22
Es war wie eine von der Wirklichkeit streng geschiedene Welt, unter der Zeit und den Elementen erstarrt, eine Welt, in der eisumhüllte Rahen und Mastbäume keine Ähnlichkeit mehr mit irdischen Gebilden aufwiesen, sondern gespenstisch wirkten, gleich sonderbaren Skulpturen, wo über gefrierende Gischt der Nordwind hinweggefegt war. Eine dünne Schneeschicht bedeckte das Deck des Viermasters, und darunter lag eine tückische Eisschicht. Hohe, unter den Planken fest verankerte Mäste stießen in den Nachthimmel und verloren sich mit ihren Spitzen in Schneegestöber und Finsternis. Lange, bärtige Eiszapfen hingen von Rahen, Spieren und Pardunen. Strich eine Brise über die Eiskristalle, dann entstand ein klirrendes Geräusch wie von eisigen Klauen eines über Deck schleichenden winterlichen Untiers. In diese unheimlichen Töne mischten sich ferne, ganz leise mahlende Geräusche vom Fluss her, wo offenes Wasser auf Eis traf.
Maxim schlich vorsichtig über das Deck, gefolgt von Elise, dahinter Justin. Der glatte Untergrund erforderte Wachsamkeit, da jeder Sturz die Gefahr einer Verletzung bedeutete. Eine leichte Brise strich übers Deck und würde sämtliche Spuren, die sie hinterließen, tilgen. Unter Deck nahm Maxim Elise an der Hand und geleitete sie durch die Dunkelheit. Die im Inneren herrschende Kälte machte es sehr unwahrscheinlich, daß man eine Wache an Bord zurückgelassen hatte.
So tasteten sie sich durch die Dunkelheit, bis sie abrupt stehen blieben, als Maxim mit dem Kopf gegen eine Laterne stieß. Er fluchte halblaut vor sich hin, hob die Laterne vom Deckenbalken und entzündete die Kerze. Das Flämmchen flackerte in der Zugluft, bis die Tür geschlossen wurde. Dann wuchs die Flamme empor und erhellte mit ihrem spärlichen Licht die Umgebung.
Maxim ging Elise nun mit erhobener Laterne voraus. An einer Tür zur Linken blieb er stehen, schob sie vorsichtig auf und betrat eine kleine Kombüse, von der aus man in die Kapitänskajüte gelangte. Sämtliche Küchenutensilien hingen an einer Stange über einem Tisch. Eine große, offene Herdstelle, aus drei Wänden und einem ziegelbedeckten Boden bestehend, lag am entgegengesetzten Ende des winzigen Raumes. Über verkohlten Holzresten hing ein Kessel. Oberhalb des Herdes konnte der Rauch durch ein Eisengitter abziehen, dessen Luke jetzt verschlossen war. In die Innenwand des Herdes war eine Eisentür eingelassen. An der dahinterliegenden Wand befand sich ebenfalls eine Tür.
Sie wandten sich der Hauptkabine zu, und Maxim öffnete die leicht quietschende Tür. Auch ohne Laterne fiel genug Licht von draußen herein, so daß man sehen konnte, daß sich niemand in dem kostbar ausgestatteten Raum befand. Damit kein Licht nach draußen dringen konnte, beeilten sich die zwei Männer, die schweren Samtdraperien zuzuziehen.
Fröstelnd blickte Elise um sich. Der Luxus der Kabine versprach kaum Behaglichkeit, da die Kälte tief ins Schiffsinnere eingedrungen war.
»Sieht aus, als hätte Hillert keine Angst vor Dieben«, bemerkte Justin lakonisch.
»Stimmt«, sagte darauf Maxim. »Und sollte es jemand wagen, dann würden die Bürger von Lübeck schnell der ›Gerechtigkeit‹ zum Siege verhelfen.«
»›Hängt den Schuft‹, würden sie rufen«, stieß Justin verächtlich hervor. »Wie gern würde ich diesen Ausruf hören und dabei Hillert am Mastbaum baumeln sehen.«
»Eines Tages wird er unter dem Beil des Henkers enden«, erwiderte Maxim gedankenverloren, den Blick auf die Koje gerichtet. Die weichen Felle versprachen behagliche Wärme, trotz der großen Kälte, doch die Gegenwart des jungen Mannes schloß jede Hoffnung auf Intimitäten aus.
