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»Hast du mich vermisst? Denn ich habe dich vermisst«, sagte sie, als die Wache sie in sein Schlafzimmer brachte. Er erhob sich aus Gewohnheit, weil eine Dame eintrat, und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Ein Krieger und Gentleman. Und gewaschen und gekämmt macht er auch noch richtig was her.« Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Ich glaube, ich habe mich verliebt.«
Es schien ihr nichts auszumachen, dass er sie keiner Antwort würdigte. Stattdessen blickte sie sich gelassen um. »Retro-Dracula. Nicht unbedingt mein Geschmack, aber ich steh ja auch nicht so auf sonnenundurchlässige Fensterläden wie ihr möglicherweise …« Sie zuckte die Achseln und steuerte aufs Badezimmer zu. »Ich spring mal kurz unter die Dusche, wenn du nichts dagegen hast«, sagte sie unbekümmert. Er zog die Augenbrauen in die Höhe.
An der Türschwelle angekommen, knöpfte sie ihre enge Bluse auf und streifte sie ab, sodass sie nur noch einen transparenten schwarzen BH trug. Als sie sich zu ihm umdrehte und ihm ihre nur spärlich verhüllten Brüste zuwandte, wusste er, dass sie es nur tat, damit er sehen konnte, wie ihre milchweißen Wölbungen aus der schwarzen Spitze quollen, als sie sich hinabbeugte, um ihre Stiefel auszuziehen. Was er nicht wusste, war, wieso sie das wollte.
War sie tatsächlich verrückt? Die meisten Leute, die verrückt waren, glaubten nicht, dass es so wäre, aber sie schien geradezu stolz darauf zu sein. Für gewöhnlich erfasste er die Beweggründe für eine bestimmte Handlungsweise sehr rasch. Sicher, sie wollte ihre Freiheit, aber aus irgendeinem Grund wusste er, dass sie nicht mit ihm schlafen würde, um ihr Ziel zu erreichen.
Wenn er hätte raten müssen, hätte er gesagt, dass sie schlichtweg nichts Seltsames darin sah, sich vor ihm auszuziehen und sich im Schlafzimmer eines völlig Fremden zu verhalten, als ob sie dort zu Hause wäre. Er hegte sogar den Verdacht, dass sie sie beide keineswegs als Fremde ansah.
Während er nur dastand und sich bemühte, seine Überraschung zu verbergen, öffnete sie den Verschluss ihres Seidenrockes an ihrer Hüfte, sodass auch dieser zu Boden sank.
Eine zarte Goldkette um ihre schmale Taille erregte seine Aufmerksamkeit. Sie war außergewöhnlich, das Design anscheinend sehr alt, doch sie glitzerte wie neu, als die Frau sich bewegte. Als er seine Augen endlich von der Kette zu lösen vermochte, sah er sie in nichts als diesem zarten BH und einem knappen schwarzen Höschen von so komplizierter Machart vor sich, dass es ihm gleich den nächsten Schock versetzte. Es schien eher ein Kunstwerk zu sein – oder aber ein Band, das ein solches verzierte.
Sie warf ihm ein spöttisches Lächeln zu. »Das gefällt dem Vampir, was?«, schnurrte sie, während sie den Verschluss des BHs löste, um ihn zu den anderen Kleidungsstücken zu werfen.
