KAPITEL 3

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Erst als Ryu mir sagte, wir seien zu Hause angekommen, öffnete ich wieder die Augen. Ich hatte sie zugekniffen, als wir den Storrow Drive erreichten und Ryu einfach die lachhafte Geschwindigkeit übersprungen hatte und direkt in wahnsinniges Karacho übergegangen war.

»Jane, Schatz, alles okay?« Der kleine Mistkerl grinste mich unschuldig an.

»Ihr dürft auch rauchen«, murmelte ich, als mir Ryu aus dem Wagen half.

»Hä?«

Ich schüttelte den Kopf. »Spaceballs. Vergiss es.«

»Ah. Wie auch immer, willkommen zu Hause.«

Wir befanden uns im Bostoner Viertel Bay Village und blickten auf ein bezauberndes Backsteinhaus mit einer marineblauen Eingangstür und ebensolchen Fensterläden. Es sah aus wie eine Miniaturversion eines der prächtigen Stadthäuser, die wir in Beacon Hill gesehen hatten.

»Ryu«, seufzte ich. »Es ist wunderschön.« Und das war es auch. Die ganze Straße war wunderschön. Kleine, von Bäumen gesäumte Gehwege schlängelten sich an weiteren Häuschen vorbei, deren Türen und Fensterläden alle in unterschiedlichen Farben gestrichen waren. Einige hatten Kästen an den Fenstern, in denen im Frühjahr sicher Blumen blühten. Alles war klein und perfekt und gepflegt; Bay Village stellte eine kleine Oase der Ordnung mitten im Zentrum von Boston gleich neben dem herrlichen Chaos von Chinatown dar.

»Ich mag das hier«, stimmte er mir zu und sah zufrieden aus. Und irgendwie raubtierhaft, dachte ich, als er mich bei der Hand nahm und weiterzog. »Deinen Koffer hole ich später, außer du brauchst ihn gleich…« Ich schüttelte den Kopf. Schließlich konnten wir nicht zum unartigen Teil übergehen, solange wir noch nicht durch die hübsche Tür getreten waren, und ich war genauso erpicht darauf, ins Haus zu kommen, wie Ryu.

Als wir über die Schwelle traten, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich endlich in Ryus Boston war. Ich konnte nicht glauben, dass ich, nachdem ich ihn nun schon monatelang auf so intime Weise kannte, keine Ahnung hatte, wie er lebte.

Warmes Sonnenlicht durchflutete das Stadthaus: Die Wand gegenüber des Eingangs bestand komplett aus deckenhohen Fenstern, nur unterbrochen von gläsernen Flügeltüren, die zu einem Garten führten, den sich die benachbarten Häuser teilten. Die Wände von Ryus Zuhause waren in einem weichen Weiß gestrichen, aber ich konnte auch einige Wände sehen, die Akzente in dunkleren Farbtönen wie Graubraun oder Maulwurfsgrau setzten. Ich registrierte viel Leder und Chrom und tonnenweise Technikkram. Ein Flachbildschirm nahm fast die gesamte Wand gegenüber von einem vom Bauhausstil inspirierten Sofa und einigen Sesseln ein, die den Wohnbereich zur Linken dominierten. Direkt vor uns befand sich der Essbereich. Der Tisch aus Glas und Chrom glänzte im weichen Licht. Rechts von uns war eine traumhafte, offen angelegte Küche, ganz in dunklem Granit gehalten, mit glänzenden, schwarzen Lackschränken und schimmernden dunklen Küchengeräten. Eine riesige Granitinsel teilte die Küche vom Wohnbereich ab. Das warme Sonnenlicht, das von draußen hereinfiel, ließ Ryus Haus noch mehr wie ein Hollywood-Filmset aussehen. Alles war perfekt – geschmackvoll, glänzend und aufeinander abgestimmt –, und alles strahlte Männlichkeit und Geld aus.

Ryu umarmte mich von hinten, seine Lippen berührten mein Ohrläppchen. Er saugte zärtlich daran, und ich schmolz tiefer in seine Arme, bevor er schließlich fragte:

»Gefällt’s dir, Miss True?«

»Es ist fabelhaft, Ryu«, antwortete ich, neigte meinen Kopf und hob meine Wange ein wenig, so dass mein Ohr wieder seine Lippen streifte. Er tat mir den Gefallen und knabberte erneut sanft daran.

