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Habgier erweist sich für viele als wahrer Fluch, da sie den Genuss der meisten Freuden vergällt. Auch nicht die kleinste Münze wird ausgegeben ohne Bedauern über ihren Verlust und ohne, zaghafte Hoffnung, ihr Entschwinden würde sich doppelt lohnen. So war es auch im Fall von Edward Stamford, dessen Befriedigung über die Vermählung seiner Tochter geschmälert wurde, da er mit ansehen mußte, wie hemmungslos die Festgäste von seiner Großzügigkeit Gebrauch machten. Seine nur widerwillig gewährte Gastfreundschaft hatte die Gäste, die gekommen waren, um ihrer Gefräßigkeit zu frönen, aller Hemmungen beraubt. Auch die festlichen Klänge der Musik vermochten seine sinkende Stimmung nicht zu heben. Die lachenden und scherzenden Gäste verstärkten sein Bedauern noch, so daß auch diejenigen, die in ihrer Sattheit eingenickt waren, kein Trost für ihn waren.
»Sieh an!« machte er leise seinem Missmut Luft. »Sie sind so voll mit Speis und Trank, daß sie vor ihren Schüsseln dösen. Hätte ich das geahnt, hätte ich mir manches Goldstück sparen können.«
Edwards finsterer Blick wanderte durch den Saal und blieb an Taylor, dem Diener, hängen, als dieser an einem der nahen Tische innehielt. »Du da drüben! Hör auf, den Krug vor den anderen zu schwenken, und gieß lieber mir nach!«
Der Kerl machte verwundert eine halbe Drehung und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, doch als Edward ihn zu sich winkte, wich er zurück und murmelte: »Herr, ich laufe lieber und hole Euch frisches Bier.«
»Nichts da! Lass das Bier!« Wütend über die Weigerung, winkte ihn Edward heran. »Ich nehme, was du hast.«
»Herr, das wäre nicht richtig.« Taylors Stimme drang gedämpft aus seiner Kapuze, die er sich enger ums Gesicht zog. »Im Krug ist nur noch ein abgestandener Rest. Ich hole Euch gutes, frisches Bier, Herr«, erbot er sich und war schon unterwegs. »Gleich bin ich wieder da.« Ehe Edward protestieren konnte, war er zwischen betrunkenen Lords hindurchgeschlüpft und entschwunden.
Zähneknirschend stieß Edward ein paar Flüche hervor und knallte den in Leder gefassten Humpen auf den Tisch. Er griff nach seiner federgeschmückten Toque, drückte diese auf sein graumeliertes Haar und stand auf, um dem aufsässigen Kerl nachzulaufen. Im nächsten Moment spürte er plötzlich einen starken Druck in seinem Schädel, der ihn fast in die Knie zwang. Regungslos verharrte er, bis die Schmerzattacke abzuebben begann. Er vermied jegliche heftige Bewegung, während er die Halle nach dem unverschämten Bedienten absuchte, um ihm eine gehörige Strafpredigt zu verpassen. »Ich werde dafür sorgen, daß die Krähen an seinen Knochen picken«, stieß Edward hasserfüllt hervor.
Anstatt des Dieners erfasste sein suchender Blick jedoch Elise, und wieder durchfuhr ihn ein jäher Zorn, da es aussah, als würde sie ihm abermals Verdruss bereiten: Der junge Tölpel Devlin Huxford hatte im Verlauf des Festes reges Interesse an ihr gezeigt und versuchte nun beharrlich, Elise zum Tanzen zu bewegen. Als naher Anverwandter Relands würde Devlin eine Kränkung nicht hinnehmen, im Gegenteil, in diesem Fall stand ein Racheakt der Huxfords zu befürchten. Und doch schien das Mädchen es darauf anzulegen. Der entschlossene Zug um den Mund ließ eine beleidigende Äußerung erwarten. Der junge Mann konnte von Glück reden, wenn es ohne hitzigen Disput abging.
Die Falte zwischen Edwards Brauen vertiefte sich, das Dröhnen in seinem Kopf war vergessen, als er sich unter Einsatz seiner Ellbogen durch die Gästeschar drängte. Er mußte Elise erreichen, ehe sie Unheil stiften konnte, ein Talent, über das sie, wie schmerzliche Erfahrungen gezeigt hatten, im Übermaß verfügte.
»Sir, habt Ihr nicht verstanden? Ich kenne die Schritte nicht«, hörte er seine Nichte sagen. Diese kurze und schroffe Bemerkung befreite sie jedoch nicht vom Zugriff des zielstrebigen Devlin. Mit einer flinken Drehung riß Elise ihre Hand los und strafte ihren hartnäckigen Bewunderer mit einem hochmütigen Blick, während sie ihre weißen Manschetten glatt strich. »Und gegenwärtig verspüre ich auch nicht den Wunsch, sie zu lernen.«
Scheinheilig legte Edward den Arm um die Schultern seiner Nichte und meinte scherzend: »Mädchen, zier dich nicht so. Soll dieser brave Bursche denken, du bist eine steife alte Jungfer ohne Manieren? Das ist der junge Devlin Huxford.« Er ließ den Arm sinken und fuhr dann bedeutungsvoll fort: »Der Vetter Relands.«
Elises besänftigendes Lächeln wirkte wie eine Entschuldigung, und Devlin strahlte schon vor Vorfreude. Kühn tat er es ihrem Onkel gleich und legte ihr vertraulich den Arm um die Mitte.
»Verzeih mir, Onkel«, erwiderte sie, taktvoll bemüht, sich der bedrängenden Nähe Devlins zu entziehen. »Auch wenn er der Sohn der Königin wäre, würde ich ihm raten, sich woanders umzusehen.« Die letzten Worte stieß sie verbissen hervor, während sie ihm die Ellbogen in die Rippen stieß. »Ich habe es satt, von ihm betatscht zu werden.«
Edward verlor beinahe die Fassung, als ihm die Bedeutung ihrer Worte aufging. Zorn loderte aus seinem Blick, dann verdunkelte er sich zu stählerner Härte. Er sah kurz den errötenden Devlin an, der vorsichtig einen Schritt zurückgewichen war. Der junge Mann erwartete Edwards Machtwort, das die Jungfer zum Nachgeben zwingen würde, doch Edward wußte um die Torheit solchen Vorgehens. Elise würde sich keinem Druck beugen, und für ihn würde sich jede Hoffnung auf den Schatz in Nichts auflösen.
Edward, der nur mit Mühe an sich halten konnte, trat ganz nahe an Elise heran, so daß sein biergeschwängerter Atem ihr entgegenschlug. »Willst du uns die Huxfords auf den Hals hetzen, du dummes Ding?« zischte er ihr ins Ohr. »Reland zürnt dir noch wegen der letzten Begegnung, und jetzt hast du einen zweiten Huxford gegen dich. Ich kann dir versichern, daß es dir schlecht bekommen wird, wenn Reland im Westtrakt einzieht.«
Elise erinnerte ihren Onkel an seine Anordnung von vorhin. »Hast du mich nicht angewiesen, den Dienern Beine zu machen?« bohrte sie mit sicherem Gespür für seine verwundbarste Seite. »Wenn ich nicht ein Auge auf sie habe, werden deine Tagelöhner die Keller leersaufen und deine Speisekammer plündern. Wenn du ihrer Gefräßigkeit freien Lauf lassen willst, dann Lass mich am Tanz teilnehmen.«
Peinlich berührt wollte Edward aufbrausen, überlegte es sich aber anders und faßte unvermittelt nach dem Arm Devlins, um diesen mit sich zu ziehen. »Komm, Devlin«, schmeichelte er, »dort drüben sehe ich eine Dame, deren Reize sich mit deinen messen können.«
Mit demütig verschränkten Händen sah Elise, wie der junge Huxford sich zurückzog. Devlin hatte alles getan, um ihre Ansicht zu bestätigen, daß er ein ungehobelter, hitzköpfiger Tölpel war, ein Prahlhans, der sich gern seiner Männlichkeit rühmte, mit einem Wort: ein würdiger Vetter Reland Huxfords.
