8
Das Frontportal schwang unter einem mächtigen Windstoß auf, und inmitten tanzender Schneeflocken stürmte eine hochgewachsene Gestalt, in einen Mantel gehüllt, wie vom Wind getragen herein. Weiße Flocken umwirbelten sie und wurden in die Halle geweht, ehe man die Tür gegen die Kälte der Winternacht wieder schließen konnte. Der Mann streifte die Kapuze vom Kopf und wandte sich dem Kamin zu, von wo ihm Spence und Fitch verblüfft entgegenstarrten. Sein dichtes helles Haar war kurz geschnitten, der Bart, der einst sein markantes Kinn zierte, war verschwunden. Für Augenblicke erschienen die beiden am Kamin wie erstarrt. Als sie ihn schließlich erkannten, sprangen sie auf und warfen fast den Schragentisch um, an dem sie gesessen hatten, so eilig hatten sie es, den Mann willkommen zu heißen.
»Lord Seymour! Ohne Bart hätten wir Euch kaum erkannt!« würgte Fitch, der gerade an einem Stück verbrannten Hasenbratens kaute, hervor. Mit einer Grimasse schluckte er das Stück herunter und fuhr nun verständlicher fort: »Mylord, seid versichert, daß wir sehr erleichtert sind über Euer Kommen! Gerüchte wollten wissen, daß Ihr ein Opfer der See geworden seid.« Fitch, der den eindringlichen Blick seines Herrn auf sich spürte, wandte verlegen sein Gesicht ab, um die rote Schramme auf seiner Wange zu verbergen. »Zumindest hat man uns das gesagt.«
Maxim runzelte die Stirn, als Spence, der eine große Beule auf der Stirn und dazu ein dunkel umrandetes Auge hatte, näher trat, um den vor Schnee starrenden Umhang des Lords in Empfang zu nehmen.
»Was ist denn das?« fragte Maxim, als er den Umhang von den Schultern gleiten ließ. »Ihr beide seht aus, als wärt ihr Wegelagerern in die Hände gefallen. Seid ihr wieder aneinander geraten? Oder könnte es sein, daß ihr dummerweise diese Burg bis zu meiner Ankunft verteidigt habt? Gott weiß, daß ihr besser daran getan hättet, sie in fremde Hände fallen zu lassen. Ein schrecklicher Ort, eine erbärmliche Unterkunft. Warum seid ihr hier und nicht in dem Herrenhaus, das ich gemietet habe?«
Fitch setzte händeringend zu einer Erklärung an. »Wir wollten wie befohlen von Hans Rubert die Schlüssel holen, doch er sagte, Ihr seid draußen auf See verschollen. Das Haus habe er seiner jüngst verwitweten Schwester gegeben.«
»Und das Geld, das ich ihm gab, damit er das Haus für mich reserviert?« Maxim war verärgert. »Wo ist das Geld?«
Fitch vermochte dem Blick der durchdringenden grünen Augen nicht standzuhalten und wich hastig ein paar Schritte zurück. »Er gab mir kein Geld zurück, sagte aber, diese Burg solle uns offenstehen, solange wir bleiben.«
»Was, zum Teufel, sagst du da?« donnerte Maxim ihnen entgegen und ging auf die beiden zu, die ängstlich rückwärts stolperten.
»Wir waren ratlos, Mylord!« beeilte Spence sich den Lord zu besänftigen. »Für eine Lady nicht der richtige Ort, aber erst als Kapitän von Reijn uns Geld gab, hätten wir etwas Besseres mieten können.«
»Um Rubert werde ich mich selbst kümmern«, versprach Maxim. »Es war gut, daß von Reijn mich im Hafen abholte und mir sagte, wo ihr seid. Andernfalls hätte ich euch nie gefunden. Erklärungen gab er mir nicht. Er sagte nur, daß es ein Problem gebe. Ist das alles?« Besorgnis verdunkelte seine Miene. »Und was ist mit der Lady? Geht es ihr gut? Ist sie wohlauf?«
»Jawohl, Mylord.« Fitch warf seinem Gefährten einen vielsagenden Blick zu, als wäre es ihm unangenehm, über ihre Schutzbefohlene zu sprechen. »Wir können Euch versichern, daß sie putzmunter ist.«
»Ja«, pflichtete Spence eifrig bei, »frisch wie der junge Frühling.«
»Welchem Umstand verdankt ihr dann eure Schrammen und Kratzer?«
Ganz plötzlich galt die Aufmerksamkeit der beiden anderen Dingen. Der eine klopfte den Schnee vom Mantel, der andere wies einladend auf den Kamin.