»Allmählich wird mir klar, daß Ihr nicht in Hillerts Diensten steht«, bemerkte Justin. »Seid Ihr ein Spion?« fragte er neugierig.
»Spion für wen?« höhnte Maxim. »Ich bitte Euch! Schmückt meine Taten nicht über Gebühr aus. Ich bin heimatlos und geächtet.«
Weiteren Fragen wich Maxim aus. Er nahm die Kabine genauer in Augenschein: Die Wände waren holzgetäfelt. Nur neben der Tür schützte ein armlanges Stück Blech den Boden unter einem Türchen, das in eine Ziegelwand eingelassen war. Er hob die Verriegelung, öffnete das Türchen und stellte fest, daß es wie vermutet in das Innere des Kombüsenherdes führte.
»Sehr schlau, dieser Hillert, sich eine kleine Kombüse ganz in der Nähe einrichten zu lassen. So brauchen wir nicht zu frieren.«
»Meint Ihr, wir sollten Feuer machen?« fragte Justin.
»Wir müssen ohnehin vor Tagesanbruch fort, und ich bezweifle, ob sich in der Nacht jemand am Kai herumtreibt«, erwiderte Maxim. »Ich sehe nicht ein, warum wir länger frieren sollen.«
»Ich werde Euch eine Zeitlang allein lassen müssen«, erklärte nun Justin. »Wenn Hillert erfährt, daß Ihr der Ostländer seid, der Gustav tötete, dann wird er die ganze Stadt durchkämmen. Ich möchte zurück zu Tante Thérèse, damit ich Eure Truhen packen kann und Ihr noch vor Tagesanbruch Lübeck verlassen könnt. Wenn Ihr mir sagt, wo ich Eure zwei Freunde finde, werde ich veranlassen, daß sie mit dem Schlitten am Stadtrand auf Euch warten, bis ich Eure Pferde holen und Euch durch die Stadt führen kann.«
Maxim baute sich vor dem jungen Mann auf. »Kann man Euch denn trauen?«
Stolz richtete Justin sich auf. »Ich habe jetzt lange genug für die Hanseaten den Possenreißer und harmlosen jungen Spund gespielt«, stieß er mit bebenden Lippen hervor. »Niemand ahnt, daß ich schon seit einigen Jahren in verschiedenen Verkleidungen den Herren der Stadt üble Streiche gespielt habe. Ich kann nicht zulassen, daß meine Ehre in Zweifel gezogen wird.«
»Beruhigt Euch«, beschwichtigte Maxim ihn. »Zorn vermag aus einem Mann einen Narren zu machen.«
»Habe ich Euch heute so schlecht gedient, daß Ihr an mir zweifeln müßt?«
»Ihr habt uns allen gut gedient«, gab Maxim zu. »Aber über Verantwortung müßt Ihr noch viel lernen.«
»Ach? Und warum?«
»Zum Beispiel« – Maxim zeigte sich ein wenig verärgert – »weil Ihr Elise in die Versammlung eingeschleust habt, obwohl Euch die Gefahr bewußt sein mußte…«
»Maxim, hör zu«, bat Elise, »es war meine Schuld, denn ich folgte ihm heimlich, und hätte er mich nicht in seine Obhut genommen, ich wäre auf eigene Faust eingedrungen.«
»Meine Liebe, du wärest ohne Hansesiegel, das Justin zweifellos besitzt, nicht an der Wache vorbeigekommen…«
»Ach, da fällt mir ein«, unterbrach Justin ihn, »wie seid Ihr eigentlich hineingekommen?«