Edward verlor keine Zeit und stellte Devlin einer jungen und ansehnlichen Witwe vor, ehe er sich zu seiner Nichte zurückbegab. Es erschien ihm das klügste, ihr Pflichten außerhalb des Saals aufzubürden, ehe ihre Anwesenheit ihn teuer zu stehen kam. »Du mußt Arabella jetzt in ihre Gemächer begleiten. Hilf ihr, sich für Reland zurechtzumachen, und wenn sie bereit ist, kommst du herunter und meldest es mir. Ich werde dafür sorgen, daß Reland hinauf ins Brautgemach geschafft wird, gleich, in welcher Verfassung er ist. Dieses Gelage muß ein Ende finden, ehe man mir das letzte Hemd vom Leibe zieht.«
Er nahm einem vorübereilenden Diener einen Bierhumpen ab und setzte zu einem tiefen Zug an. Das hatte er dringend nötig, um den Aufruhr in seinem Innern zu besänftigen.
Seine neue Anweisung brachte Elise in einige Verlegenheit. Zwar wußte sie, wie eine Braut ihren Angetrauten zu empfangen hatte, doch war sie der Meinung, Arabella hätte des Rates einer älteren und verheirateten Frau bedurft. Was konnte sie schon als junges Mädchen einer Braut sagen?
Elise ließ ihren Blick durch den Saal schweifen, bis er am jungvermählten Paar hängen blieb. Arabella war von blumenhaft zarter Anmut, hoch gewachsen und schlank; sie hatte seidiges braunes Haar und hellgraue, melancholische Augen. Ihre unstete Wesensart ließ sie stets schwanken; zuweilen machte sie den Eindruck, als hätte sie nicht genügend Rückgrat, um sich gegen den Willen anderer aufzulehnen. Reland, ein dunkler Hüne mit breiter Brust und schmalen Hüften, war das genaue Gegenteil. Gutaussehend und gebildet, neigte er dennoch zu Jähzorn und Starrsinn. In flegelhafter Überheblichkeit genoß er es, alle, die seinen Weg kreuzten, auf die Probe zu stellen, um sie einzuschüchtern. Daran fand er ein teuflisches Vergnügen; kurzum: Er trat überheblich auf, bis er die Oberhand gewonnen hatte – dann ließ er von seinen Drohgebärden ab und benahm sich wieder wie ein Gentleman.
Elise ließ ihre Gedanken zu der ersten Begegnung mit dem Earl zurückwandern. Schon vor ihrer Ankunft hatte sie von seiner großspurigen Art und seiner Prahlerei erfahren, dies alles aber als böse Nachrede abgetan. Das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte sie ihn, als er auf dem friesischen Rappen des verblichenen Marquis auf den Innenhof geritten kam. Das Tier war als Edwards Hochzeitsgeschenk in Relands Besitz gelangt. Vom ersten Augenblick an hatte Elise eine heftige Abneigung gegen die großspurige Art des Reiters gespürt. Sie hatte gespürt, wie er es genoß, daß er auf dem Ross Angst und Schrecken hervorrief. Seinem Ruf als roher Flegel war er schließlich gerecht geworden, als er über die Diener, die ihm ängstlich auswichen, lauthals lachte.
Elise hatte neben der Hoftreppe innegehalten, um das prachtvolle, stolze Tier zu bewundern. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, daß sie für den Earl eine Herausforderung darstellte, da sie nicht wie die anderen entsetzt die Flucht ergriffen hatte, sondern ruhig stehen blieb und das Kätzchen in ihren Armen streichelte. Ihre gelassene Haltung hatte das Gelächter des Earls verstummen lassen und ihm die Laune gründlich verdorben. Nicht damit zufrieden, Knechte und Mägde zu erschrecken, hatte der Earl dem Hengst die Sporen gegeben und war auf sie zugesprengt. Elise wußte noch, wie erschrocken sie war, als sie das Pferd auf sich zukommen sah, doch voller Eigensinn hatte sie sich nicht von der Stelle gerührt, um diesem Menschen nicht noch einen weiteren Anlass zur Befriedigung zu geben. Als der gemeine Kerl sein Pferd schließlich knapp vor ihr zügelte, schleuderte sie dem Pferd die fauchende und um sich schlagende Katze entgegen. Beim Aufprall grub die Katze ihre Krallen tief in die Pferdenase, der Hengst wieherte und bäumte sich auf, um seinen Reiter abzuwerfen. Der überraschte Reland ruderte hilflos mit den Armen, segelte durch die Luft und landete auf dem Rücken am Boden. Einen qualvollen Augenblick lang blieb ihm die Luft weg, dann sprang er fluchend und zornbebend auf.
Angesichts dieser neuen Bedrohung wollte sich Elise ins Haus zurückziehen. Außer sich vor Empörung, daß ein Mädchen ihn vom Pferd hatte stürzen lassen, hatte Reland sie zurückgerufen. Als Elise seine schweren Schritte hinter sich vernahm, war sie rechtzeitig zur Seite gesprungen und seinem ausgestreckten Arm geschickt ausgewichen. Reland stöhnte auf und taumelte an ihr vorbei.
Noch ehe Elise sich umgedreht hatte, verriet ihr ein platschendes Geräusch, was passiert war. Reland war kopfüber in einem Teich gelandet. Spuckend und prustend richtete er sich langsam auf und bot der Dienerschaft einen so lächerlichen Anblick, daß die Leute kaum an sich halten konnten vor unterdrücktem Gekicher. Der nasse Federschmuck seiner Kopfbedeckung hing ihm über die Hakennase, aus seinen Reithandschuhen lief Wasser, von seinem pelzbesetzten Umhang flossen Rinnsale, und in den weichen Reitstiefeln, seinem ganzen Stolz, wirkten seine Beine wie aufgequollen, als er aus dem Teich stapfte.
Relands Wutausbruch hatte bewirkt, daß der Hengst schnaubend Reißaus genommen hatte und jetzt, nervös den Kopf schüttelnd, abseits stand. Sein Blick fiel auf die Katze, die sich in einiger Entfernung auf einer Steinmauer in Sicherheit gebracht hatte. Als Siegerin der Auseinandersetzung saß sie entspannt da, leckte eine Pfote und glättete ihr Fell.