»Kommt, und wärmt Euch am Feuer auf, Mylord«, sagte Fitch beflissen. »Wir hätten auch etwas Essbares für Euch, wenn auch gewiß nicht nach Eurem Geschmack.« Er lief durch den Raum und schob einen großen, hochlehnigen Stuhl an das Ende des Tisches, wo der Marquis noch die Wärme des Feuers spüren konnte.
Mißtrauisch geworden ließ Maxim die zwei nicht aus den Augen, überzeugt, daß sie vor ihm etwas zu verbergen hatten, da sie sich wie bei einer Missetat ertappte Kinder benahmen.
»Hat es euch die Rede verschlagen? Ich möchte wissen, was sich hier zugetragen hat.«
Die zwei zuckten zusammen. Der verängstigte Fitch gab sich als erster geschlagen. »Es war die junge Herrin, Mylord. Sie ging auf uns los, weil wir sie in ihren Gemächern einsperrten und sie nicht rausließen.«
Maxim lachte auf. »Ach, Unsinn, da müßt ihr euch etwas Besseres einfallen lassen.« Daß die sanfte und stille Schönheit, die er kannte, soviel Temperament an den Tag gelegt hatte, erschien ihm unwahrscheinlich.
»Wirklich, Mylord, nachdem sie uns in Hamburg fast entwischt wäre, haben wir sie hierher zurückgebracht und ihre Tür abgeschlossen, damit sie nicht wieder davonläuft. So, wie sie sich gebärdet hat, glaubten wir schon, der Teufel ist in sie gefahren.«
»Sie hatte einen Wutanfall«, mischte sich nun Spence ein. »Sie beschimpfte uns und warf uns alles an den Kopf, was sie in die Hände bekam. Als Fitch ihr was zum Essen brachte, schlug sie ihm einen Scheit über die Rübe und versuchte wieder zu entwischen. Und dann ich, Sir… mir stieß sie die Finger in die Augen und knallte mir die Tür gegen den Kopf, als ich sie zurück in ihr Gemach schaffte. Sie wollte sich nicht wieder einschließen lassen.«
»Und die Lady? Wurde sie etwa dabei verletzt?« fragte Maxim besorgt.
»Nein, sie ist nur wütend«, versicherte Spence hastig.
Maxim war versucht, die Geschichte als wilde Übertreibung abzutun, wollte sich aber doch Gewissheit verschaffen. Diese Gewalttätigkeit paßte nicht zu der zarten Schönheit. »Ich will der Dame einen Besuch abstatten.« Damit durchquerte er die Halle und sprang die Stufen hinauf, zwei auf einmal nehmend, weil er es vor Neugierde kaum erwarten konnte. Im Oberstock lief er den Gang entlang und hielt vor der schweren Eichentür inne. Unmut stieg in ihm auf, als er den schweren Riegel sah, den man von außen angebracht hatte, so daß die Tür von innen nicht geöffnet werden konnte. Er klopfte leise an. »Mylady, seid Ihr angekleidet? Ich möchte mit Euch reden.«
Schweigen. Kein Ton. Als Maxim trotz wiederholter Fragen immer noch keine Antwort erhielt, hob er den Riegel und schob die Tür auf. Der Raum schien leer. Er trat ein und sah sich um.
»Arabella? Wo seid Ihr?«
Elise, die sich an die Wand hinter der Tür gedrückt hatte, um auf diesen Tölpel, der es wagte, ihr Gemach zu betreten, loszugehen, erstarrte, als die warme, erregende Stimme Erinnerungen an die Begegnung auf der dunklen Treppe von Bradbury Hall weckte. Jetzt trat sie aus ihrem Versteck und senkte den kleinen Kaminschemel, mit dem sie dem Eindringling über den Kopf hatte schlagen wollen. Auch wenn er jetzt gekleidet war wie ein Edelmann und keinen Bart mehr trug, so war nicht zu verkennen, daß er es war.