Sein Gesicht wurde finster, denn es gefiel ihm in der Tat. Sehr sogar. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und dachte bei sich, dass ihre Brüste unmöglich noch schöner sein könnten. Sie hatte korallenrosa Brustknospen, die er am liebsten stundenlang mit seiner Zunge verwöhnen würde, und alabasterfarbene Haut, die zu berühren und zu streicheln er sich wünschte. Als er versuchte zu sprechen, musste er erst hinter vorgehaltener Hand hüsteln, um den Hals freizubekommen. »Du ziehst dich vor einem Vampir aus, dessen Namen du noch nicht einmal kennst?«
Sie hielt in gespieltem Schrecken die Luft an und bedeckte die Brüste mit ihren Händen. »Du hast recht! Also, wie heißt du?«
»Meine Antwort wird so entgegenkommend sein wie die deine. Also, wie soll ich heißen?«
Sie lächelte angesichts seiner Worte, beantwortete jedoch seine Frage. »Irgendein Name, der zu einem übergroßen, vom Kampf gezeichneten Vampir und Kriegsherrn passt.«
Übergroß? Vom Kampf gezeichnet? Er fragte sich, wieso zur Hölle es ihn überhaupt kümmerte, wie sie ihn sah. Sie war das Abbild einer Göttin, aber doch gleichzeitig wahnsinnig. Er zog seinen klaren Verstand vor, wenn er auch von Narben gezeichnet sein mochte. »Nikolai Wroth«, stieß er schließlich heiser hervor.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, Wiedererkennen in ihren Augen aufblitzen zu sehen, doch dann sah sie ihn neckisch an und hauchte: »Oh, du bist gut. Wroth, das alte englische Wort für Zorn? Das ist ein Supereinfall für einen Namen.« Sie ließ die Hände sinken. »Ich werde dich also einfach so nennen«, sagte sie. Dann warf sie ihm einen weiteren Blick zu, während sie den Kopf mit einem reumütigen Lächeln schüttelte, als ob sie nicht glauben könnte, dass er so schlau war.
… wie ein Hutmacher.
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen, hob die gebeugten Arme über den Kopf und umfasste mit den Händen jeweils den gegenüberliegenden Ellenbogen. Während sie also auf diese Weise ihre unglaublichen Brüste zur Schau stellte und ihm ein flirtendes Lächeln schenkte, das die meisten Männer in die Knie gezwungen hätte, fragte sie mit ihrer rauchigen Stimme: »Hast du vielleicht Lust, mir Gesellschaft zu leisten, Wroth?« Sie zwinkerte ihm zu, als sie seinen Namen sagte, und stieß die Hüften vom Türrahmen ab.
»Nein.« Das Wort ging ihm nur unter größten Schwierigkeiten über die Lippen. Er wollte nicht, dass sie merkte, dass sein Körper nicht auf sie reagieren würde. Sein Kopf schon, seine vagen Erinnerungen an sein Dasein als Mensch auch, aber nicht sein Körper. Er gehörte zu den lebenden Toten. Keine Atmung, kein Herzschlag, keine sexuellen Bedürfnisse – oder Fähigkeiten. Nicht, ehe er die Braut fand, die ihm vom Schicksal zugesprochen war und die ihn »erweckte«, sein Blut wieder zum Fließen brachte. Durch die Erweckung würde etwas in seinem Inneren, seine Essenz – vielleicht sogar seine Seele – in ihr die Seine erkennen. Er würde erkennen, dass sie diejenige war, der es bestimmt war, die Ewigkeit mit ihm zu verbringen; die Frau, die er über alle Maßen lieben konnte, wenn man daran glaubte, und sein Körper würde für sie zu neuem Leben erwachen.
Er hatte sich lange nach seiner Braut gesehnt wegen der Macht, die sie ihm verschaffen würde – endlich würde er so stark wie erweckte Vampire sein, seine Sinne so scharf wie die ihren –, aber den Sex hatte er vor diesem Tag nie vermisst. Und eines wusste Wroth nach diesem Auftritt mit Gewissheit: Sie war nicht die Seine. Denn das hätte jeden Vampir erwecken müssen.
Sie zuckte mit den Schultern – eine einfache Bewegung und zugleich so ein prachtvoller Anblick –, drehte sich um und betrat das Bad. Als sie eine Viertelstunde später in ein Handtuch gewickelt wieder herauskam, ging sie stracks auf seinen Schrank zu. Sicherlich hatte sie auch seine Zahnbürste benutzt.
Was ihn aus irgendeinem Grund … bezauberte.
Als das Handtuch fiel, stand sie nur noch mit der Kette bekleidet da und präsentierte ihm ihren perfekten Hintern.
