Ich glaube nicht, dass irgendjemand in meinem Alter noch meine Begeisterung für Geburtstage teilt. Aber ich liebe sie.

Nicht wegen der Geschenke. Und die Zeit, in der Älterwerden etwas sehnsuchtsvoll Erwartetes war, ist auch vorbei. Aber dieses verzauberte Geburtstags-Gefühl hat die Jahre überdauert. Das Kribbeln beim Aufwachen ist noch genauso stark wie mit Vier. Auch die vorfreudige Energie, mit der ich aus dem Bett springe. Allerdings ist es nicht mehr, wie damals, fünf Uhr morgens, als ich das tue. Und deshalb bin ich nicht die Erste, die wach ist.

Ich schleiche an der Küche vorbei ins Bad und könnte ganz leise, aber meterhoch hüpfen vor lauter Freude. Blumen und Kerzen, Luftballons, eine Girlande und … sind das Servietten-Schwäne?! Das Allerschönste aber ist, einen Moment still und heimlich meine Freundinnen zu beobachten, wie sie möglichst geräuscharm, aber mit breitem Grinsen, die letzten Vorbereitungen treffen. Jenny zieht einen Kuchen aus dem Ofen, der Geruch nach warmer Schokolade füllt sofort die ganze Wohnung; stünde ich nicht unbemerkt schon hinter der Tür, würde mich der Kuchenduft garantiert auf das Angenehmste wecken. Isa zündet die Kerzen an; es sind so viele, dass der Verdacht naheliegt, sie hätten für jedes Lebensjahr mindestens drei aufgestellt. Oder kommt noch eine Oma zu Besuch, die das EIGENTLICHE Geburtstagskind ist?

Weil die beiden noch nicht ganz fertig sind – und ich uns allen nicht die Überraschung verderben will, schleiche ich weiter ins Bad und bemühe mich, ebenso leise zu sein.

Während ich noch an meiner Geburtstags-Frisur bastle, wird auf dem Flur getuschelt. Dann klappt die Wohnungstür, noch mehr Geflüster, das Getuschel verlagert sich in die Küche, gefolgt von Geraschel – und einem lauten Knall. Darauf folgt schallendes Gelächter, das mindestens die Lautstärke des Knalls hat.

»Ach Mann, du Trottel«, schimpft Jenny, kichert dabei aber weiter, »jetzt ist sie garantiert aufgewacht.«

»Sie ist schon wach«, flöte ich und trete geburtstagsschön aus dem Bad. Meinetwegen muss niemand be-trottel-titelt werden, nicht an meinem Geburtstag.

Alex und Felix sind da, haben noch mehr Blumen mitgebracht – und grade unseren Oma-Tonkrug zu Boden geworfen, den wir als Vase für besonders große Blumensträuße benutzen. Benutzt HABEN, denn jetzt liegt er in tausend Scherben.

»Wir hatten alles so schön vorbereitet …«, grinst Jenny und deutet anklagend auf die Jungs, »aber den Fehler gemacht, Herren einzuladen.«

»Scherben bringen Glück«, sagt Alex und küsst mich. »Happy Birthday! Ich wünsche dir, dass du in diesem Jahr unfassbar glücklich sein wirst. Und deshalb zerschmettern Felix und ich den ganzen Tag alles verfügbare Porzellan: damit dieser Wunsch auch sicher in Erfüllung geht.«

Ich bedanke mich, verbitte mir aber weitere Zerschlage-Arien vor dem Frühstück; erst einmal will ich alles eigenmündig vernichten, was auf den theoretisch zur Zerschmeiß-Verfügung stehenden Kuchenplatten und Tellern angerichtet ist.

Das Frühstück ist herrlich. Die Servietten-Figuren sind tatsächlich Schwäne. Und vor meinem Platz steht ein Stapel bunt eingepackter Geschenke, der mich ganz verlegen macht.

Jennys Gaben gehören in die Kategorie Freizeit – ich packe Nagellack, Lakritz-Entspannungsbad und ein mit Glitzerfischen bedrucktes Top aus (das nicht aus der italienischen Kollektion stammt und deswegen ausgezeichnet passt) – Isas Geschenke eher in die Abteilung Prüfungsvorbereitung – ein Ratgeber Das Examen bestehen – so geht’s und Konzentrations-Tee. Von Felix bekomme ich eine CD-Kopie seiner Lehrstoff-Lesung. Und von Alex zwei Geschenke, über die meine Freundinnen ziemlich perplex sind: Eine eigene Motorsport-Sturmhaube. Und ein verschnörkelt graviertes Metallschild: »Hier arbeitet Lena.«

»Das müsst ihr nicht verstehen«, grinst Alex meine Mädels an. »Es sind einfach Dinge, die Lena guttun.«

Gerührt bedanke ich mich nach allen Seiten, dann sitze ich satt und zufrieden zwischen meinen Freunden und Geschenkpapierbergen und bin schlicht und einfach glücklich.

