oder von dem Krachen oder Knacken, wenn eine der noch stehenden Mauern einstürzte.
Die Feuersbrunst hatte alle größeren Bauwerke der Stadt beseitigt, den südlichen Teil in einem raschen und wilden Hunger verzehrt und ausgebrannt, so dass bloß noch ein Brachland aus rauchenden Scheiterhaufen und Trümmerbergen zurückgeblieben war. Im Norden brannten weiterhin einige einzelne Feuer. Überall in Scree war der Boden noch heiß genug, um darauf zu kochen, und strahlte die Hitze von Tausenden Öfen aus.
So war es auch eher der kochende Boden als das gelbe Auge Tsatachs, der den beiden schweigenden Gestalten, die durch diese traurige Landschaft gingen, die Haut verbrannte. Sie überwanden den Boden schnell, sogar die größere, gepanzerte Gestalt. Sein Gefährte trug nur ein Wams und eine ebensolche Hose, beides aus schwarzen Flicken genäht. Er hätte wie ein gewöhnlicher Reisender gewirkt, wären da nicht die beiden Schwerter auf seinem Rücken gewesen. Seine Haut war, wo sie keine Hautbilder trug, glatt und bleich. Der größere Mann hingegen trug die Narben eines ganzen Lebens im wettergegerbten Gesicht. Das seltsame Paar schritt still einher, entschlossen, auch wenn kein unbeteiligter Betrachter hätte sagen können, was sie vorhaben mochten. Sie schienen den Weg auch ohne nachvollziehbare Landmarken zu erkennen, als flüsterte ihnen eine Stimme die Richtung ins Ohr.
Ab und zu hielt Ilumene, der größere Mann, inne und blickte zurück. Etwa einhundert Schritt hinter ihnen folgte, wie ein gescholtenes Kind, eine weitere Gestalt, die offensichtlich unter der wachsenden Tageshitze litt. Sie trug ein Tuch locker um Kopf und Körper geschlungen und versuchte sich damit eher schlecht als recht vor der Sonne zu schützen. Auf dem ungeschützten Gesicht hatte sich dunkelroter Schorf gebildet, seine Hände waren von Blasen übersät. Der Mann hielt sie eingedreht, um seine Handflächen zu schützen, aber dann stolperte er, fing den Sturz instinktiv mit den Händen ab und schrie vor Schmerz auf.
Weder Ilumene noch sein Gefährte Venn halfen ihm auf. Ilumene war damit zufrieden, den Verfolger in Sichtweite zu haben und hielt genug Abstand, damit er ihnen mit seinem angestrengten Atmen oder den Schmerzenslauten nicht auf die Nerven fiel.
Fast eine halbe Stunde, nachdem die ersten Sonnenstrahlen die Baumwipfel berührt hatten, beschloss Ilumene, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. Der einzige Unterschied zum Rest der Stadt lag für den aufmerksamen Betrachter in der Menge der verkohlten Leichen am Boden. Venn und er hielten an und warteten auf den verunstalteten Mann.
Dohle blieb schwer atmend stehen, bevor er sie erreicht hatte und schob sich das schmutzige Tuch vom Kopf, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Sein bleiches Gesicht war ausgezehrt, sogar die mitternachtschwarzen Hautbilder auf seiner Wange schafften es nach seiner Zeit in Scree, ausgefranst und verknittert auszusehen.
Dann kam Dohle zu ihnen, zögerte aber, als er sie erreichte und blickte furchtsam von einem zum anderen, als wüsste er nicht genau, wie sie auf seine Nähe reagieren würden. Ilumene schnaubte und warf dem Mann einen halbvollen Wasserschlauch zu. Dohle fing ihn dankbar auf und trank in tiefen Zügen, bis er den Blick des vernarbten Soldaten bemerkte. Eilig gab er ihn zurück.