»Was zum Teufel…?« Eine tiefe Furche grub sich in seine Stirn, als er ihrer ansichtig wurde. »Was macht Ihr denn hier?«
»Ihr wart das also!« In den saphirblauen Augen blitzte es empört auf. »Ihr habt die beiden gedungen, damit sie mich entführen! Und die ganze Zeit dachte ich… aaach!«
Im nächsten Moment holte sie mit dem Schemel aus und schwang ihn mit der ganzen Kraft ihrer entfesselten Wut. Maxim wich geschickt aus und entriss ihr den Hocker.
»Wo ist Arabella?« fragte er barsch und sah sich um.
»Ach, Arabella also?« fragte Elise mit schneidender Stimme. Soso! Er hatte seine Leute losgeschickt, damit sie Arabella entführten, und die beiden hatten irrtümlich sie erwischt. Verächtlich verzog sie die Lippen, als sie fortfuhr: »Zweifellos befindet sich Arabella dort, wo es sich für ein gutes Weib geziemt… an der Seite ihres Gemahls… in England.«
»In England?« Maxim begriff schlagartig, was passiert war, und Wut stieg in ihm auf. »Wieso seid Ihr hier?«
Mit einer wegwerfenden Geste wies Elise auf die Tür. »Fragt doch Eure Männer. Die haben mich entführt.«
»Sie hätten Arabella herschaffen sollen«, stieß er schroff hervor. »Was treibt Ihr hier?«
»Ihr seid wohl schwer von Begriff!« schrie sie ihn an. »Versteht Ihr denn nicht? Wenn Ihr eine Antwort wollt, dann wendet Euch an Eure Helfershelfer. Diese Einfaltspinsel haben mich in Arabellas Schlafgemach überfallen und entführt.«
»Ich werde sie mit eigenen Händen erwürgen!« sagte Maxim zähneknirschend.
Damit machte er kehrt und stürmte hinaus. Seine Stimme donnerte durch den Gang, als er die Treppe hinunterlief. »Fitch, Spence! Verdammt, wo steckt ihr?«
Die beiden waren hinausgegangen und befanden sich gerade vor dem Eingangsportal, als sie seinen Ruf vernahmen. Hastig kamen sie zurück, um dem Marquis Rede und Antwort zu stehen, der ihnen, die Arme in die Hüften gestützt, mit Unheil verkündender Miene entgegensah. Ihre kläglichen Versuche, sich ein Lächeln abzuringen, erstarben, als er zum Sprechen ansetzte. »Wisst ihr, was ihr angestellt habt?« brüllte er sie an.
Die beiden wichen ängstlich zurück. Elise kam nun die Treppe herunter, und ihr Lächeln kündete von höchster Befriedigung und boshafter Vorfreude. Das war nicht das Lächeln einer Liebenden, die sich endlich mit ihrem Geliebten vereint weiß! Was war nur geschehen? Der Marquis tobte vor Wut. In seinen grünen Augen blitzte es, seine Kinnmuskeln zuckten und ließen Böses ahnen.
Mit einem Blick über die Schulter fragte Maxim in beherrschtem Ton: »Würdet Ihr die Güte haben, Madame, uns zu sagen, wer Ihr seid?«
Mit der Überlegenheit einer Königin sagte Elise: »Ich bin Elise Madelins Radborne.« Der große Raum ließ ihre Stimme widerhallen. »Einziges Kind Sir Ramsey Radbornes, Nichte Edward Stamfords und Kusine seiner Tochter Arabella.«
Fitch und Spence blieb der Mund vor Staunen offen stehen. Kläglich wandten sie sich dem Marquis zu. Jetzt kannten sie den Grund für seinen Zorn. Er starrte das Mädchen an, als hätte diese Eröffnung auch ihn überrascht, doch sein Zorn war keineswegs verraucht, als er sich wieder an seine Helfershelfer wandte. »Begreift ihr jetzt, was ihr angestellt habt?« flüsterte er drohend.
»Das wußten wir nicht, Mylord!« flehte Fitch.