Relands finsterer Blick ließ das Gekicher der Dienerschaft verstummen; dann wandte er sich dem frechen kleinen Ding zu, das so kühn seiner Autorität getrotzt hatte. Elise hielt seinem Blick ruhig stand, lächelnd, sanft und rätselhaft, wohl wissend, daß er sie jetzt mit Absicht in eine Hofecke drängte. Elise wich zurück, bis sie die Steinmauer im Rücken spürte. Sie war bereit, es mit ihm aufzunehmen. Unter Verwünschungen packte Reland sie am Kragen, hob sie hoch und schüttelte sie heftig. Doch Elise reagierte blitzschnell: Kratzend, beißend, stoßend, ihm die Finger in die Augen treibend, setzte sie sich zur Wehr, bis der unedle Earl unter Schmerzen aufstöhnte.
»Du kleines Biest!« brüllte Reland und holte zu einem Schlag aus.
»Der Himmel steh uns bei!« rief Edward von der Galerie her, die sich an der Wand entlangzog. »Was geht da vor?« Entsetzt über den Anblick, der sich ihm bot, kam er die Stufen heruntergelaufen und trennte mit Hilfe einiger Bediensteter die beiden Kontrahenten. Seine Nichte schaffte es eben noch, Relands Schienbein einen jähen Tritt zu versetzen.
»Du ekelhafte Ausgeburt eines Spitzbuben!« schleuderte sie Reland mit undamenhafter Heftigkeit nach. »Aus welchem Loch bist du gekrochen?«
»Elise! Beruhige dich!« Edward hörte fassungslos die Beleidigungen, mit denen seine Nichte den Earl überhäufte. In einem Versuch, die Situation zu retten, rief er: »Das ist Arabellas Verlobter…«
»Arme Arabella!« stieß Elise verächtlich hervor. »Einem tölpelhaften Schwachkopf wie dem da ausgeliefert sein…«
»Pst, Mädchen!« Edward rang verzweifelt die Hände und bemühte sich, seinen künftigen Schwiegersohn zu besänftigen. Noch nie hatte er sich in einer Situation befunden, die so viel Beherrschung von ihm verlangte. Gegen seine Nichte konnte er nichts unternehmen, weil ihm sonst ihr Vermögen zu entgehen drohte. Aber auch den Earl durfte er nicht gegen sich aufbringen. »Reland, Ihr müßt es dem Mädchen nachsehen. Sie ist außer sich. Sie ist eine Verwandte, vor kurzem erst hier eingetroffen. Ihr seht, daß sie noch viel lernen muß. Ich bitte Euch, zügelt Euren Zorn, damit wir die Sache mit Anstand regeln können.«
»Sie hat mein Pferd verletzt!« Reland deutete mit triefendem Handschuh auf das Tier, das durch diese Geste erneut aufschreckte und den Kopf zurückwarf. Eine Blutspur lief ihm über die Nase, auf dem kunstvollen Zaumzeug schimmerten Blutstropfen wie winzige Rubine auf einer Kette. »Bis an sein Lebensende wird es die Folgen tragen!« Da fiel ihm noch etwas ein, er faßte nach seinem schmerzenden Kopf und stöhnte: »Und ich wäre mit dem Kopf fast auf den Steinen aufgeschlagen… alles durch ihre Schuld!«
»Keine Angst, Mylord«, gab Elise schnippisch zurück. »Ein leerer Kopf kann keinen Schaden nehmen!«
Relands Zorn flammte von neuem auf. Drohend schüttelte er die Faust gegen sie. »Du dumme Gans, du! Eddy hätte dich töten können! Nächstes Mal soll er dich in den Dreck stoßen und zertrampeln!«
Ihre Antwort war spottgeladen. »Mylord, da ich nun Eure Bekanntschaft gemacht habe, werde ich nächstes Mal auf der Hut sein, wenn Ihr Euer Ross auf mich zutreibt.«
»Reland, vergebt dem Mädchen«, beeilte Edward sich in flehendem Ton einzuwerfen. »Sie weiß ja nicht…«
»Merk dir die Namen, Mädchen«, gab der Earl grollend von sich, ohne auf das Bitten Edwards zu achten. »Bring dich in Sicherheit, wenn du hörst, daß Reland Huxford, Earl von Chadwick, auf seinem großen Eddy kommt. Das soll dir eine Warnung sein!«
»Ein prächtiges Pferd habt Ihr da bekommen«, spottete Elise. »Für Euch offensichtlich viel zu edel. Ich werde mir Mühe geben, es im Gedächtnis zu behalten.«
Reland lief unter ihrem frechen Blick, mit dem sie ihn zu einem neuen Ausbruch reizte, fleckig rot an. In dem verzweifelten Bemühen, den nächsten Wutanfall zu verhindern, faßte Edward besänftigend nach Relands Arm. »Komm, mein Sohn«, sagte er mit einem gezwungenen Lachen. »Wir wollen uns vor dem Kamin einen Becher Bitterbier zu Gemüte führen.«
Edward winkte hastig einen Bediensteten herbei, der sich des triefenden Earls annehmen sollte, und als sich Reland endlich zum Gehen bequemte, wandte der Squire sich erbost an Elise. Sein Blick verhieß weitere Schelte. Sie kam auch, als Reland außer Hörweite war.
»Hast du denn den Verstand verloren?« wetterte er. »Möchtest du Arabella auch diese Partie verderben?« Edward warf in stummer Verzweiflung die Hände in die Höhe. »Willst du mir Verdruss bereiten, indem du den guten Reland in meinem Haus beleidigst?«
»Seine Possenreißerei hat den Wirbel verursacht!« verteidigte Elise sich wütend. »Mit seinem Riesenroß hat er mich fast umgerannt!« Sie deutete flüchtig auf den Rappen, der von einem Stallknecht weggeführt wurde. Liebevoll tätschelte der Junge den Hals des Tieres, als wäre es ein alter Freund, und der Hengst rieb die Nüstern an ihm und wirkte nun gar nicht mehr bedrohlich. »Kümmert es dich denn ganz und gar nicht, daß dieser Reland nur ein aufgeblasener Tölpel ist?«
»Pst!« zischte Edward mit einem ängstlichen Blick über die Schulter. »Ist dir nicht klar, daß er vielleicht Arabellas letzte Hoffnung ist?« flüsterte er ihr ins Ohr, nachdem er sie am Ellbogen gefaßt und sich ihr zugeneigt hatte.
Elise riß sich los und antwortete mit kaum verhüllter Wut: »Besser eine alte Jungfer als mit einem wie diesem zusammen!«
Damit drehte sie sich um, raffte ihre Röcke hoch und lief die Treppe hinauf, ehe ihr Onkel seine Sprache wieder gefunden hatte. Sie rannte die Galerie entlang, riß die Tür zur Halle auf und ließ sie hinter sich so heftig zufallen, daß in der Nähe die Fensterscheiben klirrten.
An den folgenden Tagen hatte ihr Onkel wiederholt von ihr verlangt, sie solle sich beim Earl entschuldigen; Elise aber hatte geschworen, daß sie eher unter Dornen schlafen würde, als diesem Verlangen nachzukommen. Da Elise zu allem fähig schien und er nicht wußte, was ihr als nächstes einfallen würde, hatte Edward schließlich nachgegeben und sie nicht weiter bedrängt.
Und da stand sie nun in der Halle, voller Abneigung gegen Reland. Die ihr von Edward übertragene Aufgabe glich der rituellen Opferung einer Jungfrau, die einem Ungeheuer ausgeliefert wird. Sie verabscheute diesen aufgeblasenen Dummkopf und empfand tiefes Mitleid mit Arabella.