Der Marquis begegnete Justin mit unbewegtem Gesicht. Er sah zwar keinen Grund, ihn ins Vertrauen zu ziehen, andererseits konnte es jetzt keinen Schaden mehr anrichten, wenn er die Neugierde des jungen Mannes befriedigte. »Wenn Ihr es unbedingt wissen müßt – nun, ich sagte dem Posten, wir wären Kaufherren aus Nowgorod und Hillert hätte uns persönlich eingeladen. Ich half mit einem Dokument mit Hillerts Siegel nach.«
»Ach, deshalb diese Kleidung… Aber woher habt Ihr die Sachen bekommen?«
»In den Jahren, die ich auf Reisen verbrachte, habe ich Freunde gewonnen«, erwiderte Maxim. »Da diese eine gewisse Abneigung gegen Hillert haben, halfen sie mir gerne aus.«
»Natürlich bleibt es Euch überlassen, ob Ihr mir traut«, fing Justin wieder an. »Ihr könnt aber auch warten, bis Hillerts Leute Euch aufstöbern. Wenn Ihr zum Haus der von Reijns zurückkehrt, gefährdet Ihr alle Bewohner. Vertraut mir, so wie ich Euch vertraue. Ich habe nicht die Absicht, dem Mann einen Gefallen zu tun, der meinen Vater auf dem Gewissen hat.«
Elise legte die Hand auf Maxims Arm. »Ich glaube, man kann ihm trauen. Er will uns nichts Böses.«
Justin lächelte dankbar. »Elise, Ihr seid sehr gutherzig.«
Maxim sah den jungen Mann nachdenklich an. »Nun gut, ich will mich dem Urteil der Dame anschließen. Sollte es sich als falsch erweisen, dann werdet Ihr es büßen. Denkt daran.«
Justin nickte. »Ich muß gestehen, daß ich noch vor wenigen Stunden keine hohe Meinung von Euch hatte.« Ein flüchtiges Lächeln erhellte seine Miene. »Ich hoffe nur, auf Eurer Burg ist Platz für einen zusätzlichen Gast. Ihr braucht jeden Mann, den Ihr bekommen könnt, wenn Hillert bei Euch auftaucht. Ich möchte diesen Augenblick nicht versäumen.«
Maxim trat an den Schreibtisch und kritzelte mit einem Federkiel etwas auf ein Stück Pergament. Als er es dem anderen reichte, fragte er: »Kennt Ihr die ›Löwentatze‹?« Justin nickte. »Dort warten meine Leute auf Nachricht.« Maxim holte eine kleine Münze aus der Tasche und gab sie dem jungen Mann. »Gebt ihnen die Nachricht, und zeigt ihnen die Münze mit dem Kopf der Königin. Dann wird man Euch vertrauen.«
Justin steckte die Münze ein. »Ich werde Euch nicht enttäuschen.«
»Sehr gut.« Maxims Ton verriet seine Besorgnis, denn er mußte wie Kenneth und Sherbourne größte Vorsicht walten lassen. Bis die Häfen im Frühjahr wieder eisfrei waren, blieben sie praktisch auf sich allein gestellt. Sollte Hillert Erfolg haben, dann würden alle in Mitleidenschaft gezogen werden, die jetzt unter Maxims Obhut standen.
Justin ging zur Tür und lächelte spitzbübisch. »Ehe ich mich verabschiede, will ich in der Kombüse für Euch Feuer machen. Mein Hochzeitsgeschenk für Lord und Lady Seymour.«
Elise hätte nicht verblüffter sein können. »Woher wisst Ihr…?«
Justin legte den Kopf schräg und tat, als überlegte er angestrengt. »Hm, ich glaube, es war eine Bemerkung von Sir Kenneth, die mich stutzen ließ, und dann, als wir hierher kamen, konnte ich mir den Rest zusammenreimen. Darf man erfahren, wann die Trauung stattfand?«
»Erst heute morgen«, sagte Elise leise und schmiegte sich an Maxim.
