11 Was verschleiert deinen Blick?

Auf dem Rückweg zum Hotel traf sie Romeo wieder. Er saß vor einem Café und unterhielt sich mit einer Blondine. Als er Nadia sah, sprang er sofort auf, kam auf sie zu und umarmte sie ganz fest.

„Hey Liebling.“

Gerade noch ganz traurig, ließ er ihr Herz wieder höher schlagen.

„Hey“, erwiderte sie knapp.

„Komm, ich stelle dir eine Freundin von mir vor. Sie heißt Angela.“ Nadia ging mit ihm mit.

„Angela, das ist Nadia“, stellte er die beiden einander vor.

„Hi. Wie geht’s?“, fragte Angela sie sofort.

„Ganz O.K., und dir?“ Nadia war zwar ganz und gar nicht in der Stimmung für Smalltalk, aber sie war höflich.

„Gut, danke.“

Romeo setzte sich wieder. Nadia lehnte sich an ihn. Er legte seine Arme um sie.

„Ich habe dich vermisst, Lillie“, sagte er zu ihr. Als Nadia diese Worte hörte, fiel sie aus allen Wolken.

„Lass mich los. Ich bin nicht Lillie“, sagte sie schnippisch, als sie sich von ihm losriss und so schnell wie möglich verschwinden wollte. Lillie war seine letzte Freundin gewesen und er hatte nun einen groben Fehler begangen, der Nadia sehr traurig stimmte. Als sie sich so wutentbrannt aus dem Staub machen wollte, rannte er hinter ihr her.

„Bitte bleib‘ hier. Es tut mir sehr Leid, ich wollte das nicht. Es war dumm von mir.“

„Lass mich“, erwiderte sie und ging ihrer Wege.

Unterwegs traf sie Josie zusammen mit ihrem Freund. Sie begutachteten den Schmuck eines Straßenverkäufers aus Kolumbien.

„Hi“, grüßte Nadia die beiden.

„Hey Nadia, komm mal her. Guck‘ dir das hier an. Ich bin sicher, du findest etwas Tolles“, entgegnete ihr Josie.

Der Straßenverkäufer war sehr sympathisch, mit seinem langen Pferdeschwanz. Nadia betrachtete seine Schmuckstücke. Von einem Stück war sie ganz besonders fasziniert. Es handelte sich um einen Türkis, der in Silber gefasst und zu einem Anhänger verarbeitet worden war. Dieser Stein strahlte direkt in ihr Herz. Es ist fast nicht verwunderlich, was sie entdeckte, als sie ihn umdrehte. Die Silberfassung hinter dem Türkis war nicht einfach eine Platte. Ein Adler war hinein graviert. Wieder wusste sie, dass es etwas damit auf sich haben musste, dass sie ausgerechnet dieses Stück herausgepickt hatte. Als sie den Verkäufer etwas im Preis gedrückt hatte, so wie es ihr schon von einigen Brasilianern vorgemacht worden war, war sie stolze Besitzerin dieses wunderschönen Anhängers. Romeo hatte sie von etwas Entfernung aus beobachtet. Als sie sich von ihren beiden Freunden verabschiedet hatte, fuhr Romeo ganz langsam mit dem Motorrad an ihr vorbei und blickte ihr tief in die Augen. Mit seinem perfekt geschauspielerten Dackelblick wollte er sie glauben machen, dass er genauso traurig war wie sie. Doch sie hatte einfach keine Kraft übrig, um etwas zu ihm zu sagen und wandte ihren Blick von ihm ab.

Im Hotel nahm sie eine schöne, lange, heiße Dusche. Dies war ein Ritual, welches sie schon als Kind geliebt hatte. Zu fühlen, wie das Wasser über ihren Körper floss hatte schon seit jeher eine beruhigende und erholsame Wirkung auf sie gehabt. Nach einer Weile konnte sie die Trennung von Romeo einfach nicht mehr aushalten, schon gar nicht nach Miguels ernüchternden Worten. Sie wusste seit der vergangenen Nacht wo er wohnte, und vielleicht würde sie ihn ja zu Hause antreffen. Gleich machte sie sich auf den Weg.

Klopf, klopf.