Als die Braut sich umdrehte, nahm sich Elise zusammen, um nichts von ihrem Widerwillen zu verraten. Arabella ließ nun den Blick auf der Suche nach ihrer jüngeren Kusine durch den Raum wandern, als gehorchte sie einer inneren Stimme. Elise begegnete ihrem Blick und nickte zögernd, als sie in den hellen grauen Augen eine Frage las. Über das glatte Antlitz der Braut huschte ein Schatten, ehe sie sich seitwärts wandte und ein paar Worte mit ihrem jungen Ehemann wechselte. Als Arabella sich entfernte, sah Reland ihr mit unverhüllter Lüsternheit nach, um sich gleich wieder selbstgefällig seinen Kumpanen zuzuwenden. In Elise wurde dabei die Erinnerung an jene erste Begegnung wach, bei der er sich ähnlich selbstgefällig gegeben hatte. Fast schien es, als wäre Arabella ein Stück Besitz, das er als Drohmittel gegen andere einsetzen wollte. Seine zügellosen Freunde riefen wüst durcheinander und machten derbe Witze, die von brüllenden Lachsalven begleitet wurden. Arabella zeigte nur die matte Andeutung eines Lächelns, als sie stolz und ungerührt durch das Gedränge zotenreißender, angeheiterter Gäste zur Tür schritt. Sie schwieg, bis sie mit Elise die zum Westtrakt führende Treppe erreichte.
»Ich bin ein Opfer meiner Torheit«, sagte sie bekümmert.
Elise starrte ihre Kusine an, verwundert, was sie zu diesem Eingeständnis bewegen mochte. Arabella hatte in Konfliktsituationen stets Zurückhaltung gewahrt, auch wenn ihr Vater seine Ausbrüche hatte; sie hatte sogar eine gewisse Neigung erkennen lassen, dem Earl ihre Hand zum Ehebund zu reichen. Soweit Elise bekannt war, hatte sie sich noch nie über Reland beklagt, wenngleich sie zuweilen nicht verhehlen konnte, daß die hinter ihr liegenden Tragödien ihr zusetzten. Gegen ihren Hang zu Melancholie und Niedergeschlagenheit hatte auch Edward nichts vermocht. Um Arabella aus ihrem Trübsinn zu reißen, unter dem sie ja nicht grundlos litt, wurde sie von ihrer Umgebung sehr verwöhnt.
»Arabella, was bekümmert dich? Warum sagst du solche Dinge?« fragte Elise besorgt.
»Ach, Elise, versuch mich zu verstehen. Reland ist ein guter und edler Mann… ja, sogar ein stattlicher Mann…« Daß Reland seine junge Braut verunsicherte, verstand Elise nur zu gut. Wären die Rollen vertauscht gewesen und hätte sie den Earl geehelicht, sie hätte gegen tausend Ängste ankämpfen müssen.
»Auf mir lastet ein grausamer Fluch«, fuhr Arabella in gedämpftem Ton fort und blieb auf einer Stufe stehen. Sie lehnte den Kopf gegen die Steinmauer, ohne darauf zu achten, daß das juwelenbesetzte Häubchen, das ihr kunstvoll gekämmtes Haar bedeckte, zerdrückt wurde. »Bislang wurde jeder Mann, der um meine Hand warb, durch eine schreckliche Tragödie von meiner Seite gerissen. Wo sind sie geblieben, die sich einst mit mir verlobten? Alle sind einem traurigen Schicksal zum Opfer gefallen. Als die ersten zwei einer unbekannten Krankheit erlagen, hielt ich es noch für Zufall, dann aber kam der dritte durch einen Raubüberfall ums Leben. An Ostern vor drei Jahren, da bebte die Erde, und von der Kirche fielen Steine und töteten meinen William, meinen vierten Verlobten; kaum eine Woche verlobt, und schon wurde er mir genommen. Der fünfte Freier wurde entführt, und eines Tages wird man sicher seine Gebeine finden. Und dann der sechste…« Arabella stieß einen tiefen Seufzer aus und zog die Stirn in Falten. »War das nicht der Marquis von Bradbury?« warf Elise leise ein.
Arabella nickte. »Ja… Maxim… er war der sechste…«
Elise legte ihre schlanke Hand auf Arabellas Arm. »Du wirst doch einen Mörder und Verräter nicht beweinen.«
Ohne zu antworten, ging Arabella weiter, die Treppe hinauf, den Gang entlang und betrat ihre Gemächer. Sie durchquerte den Vorraum und blieb erst vor dem Kamin im großen Schlafraum stehen, wo sie das mit einem Schleier versehene Häubchen abnahm und achtlos beiseite warf. »Ja, es ist wahr. Die Vergehen, des Marquis waren am schlimmsten. Des Mordes und der Verschwörung zugunsten Mary Stuarts angeklagt, verdiente er nur noch den Tod. Ich hasse ihn.«
Elise, die nicht wußte, was sie darauf sagen sollte, sah sich in dem geräumigen und reich ausgestatteten Schlafgemach um und fragte sich, was den Mann, der einst diese Räume bewohnt hatte, dazu bewogen haben mochte, ein so unheilvolles Bündnis einzugehen. Was hatte ihn gegen die Königin eingenommen… dieselbe Königin, die ihn wohlwollend mit jenem anderen Seymour verglichen hatte, den sie einst in ihrer Jugend schätzte? Thomas Seymour hatte ihre Zuneigung besessen, aber hatte Maxim Seymour ihren Hass verdient?
»Gewiß irrst du dich, wenn du glaubst, auf dir liege ein Fluch«, tröstete Elise die junge Braut. »Mir scheint eher, du hattest das Glück, den Verbindungen mit unwürdigen Freiern zu entgehen.«
»Ach, wie kann ich es dir begreiflich machen? Du bist so jung, und ich bin so müde und… so alt…«
»Alt?« erwiderte Elise erstaunt. »Mit fünfundzwanzig? Nein, du bist noch jung, Arabella, das ganze Leben liegt noch vor dir. Heute ist deine Hochzeitsnacht… und du mußt dich auf deinen Mann vorbereiten…«
Elise sah Tränen in den silbergrauen Augen. In Arabellas Lächeln lag ein stiller Schmerz, für den es keinen Trost gab.