»Nikolaus weiß offenbar noch nichts?« fragte Justin gespannt. Elise nickte. »Von mir wird er es nicht erfahren«, versicherte er. Er wollte hinausgehen, wandte sich jedoch noch einmal um. »Ihr solltet alles daransetzen, bald hier wegzukommen, spätestens wenn die Häfen wieder eisfrei sind. Vielleicht sollte ich mit Nikolaus über eine eventuelle Schiffspassage sprechen. Sicher wird er mich ausfragen, wenn ich heimkomme.« Er seufzte und sah Maxim an. »Ich weiß zwar nicht, was Ihr mit Hillert zu schaffen hattet, aber Ihr könnt sicher sein, daß er es sehr übel nimmt, wenn ihn jemand an der Nase herumführt, besonders wenn dieser Jemand ein Spion ist.« Er lächelte, als Maxims Miene sich verfinsterte. »Mögt Ihr es auch ableugnen, Mylord, aber ich finde keine andere Erklärung. Ihr könnt getrost sein, daß ich den Mund halte. Aber ich muß Euch davor warnen, daß auch Hillert seine Späher hat. Und die lauern überall.«
»Ich werde auf der Hut sein. Habt nochmals Dank für Eure Hilfe.«
Justin hob seine Hand zum Abschied und ging. Maxim verschloss die Tür und setzte einen mit kleinen Eisstücken gefüllten Kessel in den Kamin. Er machte das Lager zurecht, während man hörte, wie sich Justins Schritte entfernten. Maxim nahm seinen Hängeschnurrbart ab und wischte sich die Farbe aus dem Gesicht. Mit Hilfe von hochprozentigem Alkohol befreite er seine Lippen von der klebrigen Substanz, die den Schnurrbart festgehalten hatte. Wenig später brannte im Herd ein Feuer und ließ die Wärme auch in die Hauptkabine strömen. Stille war eingekehrt, doch das fiel dem jungen Paar kaum auf, das sich in den Armen lag. Eilig entledigten sich die beiden ihrer Obergewänder.
Elise kicherte, als sie den Geschmack von Alkohol auf den Lippen ihres Mannes spürte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und zog ihn auf: »Vielleicht solltest du die schwarze Farbe aus deinem Haar entfernen und die Bräune aus dem Gesicht, sonst glaube ich hinterher noch, ich liebte einen fremden Mann.«
»Nachher«, flüsterte er. Er faßte unter ihr Hemd und löste das breite Stück Stoff, mit dem sie ihre Brüste flachgebunden hatte. Willig gab Elise sich in seine Arme.
Sein Mund suchte ihre Lippen in verzehrender Leidenschaft, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er sie aufseufzend freigab. »Es fällt mir schwer, nicht einfach hemmungslos über dich zu kommen, denn ich bin so ausgehungert nach dir.«
»Ich bin keine Rose und nicht annähernd so zart. Und ich bin sehr neugierig. Kommt dir nicht der Gedanke, daß ich das Kommende ebenso herbeisehne wie du? Ich möchte dich beglücken, aber ich weiß nicht, wie. Gehört es sich, daß eine Frau ihren Mann beglückt?«
»Ja.«
»Dann lehre mich, wie ich dich lieben soll. Lehre mich, was einem Mann Freude macht. Lass mich deine Geliebte sein, die alle Erinnerungen an andere auslöscht.« Mit neckischem Lächeln zog sie an den Verschlüssen seines juwelenbesetzten Gürtels. Als sie ihm den Gürtel gelöst hatte, ließ sie die Hände langsam über Maxims breite Brust gleiten und liebkoste ihn. Von seinem Seufzen ermutigt, ließ sie die Hände unter die Rippen und weiter abwärts wandern, während sie sich an ihn preßte.
Erregt streifte Maxim ihr das Hemd von den Schultern. Seine Lippen glitten über ihren Hals, ihre vollen Brüste schimmerten verführerisch im Schein des Feuers, und Maxim konnte sich an ihrer vollendeten Schönheit nicht satt fühlen. Die weichen Rundungen mit den Händen umfassend, neigte er sich über sie und liebkoste sie mit dem Mund. Elise ließ den Kopf zurücksinken, als sie in den Tiefen ihres Körpers vor Wonne erbebte, die jede Faser ihres Seins zu versengen drohte. Nicht in ihren wildesten Träumen hatte sie sich vorgestellt, wie berauschend die Liebkosung eines Geliebten sein könnte. Als Maxim anfing, sie ganz auszuziehen, kam sie ihm zu Hilfe, bis sie nackt vor ihm stand. Nun war sie es, die ihn entkleidete und ihre Brüste verführerisch an seine Brust schmiegte, während seine Hände weiter ihren Körper erkundeten.
Maxim zog sie zum Bett und ließ sich darauf nieder, um seine Stiefel auszuziehen. Dann löste er den Gürtel ganz und ließ seine Hose zu Boden gleiten. Erstaunt und für einen Augenblick erschrocken blickte sie zu ihm auf.
»Hast du Angst?« fragte Maxim.
Elise betrachtete ihn einen Augenblick interessiert und sagte dann mit der Andeutung eines herausfordernden Lächelns: »Nein, ich bin nur neugierig.«
Vom ersten Augenblick an hatte Maxim an Elise diese bezaubernde Mischung aus Unschuld und Sinnlichkeit fasziniert. Und nie war sie ihm verlockender erschienen als in diesem Augenblick.
