91.
5.30 Uhr
Der Logan Circle lag verlassen da, bis auf eine einsame Gestalt, die auf dem Brunnenrand saß, den Blick nach Süden gewandt und mit einer großen Kiste neben sich. Die Szene glich einem eigenartigen Bild, wie man es auf der Osterinsel hätte sehen können. Die Wasserzufuhr des Brunnens und der Strom für die Straßenlaternen waren abgestellt worden. Byrne war in Philly aufgewachsen und oft am Logan Circle gewesen. Schon als Kind hatte er Erkundungstrips zum Kunstmuseum und zum Franklin Institute unternommen. Jetzt sah der Platz wie eine Marslandschaft aus und war ihm vollkommen fremd. Byrne hatte noch nie erlebt, dass die Gegend so trostlos und verlassen ausgesehen hatte.
Streifenwagen und Zivilfahrzeuge der Mordkommission näherten sich langsam aus Richtung Vine Street, Race Street, North Nineteenth Street und Benjamin Franklin Parkway. Alle Zufahrten zum Logan Circle waren gesperrt. Byrne war froh, dass es so früh am Morgen war. Hätte dieser Einsatz sich mitten am Tag abgespielt, hätten sie wegen des hohen Verkehrsaufkommens und der vielen Passanten mit großen Problemen zu kämpfen gehabt.
Um 5.35 Uhr kam der Einsatzbefehl.
Sechs SWAT-Officers näherten sich dem Platz mit schussbereiten AR-15-Gewehren. Obwohl einen Block entfernt, hörte Byrne, wie die Officers den Verdächtigen aufforderten, sich auf den Boden zu legen. Als sie sich bis auf fünf, sechs Meter genähert hatten, legte der Mann die Hände hinter den Kopf und kniete sich auf die Erde. Sekunden später packten ihn zwei uniformierte Polizisten, legten ihm Handschellen an und führten ihn ab.
Das ergibt doch keinen Sinn, dachte Byrne. Das war der Sammler? Der rätselhafte Puzzlemeister?
Byrne rannte die Straße zum Logan Circle hinunter. Irgendetwas stimmte nicht. Ehe er die Ecke erreichte, meldete Josh Bontrager sich über Funk.
»Er ist es nicht!«
Byrne blieb stehen. »Sag das noch mal.«
»Der Kerl ist ein Obdachloser. Er hat gesagt, der Mann habe ihm Geld dafür gegeben, dass er die Kiste zum Logan Circle schleppt. Zwei Kollegen von der Streife kennen den Burschen. Sie haben ihn hier in der Gegend schon mal gesehen.«
Byrne schaute durchs Fernglas. Das Protokoll sah vor, dass die SWAT-Officers den Platz jetzt absicherten und das Bombenräumkommando die verdächtige Kiste überprüfte. Es sei denn, eine junge Streifenpolizistin war dort. Eine Polizistin, die dem Streifenbeamten, der Byrne vor mehr als zwanzig Jahren gewesen war, vom Verhalten sehr ähnelte.
Es war Showtime.
Byrne beobachtete durchs Fernglas, wie Officer Maria Caruso auf den Platz rannte, den Deckel vom Pappkarton abriss und dann mit voller Wucht gegen den Karton trat. Zeitungsschnipsel flogen durch die Luft.
In der Kiste war nichts und niemand.
Der Puzzlemeister hatte sie hereingelegt.
In diesem Augenblick hörte Byrne den Notruf nach Verstärkung. Seine Partnerin brauchte Hilfe.
»Jess.«