10 Drei Worte

Der Besuch beim Wasserfall hatte sie etwas entspannt und sie kehrte in die Gärten der Villa zurück. Als sie eine Weile die Weiten des Himmels betrachtet hatte, hörte sie, wie jemand zu ihr sprach:

„Hey Nadia, wie geht’s dir?“ Es war Miguel. Ihr Herz stockte für einen Moment.

„Gar nicht gut“, antwortete sie.

Seine Haltung verriet ihr, dass er eigentlich mit diesem lässigen Spruch an ihr vorbeigehen wollte. Doch nach ihrer überraschenden Antwort blieb er stehen.

„Was hast du denn? Warum geht’s dir nicht gut?“

„Willst du es wirklich wissen?“, fragte sie ihn.

Er setzte sich neben sie auf das Mäuerchen:

„Natürlich möchte ich es wissen“, antwortete Miguel.

„Miguel, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt“, kam sie ganz entgegen ihrer Gewohnheit, sich erst einmal bedeckt zu halten, direkt zur Sprache.

Miguel schluchzte.

„Ich dachte, du bist mit dem Brasilianer zusammen. Hab‘ euch doch gestern auf der Party zusammen gesehen. Ihr habt euch sogar ein Getränk geteilt und seid gemeinsam gegangen“, sagte er.

Ihr Herz schmerzte stärker denn je.

„Nein, so ein Quatsch. Da ist gar nichts zwischen uns“, flunkerte sie ihn an.

Würde sie jetzt die Wahrheit sagen, würde sie ihn sicherlich für immer und ewig verlieren, dachte sie sich. Sie hatte die Gesetze der spirituellen und manifesten Welt noch nicht verinnerlicht und dachte fälschlicher Weise, sie könnte eine Situation mit einer Notlüge retten. Doch Lügen führen nie zur Wahrheit des Herzens. Ganz im Gegenteil, sie fügen dem Herzen nur Schmerzen zu.

„Was können wir machen?“, fragte er sie ratlos. Sie spürte, dass er auch Gefühle für sie hatte.

„Wir dürfen uns hier nicht näher kommen, die Regeln verbieten dies doch“, erklärte Miguel ihr sein Zögern.

Er wollte wahrhaftig auf seiner spirituellen Reise vorankommen, genauso wie Nadia. Und anstelle auf Abwege zu geraten, was Nadia bereits passiert war, war er gewillt, die Regeln jenes besonderen Ortes, Guarinhia, strikt zu befolgen.

„Wir könnten uns in den Arm nehmen“, erwiderte sie auf seine Frage hin.

Dies taten sie dann auch, doch kurz drauf entschuldigte er sich und sagte, er müsste weiter, da seine Freunde auf ihn warteten. Ganz traurig blieb sie zurück, ohne jegliche Reaktion seinerseits auf ihr Liebesgeständnis. Sie befand sich im völligen Gefühlswirrwarr.

Nachmittags liefen sich die beiden wieder über den Weg.

„Wohin gehst du?“, wollte er wissen.

„Ins Hotel, ich muss mich ein bisschen ausruhen. Und du?“, fragte sie.

„Ich fahre gleich mit ein paar Leuten auf eine Farm - ein bisschen reiten und in den Pool springen.“ Er verhielt sich so, als hätte sie ihm nie ihre Liebe gestanden. Er sprach nur über diese belanglosen Dinge. Nadia konnte darüber nicht fertig werden und fragte ihn gerade heraus:

„Du, Miguel, ich muss dich das jetzt einfach fragen. Du hast ja heute nichts erwidert. Hast du auch Gefühle für mich? Oder ist da gar nichts?“

Er schmunzelte in Anbetracht dieser etwas niedlichen Frage und traf sie mit seiner Antwort mitten ins Herz:

„Ich habe schon Gefühle für dich, aber es ist nicht wirklich Liebe. Du bist ein süßes Mädchen, wie ein kleiner Vogel, der durch die Lüfte zwitschert“, log er sie an. Er hatte tatsächlich sehr starke Gefühle für sie, aber er konnte fühlen, dass sie etwas mit dem Brasilianer gehabt hatte und war traurig und wütend zugleich.

„Wieso hat sie das getan? Sie kannte mich doch schon… Hat sie denn nicht gemerkt, dass wir zusammen gehören?“

Darauf konnte sie nichts erwidern. Tottraurig verabschiedete sie sich von ihm, doch sie ging nicht weiter zu ihrem Hotel, sondern zurück in den Garten des Heilzentrums. Dort versuchte sie mit Hilfe eines Jesusbildes Trost zu finden, was ihr nur geringfügig gelang. Der Garten war menschenleer.