Maxim zog sie an sich, und Elise schlang die Arme um seinen Nacken. Er ließ sich auf den Rand der Koje nieder und setzte Elise auf seinen Schoß. Die Gefühle, die seine Küsse und Liebkosungen weckten, ließen Elises Atem schneller gehen. Sie wurde von einer sonderbaren Erregung erfasst, so daß sie den Schmerz des Eindringens kaum bemerkte. Sie spürte vielmehr ein drängendes Verlangen, einen unstillbaren Hunger.
Maxim lehnte sich zurück in die Kissen, die Hände auf ihren Hüften. Ein geflüstertes Wort, und sie kam seiner Aufforderung nach und begann sich zu bewegen. Ihr Erstaunen wich wachsender Erregung, als er ihren Stößen kraftvoll begegnete. Die aufkeimende Wonne in ihren Lenden wurde stärker und beflügelte sie mit der Verheißung noch größerer Lust. Er streckte die Hände nach ihren Brüsten aus, und ihr langes Haar floß über seine Schenkel, als sie sich zurückbeugte und wehrlos der Liebe hingab. In der Stille der Kabine hörte sie seine rauen, stoßweisen Atemzüge, während seine Hände sie überall zu berühren schienen. Dann versank die Welt, als ein überwältigendes Lustgefühl sie überflutete, in Myriaden von Funken ihren Körper durchschoss und sie in Ekstase versetzte. Sie war Weib, er war Mann. Sie war Lady, er war Lord. Sie war Elise, er war Maxim. Für immer vereint, durch die Glut ihrer Körper und Herzen.
Ein langer Seufzer kam ihr über die Lippen, als sie auf der Brust ihres Mannes zusammensank. Einen seligen Augenblick, der wie eine Ewigkeit schien, hielt er sie fest an sich gedrückt, küßte ihre Stirn, streichelte ihr Haar und flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr. Maxim faßte nach einem Zipfel der Felldecke und zog diese über Elise. Dann drehte er sie um, daß er auf ihr zu liegen kam. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er ihr in die Augen sah.
»Ist Eure Neugierde befriedigt, Madame?«
Elise, die spürte, daß seine Erregung erneut wuchs, bewegte sich unter ihm und hauchte verträumt, indem sie die Arme um ihn schlang: »Habt Ihr mich noch mehr zu lehren, Mylord?«
»Du hast nicht zu sehr gelitten?« flüsterte er ihr ins Ohr.
Elise lächelte verlockend. »Mylord, ich bin Euch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«
Es folgte noch ein gemeinsamer Sternenflug, und es verging eine Ewigkeit, ehe Maxim widerstrebend aufstand.
Nachdem er aus dem kleinen Kessel Wasser in ein Waschbecken gegossen hatte, wusch er sich die Farbe aus Gesicht und Haar. Als er sich wieder dem Bett näherte, fragte Elise: »Hast du mir ein wenig Wasser übriggelassen?«
Maxim lächelte. »Das versteht sich von selbst. Deinen Anblick im Bade möchte ich mir nicht entgehen lassen.«
Elise setzte sich, die Decke über die Brust gezogen, auf. »Ich kann mich nicht in deiner Gegenwart waschen. Das wäre unschicklich«, sagte sie scheu.
»Wie? Ich habe dich schon zuvor im Bad erlebt«, scherzte er. »Willst du mich um das Recht des Ehemannes bringen, seine Frau im Bad bewundern zu dürfen?«
»Nein, aber… ich würde mich über ein gemeinsames Bad freuen, nachdem ich… nachdem mir alles vertrauter ist.«
Maxim lachte auf und beugte sich vor, um ihr einen Kuß auf die warmen Lippen zu drücken. »Das Feuer muß geschürt werden, meine Liebe. Ich bin zurück, sobald du fertig bist.«
Er zog Hemd und Hose an und verließ die Kabine. Elise verlor keine Zeit, ihr Bad zu nehmen. Danach kleidete sie sich notdürftig an und durchsuchte eilig die Schreibtischfächer nach einem Kamm. Da stutzte sie plötzlich, als sie in einer Lade hinten einen Lederbeutel mit den Initialen RR entdeckte. Es waren dieselben Lettern wie jene auf der Börse ihres Vaters. Sie griff danach und wog den Beutel in der Hand. Nach Münzen fühlte er sich nicht an, aber…
Neugierig schüttelte Elise den Inhalt auf ihre Handfläche: Es war ein großer, auffallender Ring, dessen Onyxstein kunstvoll mit Gold eingefasst war. Mit zitternden Händen hielt sie den Ring ans Licht der Laterne. Nein, ein Irrtum war ausgeschlossen. Es war der Ring ihres Vaters!
