35.
SWANN SASS AUF DER Parkbank. Es war ein herrlicher Morgen. Er knabberte an einem Himbeermuffin, den er in einer neuen Bäckerei in der Pine Street gekauft hatte.
Auf seinen Knien lag ein Metalldetektor, ein Bounty Hunter Tracker II.
Er beobachtete sie fast eine Stunde. Fünf Jugendliche. Aus verschiedenen Gründen eine merkwürdige Anzahl. Zwei junge Männer und drei junge Frauen. In diesem Alter war immer eine besondere Dynamik im Spiel, wenn es um ungerade Zahlen ging. Laut, lebhaft und vor Energie strotzend, forderten sie sich gegenseitig heraus. In Zeiten wie diesen wurde für immer eine Hierarchie festgelegt, eine Rangordnung, die sich vor allem an dem Grund ihres Treffens orientierte. Später würden Geld und Macht und Positionen entscheiden. Doch nach Swanns Erfahrung hatten in diesem Alter Schönheit und Stärke die größte Bedeutung.
Sie hatten einen roten Minivan. Die Türen waren geöffnet, und die Musik spielte in erträglicher Lautstärke. Die jungen Leute alberten herum, ließen Zigaretten kreisen und tranken Mineralwasser. Schließlich schauten sie auf ihre Uhren, verabschiedeten sich und warfen den Müll in einen Papierkorb.
Als der Van wegfuhr, blieb eine junge Frau zurück. Damit hatte Swann gerechnet. In seinen Augen war sie bei Weitem die Hübscheste, doch sie gehörte aus anderen Gründen nicht zu der Gruppe. Er sah ihr an, dass sie sich herumtrieb.
Der Van bog um die Ecke. Die junge Frau winkte und lächelte, doch Swann sah die Traurigkeit in ihrem Lächeln. Sie trank einen Schluck aus der Wasserflasche, obwohl sie wusste, dass sie leer war. Junge Frauen in diesem Alter wiederholten oft solch überflüssige Handlungen. Irgendwo musste die Energie bleiben.
Swann stand auf und schaltete den Detektor ein. Showtime. Mit konzentrierter Miene, die Stirn gerunzelt, lief er am Straßenrand entlang. Als er ungefähr zwanzig Meter hinter der jungen Frau stand, begann der Detektor zu piepsen. Sie hörte das Signal und drehte sich um.
»Ja!«, rief er so laut, dass sie es hören musste. »Ja, ja, ja.«
Aus dem Augenwinkel sah er, dass die junge Frau ihn beobachtete. Wer war dieser sonderbare Mann mit dem seltsamen Gerät? Die jugendliche Neugier konnte nicht widerstehen.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte sie.
Er hob den Blick und schaute sich um, als wüsste er im ersten Augenblick nicht, woher die Stimme kam. Dann entdeckte er sie und zeigte auf den Boden. »Heureka!«
Swann beugte sich hinunter und hob eine Halskette auf. Es war billiger Modeschmuck. Er hatte die Kette die ganze Zeit in der Hand gehalten. »Ich bin auf Gold gestoßen!«
Er hielt die Halskette hoch. Sie glänzte in der Morgensonne. Die junge Frau stand auf, um sie sich anzusehen. Das taten sie immer.
»Toll«, rief sie. »Echt cool.« Ihr Blick wanderte von der Halskette zu dem Logo auf seinem Overall. Offenbar gehörte er zu den Parkwächtern. Eine genauere Überprüfung hätte ergeben, dass das nicht der Fall war.
»Du hast diese Kette nicht zufällig verloren?«, fragte er in leicht missmutigem Tonfall.
Die junge Frau zögerte einen Moment. Swann wäre sehr enttäuscht gewesen, wäre es nicht so gewesen. Je länger sie zögerte, desto länger lebte sie schon auf der Straße. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Leider nicht. Sie ist wirklich schön.«
Swann steckte die Kette in seine Tasche. »Du würdest staunen, was ich im Laufe der Jahre alles gefunden habe.«
»Das glaube ich gern.« Sie steckte die Hände in die Hosentaschen. Sie wollte sich unterhalten. Sie war einsam. »Was denn so alles?«
»Ringe, Armbänder, Münzen und Haarsprangen. Jede Menge Haarspangen.«
Das Mädchen lachte. »Kinder.«
»Da sagst du was. Ich kaufe meinen Töchtern auch immer Haarspangen. Sie verlieren sie ständig.« Er schaltete den Detektor aus. »Ich heiße übrigens Ludo.«
»Ludo? Cooler Name. Ich heiße Claire.« Sie reichten sich die Hände. Er zog seine Handschuhe nicht aus. »Arbeiten Sie hier?«, fragte sie.
