GIRLS GIRLS GIRLS steht auf einem Schild am Maschendrahtzaun, und wir pfeifen und johlen, als der Bus vorbeirauscht, eine Staubwolke in der Mulde hinterlassend. Eine aufsässige schwarze Fliege dröhnt gegen das Fenster, und jemand versucht sie mit einer Zigarette zu versengen. Endlos ziehen sich die Beifußstoppeln hin, und Kohler sagt, du wärst noch keinen Tag tot, dann hätten die Kojoten dich schon blank geputzt. Kurz bevor wir Pendleton verließen, hat Kohler sich noch ein Tattoo geholt, ein Mädchen, das zappelt, wenn er die Muskeln spielen lässt, und zum sechsten oder siebten Mal heute krempelt er den Ärmel hoch.
An einem Straßenschild mit der Aufschrift 100 Meilen bis Las Vegas geht das Grölen wieder los, und hinausgelehnt trommeln wir dem Bus auf die Flanken, bis das Asphaltband sich in der Ferne entwindet. Einer sagt, er habe gehört, beim ersten Versuch, der über dem Bikini-Atoll gezündet wurde, habe ein Bild von Rita Hayworth an der Bombe geklebt, und das bringt ein paar Lacher ein. Kohler, der Vegas kennt, erzählt vom Desert Inn, wie wir an unserem freien Abend dort hingehen, an Geldautomaten spielen, Shirley Jones sehen werden.
Um 15 Uhr 13 fahren wir langsam in Desert Rock ein, recken uns und joggen eine Runde über den Makadam, um die steifen Glieder zu lockern. Es hat knapp 45 Grad, jene Art Hitze, die einem den Kopf platzen lässt. Der Schauer einer fernen Regenwolke verdunstet hoch oben in der Luft, ehe je ein Tropfen auf die Wüste fällt.
Wir bekommen frische Drillichuniformen ausgehändigt, und danach gibt es vorerst keine Pflichten, also suchen wir uns ein Schattenfleckchen und sehen zu, wie ein paar Jungs auf Erkundung gehen, ein abgerissener Haufen, rangelnd und scherzend, bis sie Krater suchend aus dem Blickfeld verschwinden.
In der Nacht ist der Himmel reine Astronomie.
Tagelang tun wir nichts als warten, vertreiben uns die Zeit, indem wir schlafen oder auf dem rissigen Wüstenboden Echsen jagen. Wir leben auf dem Grund eines ausgetrockneten Sees, schreibt jemand nach Hause, es gibt Fossilien, die das beweisen. Wir unternehmen eine Fahrt zu einer Geisterstadt beim Death Valley, bleiben an der einzigen Kreuzung dort stehen und liefern uns Duelle mit zu Pistolen geformten Fingern. Hin und wieder lässt jemand eine verkratzte Aufnahme von Johnny Mathis oder Elvis über die Lautsprecheranlage laufen. Wir trinken, damit unser Blut nicht stockt, Wasser bei Tage, Bier in der Nacht. Wir schauen dem Mädchen beim Zappeltanz auf Kohlers Bizeps zu. Der Wind bläst beständig in die falsche Richtung, ein seltsamer Wind, der uns fertig macht und rastlos Staub aufwirbelt. Wir essen mit Sand zwischen den Zähnen. Als der Wind sich schließlich dreht, kommen Ansagen durch, die Zündung finde um 6 Uhr 30 statt. Um 4 Uhr stehen wir auf.
Die Versuchsbomben sind nach Wissenschaftlern oder Bergen benannt, außer der, um deretwillen wir gekommen sind, Priscilla, die an einem Heliumballon gut 200 Meter über dem Boden schwebt. Eine Sondermeldung warnt die Zivilbevölkerung vor Netzhautschäden durch den Anblick des Feuerballs auf eine Entfernung von über hundert Kilometern, doch die Bergarbeiter klettern trotzdem auf den Angel’s Peak, als wäre es der Vierte Juli.
Wir fahren die 50 Kilometer bis Frenchman Flat hinten auf Militärlastwagen, jeder mit einer angesteckten Messplakette, noch in beruhigendem Blau. Zweitausend Meter vom Bodennullpunkt entfernt halten die Laster an, und wir stolpern halb schlafend hinunter, steigen in die Gräben, bis wir auf Augenhöhe mit dem Wüstenboden sind. Tausend von uns sind so gut wie nichts auf dieser endlosen Fläche, wie Ameisen von oben betrachtet, etwas kaum Ungewöhnliches, keine Spezies, nur ein kleines Gewusel, das sich selbst nicht als geschichtliches Ereignis begreift. Wir sind jetzt fast durchweg still, lauschen den Kojoten und dem Knacken der Wüste, bis die Lautsprecher anfangen, Befehle durch die weichende Dunkelheit zu brüllen. Später wurden einige von uns nach Vietnam geschickt, wo wir uns schwitzend, mit entzündeter, verpilzter Haut in den von Spinnen wimmelnden Zelten an das hier erinnern sollten, wie einfach es war.
