13
Als Wroth erwachte, fühlte sich seine Brust nass an.
Ihr seidenes Haar ergoss sich über seinen Arm. Als er die Augen öffnete, merkte er, dass sie über ihm weinte. Unmöglich. »Myst?«, krächzte er.
Ihr Kopf fuhr hoch, und sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln, das rasch wieder verging. Dann haute sie ihm eine runter – ein fester, krachender Schlag. Und dann sprang sie mit einem Satz auf ihn, presste ihr Gesicht an ihn, drückte und herzte ihn, als ob sie ihm gar nicht nahe genug kommen könnte, als ob sie am liebsten in ihn hineingekrochen wäre.
»Tu ja nie wieder so etwas Dummes.« Diesmal ein Schlag auf seine Brust, die zu seiner Überraschung vollständig verheilt war.
Er bewegte und spannte seine Muskeln an. Stellenweise trug er Verbände, aber er besaß noch alle Gliedmaßen. Das war gut. Wenn er jetzt nur noch seine Frau dazu bringen könnte, ihn nicht mehr zu schlagen. »Wenn du damit nicht aufhörst, milaya, müssen wir ein ernstes Wort miteinander reden.«
Also begann sie erneut, ihn abwechselnd zu küssen und ihm ins Ohr zu flüstern, während Tränen auf sein Gesicht fielen, jede einzelne ein Geschenk. »Du warst fünf Nächte lang bewusstlos. Und du wolltest verdammt noch mal nicht aufwachen.«
»Wo sind wir?«
»In Val Hall.«
Er erstarrte.
»Nein, du bist in Sicherheit.« Sie lehnte sich zurück und hob eine Augenbraue. »Meinst du denn, ich würde zulassen, dass meine Schwestern über dich herfallen wie über einen Kadaver?«
Bei diesem Bild zuckte er zusammen. »Ich kann’s kaum erwarten, sie alle kennenzulernen. Wie bist du entkommen?«
»Ivo hat sich transloziert, aber Cara und Regin sind ihm auf den Fersen.«
»Ich bin nur froh, dass ich da war, um dich zu retten«, sagte Wroth ernsthaft. Sie grinste. »Hast du den gewandelten Dämon erledigt?«
»Jawohl, der Blitz und ich.«
Da fiel ihm alles wieder ein. Die Blitze waren direkt in sie eingeschlagen. Ihr Haar war vom Wind gepeitscht worden, die Augen hatten silbern geleuchtet – der beeindruckendste Anblick, den er je gesehen hatte. »Ich habe gesehen, wie du vom Blitz getroffen wurdest.« Seine Stimme wurde leise. »Du hast gelächelt.«
»Es fühlt sich gut an. So ein direkter Treffer ist sehr selten.«
Draußen heulte etwas, irgendetwas männlichen Geschlechts, vor lauter Wut. Wroth machte sich sofort bereit, sie fortzutranslozieren.
»Ach, mach dir keine Sorgen. Heute ist einfach nur mal wieder ein ganz normaler verrückter Tag hier im Herrenhaus.« Sie winkte ab. »Ein Lykae hat sich unsere kleine Emmaline geschnappt und mit nach Schottland genommen. Er bildet sich ein, sie wäre seine Werwolfkönigin oder so.«
»Werwolfkönigin?«
»M-mhhh. Also hat Lucia dem Bruder des Lykae eine Falle gestellt, um ein Druckmittel zu haben, aber offensichtlich erweist er sich als äußerst unkooperativ. Jedenfalls, wenn du Em kennen würdest, wüsstest du, wie lächerlich schon die Vorstellung ist. Sie fürchtet sich vor ihrem eigenen Schatten, ganz zu schweigen von den einzigartigen … Vorlieben eines brüllenden Werwolfs.«
Er würde ihr dazu später noch ein paar Fragen stellen müssen. »Sie ist der Halbling – diejenige, die zum Teil Vampir ist.« Als sich ihre Brauen zusammenzogen, beeilte er sich, ihr zu versichern: »Ich werde Kristoff gegenüber kein Wort über sie verlieren, aber ich habe den Verdacht, Ivo sucht nach ihr.«
»Das wissen sie. Sie haben schon ein Rettungsteam ausgeschickt, und sobald sie sie hierher zurückgebracht haben, ist sie in Sicherheit. Die Geisterwesen werden jegliche Bedrohung abwenden.« Eines von ihnen flog gerade in diesem Moment kichernd am Fenster vorbei, um ihre Aussage zu unterstreichen.