Er schluckte. »Hast du denn gar kein Schamgefühl?« Nie zuvor in seinem Leben war er einer Frau begegnet, die es so eilig gehabt hatte, sich auszuziehen. Andererseits war er auch noch nie einer Frau begegnet, die sich nach Möglichkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit vollkommen nackt zeigen sollte.
»In meinem Alter nicht mehr«, sagte sie, während sie begann, seine gerade erst ausgepackten Kleidungsstücke zu durchsuchen. Wie seltsam, sie so etwas sagen zu hören, wo sie doch so jung aussah. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er den Kopf hin und her bewegte, um jeder ihrer Bewegungen zu folgen. Die Kette um ihre Taille schwang hin und her, und ihr feuchtes langes Haar ergoss sich wie ein Wasserfall über ihre Brüste. Er unterdrückte ein Stöhnen bei einem besonders aufschlussreichen Einblick – eine echte Rothaarige. Er schloss die Augen. Und er konnte sie nicht haben.
»Wie alt bist du?«, fragte er mit rauer Stimme, als er die Augen wieder zu öffnen wagte.
»Physiologisch gesehen bin ich fünfundzwanzig. Chronologisch gesehen … nicht.«
»Dann bist du unsterblich?«
Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Das bin ich.« Sie zog eins seiner Hemden über, obwohl es so groß war, dass es eine Schulter frei ließ und ihr bis auf die Beine hinabhing.
»Warum bist du im Alter von fünfundzwanzig stehen geblieben?«
»Weil ich zu der Zeit am stärksten war. Nicht aus dem Grund, aus dem du mit …«, sie verstummte und musterte ihn gründlich, »vierunddreißig stehen geblieben bist.«
»Fünfunddreißig. Und was glaubst du, aus welchem Grund ich damals aufhörte zu altern?«
Sie ignorierte ihn und fuhr fort, seine Sachen zu durchstöbern. Kurz darauf zog sie ein altes, mit Edelsteinen besetztes Kreuz aus seiner Tasche. Sie hielt die Reliquie von sich weg und wandte den Blick ab. »Du bist katholisch?«
»Ja. Es war ein Geschenk meines Vaters.« Das ihn in den Zeiten des Krieges am Leben erhalten sollte. Wroth schüttelte den Kopf angesichts der Ironie, wie gut es funktioniert hatte. »Ich dachte, ich wäre derjenige, der sich davon abgestoßen fühlen sollte.«
»So was kann auch nur von einem gewandelten Menschen kommen. Außerdem fühle ich mich in keiner Weise abgestoßen. Bei diesen Juwelen? Wenn ich es ansehe, will ich es haben.«
»Dann würdest du es also nicht besitzen wollen, weil du katholisch bist. Verstehe ich das richtig?«
»Meine Familie zählte zu den besonders orthodoxen Heiden. Kann ich es haben?« Sie hielt es ihm hin, nach wie vor, ohne es anzublicken. »Kann ich, kann ich, Wroth?«
»Leg es zurück«, sagte er. Er kämpfte gegen den ungewohnten Drang zu grinsen an. Mit schmollender Miene legte sie es wieder in die Tasche, während sie etwas über geizige Vampire vor sich hinmurmelte, und steckte die Füße in seine Stiefel. Als sie sich mit in die Hüften gestemmten Armen wieder zu ihm umdrehte, hätte sich bei ihrem Anblick um ein Haar ein Lächeln auf seinen Lippen ausgebreitet – eine wahnsinnige, heidnische Unsterbliche, die in seinen Stiefeln fast versank.
»Womit hat deine Mutter dich bloß gefüttert?«, stichelte sie. »Gab es in der Renaissance überhaupt schon Anabolika?«
Ihm verging das Verlangen zu lächeln. »Meine Mutter starb jung.«
»Genau wie meine.« Er glaubte, sie »das erste Mal« murmeln zu hören.
»Und ich wurde nach der Renaissance geboren.«
Sie zog die Füße wieder aus seinen Stiefeln und stolzierte an ihm vorbei. »Aber nicht sehr lange.«
»Das ist wahr. Und warum glaubst du, ich hätte mit fünfunddreißig aufgehört zu altern?«, fragte er noch einmal.