»Ich muß eine Weile allein sein«, flüsterte Arabella in einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung. »Halte die Hochzeitsgesellschaft auf, bis ich einen Diener schicke.«
»Dein Vater hat angeordnet, daß ich dir helfen soll«, sagte Elise leise. »Was soll ich ihm sagen?«
Arabella bemerkte Elises Besorgnis und versuchte sie zu beruhigen. »Sag ihm, ich möchte einen Augenblick allein sein, um mich auf Reland vorzubereiten. Nur ganz kurz… bis ich mich ein wenig gefaßt habe. Dann kannst du wiederkommen und mir an die Hand gehen.«
»Reland ist ein sehr stattlicher Mann«, sagte Elise nun, um die Stimmung ihrer Kusine zu heben. »Gewiß beneidet dich manches Mädchen.«
Nachdenklich antwortete Arabella: »Nicht so stattlich wie jemand, den ich kannte.«
Ein Schatten huschte über Elises Gesicht. »Sehnst du dich nach einem Toten, Arabella?«
Die grauen Augen starrten sie erstaunt an. »Nach einem Toten? Wen meinst du, Elise?«
»Natürlich den Marquis von Bradbury. Will er dir nicht aus dem Sinn?«
Arabella seufzte. »Wahrhaftig, das war ein Mann, der weibliche Herzen zu gewinnen vermochte.« Sie berührte geistesabwesend eine Draperie und strich wie in zärtlicher Erinnerung über den weichen Samt. »Kühn… stattlich, immer ein Gentleman… immer…« Sie riß sich von der Erinnerung los. »Genug davon! Ich muß jetzt allein sein!« Sie legte die Hände auf die Schultern ihrer widerstrebenden Kusine und drehte sie zur Tür um. »Ich brauche ein paar Minuten der Besinnung, ehe mein Mann kommt. Mehr verlange ich nicht.«
»Ich werde es deinem Vater sagen«, sagte Elise und ging. Als sie die Tür leise hinter sich schloß, fragte sie sich, wie sie die Sache Edward am geschicktesten beibringen konnte. Falls sie ungestört mit ihm sprechen konnte, würde er sich vielleicht zugänglicher zeigen als inmitten einer Runde lärmender Witzbolde, vor denen man Haltung bewahren mußte.
Die steinerne Treppe machte auf jedem Absatz eine scharfe Wendung um einen kunstvoll geschnitzten Spindelpfosten. Die Wandleuchten flackerten, und das wirre Spiel von Schatten und Licht machte Elise ganz benommen. Trotz ihrer Eile achtete sie darauf, mit ihren Seidenpantoffeln nicht auszugleiten. Die Klänge der Tamburine, keltischen Harfen und Lauten mischten sich mit dem lauten, grölenden Gelächter der Gäste und übertönten die plötzlich von unten kommenden Schritte. Der Entgegenkommende hatte es noch eiliger als sie. Sie stießen so heftig zusammen, daß Elise strauchelte. Als sie schon fürchtete, kopfüber hinunterzustürzen, legte sich ein Arm, fest wie ein Eichenast, um sie und hielt sie fest. Sie schlug die Augen auf, die sie unwillkürlich geschlossen hatte, und sah verblüfft das derbe Gewand des Dieners Taylor vor sich. Seine Kapuze war heruntergeglitten. Was sie nun vor sich sah, war nicht die Fratze, die sie erwartet hatte, kein von Narben entstelltes und angsteinflößendes Ungeheuer, sondern ein bemerkenswert gutaussehender Mann mit hell durchsetztem braunen Haar und aristokratischen Zügen, die von einem dichten Bart halb verborgen wurden.
Er zog die Stirn in Falten: »Seid Ihr wohlauf, Mistreß?«
Elise nickte zögernd, während sie ihrer Verwirrung Herr zu werden versuchte. Nun ließ er sie los und stieg weiter die Treppen hinauf. Schlagartig war ihre Benommenheit verflogen. »Nanu! Was hast du vor? Was hast du dort oben zu suchen?«
Auf einer Stufe hielt er inne und drehte sich betont langsam um, wobei das Flackern der Fackeln auf seine Züge fiel. Seine grünen Augen schienen Elise zu durchbohren, so kühn und eindringlich, daß sie den Atem anhielt, gebannt von diesem stählernen Blick.
»Ihr seid es!« stammelte sie fassungslos, gegen seinen geradezu schmerzhaft magnetischen Blick ankämpfend. Er hatte sie mit seiner Verkleidung hinters Licht geführt: Das bärtige Antlitz war ihr unauslöschlich im Gedächtnis geblieben und rief die Erinnerung an das Gemälde im Osttrakt wach. Jetzt erkannte sie, daß der Maler ein Meister seines Faches sein mußte, da er der Persönlichkeit Maxim Seymours, des Marquis von Bradbury, mehr als nur gerecht geworden war und seine Ausstrahlung wirklichkeitsnah festgehalten hatte.
»Ihr… seid am Leben!«
Ein Schatten huschte über Seymours Gesicht; dann nahm er seine ganze Kraft zusammen. Makellos weiße Zähne blitzten in seinem Lächeln auf, und als er sprach, da war von der kehligen Mundart nichts mehr zu hören. Er redete jetzt ganz wie ein kultivierter Gentleman.
»Schönes Kind, Ihr zwingt mich, rascher als geplant zu handeln. Ehe Ihr Alarm schlagt, muß mein Werk getan sein.«
Der Marquis warf einen bedauernden Blick zum oberen Ende der Treppe hin und seufzte. Mit einer raschen Wendung kam er auf sie zu, faßte im Vorüberlaufen ihren Arm und zog sie mit sich, so schnell, daß sie außer Atem geriet.
»Verzeiht, aber ich kann Euch nicht frei herumlaufen lassen, ehe nicht alles vorbei ist«, entschuldigte er sich. »Sobald die Neuigkeit bekannt ist, könnt Ihr Eurer Wege gehen… und das war ja wohl treppab…?«
»Bleibt stehen! Bitte!« keuchte Elise, bemüht, nicht auszurutschen. »Ich kann nicht…«
Lord Seymour hielt inne, hob sie hoch, legte einen Arm um ihre Schultern, schob den anderen unter ihre Knie und trug sie so hurtig die Treppe hinunter, als wäre sie nur ein Seiden- und Spitzenbündel. So betrat er die überfüllte Halle, in der jetzt alles in Lethargie zu versinken schien. Das Gesinde hatte sich in die Küche zurückgezogen und wartete auf den Aufbruch der Hochzeitsgesellschaft in die Brautkammer, während die Gäste in der Halle ermattet und reglos verharrten. Einige nahmen die Vorgänge um sich nur undeutlich wahr, während andere sich vom Einfall dieses derb gekleideten Mannes höchst belustigt zeigten.
Maxim schritt auf den nächsten Tisch zu und setzte Elise ohne weitere Umstände auf einem großen, hochlehnigen Stuhl ab. Er beugte sich zu ihr hinunter und sah sie fest an. »Ich beschwöre Euch, Gnädigste, rührt Euch nicht vom Fleck. Ihr werdet staunen, was sich jetzt tun wird.«
Damit fuhr er herum, packte den Zipfel eines langen Tischtuches, das die blanken Bretter des Schragentisches bedeckte, und zog so heftig daran, daß alles, was draufstand, klirrend auf dem Boden landete.
»He, verehrte Gäste auf Bradbury Hall!« rief er. »Nun, da ihr fürstlich getafelt und noch fürstlicher gebechert habt, soll für Eure Unterhaltung gesorgt werden!«
Die Gäste wandten sich ihm verdutzt und träge zu und starrten ihn verständnislos an. In den Blicken glomm auch nicht der Funke eines Erkennens auf, wer der ärmlich gekleidete Fremde war. Stille senkte sich über die Anwesenden, während die Ereignisse eine plötzliche Wendung nahmen. In ihrer Benommenheit erfassten sie gar nicht richtig, was da vor sich ging, und daß es kein Trugbild war.