Er hob die Augenbrauen, und als sie grinste, umfasste er ihr Gesicht mit seiner verbundenen Hand. »Ich liebe dich.«
»Ich weiß.«
»Könntest du … könntest du dasselbe für mich empfinden? Bevor du antwortest, sollst du wissen, dass ich meine, was ich gesagt habe. Es tut mir leid, dass ich dich gezwungen habe, bei mir zu bleiben, und dass ich so den Kopf verloren habe. Ich werde mich meiner Handlungsweise bis in alle Ewigkeit schämen.«
»Wroth, ich wollte schon nach … oh, ungefähr einem Tag bei dir bleiben. Ich hatte vor, dich reinzulegen, aber ich erkannte schnell, dass ich dabei war, mich in dich zu verlieben.«
Er musste sich wohl verhört haben. Sicher, seine Verletzungen hatten ihr Sorge bereitet, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihn liebte. »Du meinst, du liebst mich auch?«
Sie knabberte an ihrer Lippe und nickte. »Ich war schon immer in dich verknallt, weißt du.« Als er das Gesicht verzog, sagte sie: »Ich habe immer schrecklich gerne Geschichten über dich gehört. Und ich war todtraurig, als wir hörten, dass du gestorben seiest. Aber dann bin ich dir leibhaftig begegnet!« Sie errötete ein wenig. »Und habe festgestellt, dass du genauso bist, wie ich es mir immer erträumt hatte.«
Es verwirrte ihn, dies von seiner wilden, atemberaubend schönen Frau zu hören. Mit rauer Stimme gab er die Untertreibung des Tages von sich: »Dass ausgerechnet du das sagst, hebt mein Selbstbewusstsein schon ein bisschen.«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Was mich davon überzeugt hat, dass wir zusammen sein sollten, war unter anderem das ungewöhnliche Geschenk eines direkten Blitzeinschlags und die Tatsache, dass du der einzige Mann warst, der mich von meiner Kette befreien konnte, und die Tatsache, dass du so verdammt versessen darauf warst, dein Leben für meines hinzugeben. Aber merk dir eins: Wenn du das noch einmal versuchst, dann bring ich dich um!«
»Das würde ich jederzeit mit Freuden wieder tun.« Sie setzte zum Protest an, aber er fragte sie rasch: »Was ist mit deiner Familie? Ich werde mir Mühe geben, wenn sie es auch versuchen.«
»Aus all den Gründen, die ich eben aufgezählt habe, haben einige meiner Schwestern entschieden, dass sie versuchen werden, ihren Widerwillen dir gegenüber zu überwinden.«
Er zog ein finsteres Gesicht. »Wie großmütig von ihnen.«
»Allerdings wollen sie weder mit Kristoff noch mit irgendjemand anderem aus deinem Orden etwas zu tun haben. Du bist die Ausnahme, weil sie das Gefühl haben, dich gekannt zu haben, als du noch ein Mensch warst, und wegen allem, was sich zwischen uns abgespielt hat. Aber sollte, sagen wir mal, dein Bruder hier auftauchen, würden sie … das wäre … grauenhaft.«
»Ich verstehe.«
»Wenn du dich wirklich bemühst, dann denke ich, werden sie dich mit der Zeit alle akzeptieren.«
Er wollte, dass über eins absolute Klarheit herrschte. »Dich als meine Frau und mich als deinen Mann akzeptieren?« Er wollte sie ganz und gar. Nicht nur einige Jahrzehnte. Er wollte die Ewigkeit. Und wenn sie schon mal in Geberlaune war …
Sie nickte, und ein Lächeln umspielte ihre rosa Lippen. »Aber denk dran, wir haben immer noch jede Menge Probleme zu klären. Unsere Familien und unsere Faktionen, und wer die Fernbedienung haben darf, und dann die ganze Logistik – denn Blachmount braucht unbedingt Kabelfernsehen und jede Menge Blitzableiter … Ich denke, ich werde dich wohl behalten, denn meinen Verlobungsring habe ich schon.«
Er grinste. »Er hat dir also gefallen?«
»Ich konnte die Augen kaum davon abwenden«, sagte sie mit einem unverschämten Lächeln.
Er zog sie an sich und hielt sie fest, denn er wusste, dass sie sich genauso nach der Sicherheit seiner Umarmung sehnte, wie er danach, sie in seinen Armen zu halten, wenn sie sich weich und vertrauensvoll an ihn schmiegte. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Nach allem, was geschehen ist?« Wenn sie ihm eine zweite Chance geben konnte, dann konnten sie zusammen alles erreichen.
»Ja. Aber …« Sie strich mit der glatten Rückseite ihrer Klauen über seinen Arm. »Es liegt eine ganze Ewigkeit der Wiedergutmachung vor dir.«
Er ließ sie los, um sich über sie zu beugen und die Hand in ihren Nacken zu legen. Sein Blick wanderte über ihr ganzes Gesicht, bis sie einander schließlich in die Augen schauten. Seine Frau lächelte zu ihm auf. Die Liebe, die er für sie fühlte, war so stark, dass es wehtat. Und so klang seine Stimme ziemlich rau, als er sagte: »So soll es sein, milaya.«