Sie runzelte die Stirn, als ob sie sich nicht erklären könnte, wie er auf diese Frage kam, und antwortete dann: »Weil der unartige Kristoff dich auf irgendeinem Schlachtfeld aufgelesen hat, wo du gerade im Sterben lagst. Er fand, du würdest einen würdigen Rekruten abgeben, und ließ dich von seinem Blut trinken. Hat sich vielleicht ins Handgelenk gebissen. Als du dann sein vampirisches Unglücksblut in den Adern hattest, ließ er dich sterben. Es sei denn, er hätte es eilig gehabt, dann hätte er den Prozess etwas beschleunigt. Und ein bis drei Nächte später – voilà, du erstehst von den Toten auf, höchstwahrscheinlich mit einem ziemlich überraschten Gesichtsausdruck, während du denkst: ›Heilige Scheiße, es hat funktioniert!‹«
Er ignorierte die letzte Bemerkung. »Woher weißt du von dem Blutritual?«, fragte er stattdessen. Er war davon ausgegangen, dass nur Vampire den wahren Weg kannten, einen Menschen zu wandeln. In Filmen und Büchern folgte die Wandlung stets als Konsequenz aus dem Biss eines Vampirs, wohingegen es doch wesentlich wahrscheinlicher war, zum Vampir zu werden, wenn ein Mensch einen Vampir biss.
»Wie schon gesagt, ich weiß alles.«
Das konnte ja sein, aber er lernte dazu, wenn auch sehr unregelmäßig. Sie war eine Unsterbliche, die im Alter von fünfundzwanzig aufgehört hatte zu altern. Wenn sie Heidin war, war sie wenigstens ein paar Hundert Jahre alt. Sie kannte das Blutritual und wusste, dass Kristoff seine Soldaten frisch vom Schlachtfeld weg »rekrutierte«.
Als sie ihre Kleidungsstücke aufhob, die Tür öffnete und mit einem Fingerschnippen eine Wache draußen im Gang auf sich aufmerksam machte, sah Wroth ihr einfach nur zu wie ein unbeteiligter Zuschauer.
»Pssst. Lakai. Das hier muss alles gewaschen werden. Aber mit ganz wenig Stärke. Jetzt steh hier nicht einfach nur dumm rum, sonst wird mein guter Freund, General Wroth, nämlich sehr böse. Wir sind nämlich so.«
Wenn er sie auch nicht sehen konnte, wusste er doch, dass sie die Finger gekreuzt hielt.
Sobald sie ihre Schmutzwäsche losgeworden war, schloss sie die Tür, indem sie sich auf übertrieben dramatische Weise dagegenlehnte – als ob sie sagen wollte, jetzt könne er ihr nicht mehr entkommen – und glitt auf ihn zu.
In der Regel war es so: Er beobachtete, er plante und er wartete, aber noch nie hatte er es derartig genossen wie mit ihr, es sich bequem zu machen und zuzusehen, was passierte. Sie unberechenbar zu nennen, war noch untertrieben.
Sie packte ihn bei den Schultern und hockte sich rittlings über seinen Schoß.
Sie trennte nichts weiter als seine Hose und einige wenige Zentimeter. Er konnte sogar die Hitze spüren, die von ihr ausging. Sie war definitiv nicht seine Braut, sonst hätte er inzwischen längst seinen Reißverschluss gesprengt, um sich in ihr zu vergraben. Sein Herz würde schlagen, er würde seit dreihundert Jahren seinen ersten Atemzug tun, und in der Zeit, die es dauerte, diesen auszuführen, würde er schon so tief in ihrer Enge stecken, sie auf sich herabziehen … Aber es geschah nichts, was diesem Szenario auch nur entfernt ähnelte.