»Komm rein, und fühl dich wie zu Hause«, sagte er, als er mich losließ und in die Küche ging. Ich folgte ihm und ließ im Vorbeigehen meine Hand über das wunderschön gealterte Leder des Sofas gleiten. Es war wahrscheinlich nicht nur vom Bauhausstil inspiriert, sondern tatsächlich Bauhaus.

Ryu holte eine Flasche Champagner aus einem eingebauten Weinkühler neben dem eigentlichen Kühlschrank. Ich entschuldigte mich und ging ins Badezimmer, das ich neben der Küche erspäht hatte, direkt unter der Treppe ins obere Stockwerk. Es war komplett aus Marmor und Chrom, natürlich mit einer unglaublichen Designertoilette, über die ich kichern musste, allerdings nur solange, bis ich schließlich eine halbe Ewigkeit brauchte, um herauszufinden, wo an dem verdammten Ding die Spülung war.

Als ich mir die Hände wusch, hörte ich schon den Korken knallen, und als ich die Badezimmertür öffnete, hatte Ryu bereits zwei Champagnerflöten gefüllt. Auf der Kücheninsel lockte mich eine Schale voll mit sexy roten Erdbeeren.

»Auf dich, Jane, und auf den Valentinstag. Dieses romantischste von allen Massakern«, sagte Ryu, nachdem er mir einen der Kelche überreicht hatte. Ich erhob mein Glas, und wir stießen miteinander an.

»Und auf dich, Ryu. Danke für alles«, fügte ich hinzu.

Wir tranken einen Schluck, und Ryus Augen ließen die ganze Zeit über nicht von mir ab. In der Sekunde, in der wir unsere Gläser abgestellt hatten, hielt er mich auch schon in den Armen.

»Ich habe mir so oft ausgemalt, dass du hier bei mir bist«, flüsterte er und küsste mich auf die Wange, meine Stirn und die Augenlider. Ich schmiegte mich in seine Arme und ließ meine Lippen von seinen finden. Unser Kuss war ohne Eile, behutsam und – ganz anders als unsere lüsternen öffentlichen Liebesbekundungen am Flughafen – ein Kuss der Verheißung, ein Kuss, der versprach, dass wir das ganze Wochenende hatten und nichts überstürzen mussten.

Ein Versprechen, das ich ungeniert ignorierte, indem ich meine Hände hob und meine Fingerspitzen über den teuren Stoff seines Hemdes gleiten ließ, bis hinunter zu seiner Gürtelschnalle. Aber bevor ich richtig zur Sache kommen konnte, gab Ryus Handy einen Klingelton von sich, der wie eine Sirene klang.

»Mist!«, fluchte er und löste sich von mir. Er blickte hinunter zu meiner Hand, die sich nur noch knapp über seiner Leistengegend befand. » Verdammt … «, fügte er noch hinzu. »Da muss ich rangehen; es ist einer meiner Mitarbeiter. «

Ich zuckte seufzend mit den Schultern und ließ von seinem Gürtel ab. Ryu war die übernatürliche Version eines Detectives, ein magischer polizeilicher Ermittler sozusagen, und ich wusste, er musste seiner Arbeit nachgehen.

»Ja?«, sagte Ryu leicht gereizt in sein Handy und ging zielstrebig auf die Tür zu, die aus der Küche führte. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein chaotisches Büro, bevor sich die Tür schroff vor meiner Neugier verschloss.

Ich trank den Rest meines Champagners, der mir auf direktem Weg ins Gehirn zischte. Während er dort oben lustig vor sich hin perlte, erinnerte er mich auch daran, dass der ungelegene Anruf mir die Gelegenheit gab, die andere Sache zu tun, die ich schon seit dem Moment, als ich über Ryus Schwelle getreten war, tun wollte. Herumschnüffeln … Also beschloss ich, sofort zur Tat zu schreiten, und fing damit gleich in der Küche an. Was total witzig war. Nicht etwa, weil sie gar nicht so beeindruckend war, wie sie vom Eingang aus gewirkt hatte. Es war wirklich alles hochmodern, aber der Grund, warum alles so glänzte, lag darin, dass alles noch so gut wie unbenutzt war. Ryu hatte die Plastikhüllen um den Backrost im Ofen nicht entfernt, und der Weinkühler war zwar voll, der Kühlschrank dafür praktisch leer bis auf Bier, Bananen, Speck und Brot.