»Er ist es!« hörte man jemanden, der endlich seine Sprache wieder gefunden hatte, aufgeregt rufen. »Er ist's! Er ist aus der Hölle zurück!«
Die Verwirrung steigerte, Fragen überstürzten sich. »Was sagte er? Wen meinst du?«
Derjenige, der als erster gesprochen hatte, warf fassungslos die Arme hoch und schalt die Gäste. »Wer, fragt ihr? Heilige Mutter Gottes, kennt ihr diesen Lumpenkerl nicht? Der Marquis von Bradbury ist es und kein anderer!«
»Lor' Se'mour?« lallte einer mit schwerer Zunge und verzog den Mund zu einem breiten Grinsen, ehe er vornübersackte und mit dem Gesicht in einer vollen Schüssel landete. Einige wandten nun dem Marquis ihre volle Aufmerksamkeit zu und stießen Schreckensschreie aus. Er aber ließ unbeirrt lächelnd den Blick über die Anwesenden wandern, auf der Suche nach dem Gesicht seines Hauptanklägers.
»Niemals! Es kann nicht sein!« wandte eine benommen klingende Stimme ein. »Der Marquis ist tot! Er wurde getötet!«
Seymour lachte verhalten auf – es jagte Elise einen Schauer über den Rücken und ließ einen glauben, Maxim Seymour wären auch noch Hörner zur Vervollständigung seiner satanischen Erscheinung gewachsen.
»Soso? Ihr hieltet mich für tot?« Maxim riß ein Schwert aus der Wandhalterung und sprang auf den Tisch. »Holde Damen, edle Herren, wenn ihr glaubt, ich sei tot, dann streckt getrost eure Brust meinem Schwert entgegen, denn ein Gespenst kann euch keinen Schaden zufügen. Kommt und fühlt die Spitze«, forderte er sie auf und lachte spöttisch, als keiner seiner Aufforderung nachkam. Sein kühner, herausfordernder Blick umfasste sie alle und ließ sie erbeben. »Ich habe euch nicht verlassen, wie sich mancher gewünscht hatte… zumindest nicht auf die ersehnte Art und Weise. Es stimmt allerdings, daß ich manchem aus dem Gedächtnis entschwunden bin.« Gleichmütig hob er die breiten Schultern und schritt die Länge des Tisches ab. »Und es stimmt, daß ich von jenen Tölpeln auf der Brücke, die meine Flucht zu verhindern suchten, schwer verwundet wurde, doch ich fiel in den Fluss, und das Schicksal wollte nicht, daß ich unterging… wie von Engeln getragen, fand ich Zuflucht bei Freunden. Nun seht und hört mich, edle Gäste! Und verbreitet die Kunde, daß Maxim Taylor Seymour gekommen ist, um Rache zu üben an dem Dieb, der seine Besitzungen mit Lug und Trug an sich brachte und seine Verlobte einem anderen gab. Ich bin da, um zu fordern, was mein ist, und um Gerechtigkeit zu üben! Hörst du mich, Edward Stamford?«
Maxim sprang hinüber auf einen anderen Tisch und schritt ihn entlang, wobei er Schüsseln und Trinkgefäße mit einem Tritt zu Boden schleuderte. Die entsetzten Gäste wichen zurück, einige stolperten und stürzten in ihrer Panik. Andere starrten wie betäubt um sich, unfähig, den Alptraum abzuschütteln, der sie erfasst hatte. Zu matt und verwirrt, um zu fliehen, ließen sie sich langsam auf ihre Sitze gleiten.
»Fasst ihn! Laßt ihn nicht entkommen!« rief Edward vom Eingang her. Er war kurz zuvor hinausgegangen, um seine Notdurft zu verrichten, und hatte beim Wiederbetreten der Halle seine Gäste wie betäubt vorgefunden – zurückweichend vor einem Mann, dessen er sich für immer entledigt zu haben glaubte. In seiner Verzweiflung hetzte er die anderen auf: »Stecht ihn nieder! Auf ihn mit euren Degen! Er ist ein Mörder und Hochverräter! Die Königin wird euch seinen Tod lohnen!« Mit einer Handbewegung wies der Squire auf die auf dem Boden Liegenden, und seine nächsten Worte lösten allgemeine Panik aus: »Ist dies das Werk eines niederträchtigen Bösewichts? Hat er uns alle vergiftet?«
Entsetzte Ausrufe und lautes Schluchzen schienen die Anschuldigungen Edwards zu bestätigen. Elise versuchte sich zu entsinnen, was der Marquis am Weinfass getrieben hatte, ehe sie ihn störte. Als sie an die zwei Krüge dachte, aus denen er Wein eingeschenkt hatte, wuchs in ihr die Befürchtung, ihr Onkel könnte recht haben.
Etliche Männer traten nun schwankend vor, um sich für die erlittene Schmach zu rächen, aber Maxim Seymour ließ sie, die Hände ruhig am Schwertgriff, lächelnd auf sich zukommen. Er wirkte selbstsicher und unerschütterlich, als er sich umdrehte und warnte: »Edle Herren, denkt gründlich nach. Es stimmt, daß ihr von dem Gebräu benommen seid, daß ich in eure Becher tat, doch ist es kein Schierling, den ihr gekostet habt, so daß ihr nicht Sokrates' Los erleiden werdet. Schlimmstenfalls wird es ein tiefer und langer Schlummer sein. Doch wenn ihr euch jetzt im Kampf mit mir messen wollt, dann wird es euch schlecht bekommen. Ich frage euch, wollt ihr euer Leben auf Geheiß dieses Judas aufs Spiel setzen?«
»Fasst ihn!« schrie Edward Stamford, der seiner Angst kaum mehr Herr wurde. »Ihr dürft ihn nicht entkommen lassen!«
Einer der Gäste versuchte eine Attacke, man hörte Klirren, als Maxim den Hieb auffing und parierte. Drei andere sprangen dem ersten bei, um sich mit dem Marquis im Kampf zu messen, Sekunden nur, denn sie mußten sich geschlagen geben. Die Behendigkeit, mit der er die Attacken parierte, hielt viele davon ab, der Aufforderung Edward Stamfords nachzukommen. Schließlich waren sie gekommen, um zu feiern und zu schmausen, und nicht, um sich mit einem geübten Fechter zu messen.
»Habt Ihr nicht schon genug Kümmernis über dieses Haus gebracht?« rief Elise, die aufgesprungen war, empört, daß dieser Mensch die ganze Halle in Schach hielt, nur um seiner Rachsucht zu frönen. »Müßt Ihr Arabellas Hochzeitsnacht mit noch mehr Schmerz und Bitterkeit überschatten?«
Seine grünen Augen blickten sie mit stählerner Härte an.
»Bradbury Hall war mein Zuhause, und heute hätte mein Hochzeitstag sein können, wären da nicht die Lügenmärchen dieses niederträchtigen Lumpen gewesen. Was sollte ich Eurer Meinung nach tun, Jungfer? Soll ich mich Stamford kampflos ergeben?« Er lachte höhnisch auf. »Ihr werdet sehen, daß ich es nicht tun werde!«
In seiner wachsenden Panik schrie Edward verzweifelt: »Hat denn keiner den Mut, es mit ihm aufzunehmen? Er ist ein Verräter! Er hat den Tod verdient!«
Reland, der Bräutigam, hatte dem Wein noch hemmungsloser zugesprochen als die anderen. Jetzt stützte er träge die Hände auf den Tisch und stemmte sich langsam hoch. Blitzartig stoben die Gäste auseinander und machten einen Weg zwischen den beiden Männern frei, denn der Marquis schien einen würdigen Gegner gefunden zu haben.