Wegen des Ausfalls der Tonkrug-Vase haben wir die Blumen von Alex und Felix in alle freien Gläser aufgeteilt – nun sind es zehn Sträuße, verteilt in der ganzen Küche, inmitten des Kerzenmeers. Es ist wunderschön. Nur schrecklich heiß hier drin.

»Können wir ein paar von den Kerzen ausblasen?«, bitte ich. »Allmählich wird es Omi ganz schön warm.«

»Ach Gott sei Dank«, seufzt Isa, »ich hatte schon Angst, die Hitze hat mit der Schwangerschaft zu tun.«

Ich blase ein paar Kerzen aus und wünsche mir dabei, dass mein Leben einfach so bleibt, wie es in diesem Moment ist. Nur dass ich die Prüfungen schon bestanden habe. Und dann, weil noch Kerzen übrig sind, noch dass Isa im nächsten Jahr mit einem glücklichen, gesunden Baby hier sitzt. Und dass Jenny es schafft, die blöde Nadja zu vergessen. Und Felix erst recht.

Danach sind immer noch Kerzen übrig.

»Warum sind das überhaupt so viele?«, erkundige ich mich schließlich außer Puste.

»Ach weißt du«, erklärt Jenny, »es gab 20er-Packungen – aber das hätte ja ausgesehen, als hättest du schon mit dem Älter-als-20-Sein Probleme – und 50er-Packs …«

»Darum haben wir eine für jedes Jahr«, ergänzt Isa, »und noch eine für jeden Geburtstag, den wir nicht mit dir feiern konnten, weil wir dich noch nicht kannten. Wir haben dich einfach so schrecklich gern.«

Kein Mädchen, das da nicht kurz heult.

Am Nachmittag lädt Alex mich auf einen Ausflug ein. Seine Geburtstagsüberraschung ist ein Motorboot, das auf der Spree auf uns wartet.

»Ich dachte, dir fehlt manchmal das Meer …«, sagt Alex und ich könnte ihm um den Hals fallen. Aber erst mal muss ich ganz schnell in das Boot springen.

Alex lässt mich zuerst ans Steuer und fällt fast ins Wasser, als ich Gas gebe. Aber ich habe den Hebel bloß so kräftig durchgedrückt, weil ich mich so freue.

Die Stadt sieht aus dieser Perspektive seltsam aus, ganz ungewohnt, die alten Gebäude von so weit unten zu sehen. Irgendjemand hat das Boot für uns mit Decken und einem Picknick-Korb ausgestattet, wir sonnen uns, lassen die Beine im Wasser baumeln, essen Kirschen und schnippen die Kerne in die Spree.

Ich könnte mich absolut daran gewöhnen. Schade, dass ich – Schwester Marianne sei Dank – heute Nachtdienst habe und wir abends zurückmüssen.

Aber letztlich bin ich es, die immer weiterfährt, ohne sich um die Zeit zu scheren. Als ich erschrocken feststelle, wie spät es schon ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Vollgas zur Klinik zurückzufahren. Als wir nahe dem St. Anna anlegen, ist es höchste Eisenbahn; in zehn Minuten fängt meine Schicht an.

Zwei davon brauche ich, um mich zu bedanken. Mit immer noch einem Kuss – bis ich rennen muss wie ein aufgescheuchtes Huhn. Aber, hey, ich bin noch nie mit dem Boot zum Krankenhaus gefahren. Ich könnte mich auch daran absolut gewöhnen.

Die Nachtschicht ist zum Glück ruhig. Ich bin auf der Inneren eingeteilt, aber Tobias ist nicht da. Was mir sehr angenehm ist, denn nach unserer letzten Auseinandersetzung weiß ich nicht recht, wie ich ihm begegnen soll. (Ich habe es ja nicht mal fertiggebracht, seinen verwirrenden Traum-Auftritt entschieden zu parieren.) Dienst hat Schwester Ines, sie hat sogar an meinen Geburtstag gedacht und vermacht mir einen Geranientopf. Ich habe nicht viel zu tun und trotzdem ist es nicht zum Einschlafen langweilig. Zur Krönung der geburtstagsmäßig-entspannten Schicht wartet Ruben in der Cafeteria mit einem Kuchen auf mich.

»Meine liebe Lena«, sagt er förmlich, »ich wünsche dir, dass du zeit deines Lebens Freunde wie mich haben mögest.«

Ich muss erst lachen. Dann begreife ich, dass dieser Wunsch möglicherweise etwas selbstgefällig klingt – aber dass ich mir tatsächlich kaum etwas Besseres wünschen könnte.

»Und jetzt blas die Kerze aus, der Kuchen wird kalt«, sagt Ruben wieder in normalem Ruben-Tonfall und umarmt mich endlich.