Es pochte leise an der Tür. Elise fuhr herum und sah sich Maxim gegenüber. »Sieh doch!« rief sie aufgeregt. »Der Ring meines Vaters! Es muß doch mein Vater gewesen sein, den Sheffield sah. Aber warum? Warum sollte Hillert meinen Vater entführen?« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Nur wegen des Goldes, das mein Vater versteckt hat? Gewiß besitzt Hillert selbst genug davon.«
»Dieser Mann kennt das Wort ›genug‹ nicht, meine Süße. Seine Habgier ist grenzenlos.«
»Das ist der beste Beweis dafür, daß mein Vater hier irgendwo festgehalten wird.«
Maxim schüttelte den Kopf und zog Elise zur Koje hin. »Nein, meine Liebe, ich glaube, man hat ihn wieder zurück nach England geschafft.«
»Du meinst, man hat ihn freigelassen?« Sie faltete die Hände und richtete den Blick wie im Gebet nach oben. »Oh, wenn es so wäre!«
»Ich fürchte, so ist es nicht.«
Maxim sah gerührt, wie ihre Hoffnung in Enttäuschung umschlug. Mit tränenblinden Augen starrte sie ihn an. Da nahm er sie auf den Schoß wie ein kleines Kind und wiegte die Schluchzende.
»Wenn du mir jetzt sagst, er ist tot… bei Gott, Maxim, ich glaube es nicht. Ich werde es nicht glauben, ehe ich nicht mit eigenen Augen seinen Leichnam gesehen habe.«
»Ehrlich, Elise, ich glaube wirklich, daß er noch lebt. Aber ich glaube nicht, daß er freigelassen wurde. Sollte er den Fehler begehen und seinen Entführern das Versteck des Schatzes verraten, dann könnte dies sein Ende bedeuten. Sein Schweigen ist sein einziger Schutz.«
»Er wird es niemals verraten«, sagte Elise und kämpfte mit ihren Tränen. »Er wird nie zusammenbrechen. Auch nicht, wenn man ihn foltert und quält. Er ist stark und klug.«
»Dann wollen wir hoffen, daß wir rechtzeitig England erreichen, um ihn befreien zu können.«
Verwundert blickte Elise auf. »Du willst zurück nach England?«
»Ja, weil es zu gefährlich ist, über den Frühlingsbeginn hinaus hier zu bleiben. Justin hat völlig recht. Hillert wird bald erfahren, wer Gustav getötet hat, wenn er es nicht schon weiß. Und er wird mich mit seiner ganzen Meute verfolgen.«
»Vielleicht ist es gar nicht ratsam, jetzt nach Hohenstein zurückzukehren?«
»Hohenstein ist im Augenblick unsere einzige Zuflucht. Aber sei beruhigt, ich habe Vorkehrungen für die Verteidigung der Burg getroffen. Wir werden es Hillert nicht leichtmachen, und so Gott will, werden wir siegen.«
Elise legte den Kopf auf seine Schulter. »Maxim, ich vertraue dir mein Leben an. Nie hätte ich gedacht, ich würde mich jemals freuen, zurück nach Hohenstein zu kommen.«
Maxim drückte einen Kuß auf ihre Lippen, als er, Elise eng umschlungen, aufstand. Er schlug die oberste Decke zurück und legte Elise hin. Gleich darauf hatte er sich entkleidet und war zu ihr unter die Decke geschlüpft. Sich in den Armen liegend, kümmerte es sie nicht, was sich in der Welt jenseits des Schiffes zutrug.