J für Junggeselle!, gluckste mein Hirn, als ich anfing, in den Küchenschränken herumzuwühlen.

Auch darin war alles supermodern, teuer und völlig unbenutzt. Echt edle Messer steckten in einem teuren Messerblock, und bei allen außer dem größten waren die Griffe noch immer originalverpackt. Eine Salatschleuder befand sich noch immer in ihrer Schachtel, und ein Schmortopf von Le Creuset war immer noch zugeklebt, wie frisch aus der Fabrik. Ryu besaß eine gut benutzte Mikrowelle, einen Espressokocher, einen Mixer und einen Toaster auf der Arbeitsplatte, aber sonst gab es keine Geräte. Und abgesehen von Geschirr und Gläsern waren die Schränke praktisch leer, genauso wie die Schubladen. In einer war Besteck, in einer anderen befanden sich Geschirrtücher, und eine letzte enthielt etwa hundert Speisekarten von Essenslieferdiensten.

Ich hörte Ryu mit gedämpfter Stimme hitzig debattieren. Ich konnte zwar nicht verstehen, was er sagte, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das Gespräch bald zum Abschluss kommen würde, also machte ich weiter und ging in den ersten Stock hinauf.

Links vom Treppenabsatz entdeckte ich einen Raum, bei dem es sich wohl um ein Gästezimmer handelte. Er sah aus wie ein luxuriöses Hotelzimmer – einladend und unpersönlich zugleich. Dann gab es da noch ein Gästebad, das klein, aber ebenso luxuriös war. Demzufolge musste sich hinter der letzten Tür, der geschlossenen, wohl Ryus Schlafzimmer befinden. Ich drückte vorsichtig die Klinke hinunter und schob die Tür auf.

Es gab weder Sexschaukeln, Stripstangen oder Spiegel an der Decke. Und doch, genau wie der Mann, der sich hier sein Zuhause eingerichtet hatte, verströmte das Zimmer Sinnlichkeit pur. Erstens – das Bett war riesig. Es war wie ein Spielfeld und dominierte den ganzen Raum. Und abgesehen von zwei Nachttischen, einem niedrigen Sekretär und einem kleinen Sessel gab es im Schlafzimmer keine weiteren Möbel. Weder einen Fernseher, um abends Talkshows anzusehen, noch einen Bücherschrank für nächtliches Schmökern. Die Anordnung der Möbel sprach klar dafür, dass es in diesem Raum in erster Linie um das Bett ging und alles, was sich darin so abspielen konnte.

Vielleicht ist die Sexschaukel ja im Schrank, murmelte meine Libido hoffnungsvoll, als ich meinen Kopf durch die Flügeltür steckte, die vom Schlafzimmer abging. Der unglaublich organisierte begehbare Kleiderschrank diente als Schaukasten für Ryus einwandfreien Geschmack, aber auch dort befand sich keine Sexschaukel – sehr zur Enttäuschung meiner Libido. Die andere Tür indessen führte in ein ganz erstaunliches Badezimmer. Vergiss die Sexschaukel, schnurrte die Libido beeindruckt von der Dusche aus Granit mit einer Fülle von Wasserhähnen und Düsen und sogar einer Sitzgelegenheit. Ich war nicht allzu überrascht, dass in Ryus Welt sogar Badezimmer auf Sex ausgerichtet waren.

Ich schloss die Badtür wieder und kehrte zum Bett zurück. Dort angekommen, musste ich kichern, denn die Bettwäsche war aus schwarzem Satin. In Antonia S. Byatts Roman Besessen sieht die leicht verklemmte englische Heldin, wenn sie an ihren verrufenen Ex-Geliebten Fergus Wolff denkt, ein zerwühltes Bett mit Laken wie »Eischnee«. Inspiriert von Byatt, hatte ich bei Ryu immer an schwarze Satinbettwäsche gedacht. Und hier war sie also, in ihrer ganzen Playboy-Pracht.