Ilumene erlaubte sich einen Schluck und hängte sich den Wasserschlauch wieder um den Hals. Dann ging er auf eine Ruine zu. Dohle blickte an ihm vorbei auf die Leichen, von denen die meisten bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren. Er starrte auf den nächstliegenden Toten, dessen Hände wie zur Beerdigung vorbereitet an seinem Hals gefaltet worden waren. Es war ein merkwürdig friedlicher Anblick, vor allem, wenn man ihn mit dem verkohlten Haufen aus langen, verdrehten Gliedmaßen und gebogenen Krallen verglich, der sich einige Schritt entfernt erhob. Ilumene ging dorthin und trat so gegen den großen Leib, dass davon schwarze Klumpen abbrachen, die aus einem nicht erkennbaren Stoff bestanden. Das konnte kein Mensch gewesen sein.
»War das sein Aspektführer?«, fragte Dohle atemlos, während Ilumene fluchend versuchte, den Schmutz von seinem Stiefel zu schütteln.
»Na, es wird wohl kaum ein anderes Vieh von dieser Größe gestern Nacht in die Stadt marschiert sein«, knurrte Venn.
Dohle antwortete nicht darauf, denn er wollte keinen der beiden Männer verärgern. Sie traten und schlugen ihn, wann immer ihnen danach war, und der Magier hatte zu viel Angst, um es den Lieblingssöhnen Rojaks heimzuzahlen. Darum stand er mit gesenktem Blick und hängenden Schultern dort und wirkte wie ein an einem Galgen hängendes Skelett.
Ilumene ging durch den Schutt, der einmal das Haus gewesen war, zog einen geschwärzten Balken beiseite und trat gesprungene Schindeln und andere Trümmer aus dem Weg, bis er gefunden hatte, was er suchte. Dohle lehnte sich langsam zur Seite, um besser sehen zu können, bis unter seinem Stiefel etwas zerbrach und er wütende Blicke zugeworfen bekam, die dafür sorgten, dass er zurückwich und sich auf die Lippe biss, um nicht wieder einen Strom an Entschuldigungen auszustoßen, denn das machte sie besonders wütend.
Ilumene löste den Blick von Dohle und ging einige der Stufen nach unten, die er freigelegt hatte. Die ramponierte Holztür am unteren Ende gab den Weg erst frei, als Dohle dagegentrat und das Blatt weit genug spaltete, damit er mit einem Steinklumpen auf die verrosteten Eisenangeln einschlagen konnte. Auch ohne Ilumenes Gesicht zu sehen wusste Dohle, wie sehr er sich amüsierte. Der ehemalige Mann des Königs hatte eine fast kindliche Freude an jeder Art von Zerstörung, ob er nun etwas zerbrechen oder jemanden misshandeln konnte.
»Wonach suchen wir?«, murmelte Dohle.
Ilumene antwortete nicht, sondern duckte sich unter dem eingesunkenen Türsturz hindurch und war nicht mehr zu sehen. Dohle wartete einige Minuten, dann seufzte er und räumte sich ein Stück der ebenen Fläche frei, um sich hinzusetzen. Venn starrte ihn eine Weile an, dann trat er zur aufgebrochenen Tür und stellte sich so, dass er Dohle und die Stufen gleichermaßen sehen konnte.
Sie warteten schweigend. Venn blickte nach Norden, wo sein Zuhause lag, wie er einmal verraten hatte, und murmelte vor sich hin. Er stellte sich auf einen Fuß und blieb auch ohne erkennbare Mühe bewegungslos so stehen. Er funkelte die Gestalt voller Abscheu an, die sich wand und in das abgenutzte Tuch gehüllt war.
Dohle beachtete ihn nicht, sondern starrte verdrießlich auf den Boden vor seinen Füßen.
Nach einer Weile hallte Ilumenes Stimme durch den Eingang und Dohle erhob sich mit vor Schmerz verzogenem Gesicht. Ilumene führte zu seiner Überraschung eine große Frau mit langem, strohig grauem Haar und einen verwirrten Gesichtsausdruck daraus hervor. Dohle erkannte unter ihrer abgewetzten und beschädigten Lederrüstung einen starken Körper. Ihr Gesicht wirkte jünger, als es ihre Haarfarbe andeutete. Ihre kräftige Gestalt überraschte Dohle, denn die meisten Leute in der Stadt waren nach dem wochenlangen Chaos hager und abgezehrt gewesen. Diese Frau zeigte keine Auswirkungen der Magie des Barden, aber er konnte ein Dutzend üblicher Verwundungen erkennen, einige waren frisch, einige bereits halb verheilt. Ein Auge war von einer langgezogenen Schwellung fast zugedrückt. Sie presste etwas an sich, vielleicht ein Buch, das in dickes Tuch gewickelt war.