»Ihr hättet euch vergewissern sollen!« herrschte Maxim sie an. »Habe ich euch nicht eine Beschreibung gegeben?«
»Ja, und wir dachten, sie wäre es.«
»Hellbraunes Haar, sagte ich.«
Fitch hob die Hand, als wollte er Seiner Lordschaft die langen Strähnen zeigen, die dem Mädchen über die Schultern fielen. »Ist es nicht hellbraun?«
»Bist du mit Blindheit geschlagen?« brauste Maxim auf. »Siehst du denn nicht, daß es rotbraun ist? Und sie sollte graue Augen haben und nicht blaue!«
Fitch, der jeden weiteren Versuch aufgab, den Tobenden zu besänftigen, suchte hinter seinem Leidensgenossen Deckung und überließ die weiteren Erklärungen Spence.
»Mylord, kein Wunder, daß wir uns irrten«, setzte er erklärend an, »die Gemächer waren dunkel, und das war die einzige Dame, die hereinkam, obwohl wir lange warteten. Eine andere zeigte sich nicht.«
»Ihr hättet Arabella mitnehmen sollen«, brüllte Maxim. »Statt dessen habt ihr mir diese halb verrückte Kratzbürste gebracht! Edward Stamford hängt an seinem Besitz so sehr, daß er sich kaum Sorgen machen wird, nur weil sie verschw…«
Elise unterbrach seinen Tobsuchtsanfall.
»Ihr könnt mich ja zurückschicken.«
Maxim starrte sie verblüfft an, dann verfinsterte sich seine Miene. »Glaubt mir, wenn es möglich wäre, täte ich es, doch fürchte ich, daß im Moment an Rückkehr nicht zu denken ist.«
»Falls Ihr befürchtet, ich würde verraten, daß Ihr mich habt entführen lassen, verspreche ich, Stillschweigen zu bewahren. Auf mein Wort ist Verlass.«
»Mistreß Radborne, ich bin des Mordes und des Verrats an der Krone angeklagt.« Sarkastisch fügte er hinzu: »Ich bezweifle sehr, daß Ihr meinen Ruf und mein Ansehen noch weiter beeinträchtigen könnt. Und denkt daran, daß Elizabeths Macht nicht bis hierher reicht und ich hier vor dem Henker sicher bin.«
»Aber Ihr könnt mich hier nicht brauchen«, schmeichelte sie. »Bitte, laßt mich gehen.«
»Und trotzdem werdet Ihr bleiben, Madame.«
Wütend stampfte Elise mit dem Fuß auf. »Ihr müßt mich freilassen! Ich muß zurück und meinen Vater suchen! Vielleicht liegt er irgendwo verletzt… oder es ist noch schlimmer. Und ich bin die einzige, die ihn überhaupt finden will. Er ist auf mich angewiesen… Begreift Ihr das nicht?«
»Ich weiß sehr wohl, daß man Sir Ramsey Radborne gefaßt hat«, bemerkte Maxim. »Wenn Ihr wirklich seine Tochter seid, dann muß ich Euch leider sagen, daß man sich erzählt, er sei auf einem Schiff von England fortgebracht worden. Falls dies stimmt, dann ist Eure Rückkehr nach England völlig sinnlos.«
Elise starrte ihn entgeistert an. »Wohin soll man ihn geschafft haben? Und warum?«
»Irgendwohin. Die ganze Welt käme in Frage«, entgegnete Maxim.
»Ich bleibe nicht!« platzte Elise, den Tränen nahe, heraus. Wie konnte sie hoffen, jemals ihren Vater zu finden, wenn sie nun auf der ganzen Welt nach ihm suchen mußte?