***
Elise erwachte, noch trunken vom Schlaf, und behagliche Wärme in Maxims Armen hüllte sie ein; sie hatte das Gefühl, daß die Welt in Ordnung sei. Zufrieden seufzte sie, schmiegte sich noch enger an ihren schlafenden Ehemann und schlief bald wieder ein, bis sie spürte, daß er ganz sachte ihre Brüste streichelte. Seine Lippen berührten ihren Nacken und ihre Schultern. Elise drehte sich um. Kein Wort fiel zwischen beiden, denn ihr Blicke verschmolzen und verrieten die geheimsten Gedanken. Maxim stützte sich auf einen Ellbogen und senkte seine Lippen auf ihren erwartungsvollen Mund, und ihre Sinne erwachten jäh, als seine Liebkosungen kühner wurden.
Da durchdrang von fern ein Geräusch wie ein Trommelschlag die Stille. Maxim fuhr auf, seine Wachsamkeit war schlagartig wiederhergestellt. Wieder ertönte das hohle Geräusch, ähnlich einem langsamen, schweren Schritt auf dem eisigen Deck. Maxim schlug die Decke zurück, fuhr in seine Kleider, faßte nach seinem Degen und schlich zur Tür.
»Freund oder Feind?« rief er laut.
»Ich bin es«, hörten sie Nikolaus' Stimme. »Justin wartet mit den Pferden. Ich bin gekommen, um Euch zu holen.«
Maxim schob den Riegel zurück und öffnete. Er hielt den Degen gesenkt und trat kampfbereit zurück, als der Kapitän hereinstolzierte. Sofort verhärtete sich Nikolaus' Miene, als er Elise auf der Koje sitzen sah, die Decke an die nackten Brüste gedrückt. Das Haar fiel ihr wirr auf die Schultern. Mit einem Blick stellte er fest, daß keine zweite Schlafstelle vorhanden war.
»Du Bastard!« stieß Nikolaus mit einem hasserfüllten Blick zu Maxim hervor. Ohne ihm die Gelegenheit zu einer Erklärung zu geben, holte er mit geballter Faust aus und erwischte Maxim am Kinn, so daß dieser durch die ganze Kabine taumelte. Elise schrie auf, als die leblose Gestalt auf dem Boden neben der Koje zu Boden sank. Sofort richtete Maxim sich auf den Ellbogen auf und schüttelte benommen den Kopf.
»Steh auf«, grollte Nikolaus und ging auf Maxim zu. »Ich möchte dir geben, was dir gebührt.«
Da sprang Elise, ohne Rücksicht auf ihre Nacktheit, auf und stieß Nikolaus mit einem Wutschrei die Faust in den Leib. Erstaunt über die Kraft, die hinter ihrem Hieb stand, wich er zurück. Während Maxim noch, an die Wand gelehnt, seinen Kiefer betastete, baute sie sich, die Decke jetzt eng an sich gezogen, vor Nikolaus auf.
»Wie könnt Ihr es wagen, einfach so hereinzutrampeln! Ihr mischt Euch in Dinge ein, die Euch nichts angehen, Nikolaus. Eigentlich wollte ich Euch die Sache schonend beibringen, Euer lümmelhaftes Benehmen aber machte dies unmöglich. Gestern wurde ich mit Maxim getraut.« Ohne seine Überraschung zu beachten, fuhr sie fort: »Wir wollten Euch nicht weh tun, ebenso wenig war es unsere Absicht, uns ineinander zu verlieben… aber es… es ist einfach passiert. Und glaubt ja nicht, Maxim hätte meine Situation ausgenutzt. Ich weiß genau, was ich will. Ich bin glücklich, Maxim zum Mann zu haben, und werde mich bemühen, ihm eine gute Frau zu sein… wie ich mich bemüht hätte, Euch eine gute Frau zu sein, wenn wir beide vor den Traualtar getreten wären.« Sie hielt inne, um ihre Gedanken zu sammeln, und sagte dann ruhiger: »Ich schulde Euch eine Entschuldigung, weil ich Euch nicht früher sagte, daß meine Gefühle sich einem anderen zuneigten. Maxim bat mich schon vor einiger Zeit, es Euch zu sagen, aber mir war es unangenehm, Euch kränken zu müssen. Jetzt sehe ich ein, daß es falsch war, denn ich habe Euch jetzt noch mehr Schmerz zugefügt, und das tut mir leid. Nikolaus, ich bedauere es aus tiefstem Herzen.«