»Es ist vorbei, du bist jetzt in Sicherheit«, sagte Ilumene beruhigend. Dohle war über diesen Tonfall aufs Äußerste verblüfft. Ilumene klang so freundlich und tröstend wie die Mönche in Vellerns Kloster – bis jetzt hatte er nicht geglaubt, dass der Mann aus Narkang zu irgendjemandem außer dem Barden nett sein konnte. Er wollte die Frau warnen, nicht so dumm zu sein, er wollte sie anschreien, dass sie fliehen müsse und Ilumene nicht trauen sollte, um nicht in seine gemeinen Ränke hineingezogen zu werden. Stattdessen schlug er die Augen aber nieder und schwieg, von seiner Feigheit gelähmt. Er biss sich auf die Lippe und verabscheute sich von da an noch mehr, wenn das überhaupt möglich war.
»Was ist hier geschehen?«, fragte sie durch ihre aufgesprungenen Lippen. Sie schien verunsichert und blinzelte im hellen Licht misstrauisch auf das zerstörte Land hinaus, das sich ihr offenbarte. Sie wirkte unverständig, und Dohle erkannte, dass sie nicht einmal wusste, wo sie war.
»Krieg und die Grausamkeit der Götter«, antwortete Venn augenblicklich, sah sie dabei aber nicht an. Die Frau drückte sich näher an Ilumene, als Venns eisige Stimme erklang. Und er legte sofort schützend den Arm um sie. Sie lehnte sich dankbar gegen ihn, der sogar noch größer war als sie selbst, und bemerkte das blutige Muster nicht, das seinen Handrücken bedeckte.
»Du musst dir keine Sorgen um das machen, was hier geschah«, wiederholte Ilumene. »Es ist vorbei. Ein neuer Tag ist angebrochen.«
»Wer bist du?«, flüsterte sie. »Wie hast du mich gefunden?«
»Fürs Erste ist nur wichtig, dass du jetzt in Sicherheit bist«, sagte er und strich ihr übers Haar.
Die Frau verzog das Gesicht. Dohle erkannte, dass sie ihre Retter anzulächeln versuchte. Beim Atem Vellerns, sie hat vergessen, wie man lächelt.
»Verrätst du mir deinen Namen?«
Die Frau dachte einen Augenblick nach, dann wurde sie bleich und schüttelte den Kopf.
»Hast du ihn vergessen?«, fragte Ilumene und fügte tröstend hinzu: »Das macht nichts. Wir finden einen neuen Namen für dich. Den schönsten Namen, den es gibt.«
Ilumene klang so wohlwollend, dass Dohle kaum glauben konnte, den gleichen Mann vor sich zu haben, der ihn kurz vor Sonnenaufgang mit einem Schlag ins Gesicht geweckt hatte. Er fühlte mit der Zunge nach seinem Zahn, der noch immer abgesplittert war. Also war es doch kein Traum gewesen.
»Nehmt ihr mich mit euch?«, fragte sie unsicher. Bei einer Frau, die aussah, als sei sie Söldnerin gewesen, war diese Verletzlichkeit seltsam anzuschauen. Aber wenn sie sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnte, hatte sie die Jahre des Kämpfens gewiss auch vergessen. Es wirkte auf Dohle, als ließe Ilumenes brutales Äußeres sie zögern – und das sollte es auch. Lauf, du Närrin, lauf vor ihm weg! Aber dann lag da ein hoffender, unschuldiger Ausdruck auf ihrem vom Wetter gezeichneten und misshandelten Gesicht. Sie war bereit jedem zu glauben, der ihr Schutz vor der zerstörten Welt versprach, in der sie sich wiederfand.
»Aber natürlich«, antwortete Ilumene und zeigte dann auf den Gegenstand, den sie an die Brust drückte. »Du hast Schlimmes erlebt und wirst noch eine Weile geschwächt sein. Soll dir mein Freund hier deine Bürde nicht abnehmen?«
Der frühere Harlekin war noch nicht auf sie zugetreten, starrte sie aber wie ein Geier an.