»Im Moment bleibt Euch wohl nichts anderes übrig, als meine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen«, sagte Maxim und verbeugte sich knapp. »Verzeiht mir.«
»Ich werde aber keine Ruhe haben, solange mein Vater nicht gefunden wird«, jammerte Elise. »Begreift Ihr das nicht? In England hätte ich zumindest die Möglichkeit, jemanden ausfindig zu machen, der weiß, wohin man ihn gebracht hat. Ihr müßt mich schleunigst zurückschaffen.«
»Unmöglich.«
Seine unverblümte Antwort weckte erneut Elises Widerspruchsgeist. »Sir, ich sage Euch, seid auf der Hut! Solange ich da bin, werdet Ihr in diesem Trümmerhaufen keine Ruhe finden. Ich werde Euch das Leben so schwer machen, daß Ihr den Tag verwünschen werdet, an dem Ihr Befehl gabt, Arabella zu entführen. Mag meine Kusine Euch Liebe und Treue versprochen haben, von mir habt Ihr nur Hass und Verachtung zu erwarten.«
»Nehmt Vernunft an«, erwiderte Maxim, über ihre Heftigkeit belustigt. »Wenn Ihr mich zu sehr plagt, werde ich Euch wieder einsperren lassen, und keiner von uns…«
»Nur über meine Leiche!« Elise holte aus und wollte ihm ins Gesicht schlagen, doch er bekam ihren Arm zu fassen und hielt ihn fest.
»Jetzt seht Ihr, wie töricht Eure Drohungen sind«, ermahnte er sie, und seine Stimme klang beinahe sanft.
Als Elise erneut zuschlagen wollte, duckte er sich, schlang gleichzeitig einen Arm um ihre Hüfte und hob sie hoch. Sie spürte seine Wärme durch den dünnen Stoff und wurde schamrot.
»Was sagst du nun, Mädchen?« Maxim legte den Kopf zurück, wobei sein Blick flüchtig ihre heftig bebenden Brüste streifte, ehe er ihr lächelnd in die blauen Augen sah. »Wer soll Fuchs und wer Hase sein? Du würdest für mich einen Happen abgeben, einen leckeren überdies.«
Plötzlich spürte Maxim, wie ihre Weiblichkeit seine ausgehungerten Sinne weckte, und diesen Augenblick der Schwäche nutzte Elise, schnappte nach seinem Ohrläppchen und biss zu.
Maxim schrie auf, ließ sie los, und Elise sprang wie ein aufgeschreckter Hase davon, um hinter dem Tisch Schutz zu suchen, während sich der Marquis sein blutendes Ohr hielt.
»Fang mich, Fuchs«, spottete sie und setzte mit gespieltem Mitleid hinzu: »Armer Fuchs, habe ich dir weh getan?«
»Schluß jetzt, du Biest!« Sein Groll machte ihr Beine, und sie lief zur Treppe, weil sie merkte, daß mit ihm nicht mehr zu spaßen war.
»Mylord, schont das Mädchen!« rief Spence händeringend.
Maxim wollte ihr nachsetzen, aber Elise war schon in ihrem Zimmer verschwunden und hatte von innen verriegelt.
»Verschwinde!« fuhr Maxim ihn an und stieß seine Hand weg. Finster blickte er zum Oberstock hinauf. So hilflos, wie er zunächst geglaubt hatte, war sie nicht. Kein Hase, sondern Füchsin durch und durch.
An seinem verletzten Ohr zupfend, richtete er nun seinen Gewitterblick auf die zwei Bediensteten. »Nun, was habt ihr zu eurer Rechtfertigung vorzubringen?«
»Was können wir schon sagen, Mylord?« erwiderte Fitch kleinlaut. »Wir haben einen schrecklichen Fehler gemacht, und wenn Ihr uns die Hände abhacken wollt, haben wir es verdient.«
»Spence?« Der Marquis gab sich noch nicht zufrieden.
Spence fuhr mit der großen Zehe über den Steinboden, auf dem noch vor einer Woche eine dicke Staubschicht gelegen hatte. Wäre nicht das Mädchen gewesen, so hätte sich daran nichts geändert. »Das junge Ding tut mir schrecklich leid, besonders, weil wir an allem schuld sind. Wenn Ihr mir Urlaub gebt, dann möchte ich sie ihrem Onkel wieder zurückbringen.«
Maxim dachte nach. Er merkte, daß es Spence ernst war, seinen Fehler wiedergutzumachen. »Es gibt da noch ein Problem.«
»Und das wäre, Mylord?«
»Ihr Vater wurde entführt, und ich bin der Meinung, daß sie in große Gefahr gerät, wenn wir sie nach England bringen, ehe er wieder auf freiem Fuß ist. Sie hat dort außer Edward keinen Beschützer, und seinen Charakter kenne ich.«
»Ja, dann müssen wir sie sicherheitshalber hier behalten.«
»Genau.«
»Werdet Ihr dem Mädchen diese Gefahr erklären?«
»Würde sie mir denn Glauben schenken?«
»Nein, Mylord, sie würde Euch hassen, weil Ihr sie nicht gehen laßt.«
Maxim rieb sich sein schmerzendes Ohrläppchen.