Ich schlüpfte aus meinen alten, grünen Chucks und streckte mich auf dem Bett aus, um mich nach dem langen Reisetag und dem Stress von Ryus Kamikazefahrstil zu erholen. Doch meine Neugier war noch nicht befriedigt – nachdem ich einen Moment gelauscht hatte, um sicherzugehen, dass Ryu sich nicht anschlich, öffnete ich die Schublade des rechten Nachttisches. Sie enthielt vier lange Seidenschals und eine seidene Augenbinde, noch immer mit den Preisschildern versehen. Ich kicherte erstaunt; der Anblick der schwarzen Seide kitzelte mein Zwerchfell und brachte meine Tasten zum Klimpern. Der Vampir stand darauf, mich zu fesseln, und obwohl ich mich absolut nicht darüber beschweren konnte, hatte ich ihm doch schon des Öfteren damit gedroht, einmal zu analysieren, was Freud wohl dazu sagen würde. Irgendwie war ich mir nie ganz sicher, dass er nur Spaß machte, wenn er sagte, eines Tages werde er mich nicht mehr losbinden.

Aber bisher hatte es jedes Mal, wenn ich ihn auf der Couch hatte, nur damit geendet, dass wir Sex hatten. Man brauchte wirklich keinen Doktor in Psychologie, um bei uns beiden Probleme mit der Impulskontrolle zu diagnostizieren. Wenn wir zusammen waren, waren wir wie zwei Kinder im Süßwarenladen, und ich genoss es.

Neben der Lampe auf dem anderen Tischchen stand einer dieser elektronischen Bilderrahmen, der digitale Bilder anzeigen konnte. Ich knipste ihn an, und zu meinem Erstaunen sah ich mich, wie ich auf den Stufen von Notre-Dame de Québec meine Zunge in die Kamera streckte. Das nächste Bild war von mir und Ryu, wie wir grinsend unsere Gesichter aneinanderschmiegten. Dann war da noch ein schönes Schwarz-Weiß-Foto von einer schlafenden Frau, die mit nacktem Rücken zur Kamera dalag, ein Laken bedeckte ihre Hüfte. Erst nach einer Schrecksekunde begriff ich, dass es sich auch dabei um mich handelte. Schnell schaltete ich den Rahmen wieder aus. Ich fühlte mich unbehaglich, obwohl es Bilder waren, von denen ich – abgesehen von dem einen, das mich schlafend zeigte – wusste, dass sie aufgenommen worden waren. Ich kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich nach der Schublade des zweiten Nachttischs griff.

Bis auf wahllosen Kram wie zum Beispiel eine kaputte Armbanduhr war sie leer. Ryus Krimskramsschublade war das erste Anzeichen dafür, dass hier jemand aus Fleisch und Blut lebte und kein skrupelloser Bilderbuchgigolo.

Ich schob die Lade wieder zu und ließ mich lächelnd zurück in die Kissen sinken. Es fühlte sich gut an, hier zu sein und zu sehen, wie Ryu lebte, wenn ich nicht da war. Ich drehte den Kopf, um mich in die Kissen zu kuscheln, die köstlich nach Ryu dufteten. Dann rollte ich mich auf die Seite und streckte die Hand nach dem Wecker auf dem Nachtkästchen aus, um nachzusehen, wie spät es war. Dabei stieß ich gegen das altmodische Telefon mit Wählscheibe, das protzig und stolz auf dem Tischchen thronte, und ein unscheinbares Adressbuch, das darunter gelegen hatte, kam zum Vorschein.

Es war schwarz. Ich redete mir selbst ein, dass dieses Szenario einfach zu bescheuert klischeehaft sei. Dieses Ding konnte unmöglich Ryus »kleines schwarzes Buch« sein.

Schweren Herzens und mit zitternden Händen griff ich danach.

Tu das nicht, Jane, warnte mich mein Kopf weise. Dir wird nicht gefallen, was du siehst.

Aber ich konnte mir ebenso wenig verkneifen nachzusehen, was sich in diesem Buch befand, wie bei einem Verkehrsunfall zu gaffen.