»Ich hätte mir denken können, daß es so kommt«, seufzte der Kapitän enttäuscht. »Ihr wart ja ständig beisammen.« Mit einer matten Geste deutete er zur Tür. »Justin hat für euch beide Kleidung gebracht. Ich hole die Sachen, anschließend müssen wir aufbrechen. Ich begleite euch bis zur Stadtgrenze und sage euch dann Lebewohl. Ehe ich nach Hamburg fahre, muß ich mich um Katarina und meine Mutter kümmern. Justin hat mich davon überzeugt, daß ihr schleunigst außer Landes geschafft werden müßt. Ich werde dafür sorgen, daß wir auslaufen, sobald das Eis bricht. Wenn ich bereit bin, schicke ich Nachricht.«
»Wollt Ihr uns wirklich bei der Flucht helfen?« fragte Elise mit gemischten Gefühlen. Als er nickte, sah sie ihn eindringlich an. »Und Eure Verpflichtung der Hanse gegenüber?«
»Vielleicht muß sich in den Herzen der Hanseaten manches ändern«, sagte er nachdenklich. »Vor langer Zeit schloß sich der Bund zusammen, um seine Mitglieder vor Piraten und anderem Gesindel zu schützen. Und jetzt schützt er einen Piraten in seiner Mitte. Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Vielleicht habe ich aus Sorge um mein eigenes Wohlergehen vor Hillerts Untaten die Augen zugedrückt. Es war einfacher, sich in nichts einzumischen.«
Mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht raffte Maxim sich auf, und Elise machte sich daran, sein Gesicht mit einem kalten feuchten Tuch zu behandeln. Maxim zuckte zusammen, als sie eine besonders empfindliche Stelle berührte. Über ihren Kopf hinweg sah er seinen Freund vorwurfsvoll an. »Es fehlte nicht viel, und du hättest mir den Kiefer gebrochen.«
»Das war meine Absicht«, grinste Nikolaus. »Jetzt sind wir quitt.«
In der Gewissheit, daß alles zwischen ihnen wieder im Lot war, ging der Kapitän hinaus. Kurz darauf kam er mit einem großen Bündel zurück, das er Maxim zuwarf. »Ich warte draußen«, sagte er und ging wieder.
Maxim und Elise zogen sich nun in aller Eile an, wobei sie ihn immer wieder um Hilfe bitten mußte. Maxim, der viel früher fertig war als seine junge Frau, zog seufzend das Samtkleid über die ausgestreckten Arme, strich es über ihren Unterröcken glatt und hakte es im Rücken zu. Ein wohliger Schauer überlief sie, als sie seine warme Hand an ihrer Schulter spürte, die sich weiter in ihr Hemd schob und eine Brust umfasste.
»Ich kann es kaum erwarten, Hohenstein zu erreichen. Diese empfindliche Gegend erfordert gründlichere Erkundung.«
Elise legte eine Hand über die seine. »Immer werde ich mich nach deiner Berührung sehnen. Auch ich kann es kaum erwarten, daß wir wieder allein sind.«
»Nikolaus wartet, und wir haben lange genug gezögert«, flüsterte er. »Vergiß den Ring deines Vaters nicht. Je eher wir aufbrechen, desto eher sind wir zu Hause, so Gott will.«
Maxim geleitete Elise an den Kai, wo Nikolaus und Justin mit den Pferden warteten. Er hob sie auf den Rücken der Stute und lief dann unter dem Vorwand, er habe etwas an Bord vergessen, zurück; die beiden Männer sollten mit Elise schon losreiten. Besorgt blickte Elise sich nach Maxim um, während Justin die Stute am Zügel die Straße entlangführte.
Eilig lief Maxim in die Kombüse und zog mit einem langen Feuerhaken ein brennendes Scheit auf den Holzboden. Dann holte er noch ein Stück Holz aus dem Herd und warf es in die Luke, die sich über Tauen, Seilen und zerbrochenen Spieren auf dem darunterliegenden Deck öffnete. Zufrieden lächelnd zog er sich zurück. Wenn es etwas gab, das Hillert nach Hohenstein lockte, dann war es der Brand seines Schiffes. Mit Sicherheit. Und die Suche nach dem Brandstifter. Entwickelte sich alles wie geplant, dann würde die Königin von England guten Grund haben, sich bei Maxim zu revanchieren.