20 Baby, wein doch nicht

Nach einiger Zeit hatte Nadia einen weiteren bedeutsamen Traum: Sie saß in ihrem Schlafzimmer in Deutschland. Sie war nicht alleine. Mit einem überwältigenden Gefühl tiefster Liebe hielt sie ihren neugeborenen Sohn im Arm. Er war das süßeste Baby, das sie je gesehen hatte.

Dieser Traum war von solcher Intensität, dass sie nach dem Aufwachen davon überzeugt war, wirklich Mutter geworden zu sein. Als sie ihr Baby jedoch nirgends finden konnte, war sie geschockt. Erst nach einigen Momenten realisierte sie, dass alles nur ein Traum gewesen war.

Tief im Innern fühlte sie, dass es sich nicht um einen Traum symbolischer Natur gehandelt hatte, welcher ihr womöglich ein neues Projekt ankündigen wollte, wie dies manch ein Traumdeuter interpretieren würde. Nein, sie war sich sicher, dass es sich um einen voraussehenden Traum gehandelt hatte. Sie machte sich Sorgen. Sie hatte ihr Baby in jenem Traum geliebt und alles war so real und schön gewesen. Nach dem Traum war ihr allerdings klar geworden, dass Romeo niemals ein guter und verlässlicher Vater für ihr Kind hätte sein können. Deshalb wandte sie sich insgeheim an ihr ungeborenes Baby:

„Ich weiß, dass du kommen willst und ich hätte dich wirklich gern, aber bitte geh‘ noch einmal nach Hause. Bitte komm‘ jetzt nicht. Er ist nicht der Vater, den du haben solltest. Er wird uns nicht glücklich machen, weder dich noch mich. Bitte. Vielleicht könntest du ja etwas später kommen?“ Nadia flehte die Seele regelrecht an, zur Quelle zurückzukehren, aus der sie gekommen war und sie merkte, dass ihre Bitte ankam. Die unbehaglichen Gefühle, die in ihr auf Grund der Traumbotschaft schwanger zu sein, hochgekommen waren, machten ihr klar, dass Romeo nicht der Mann ihres Lebens sein konnte.

Romeo fuhr mit ihr am darauffolgenden Tag wieder zu einem See. Sie nahmen ein angenehmes Bad im Sonnenschein. Als sie wieder von ihrem Ausflug zurück waren, ging es Nadia miserabel. Hohes Fieber verbunden mit extremen Schmerzen im gesamten Körper, und besonders im Unterleib, plagten sie. Der Schmerz wurde von Blut beim Wasserlassen begleitet. Sie konnte weder bequem stehen, noch sitzen oder liegen. Schüttelfrost paarte sich mit dem Gefühl eines nahenden Todes – ihres eigenen oder den ihres Babys. Als Anna nach zwei Tagen keine Besserung bezüglich Nadias Zustand feststellen konnte, machte sie sich Sorgen.

„Romeo, meinst du nicht, wir sollten Nadia ins Krankenhaus bringen? Ich habe Angst um sie. Sie sieht ganz und gar nicht gut aus und ihr Fieber will einfach nicht fallen. Vielleicht waren in dem See, in dem ihr gebadet habt, gefährliche Bakterien. Sie braucht unbedingt Medizin.“ Anna war sehr besorgt um Nadia, da sie wirklich in einem ernsthaften Gesundheitszustand zu sein schien. Sie wollte sie auf keinen Fall sterben sehen.

Nadia war in der Lage, Annas Worte trotz ihres halben Deliriums zu hören. Sie war sich jedoch sicher, dass die Schmerzen nicht mit dem Bad im See zu tun hatten, sondern vielmehr mit dem Abgang ihres Ungeborenen. Es war dabei, ihren Körper wieder zu verlassen und ihre Bitte zu erfüllen.

„Anna, Nadia ist stark. Ihr wird nichts zustoßen“, verharmloste Romeo Annas Bedenken, völlig unberührt von Nadias miserablem Zustand.

Seine Aussage beruhigte seine Schwester bei weitem nicht. Sie bestand darauf, Nadia von einem Arzt untersuchen zu lassen. Auf dem Weg zum Krankenhaus, versuchte Romeo krampfhaft, einen Weg zu finden, um die ärztliche Untersuchung zu umgehen.

Romeo hatte zwar kein Wort darüber verloren, aber in jener Nacht, als Nadia den Traum von ihrem Sohn geträumt hatte, war ihm genau dasselbe wiederfahren. Zusätzlich hatte ihm sein Freund Luzifer noch etwas mit auf den Weg gegeben:

„Sie wird erkranken. Bring sie nicht ins Krankenhaus. Die Ärzte würden sie untersuchen und herausfinden, dass sie schwanger ist. Sie wird ein Baby von dir nicht wollen und etwas unternehmen. Ganz gleich, wie krank sie auch aussehen mag, bring sie bloß nicht dorthin. Dieses Baby ist dein Ticket nach Europa. Wenn ihr dann dort angekommen seid, wirst du mir gebührenden Dank erweisen, und mir das Neugeborene schenken. Du weißt schon, was ich meine.“

Als sie beim Krankenhaus angekommen waren, war dieses brechend voll. Romeo ließ etwas Zeit verstreichen, bevor er anfing, den Ungeduldigen zu spielen, um sein Ziel zu erreichen.

„Lasst uns gehen. Hier sind doch viel zu viele Leute“, sagte er zu den beiden.

Anna konnte es nicht fassen, dass ihr Bruder so kaltherzig war.

„Es wird Stunden dauern, bis wir dran kommen. Außerdem wird die Untersuchung teuer sein. Das Geld können wir uns sparen“, sagte er mit eiskalten Worten.

Nadia war traurig über seine Gleichgültigkeit ihr gegenüber und entschied, den Dingen von nun an ihren Lauf zu lassen. Wenn es eben schon für sie an der Zeit war, auf die andere Seite jenseits dieser Welt zu wechseln, würde sie sich nicht widersetzen.

„Geld ist ihm wichtiger als ich und dann dreht es sich ja auch noch um mein eigenes. Für ihn habe ich Guarinhia aufgegeben und er führt mir nahezu tagtäglich vor Augen, dass es das nicht wert war“, dachte sie.

Ganze fünf Tage dauerte es, bevor sich eine Besserung ihrer Verfassung einstellte. Sie schlief rund um die Uhr. Dann ließen die Schmerzen schließlich nach, wenigstens die körperlichen. Sie war so traurig wie nur möglich über Romeos Verhalten. Die Wahrheit, dass er nicht der Mann ihres Lebens sein konnte, war ihr förmlich ins Gesicht gesprungen.

Nach alledem hatte sie noch einen letzten, kleinen Funken Hoffnung übrig. Es fiel ihr unglaublich schwer, diesen Mann aufzugeben. Aber zumindest hatte sie nun die innere Gewissheit darüber, dass ihr Ungeborenes ihren Wunsch erfüllt hatte. Sie wusste, dass sie nicht mehr schwanger war.