Er öffnete die Tür und schien sehr glücklich darüber zu sein, sie wiederzusehen. Ohne lange zu zögern, nahm er sie an der Hand und zog sie hinter sich hinein.

„Es tut mir so Leid, bitte verzeih‘ mir“, flüsterte er ihr zu, bevor er sie an sich zog und leidenschaftlich küsste.

Die letzte Nacht fing an, sich zu wiederholen, nur noch etwas wilder. Es schien beiden glasklar, dass sie von nun an ein Paar waren. Vielleicht war es so gekommen, weil sie ihre leidenschaftlichen Gefühle nicht im Griff hatte, vielleicht, weil sie Trost brauchte, vielleicht aber auch, weil Gott es so wollte.

Relativ schnell kamen die beiden während der folgenden Tage auf die Themen „Villa“ und „Dr. Antonio“ zu sprechen. Romeo versuchte, sie davon zu überzeugen, dass sich dort nachts eine Art von Voodoo abspielte, sobald die Türen für die Öffentlichkeit geschlossen wurden. Er erzählte ihr eindringlich, dass Dr. Antonio überhaupt keine Kräfte hätte, dass alles nur ein großer Betrug wäre, dass die Leute um Spenden gebeten und auf diese Weise um ihr Geld gebracht würden, dass der Heiler über Jahre hinweg Damen seiner Wahl vergewaltigt hatte und, zu guter letzt, dass der Heiler und dessen Freunde nachts Tiere an Luzifer opferten, um spezielle Dienste der Dunkelheit zu erhalten.

All diese angeblichen Fakten, waren für Romeo Mittel zum Zweck, um Nadia vom Licht und von Dr. Antonio zu entfremden. Er wollte sie mit Haut und Haaren besitzen, um sie für seine Zwecke zu gebrauchen, und bat sie schließlich darum, die Villa nicht mehr aufzusuchen.

In der Tat war Romeo derjenige, der schon viele Frauen vergewaltigt hatte. Er war im Bunde mit dem Bösen, welches eben auch von Zeit zu Zeit ein Opfer fordert. Aufs Neue wusste sie nicht, was sie nach seinen Aussagen denken sollte. Ihr war allerdings das merkwürdige Blitzen in seinen Augen aufgefallen, als er über die Opferhandlungen gesprochen hatte. Ihr Herz wollte sie warnen, dass es sich bei ihm um denjenigen handelte, der all diese üblen Taten verrichtete, und nicht etwa um Dr. Antonio, doch sie ignorierte ihr Herz abermals.

Allerdings hatte sie den Heiler und die Geister, die in seinen Körper inkorporierten, bereits beim ersten Treffen lieb gewonnen, weshalb sie nicht wirklich glauben konnte, dass dieser zu derlei Taten im Stande war.

„Wie kann das bloß möglich sein, dass ein Mann, der in dem Dorf von Dr. Antonio lebt und arbeitet, so über ihn herzieht? Ist an seinen Worten vielleicht wirklich etwas dran?“, grübelte sie. Ein Rätsel folgte dem anderen und Nadia wurde zunehmend unsicherer.

Die Erinnerung an ihre anfänglich negativen Gefühle Romeo gegenüber kochte wieder in ihr hoch und sie war nicht sicher, ob sie Romeos Worten Glauben schenken konnte. Diese Gedanken wurden abgelöst von ihren Erinnerungen an die zärtlichen Stunden zu zweit. Dann wiederum erinnerte sie sich daran, dass er sie um Geld gebeten hatte. Sie war verzweifelt, wusste nicht aus noch ein. Was sollte sie nur von ihm halten?

In einem der folgenden Gespräche erzählte er ihr, dass Dr. Antonio vorhatte, ihn aus dem Dorf zu komplementieren.

„Er hat der Polizei vorgelogen, ich sei ein Drogendealer. Kurz darauf standen die vor ein paar Tagen vor meiner Tür und haben meinen ganzen Krempel umgedreht und natürlich nichts gefunden“, verkündete er ihr. Es hörte sich fast so an, als hätte er irgendwo anders Drogen gebunkert und wäre stolz darauf, dass die Polizei ihm nicht auf die Schliche gekommen war.