Sie drückte das Buch noch enger an sich und schüttelte den Kopf. Bei der Bewegung löste sich eine feine Staubwolke daraus und Dohle erkannte, dass ihr Haar nicht grau war, sondern nur mit Asche bedeckt. In Wahrheit mochte es heller sein.
»Es gehört mir«, flüsterte sie heiser.
»Wie du meinst«, sagte Ilumene sanft. »Aber verrätst du mir, was es ist? Damit ich weiß, wie ich dir am besten helfen kann?«
»Ich …« Die Frau blickte zu ihm auf und beugte sich dann schützend über das Buch. Die Umhüllung hatte sich etwas verschoben, aber Dohle konnte die Worte auf dem Einband trotzdem noch nicht lesen. Es war wenig aufregend, nur ein einfacher Ledereinband, wie ihn Dutzende Bücher in der Klosterbibliothek trugen. »Es ist mein Schatz«, sagte die Frau schließlich.
»Schätze und Asche«, sagte Venn plötzlich.
Sie blickte angsterfüllt auf, als Ilumene zu kichern begann und über ihren Ärmel strich, was eine weitere Aschewolke aufsteigen ließ. Sie hustete und keuchte, ließ das Buch aber nicht los.
Die Worte hallten in Dohles Kopf wider. Hatte er sie schon einmal gehört? Es klang wie eine dieser verhassten Aussprüche, die Rojak dann und wann von sich gegeben hatte. War auch dies alles noch Teil des letzten Plans des Barden?
»Sie wurden verbrannt«, sagte sie und streckte die Faust aus. Darin hielt sie ein Stück verbranntes Papier. Das verwunderte Dohle, denn der Keller war vom Feuer verschont geblieben. Warum war dann ein Buch verbrannt? »Alle verbrannt, bis auf dieses eine«, fuhr sie fort. »Alle bis auf meinen Schatz.«
Dohle hatte plötzlich einen Stein im Magen. Abt Doren war mit den Büchern des Klosters und dem Kristallschädel geflohen, den man in ihre Obhut gegeben hatte. Es sah aus, als habe der senile alte Schwachkopf versucht, die Bücher zu verbrennen, also hatten sie vielleicht etwas mit dem zu tun, was er mit Hilfe des Schädels der Herrschaft hatte herausfinden wollen. Er erstarrte.
Hatten sie also etwas damit zu tun?
Ilumene nickte, die Frau öffnete die Hand und ließ die Pergamentreste auf die Asche zu ihren Füßen fallen. Er drehte den Kopf, um den Buchdeckel sehen zu können, und machte einen Laut der Zufriedenheit.
Diesmal konnte sich Dohle nicht beherrschen. »Es ging die ganze Zeit um das Buch«, fragte er ungläubig. Er blickte selbst auf den Deckel, und diesmal konnte er das eingeprägte Symbol sehen, das von der Hand des Mädchens halb verdeckt wurde. Es standen zwei ineinander verschlungene Vs darüber, die darauf hinwiesen, dass dieses Buch einst einem Adeligen gehört hatte.
»Dies ist nicht einfach nur ein Buch«, sagte Ilumene und beantwortete damit zu Dohles Verwunderung dessen Frage. »Es enthält die Schriften eines Wahnsinnigen.«
»Ich habe meinen Gott für ein Buch verraten?«, fragte er benommen.