Die Seiten des Buches waren mit Ryus ordentlicher, sachlicher Handschrift gefüllt. Wie ich es geahnt hatte, standen dort Namen und Telefonnummern. Und es gab sogar die Vampirversion einer Art Sexrangliste, die so ähnlich auch von einem menschlichen Mann hätte stammen können. Doch statt die besonderen sexuellen Vorlieben und Merkmale der Mädchen aufzulisten, zielte Ryus Bewertungssystem darauf ab, wie empfänglich die Frauen für seine Aura waren (einige Menschen waren nämlich resistenter dagegen als andere), wie viel Elixier sie von Natur aus im Blut hatten (wenig, mittel oder viel) und auf ihre Blutgruppen.

Ich schloss die Augen und ließ das Buch auf meine Brust sinken.

Meine Güte, dachte ich. Stehe ich da etwa auch drin?

Mit zitternden Fingern blätterte ich zum Buchstaben T. Obwohl es dort durchaus einige Eintragungen gab, war keine Jane True darunter. Nur um ganz sicher zu sein, suchte ich auch unter J. Aber auch dort war ich nicht aufgelistet.

Ich klappte das Büchlein zu und versteckte es wieder unter Ryus Telefon. Mir war plötzlich schrecklich kalt. Ich vergrub mich unter der schwarzen Satinbettdecke und rollte mich zusammen.

In dem Buch stand nichts, was ich nicht sowieso schon gewusst hatte, aber es schwarz auf weiß vor mir ausgebreitet zu sehen, machte Ryus Leben ohne mich um so viel realer als bisher. Ich war nur dankbar, dass ich nicht meinen eigenen Namen unter all den anderen hatte entdecken müssen.

Diese Liste ist nichts anderes als die Schublade mit Lieferessenmenüs in seiner Küche, machte ich mir klar. Ich wusste nicht, ob ich mich dadurch besser oder schlechter fühlte.

Eine Etage tiefer konnte ich noch immer das Murmeln von Ryus Stimme hören. Mit geschlossenen Augen ließ ich die Wärme von Ryus Bett langsam in meine Haut dringen, auch wenn mir tief drin immer noch kalt war. Ich wünschte, ich könnte einfach einschlafen, aber ich war niemand, der tagsüber schlief, obwohl ich ziemlich erledigt war von der langen Reise, vom frühen Aufstehen und vom späten Schwimmen am Abend zuvor. Ganz zu schweigen davon, dass ich in diesem Moment alles für das süße Vergessen des Schlafes gegeben hätte, das mich von meinen fieberhaften Gedanken erlösen könnte.

Ironischerweise war das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, dass ich mir wünschte, tagsüber schlafen zu können.


Ich versuchte die Maus zu verjagen, die auf meinem Bauch herumkletterte, aber sie war hartnäckig. Und dann fing das Vieh auch noch an, mein Oberteil hochzuziehen, und plötzlich merkte ich, dass ich mich nicht mehr in Rockabill befand, in meinem weißen Holzbett aus Kindertagen und der tadellosen Baumwollbettwäsche, sondern in einem Boudoir aus schwarzer Seide voller vampirischer Möglichkeiten.

Und besagter Vampir beugte sich über mich, fuhr mit seiner Hand über die sanfte Wölbung meines schlafenden Bauches und schob mir das T-Shirt über den Busen hoch. Seine warme Zunge fand meinen Nabel und wanderte weiter nach oben, zog mich mit sich ins volle Bewusstsein. Meine Nippel reckten sich ihm entgegen, als er schließlich die Körbchen meines BHs beiseiteschob. Liebevoll erwiderten seine Lippen ihren Gruß, indem er nacheinander an ihnen saugte und mich damit zum Keuchen brachte.

»…viel besser als ein Wecker«, seufzte ich, während mein Hirn sich noch bemühte, mit meinem Körper Schritt zu halten.

Ryu löste sich von meinen Brüsten, die sich ihm bereitwillig entgegenbäumten, und schmiegte sich eng an mich, seine Lippen dicht an meinem Ohr.

»Hast du gut geschlafen?«, raunte er.