Während wir warten, rollt eine Karawane Lastwagen mit dem verängstigten Gedränge lebender Tiere heran. Tausend Meter vor uns sehen wir, wie neunhundert Schweine herausgestoßen und in Löchern oder Pferchen zusammengetrieben werden. Einige Schweine tragen gefütterte Kampfjacken, brandneu, die auf ihre Strapazierfähigkeit getestet werden sollen. Dazu eine Hand voll Kaninchen für die Wissenschaft in ihrem ständigen Bemühen, die Erblindungseffekte der Leuchtkraft zu erforschen.
Noch fünfzehn Minuten bis zum Countdown. Fünfzehn Minuten, um an Vegas zu denken, an die Zeit, da wir Ike die Hand schüttelten, an Schlagzeuger wie Krupa, die in den Big Bands spielten und mit Feingefühl die Trommeln rührten, sie zum Sprechen brachten, ohne auf sie einzudreschen, an die sanfte Klaviermusik in den Clubs in Kalifornien. Fünfzehn Minuten für noch eine Chesterfield, oder um geistesabwesend mit den Fingern kleine Löcher in die Grabenwand zu bohren. Tausend Gedanken, der reduzierte Querschnitt eines Augenblicks in Amerika. Unsere Helme schief, noch nicht zugeschnallt. Die Drillichhosen steif vor Neuheit. In glühender Pracht geht die Sonne auf, als müsste sie die Wüste erst erfinden. Zwei Minuten für die Zeitungsleute, sich auf ihren Sitzen am Kontrollpunkt einzurichten, Männer in Anzügen, mit Tickets unter den Hutbändern, die dies niemandem berichten würden.
Tausend Mann, die Arme vor den Augen verschränkt wie Mädchen im Kino, auf den verstärkten Ton einer einzigen, von zehn rückwärts zählenden Stimme konzentriert. Es ist Juni 1957, und der Countdown ist noch kein Synonym für Raketenabschüsse geworden, mit denen Astronauten aus der Erdatmosphäre hinaus ins All befördert werden.
Und dann ein Geräusch, wie wir es noch nie gehört haben. Eine Art Maximum an Lautstärke. Sogar mit geschlossenen Augen sehen wir das gleißende weiße Licht der Explosion, viermal so stark wie die von Nagasaki, so hell, dass keine Schatten fallen. Wir zählen bis zehn und öffnen die Augen, und was wir sehen, ist das Blut, das durch unsere Venen fließt, sind die Skelette der Männer vor uns. Röntgenbilder von tausend GIs, ihre Knochen wie eine Diashow in der Wüste. Scharf zeichnen sich die Yuccabäume ab, die Berge sind Aluminium.
Die Lautsprecher brüllen, wir sollen aufstehen, und wir erheben uns, betäubt, bewegen uns, ohne zu denken, außer den Jungs, die ganz unten sind, weinend und betend. Wir richten uns auf und werden von einer Stoßwelle heißer Luft erfasst, als würden uns die Köpfe abgerissen. Sie schmettert uns zurück, der Boden neigt sich. Wir sind zu sehr in Panik, um uns nach der Logik der Befehle zu fragen. Wir gehorchen, weil es der einzige Weg ist, lebend durchzukommen.
Die Luft ist schwärzer als der Jüngste Tag im Comic. Wie soll ich erklären, dass wir das persönlich nahmen?
Eine zweite Wand, eine nahende, leuchtende Flut aus Dreck und Schutt, die all das auf uns niederprasseln lässt, Stöcke und Steine und sonstige Dinge, an die wir jetzt, manche von uns halb begraben, keine Gedanken verschwenden können. Es folgt ein Moment seltsamer Ruhe, wie eine Pause tiefen Respekts, bevor der Chor anhebt zu singen. Dann können wir nicht mehr atmen. Es bleibt keine Luft übrig, als der Druck umschlägt und wieder zum Bodennullpunkt zieht, ruhiger, trauriger jetzt, da die Detonation in sich zusammenfällt, ein Vakuum, das alles aufzusaugen droht. Wir ringen um Atem, jeder für sich allein, während der Schutt sich ablagert, und dann sehen wir es, das, um dessentwillen wir gekommen sind: einen riesigen Feuerball, der hinter der Pilzwolke aufsteigt, als führe der Teufel gen Himmel. Es ist das Schönste, was wir je gesehen haben, im eigenen Blut kochend, steigt er zwölftausend Meter hoch und breitet sich aus, bis er die Sonne verdunkelt, breitet sich als eine Wolke, aus der es Wüstenreste regnet, über unsere Köpfe. Wir können nicht mehr denken. Es ist kein Platz mehr darin für etwas anderes.
Zweiundzwanzig Kilometer entfernt, am Kontrollpunkt, fliegen die Türen aus den Angeln. Die Geigerzähler müssen beruhigt werden wie scheuende Pferde. Auf dem Highway in der Nähe halten Autofahrer am Straßenrand, stehen benommen und blinzelnd neben ihren Kombis und suchen den Himmel nach Außerirdischen ab. Man spürt die Druckwelle in Mercury und in Indian Springs, hört sie wie ein Grollen bis nach Kalifornien und Reno. In Utah fährt Kindern ein heißer Wind durchs Haar, klatscht ihnen die T-Shirts an die Brust, als sie wegrennen und sich unter einem Ascheschauer umdrehen.
Kaum dass es still geworden ist, stehen wir und marschieren vorwärts zum Sturm auf den Bodennullpunkt. Tausend Mann, die Filmplaketten rot angelaufen wie frisch geküsste Mädchen.