»Ganz recht«, sagte Ilumene zufrieden, ergriff dann die Hand der Dame und führte sie von den Treppenstufen fort. »Ein Buch – ein Tagebuch, um genau zu sein. Das Tagebuch des Vorizh Vukotic.«
Jetzt, da Ilumene endlich mit ihm redete, wollte Dohle so viel wie möglich herausfinden. »Der Vampir? Aber er ist doch verrückt.«
»Unter anderem«, stimmte Ilumene zu. »Aber erscheint dir das nicht merkwürdig? Er ist ein Mann, der von Tod selbst mit dem Fluch der geistigen Gesundheit belegt wurde, ebenso wie seine Geschwister. Und doch wird er im Gegensatz zu den anderen verrückt! Du bist doch Magier, sag mir also: Welche Macht könnte Tods höchsteigenen Fluch überwinden?«
»Welche Macht?«, fragte Dohle nachdenklich. »Nur die von Tod selbst, würde ich sagen.«
»Es gab eine Zeit«, sagte Venn leise, »in der die Erschafferin und der Zerstörer Hand in Hand durch das Land gingen und über den Staub zu ihren Füßen und die Luft, die über ihnen war, befehligten.«
»Erschafferin? Du meinst Leben, Tods Braut? Aber sie starb in der Letzten Schlacht, und Aenaris wurde mit ihr begraben. Nicht einmal mit ihrem Schwert konnte die Königin der Gö…« Dohle verstummte schlagartig und sein Gesicht wurde zu einer Maske des Entsetzens. Er starrte Ilumene ungläubig an. Dieser lächelte breit zurück.
Er rang die Hände vor der Brust. »Tods Magie? Tods eigene Waffe? Aber Termin Mystt zerbrach in der Schlacht, es wurde zerstört …«
»Nicht ganz«, erwiderte Venn und nickte in Richtung des Buches, das die Frau daraufhin noch enger an sich drückte. »Ganz und gar nicht, um genau zu sein, aber Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben, die nur das erzählen, was sie erzählt sehen wollen.«
»Wie kannst ausgerechnet du so etwas sagen?«, fragte Dohle noch immer zitternd. »Du warst ein Harlekin, jemand, der von der Vergangenheit berichtet … der die Wahrheit erzählt.«
»Ganz genau«, sagte Venn mit einem bösartigen Funkeln in den Augen »und ich sage die Wahrheit, wenn ich dir berichte: Termin Mystt trieb ein Yeetatchen-Mädchen in den Wahn, als sie den Griff bei einem Fest zu Lord Tods Ehren berührte. Der Schlüssel der Magie ist so mächtig, dass er den Geist eines jeden verdreht, der ihn berührt. Und dadurch wurde auch Vorizh Vukotic der Verstand geraubt. Er stahl das Schwert in dem verzweifelten Versuch, den Fluch zu brechen, der auf seiner Familie liegt.«
»Ihr seid auf der Suche nach Termin Mystt«, sagte Dohle matt, überwältigt. »Und dieses Buch verrät euch, wo er es versteckt hat?« Er war etwas verärgert, und so wies er auf die Frau, die das Buch hielt. »Was ist mir ihr? Werdet ihr sie töten, um an das Buch zu kommen?«
Die Frau wimmerte vor Angst und wich vor Ilumene zurück.
Bebend wartete Dohle darauf, dass Ilumene der Frau die Faust ins Gesicht schlug. Aber der Mann aus Narkang lachte nur.
»Natürlich nicht«, sagte er sanft zu der Frau. »Immerhin bist du guter Hoffnung – und man schickte mich, um euch beide zu schützen.«
»Ein Kind? Aber woher weißt du das?«
»Es wurde vorhergesagt«, verkündete Venn. »Und wenn das Kind erst geboren sein wird, wirst du ihm deinen Schatz anvertrauen.«
»Ihm? Es ist ein Junge?«, fragte sie. »Ich wollte ein Mädchen … ich glaube, ich hatte einmal ein kleines Mädchen …«
»Ein Junge«, sagte Ilumene mit Überzeugung. »Und dereinst wird er ein Prinz werden. Er wird dir einen Palast aus Elfenbein errichten.« Er lächelte sie an, den Arm um ihre Schulter gelegt, und brachte sie dazu loszugehen.
Sie ging mit langsamen, unsicheren Schritten an Dohle vorbei, der noch immer dort stand, vor Schreck erstarrt.
»Ein Junge?«, wiederholte er heiser. »Ein Prinz?«
»Eine neue Dämmerung, ein neues Land«, rief ihm Ilumene fröhlich über die Schulter zu.
»Ihr Götter«, hauchte Dohle, und eine plötzliche Kälte erfüllte seine Glieder.
»Götter«, sagte der Schatten leise, »werden in diesem Land bald keinen Platz mehr haben.«