»Aber was wird aus Eurer Braut, Mylord?« wollte Spence wissen.
Maxim dachte lange nach, dann seufzte er resigniert. »Hm, sieht aus, als wäre sie für mich verloren. Ich kann nicht zurück nach England, um sie zu holen. Edward hat gewonnen. Er hat jetzt seine Tochter, meinen Besitz und dazu Relands Vermögen. Es werden viele Monate vergehen, ehe ich zurückkehren und den Kampf wiederaufnehmen kann.«
»Ja, Mylord, zuweilen können Pläne schief gehen«, pflichtete Spence ihm mitfühlend bei. »Aber vielleicht war eine höhere Macht im Spiel. Wenn Fitch und ich durch unseren Irrtum mitgeholfen haben, das Mädchen aus großer Gefahr zu retten, dann bin ich stolz des Mädchens wegen, aber traurig Euretwegen.«
Maxim schwieg dazu. Gegen diese Worte konnte er nichts einwenden, doch der Schmerz wühlte in seinem Herzen. Langsam stieg er die Treppe hinauf. »Bringt mir etwas Essbares, dazu Bier und heißes Wasser auf meine Kammer, und dann laßt mich bis morgen ruhen. Ich brauche dringend Schlaf auf einem frischen Strohsack…«
»Ja… verzeiht, Euer Lordschaft…«, rief Fitch ihm beklommen nach.
Maxim hielt inne und drehte sich halb um. Er spürte, daß weitere Erklärungen bevorstanden.
»Nun ja, wir haben mit dem Saubermachen sofort angefangen. Wir haben die Böden geschrubbt, und dann dauerte es eine Weile, bis wir die Räume für die Mistreß… nun ja, wir waren so beschäftigt, daß wir Eure Kammer nicht fertigmachen konnten.«
»Nun gut, das hat Zeit bis morgen. Ich möchte nur ausschlafen.«
»Aber…«, setzte Fitch kläglich an.
Maxim wurde ungeduldig. »Was ist, Fitch?«
»Das Dach!« platzte Fitch heraus. »Wir haben es noch nicht repariert.«
»Was ist mit dem Dach?«
»Es hat ein großes Loch. Möchtet Ihr nicht lieber hier beim Feuer die Nacht verbringen?«
Maxim bedachte den Mann mit einem kühlen Blick. »Wie lange wird es dauern, bis ihr das Dach repariert und meine Räume bewohnbar gemacht habt?«
»Ach, einen Tag etwa. Wir müssen die Fensterbalken und die Tür in Ordnung bringen. Dann noch ein, zwei Tage, vielleicht drei, bis wir das Dach fertig haben. Dann müssen wir noch saubermachen.«
Maxim drehte sich um und ging langsam wieder hinunter. »Essen werde ich hier unten am Feuer, aber ehe ich mich zurückziehe, erwarte ich, daß meine Räumlichkeiten für eine Nacht notdürftig hergerichtet werden, und wenn ihr das Loch mit Decken verhängen müßt. Wenn ihr das nicht schafft, werdet ihr den Winter im Stall bei Eddy verbringen. Ist das klar?«
»Und wie, Mylord«, versicherte Fitch. Im Geiste war er bereits an der Arbeit. Es war keine Sekunde zu verlieren. »Ich stelle Euch rasch etwas Essbares hin.«
»Ich bediene mich selbst. Ihr beide habt nur wenig Zeit.«
»Wie wahr, Mylord«, stimmte Fitch zu.
Spence holte bereits Besen und Eimer, denn er hatte keine Lust, den Winter über Eddy im Stall Gesellschaft zu leisten. Da man nicht wußte, wie die kalte Jahreszeit sich hier in diesem Land ausnahm, waren auf jeden Fall die Wärme eines Kaminfeuers und ein weicher Strohsack vorzuziehen.