»So wenig wie möglich.«
Das Mädchen lachte wieder. Swann schaltete das Gerät wieder ein, lief ein paar Schritte und kehrte dann sofort zurück. »Willst du es mal versuchen?«
Claire schüttelte den Kopf. Das Angebot schüchterte sie ein. »Ich glaube nicht, dass ich das kann.«
»Natürlich kannst du das. Ist doch ganz leicht. Wenn ich es kann, kannst du es auch.«
»Meinen Sie?«
»Klar. Und ich sag dir was ...«
»Was?«
»Wenn du etwas findest, kannst du es behalten.«
Sie strahlte ihn an. Das war das beste Angebot, das man ihr je gemacht hatte. »Echt?«
Swann zeigte es ihr kurz. Sie nahm den Detektor in die Hand.
»Versuch es hier, wo der Weg anfängt«, sagte er und zeigte auf den asphaltierten Weg, der in den Wald führte. »Hier ziehen die Leute oft Sachen aus ihren Taschen – Schweißbänder, Sonnenbrillen, Insektenspray –, und dann fällt ihnen was aus der Tasche und bleibt im Laub liegen. Das kann eine richtige Goldmine sein.«
»Okay. Ich weiß nicht. Ich bin eigentlich nicht ... Okay.« Claire tastete den Boden mit dem Detektor ab. Sie schwang das Gerät vor und zurück, vor und zurück wie eine Wünschelrute, und balancierte das Gewicht aus.
»Etwas langsamer«, sagte er.
»Okay.«
Links, links, links, dachte Swann. Stopp.
»Genau hier?«
»Ja.«
Mehr nach links. Stopp. Rechts. Stopp.
Das Gerät piepste.
Ja.
»Ja! Ich glaube, ich hab was gefunden! Bedeutet das Piepsen, dass ich was gefunden habe?«, fragte sie.
»Sicher.«
»Was muss ich jetzt tun?«
»Ich zeig es dir.«
Sie strich über den Armreif. »Der gehört wirklich mir?«
»Wer etwas findet, darf es behalten.«
Das mit Strassen verzierte Schmuckstück glitzerte in der Sonne. In den Augen der jungen Frau war es ein Tennisarmband von Tiffany.
Er schaute auf die Uhr. »So, ich muss zurück zur Arbeit. Das hier darf ich nur in der Pause machen. War nett, dich kennenzulernen, Claire.« Er zeigte auf den Armreif. »Guter Fund übrigens. Ich finde, du bist der geborene Spürhund.«
Er schwang den Detektor über seine Schulter und ging davon.
»Verzeihung.«
Joseph Swann blieb stehen und drehte sich um. »Ja?«
»Ich hätte noch eine Frage.«
»Nur zu.«
»Ich meine, gibt es für die Parkwächter vielleicht eine Unterkunft hier?«
»Eine Unterkunft? Klar«, sagte er. »Ungefähr eine Meile entfernt. Ist ganz nett dort.«
»Ich bin nämlich ...« Sie verstummte und zeigte über die Schulter. Sie wollte sagen, dass sie keine Gesellschaft hatte und dass sie alleine war. Das wusste er bereits.
»Keine Sorge«, sagte Swann. »Das geht in Ordnung. Ich sag einfach, du bist meine Cousine oder eine Verwandte. Du brauchst nicht mal einen Ausweis. Ich hab gute Beziehungen. Es ist ganz nett bei uns. Und sicher ist es dort auch.«
»Cool.«
Claire Finneran lächelte. Joseph Swann ebenfalls.
»Es ist gleich da hinten«, sagte er. »Komm, ich zeig es dir.«
Jetzt zögerte Claire nicht mehr. Sie nahm ihre Tasche.
Dann liefen sie in den Wald.