»Arabella ist mein!« rief Reland dumpf, während er versuchte, den anderen klar ins Auge zu fassen. Dann schüttelte er den Kopf, um seine Benommenheit loszuwerden, und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Wer sie mir wegnimmt, wird es mit dem Tod büßen!«
Edward bedeutete einem Gast, ihm Huxfords Schwert zu reichen, das er dann an seinen frischgebackenen Schwiegersohn weitergab. »Du mußt ihn überrumpeln«, riet ihm Edward, »der Marquis ist für seine Finten bekannt.«
Verächtlich musterte der Earl seinen deutlich kleineren Schwiegervater. »Du Wiesel du, soll ich mich an deiner Stelle schlagen?«
Schweißtropfen traten auf Edwards Stirn, und seine Lippen schienen lautlose Worte zu formen, während er nach einer passenden Antwort suchte. »Ich… ich kann meine Tochter nicht verteidigen. Ich kann den Degen nicht so führen, daß ich mich mit Seiner Lordschaft messen könnte.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Marquis. »Er ist ein Wolf, und du weißt, Reland, daß ein Wiesel es mit einem Wolf nicht aufnehmen kann. Da bist du ihm schon eher gewachsen. Bär gegen Wolf. So sollte es sein.«
Ein wenig besänftigt, trat Reland schwankend einen Schritt vor und blieb breitbeinig stehen, während er unter geschwollenen Lidern in die Runde blickte. Der Marquis erwartete ihn mit gezückter Waffe. Trotz der geringen Entfernung zwischen ihnen glaubte Reland seinen Gegner durch einen langen, schmalen Korridor anzusehen. Unmerklich versank alles um ihn herum im Dunkel, während nur noch am Ende des Ganges, wo sein Widersacher sich befand, ein schwacher Schimmer blieb. Reland fühlte sich matt und steif. Seine Glieder waren bleischwer, er brauchte einen Augenblick der Ruhe, nur ganz kurz…
Reland Huxford sank auf die Knie und verharrte mit gesenktem Kopf, auf seine Arme gestützt, bis er schließlich wie ein tödlich getroffenes Tier zusammenbrach und alle viere von sich streckte.
Edward geriet darüber schier außer sich. Er lief zu Reland hin, ergriff dessen Schwert und schwang es. »Wer nimmt die Herausforderung an? Welcher der Huxfords ergreift das Schwert des Vetters?«
Niemand rührte sich. Devlin grinste vom Eingang her und spottete: »Squire, Ihr habt die Klinge in der Hand. Stellt Euch der Herausforderung.«
Edward starrte Devlin mit offenem Mund an, als hätte er den Verstand verloren, doch sein gemeines Lächeln ließ Edwards Blick sinken. Entsetzt starrte er auf die Waffe in seiner Hand. Niemand würde zu seiner Verteidigung aufstehen. Widerstrebend und voller Angst sah er zu dem Mann auf, den er Verräter nannte.
Maxims verhaltenes Auflachen traf den Stolz Edwards wie ein Peitschenhieb. »Komm schon, Edward«, hörte er ihn höhnen. »Hat dein Blutdurst nachgelassen? Hier bin ich, bereit, dir zu trotzen.«
Elise, die die beiden beobachtete, spürte, wie sich die Angst ihrer bemächtigte. Sie wußte, wie der Kampf ausgehen würde, falls es dem Marquis gelang, ihren Onkel herauszufordern. Daß Lord Seymour den Tod des Alten wollte, lag auf der Hand.
Innerlich gegen diesen ungleichen Kampf aufbegehrend, wurde ihr plötzlich klar, daß der einzige Mensch, der diesen Zweikampf verhindern konnte, sich nicht in der Halle befand.
Sie drehte sich blitzschnell um und lief, die Röcke bis zu den Knien hochgerafft, aus der Halle und die Treppe hinauf. Die Tür zu Arabellas Gemächern war nur angelehnt. Ohne anzuklopfen, stürmte Elise hinein, den Namen ihrer Kusine auf den Lippen, und blickte suchend um sich. In den Räumen herrschte Totenstille. Arabella war nirgends zu sehen. Die Kerzen waren mit Absicht gelöscht worden. Der Geruch des heißen Wachses hing noch in der Luft.
Von einer sonderbaren Vorahnung erfasst, lief Elise ins Schlafgemach. Dort flackerte eine einzige Kerze. Im Kamin brannte Feuer, und die Flammen warfen die Schatten der hochlehnigen Stühle an die Wand. Die Samtdraperien des massiven Bettes waren zurückgezogen und gaben den Blick auf eine reichbestickte Überdecke frei, die noch auf den Federbetten lag. Nichts in dem Raum deutete darauf hin, daß hier eine Braut sehnsüchtig ihres Bräutigams harrte.
Elise trat hinaus auf die Loggia und spähte angestrengt hinunter in den Hof, wo sich zahlreiche Tore und Eingänge dunkel vom Mauerwerk abhoben. Jemand pfiff leise eine Melodie, und Elise erkannte Quentin, der gemächlich auf den Halleneingang zu schlenderte. Ihr war entgangen, daß er das Fest verlassen hatte, doch sein Gebaren verriet, daß er von den Vorgängen in der Halle keine Ahnung hatte. Er wäre Edward aber auch nicht beigesprungen, wenn er zugegen gewesen wäre, da er ihm ebenso wenig Sympathien entgegenbrachte wie Maxim Seymour. Lautlos schlüpfte Elise zurück ins Schlafgemach. Wenn es ihr nicht gelang, Arabella bald zu finden, würde sich Edward dem Marquis stellen müssen, und dieser würde seine Rache an ihm vollstrecken.
Trotz der Wärme des Feuers, die sie im Rücken spürte, überlief sie plötzlich ein unheimlicher Schauer. Ihr Entsetzen wuchs, als sie an der gegenüberliegenden Wand ihren Schatten sah, auf den sich von beiden Seiten zwei andere Schatten, groß und männlich, lautlos zubewegten.
Die Räume waren doch nicht verlassen!
Elise sprang vor und entzog sich dem Zugriff starker Arme, die sie zu packen versuchten. Sie vernahm ein dumpfes Geräusch, als die zwei Eindringlinge zusammenstießen – die Silhouetten waren also keine bloße Einbildung gewesen. Wo eben noch Elise gestanden hatte, rangen nun zwei massige Gestalten miteinander und stießen halblaute Verwünschungen aus.
»Verdammt, Fitch, meine Nase! Loslassen!«
»Sie entkommt uns! Fang sie ein!«
Der Größere setzte ihr nach, doch Elise sprang leichtfüßig wie ein aufgescheuchtes Reh davon – und prallte im nächsten Augenblick gegen eine birnenförmige Gestalt. Ebenso verdutzt wie sie stand der Mann schwankend da, während er versuchte, seine muskulösen Arme um ihre schlanke Gestalt zu schlingen. Das Häubchen wurde ihr vom Kopf gerissen, und schon spürte Elise die Falten seines groben Übergewandes auf ihrem Gesicht. Der Geruch von feuchter Wolle und gekochtem Fisch stieg ihr in die Nase. Die Arme, die sie umschlangen, nahmen ihr fast die Luft, dennoch gab sie den verzweifelten Kampf nicht auf. Was hatten diese Halunken mit ihr vor? Als sie zu einem Schlag ausholte, verfing sich ihre Hand in der Kette, und die Perlen kollerten zu Boden. Dennoch wehrte sie die schwielige Hand, die ihren Hilferuf zu ersticken drohte, mit einem kräftigen Biss ab, so daß der Mann vor Schmerzen aufstöhnte und seine Hand wegzog. Doch gerade als sie, nach Luft schnappend, losschreien wollte, wurde ihr ein geknotetes Tuch in den Mund geschoben.
