Lena Weissenbach. Ärztin.
Ich kann es nicht fassen. Vielleicht morgen. Vielleicht in zwei Wochen, wenn ich endlich mein Zeugnis in der Hand halte. Und meine Approbation.
Aber jetzt noch nicht.
Jetzt lasse ich mich drücken und küssen und mit Sekt begießen. Und ich heule. Wie ein Schlosshund. Das muss die Müdigkeit sein.
Isa heult auch. »Das müssen die Hormone sein«, schluchzt sie und lacht dabei.
Selbst Ruben ist gekommen, um zu gratulieren. »Siehst du?«, flüstert er, als er mich umarmt. »Ich habe doch gesagt, dass der Kuchen seine Wirkung tut.«
Im Nachhinein könnte jeder behaupten, er habe mir den Bestanden-Wunsch ins Essen gemischt. Aber ihm glaube ich.
Ich umarme Isa und Alex. Und noch mal Isa. »Schade, oder?«, sagt sie und heult doch noch mal los.
»Gar nicht schade«, sage ich entschieden. »Es kriegt die weltschlaueste Mutter. Du triffst den Vorsitzenden der Ärztekammer zu deiner Besten-Ehrung und sorgst dafür, dass er dich im Gedächtnis behält. Und im nächsten Jahr machst du sie alle fertig.«
»Das nächste Jahr«, sagt Jenny, als sie zu uns tritt. »Soll ein guter Jahrgang werden.«
Wann ist sie herausgekommen? Warum so unbemerkt? Warum ist von ihrer Familie niemand hier? Und warum tätschelt Professor Heidemuth ihr den Arm, als er sich verabschiedet?
»Jenny …« Ich kann es nicht fassen.
»Tja«, sagt sie leise. »Nun werde ich wohl enterbt.«
Für einen Moment herrscht Stille.
»Ist nicht so wild«, meint sie, »ich konnte es eben nicht besser. Neues Jahr, neues Glück, ich fang dann mit Isa zusammen an.«
Sie gibt sich tapfer. Sie hält sich gerade. Obwohl in diesem Moment ihre Welt untergeht. Typisch Jenny. Wir umarmen sie beide. Sie hält es für eine Sekunde aus.
»Tja, so ist es dann eben. Zwei Ärzte. Und Jenny.« Dann macht sie sich los. »Ich geh mal kurz auf den Hof.« Schon ist sie verschwunden.
Isa zögert. Vielleicht will sie Jenny nicht zu nahe treten. Nicht jetzt, nicht als Jahrgangsbeste. Nicht, wenn Jenny Trost bei Felix suchen sollte.
Aber ich will nicht warten. Ich muss ihr nach. »Ich bin gleich wieder da«, flüstere ich Alex zu. Er küsst mich und ich halte seine Hände für einen Moment ganz fest. Hände, die einen auffangen, einen nachts zudecken. Ich drücke sie, so fest ich kann. Und dann eile ich Jenny hinterher.
Ich komme nicht bis zum Hofeingang. Tobias lehnt in der Durchgangstür zur Station, als stünde er dort schon eine ganze Weile. Ich kann nicht an ihm vorbeigehen. Er sieht mich an.
»Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe«, sage ich schließlich.
Er schüttelt den Kopf. »Du weißt, dass ich nichts anderes wollte als das hier«, meint er leise.
Ich weiß es. Dass ich es irgendwie ihm verdanke, dass ich Dr. Paulsen parieren konnte. Dass mir alle Phasen einer laparoskopischen Gallenblasenentfernung einfallen, während vier Prüfer mich mit Röntgenblicken anstarren und ein Patient irritierende Zwischenfragen stellt.
Sehr gut.
Wegen seiner Fähigkeit, mich wütend zu machen.
Wütend bin ich am besten.
Ich weiß das alles. Ich kann nur grad nichts antworten.
Er lächelt ein wenig. Fast unsichtbar. »Du hast es geschafft.«
Er ist der Erste, der es sagt.
»Dr. Lena Weissenbach.«