»Mmm«, war alles, was ich darauf erwidern konnte, und ich kuschelte mich an seine muskulöse Brust. »Wie lange habe ich geschlafen?«

»Zwei Stunden«, sagte er. »Du sahst zu süß aus, da wollte ich dich nicht wecken.«

»Wow, sorry. Ich schlafe eigentlich nie tagsüber. Du hättest mich wecken sollen.«

Er wollte eigentlich leise kichern, doch da er Ryu war, klang es eher wie ein wiehernder Esel. Ich schmolz sofort dahin – Ryus Lachen war das einzig nicht Weltmännische an ihm, und ich liebte es. Dann fiel mir das kleine schwarze Büchlein wieder ein, das wie eine Zeitbombe unter dem Telefon gleich neben mir lauerte, und mein Bauch zog sich krampfartig zusammen.

»Ich will, dass du für heute Abend gut ausgeruht bist, Miss True«, sagte Ryu schelmisch. Ich konzentrierte meinen Blick auf seinen schönen Mund, rief mir in Erinnerung, dass ich von vornherein gewusst hatte, was er war; sagte mir, dass ich ziemlich sicher sein konnte, was wir füreinander waren, und machte mir klar, dass es nicht fair wäre, wenn ich jetzt durchdrehte, nur weil er Blut saugte. Das wäre schließlich so, als würde ich ausflippen, weil ein Diabetiker sich Insulin spritzte.

Nur dass Insulin nicht frech wird, wies mich meine innere Zynikerin mit ihrer trockensten Stimme hin.

Ich brachte meine passiv-aggressive Ader zum Schweigen, indem ich mir klarmachte, dass ich nun zwei Möglichkeiten hatte: Ich konnte Ryu entweder damit konfrontieren und ein Gespräch vom Zaun brechen, von dem ich nicht sicher war, ob ich es führen wollte, oder ich konnte mir diese Diskussion für einen anderen Zeitpunkt aufheben. Vorzugsweise einen, der nicht mit dem Valentinstag zusammenfiel.

»Entspann dich, Süße«, befahl mir meine Libido. Sie wollte ganz offensichtlich nicht, dass irgendetwas ihr romantisches Wochenende störte.

»Und außerdem, wenn ich dich schlafen sehe, steht bei mir immer etwas auf…«, sagte Ryu, als hätte er die geheimen Wünsche meiner Libido gehört. Also versuchte ich es beiden Parteien recht zu machen, indem ich meine Hüfte probeweise an Ryus Leistengegend hin und her bewegte, nur um die Reaktion zu testen. Ich wurde nicht enttäuscht.

»… aber wir haben eine Reservierung zum Abendessen und müssen uns beide noch umziehen. Also hör damit auf, aargh«, sagte er und benutzte für den letzten Satz seine Piratenstimme. Ryu gab einen großartigen Piraten ab und brachte mich damit immer zum Kichern.

»Können wir die Reservierung nicht verschieben?«, fragte ich und weigerte mich, mit meinen Verführungsversuchen aufzuhören. Wenn Ryu mit mir herumalberte, sexy und frech war, vergaß ich alles andere, sogar dieses bescheuerte schwarze Büchlein.

»Nein, tut mir leid…« Ryu wirkte gequält. »Ich habe es geschafft, uns einen Tisch in dem einen Restaurant von Boston zu besorgen, von dem sogar ich mich einschüchtern lasse. Es ist nicht nur der Ort, an dem man zurzeit in Boston gesehen werden muss, sondern es wird auch noch von einer Gorgo geleitet, vor der sogar ich mir offen gestanden in die Hosen mache. Also halt ein und lass von mir ab, Frau!«

Ich hielt weder ein noch ließ ich von ihm ab. Als Ryu klarwurde, dass ich nicht von selbst aufhören würde, drückte er meine Hüfte schließlich weg, wobei er ganz kurz seine übernatürliche Kraft durchblitzen ließ. Ich erschauderte; ich liebte es, wenn er mir gegenüber auf Alphamännchen machte.

Als er meine Erregung spürte, färbten sich seine Augen sofort dunkel, und er starrte mich mit neuer Intensität an. Schon traten seine Fänge hervor, und ich wusste, was er jetzt brauchte.

»Wie wär’s mit einem kleinen Aperitif?«, flüsterte ich, und meine Stimme klang dabei sogar in meinen eigenen Ohren ganz zahm.