Mit aller Kraft rammte sie ihren spitzen Absatz in den Rist des Mannes, der Schuhwerk aus weichem Leder trug. Im nächsten Augenblick stieß sie heftig gegen seinen vorstehenden Bauch, plötzlich war sie frei, doch bevor sie fliehen konnte, wurde sie von den Stoffmassen eines Vorhanges eingehüllt, den einer der Männer vom Fenster gerissen hatte. Das große Stück wurde so um sie gewickelt, daß sie von Kopf bis Fuß eingehüllt war. Verzweifelt bäumte sie sich auf. Ein Arm legte sich eng um ihren Hals und drückte das Tuch so fest an ihr Gesicht, daß sie fast erstickte. Je mehr sie sich wehrte, desto fester wurde die Umklammerung. Erst als sie sich beruhigte, ließ auch der Druck des Armes nach. Damit stand eines fest: Sie war den Entführern hilflos ausgeliefert.
»Menschenskind, Spence, wo steckst du?« rief der zuvor Fitch Genannte. »Wir müssen uns beeilen.«
Sie hörte hastige Schritte. »Kann den Umhang der Dame nicht finden.«
»Dann muß das reichen, was sie anhat. Wir müssen fort, ehe jemand kommt.«
Die dicke Kordel, die dazu gedient hatte, den Vorhang vor einem Fenster zurückzuraffen, wurde nun benutzt, um Elises Umhüllung festzubinden. Dann wurde sie hochgehoben und über eine breite Schulter gelegt. Geknebelt und gefesselt wie ein hilfloses Opferlamm, konnte Elise nur noch stöhnen und sich winden, als man sie hinaus auf die Loggia und anschließend über die Außentreppe hinunter in den Hof schleppte. Kaum hatten die beiden das Haus hinter sich gelassen, legten sie noch größere Eile an den Tag, was ihr fast den Atem raubte. Sie schlüpften durch die Hecke, die den Hof umgab, und dann wurde sie in weitem Bogen durch die Luft geschleudert und erstickte fast an dem Schrei, der sich ihr entringen wollte. Der Aufprall wurde gottlob durch Stroh gemildert. Es folgte ein Augenblick der Verwirrung, als ein Pferd aufgeschreckt wieherte und nervös zu scharren anfing, Anzeichen, die darauf hindeuteten, daß man sie auf einen Karren geworfen hatte. Die gedämpfte Stimme des Kutschers beruhigte das Tier, während man Strohbündel auf Elise häufte. Der Karren ächzte unter dem Gewicht der zusteigenden Männer. Die beiden machten es sich auf dem Stroh bequem und drückten so schwer auf Elise, daß sie kaum atmen, geschweige denn sich rühren konnte. Das Pferd wurde angetrieben, und der Karren setzte sich in Bewegung. Elises Lebensgeister erreichten den Tiefpunkt, als ihr endgültig klar wurde, daß es für sie keine Fluchtmöglichkeit mehr gab.
Der Kutscher des Gefährtes fuhr in einem großen Bogen vor den Haupteingang des Herrensitzes. Obgleich Elise erst seit kurzem hier lebte, merkte sie es sofort, als die hölzernen Karrenräder über die Zufahrt rollten, da das schreckliche Geholper merklich nachließ. Wie gern hätte sie laut geschrien, um auf ihre Entführung aufmerksam zu machen. Ein vergebliches Verlangen, da die Männer für ihr Stillschweigen gesorgt hatten. Über dem Holpern und Rumpeln des Karrens drang von irgendwoher das Schlagen einer Nachtigall an ihr Ohr. Wie seltsam, dachte sie, an einem so kalten Winterabend diesen Vogel zu hören.
***
Maxim Seymour hielt inne, als er die leisen Töne vernahm, und nickte kaum merklich. Den Blick auf Edwards glühendes, schweißnasses Gesicht gerichtet, stieß er halblaut hervor: »Wiesel, der Wolf gewährt dir eine Gnadenfrist. Ich habe jetzt, was ich mir holen wollte und wofür du teuer bezahlen wirst.«
Damit sprang Maxim beiseite und warf einen hastigen Blick in die Runde. Kaum zwanzig Männer waren anwesend, die imstande waren, ihn zu verfolgen, doch die meisten von ihnen zögerten. Die Edward ergeben waren, scharten sich um einander, als er ausrief: »Er entkommt! Laßt ihn nicht entwischen! Er ist ein Verräter an der Königin!«
Maxim riß eine Samtdraperie vom Fenster und schleuderte sie seinen Verfolgern entgegen. Während sie sich aus den Stoffmassen zu befreien suchten, stieß er einen der langen Tische inmitten der Gäste um, sprang auf den nächsten und bewarf von oben die Gäste mit Geschirr. Er schien in Hochstimmung, als er zur Tür lief, stehen blieb und grüßend seinen Degen gegen Edward hob.
»Squire, diesmal sage ich Euch Adieu. Gewiß werden die meisten Anwesenden über mein Verschwinden nicht allzu betrübt sein.«
Sein Arm schoß hoch, und der Degen bohrte sich in einen Balken der gewölbten Decke, wo er zitternd stecken blieb. »Lebt wohl, Squire«, empfahl Seymour sich mit schwungvoller Verbeugung. »Ich hinterlasse Euch ein Zeichen, das Euch an meine Rückkehr erinnern soll. Gürtet Euch, auf den Kampf gefaßt, bis zu jenem Tag, oder ergreift die Flucht und betet darum, daß ich Euch nicht finde.«
Edward wandte den Blick nach oben. Das Aufblitzen der bebenden Klinge schien ihn zu hypnotisieren, und als er sich umblickte, war sein Widersacher verschwunden.
»Ihm nach!« rief er aus, finster um sich blickend, als niemand seinen Befehl befolgte. »Soll die Königin uns für Feiglinge halten, weil wir einen Verräter entkommen ließen? Sie wird unsere Köpfe fordern, wenn wir nicht versuchen, ihn zu fassen.«
Mühsam wurde nun der schwere Tisch aus dem Weg geräumt, und die mit verschiedenen Saucen oder Fleischteilen besudelten Männer rappelten sich, aneinander Halt suchend, langsam auf. Angeekelt befreiten sie sich von den klebrigen Speiseresten und stolperten Edward nach, der durch das Portal hinausstürmte.
Kaum waren sie vor das Hausportal getreten, als sie von der Zufahrt her Hufgetrappel hörten. Unter einem Dach kahler Äste, die sich von den Alleebäumen himmelwärts reckten, konnten sie die dunkle Gestalt eines Reiters auf dem friesischen Rappen ausmachen.
Edward stieß einen lauten Fluch aus, als er Seymour davongaloppieren sah. Dann wandte er sich an die Umstehenden und feuerte sie an: »Zu Pferd! Rasch zu Pferd! Wir können ihn nicht entkommen lassen!«