Der Kuchen schmeckt wunderbar, aber irgendwie seltsam. Ich erkundige mich nach den Zutaten und Ruben lächelt fein.

»Ich habe einen Brief verbacken.«

Wie bitte?

Er zuckt die Schultern, als wäre seine Antwort so normal wie Hefe. Oder was normale Menschen sonst so in Kuchen tun.

»Einen Brief von mir an dich«, erklärt er ungerührt. »In dem alles drinsteht, was ich mir für dich und deine Zukunft erhoffe. Schön klein gehackt – das war’s.«

Ich bin sprachlos. Ruben grinst. »Wie soll es denn wahr werden, wenn du es nicht verinnerlichst?«

Ich bezweifle die eigenwillige Backmischung noch mehrfach, doch er bleibt steif und fest bei seiner Behauptung. Und weil der Kuchen so gut ist und ich – selbst wenn ich nicht glauben kann, dass das wahr ist – mir doch nicht die winzige Chance entgehen lassen möchte, dass damit wirklich Rubens gute Zukunftswünsche auf mich übergehen, esse ich ihn auf.

Im Umkleideraum liegt ein Geschenk vor meinem Spind. Vorhin war es noch nicht da, jemand muss es während der Nachtschicht dort hingelegt haben. Die professionelle Papierfaltung und die geschlungene Schleife deuten darauf hin, dass es in einem Laden eingepackt wurde – ganz abgesehen von dem Berufsbekleidung Schneider-Aufkleber auf dem Papier.

Ich reiße, die Schneider’sche Einpackfachkraft möge mir verzeihen, das Packkunstwerk in der Mitte auf … und halte einen Kittel in der Hand.

Einen weißen Arztkittel.

Man muss PJlerin in den letzten Zügen sein, Examensanwärterin, um die Tragweite dieses Geschenks zu verstehen.

Für die mündliche Prüfung braucht man einen Arztkittel. Einen eigenen. Es wird erwartet, dass man derart angemessen gekleidet erscheint. Aber kaum jemand besitzt schon einen, denn kein PJler trägt seinen eigenen Kittel – nicht nur, weil es affig wäre, sondern weil jedes Krankenhaus nun mal einen eigenen Stil hat. Die Leihkittel des Krankenhauses, die wir hier jeden Tag getragen haben, sind in der Mündlichen allerdings nicht erlaubt. Die meisten Prüflinge kaufen sich daher extra einen für diesen Anlass – den sie nie wieder brauchen werden, vorausgesetzt, sie bekommen eine Anstellung. Dann werden sie nämlich wieder die Kittel tragen, die das jeweilige Klinikum ihnen stellt und ihre eigenen höchstens aus Nostalgie noch mal anziehen.

Es ist also ein Prüfungs-Kittel. Einer zum Aufheben. Und er passt wie angegossen.

An der Brusttasche ist etwas eingestickt. Weissenbach steht da. Ein Stück eingerückt. Davor ist ein bisschen Platz. Gerade genug für zwei Buchstaben und einen Punkt.

Ich drehe mich in meinem neuen Kittel vor dem kleinen Spiegel und sage einmal schnell: »Guten Tag, sehr geehrte Prüfungskommission, mein Name ist Lena Weissenbach. Und nun stellen Sie ruhig Ihre Fragen«. Weil ich so professionell aussehe, dass man mir das Bestanden einfach geben MUSS. Was soll ich sonst werden?! Ich bin für diesen Kittel gemacht.

In den Papierfetzen auf dem Fußboden leuchtet ein andersfarbiger Zettel, den ich angesichts der Schleifenkunst und in meiner Neugier übersehen haben muss.

Ich hebe ihn auf. Und erkenne die Schrift. Nicht, dass es noch Zweifel gegeben hätte, wem ich dieses Geschenk verdanke.

Er hat nie viele Worte gemacht. Alles Gute, T, steht da einfach, mehr nicht.

Alles Gute. Für mein neues Lebensjahr, die Prüfung, für mich.

Es braucht auch nicht mehr Worte.

Ich spaziere in meinem Kittel durch die Straßen nach Hause; mit meiner Geranie auf dem Arm sehe ich sicher aus wie der verrückte Professor – aber es ist mir vollkommen egal, ob die Spätsommernachtspassanten mich seltsam ansehen.

Ich kann nicht sagen, ob ich mich über irgendein anderes Geschenk heute so sehr gefreut habe wie über diesen Kittel. Denn er bedeutet: Ich werde Ärztin. Eine, die einen Kittel braucht. Auch wenn der nur einen einzigen Tag getragen werden sollte und danach als Erinnerung im Schrank hängt, bis ich meine eigene Praxis eröffne.

Tobias glaubt daran.

Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern
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