Ryu lächelte, aber seine Augen blieben hart. Er zog mich an sich, sein Mund traf auf meinen, und seine Hand fand erneut meine Brust. Mit den Fingern streichelte er meine Nippel erst und kniff dann hinein. Als Reaktion darauf straffte sich mein ganzer Körper.

»Kleines Biest…«, raunte er. Seine Lippen berührten sanft meinen Hals, und seine Hand wanderte über meinen Bauch nach unten bis an den Bund meiner Jeans. Er knöpfte sie energisch auf, und seine hitzige Zunge brandete wellenartig an meine Pulsschlagader. Ich wusste, dass sie »brandete« – definitiv das Wort des Tages –, denn ich hatte alles darüber in meinen Fantasyschnulzen gelesen.

Der Atem entwich zischend aus meinen Lungen, als seine Hand in mein Höschen glitt und mich bereits ganz feucht vor Verlangen vorfand. Er stöhnte zufrieden und ballte eine Faust in meiner Unterwäsche, so dass sich der enge Stoff meiner Kleidung dehnte und er mehr Platz hatte zu agieren.

Der Mann ist ein wahrer Künstler, dachte ich, gerade als er zwei Finger in mich hineingleiten ließ und meine zusammenhängenden Gehirnaktivitäten zum Verstummen brachte.

Ich war so scharf und so bereit, aber Ryu spielte auf Zeit. Minuten später keuchte ich seinen Namen, und als er dann noch seinen Daumen ins Spiel brachte, direkt an meinem süßen Punkt, bäumte ich mich ihm entgegen, und als er mich biss, schrie ich beinahe auf, weil ich es vor Lust kaum mehr aushielt. Ich konnte mich nur noch von den Wogen meiner Empfindungen forttragen lasssen, die drohten, mich aus meinem Körper hinaus und direkt zum Orgasmus zu spülen.

Als ich wieder auf die Erde zurückkehrte, waren Ryus Finger noch immer in mir und genossen die Nachbeben, die meine Muskeln erschütterten, während seine Zunge bereits die tiefen Bisswunden an meinem Hals heilte.

»Du?«, hauchte ich kaum verständlich. Aber Ryu verstand.

»Später«, erwiderte er. »Das war mehr als genug für den Moment.«

Er küsste mich zärtlich, und ich konnte noch den kupferartigen Geschmack meines Blutes auf seinen Lippen schmecken.

»Geh schon mal duschen; ich hole dir deinen Koffer«, sagte er schließlich und löste seine Hände von mir.

»Komm doch auch«, lockte ich ihn und freute mich an meinem Wortspiel.

Er runzelte die Stirn. »Lass das, Jane. Ernsthaft, sie ist eine Gorgo. Sie hat einen Senator abgewiesen und die Reservierung einer schwangeren Jungschauspielerin verschoben, um mir diesen Tisch zu geben. Wenn wir nicht absolut pünktlich erscheinen, macht sie mich kalt.«

Ich stöhnte.

»Bitte, wenn du so stöhnst, kann ich mich nicht zurückhalten. Und wenn ich erst mal mit dem Vögeln angefangen habe, dann kann ich nicht mehr aufhören, und dann kommen wir zu spät, und die Gorgo macht mich fertig. Habe ich schon erwähnt, dass sie mich fertigmachen wird? Und dann können wir nie wieder vögeln, und dann hast du etwas, worüber du wirklich stöhnen kannst.«

Ryu wusste verdammt genau, dass man mit Humor in meiner Welt einfach jedes Gefühl überwinden konnte, sogar Lust. Ich musste lachen. Er half mir hoch und bugsierte mich ins Badezimmer.

Unterdessen legte ich mir die verschiedenen Arten zurecht, auf die ich ihn später fertigmachen würde. Und er hatte Angst vor einer kleinen Gorgo, dachte ich und fragte mich, was genau Iris mir aus meiner Schmuddelschublade in den Koffer gepackt hatte. Das Spiel ist eröffnet, Dracula. Ich wackelte mit den Augenbrauen, während ich meinem Vampir hinterhersah, der meinen Koffer holen ging.

Na warte, Vlad der Pfähler, ich werd’s dir schon zeigen…