»Also, Wroth, wir müssen uns mal über ein paar logistische Probleme einig werden. Wenn ich als Sklavin gehalten werden soll, verlange ich eine gewisse Behandlung.«
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich habe nicht den Wunsch, dich als meine Sklavin zu halten.«
»Du hältst mich gefangen. Du hast vor, mich herumzukommandieren. Wo liegt da der Unterschied?«
»Du bist keine Sklavin«, betonte er. Er konnte nicht denken – ihre Augen waren hypnotisierend, ihr Geschlecht befand sich nur Zentimeter von dem seinen entfernt, und ihr bezaubernder Akzent lullte ihn ein.
Sie beugte sich zu seinem Ohr vor und murmelte: »Was, wenn ich gerne deine kleine Sklavin sein möchte? Würde dir das gefallen, Vampir?« Ihre Finger glitten über seine Brust, knöpften sein Hemd auf. Eine nach der anderen hob sie seine Hände an und legte sie auf die seitlichen Lehnen, wobei sie sie kurz drückte, um ihm zu verstehen zu geben, dass er sie dort lassen solle.
Mit erhobenen Augenbrauen ließ er sie gewähren. Er hatte nicht vor, sich zu rühren, und vermochte nicht zu erraten, was sie wohl als Nächstes vorhatte.
»Wenn ich deine Sklavin wäre, könntest du mich zu deinem Vergnügen behalten, und ich würde dir auf jede von dir gewünschte Weise dienen.« Sie zog sein Hemd auseinander und starrte bewundernd auf seine Brust. »Hart.« Ihre Stimme klang belegt. »Narben.« Sie befeuchtete ihre Lippen. »Ich würde nichts unversucht lassen, um dich zu erwecken, damit du bei Sonnenuntergang aufwachen würdest, während mein Mund bereits gierig an dir saugt, und du meine Schenkel packen würdest, um von ihnen zu trinken. Wenn du dann bei Sonnenuntergang einschlafen würdest, würdest du immer noch tief in meinem Körper stecken.« Ihre Hand wanderte weiter nach unten, während ihre Augen gebannt der gezackten Narbe folgten, die sein Todesurteil gewesen war. »Du kannst mich nehmen, wenn du nur willst, und ich verzehre mich nach deiner Berührung.«
Sie streckte die Hand aus und umfasste sein Geschlecht unter ihr, ehe er ihr Handgelenk festhalten konnte. Im nächsten Augenblick war ihr verführerischer Gesichtsausdruck verschwunden, auch wenn sie keinerlei Überraschung darüber zeigte, dass er nicht hart war. Sie betastete seinen Schwanz und hob dann eine Augenbraue, als ob sie sagen wollte: »Also, wirklich, Wroth … Wenn du hart wärst, wüsste ich nicht, ob ich Begeisterung oder Panik spüren sollte.«
Und dann war sie mit einem Mal nicht mehr über ihm, sondern hatte sich mit für die Augen nicht mehr wahrnehmbarer Geschwindigkeit auf sein Bett bewegt, wo sie nun auf dem Bauch lag, das Kinn auf die Hände gestützt. Sie schien vollkommen ungerührt von allem, was soeben geschehen war, während er Wut und … Scham darüber verspürte, dass sie ihn so befühlt hatte. Er würde ihr schon zeigen, was hart war …
»Wie willst du mich denn tagsüber hier halten? Ein nicht erweckter Deviant sollte nicht so schwer zu bezwingen sein.«
Bezwungen – von ihr? Amüsant. »Ich werde dich in deine Zelle zurückschicken. Du willst meine Sklavin sein? Dann werde ich dich ganz nach Lust und Laune aus deinem Käfig holen und wieder hineinstecken.«
Sie blinzelte. »Du willst mich gar nicht wieder wegschicken. Wer würde denn dann für deine Unterhaltung sorgen? Ich kann Poker spielen und mit den Händen Schattentiere formen.«
Er schüttelte sich. Das war nur wieder ein weiteres Beispiel dafür, wie der Mythos mit ihnen sein Spiel trieb. Sie war nicht normal. Er wusste, dass alles, was er je über Frauen gelernt hatte, auf sie nicht anwendbar war.
Wenn sie völlig ungerührt auftreten konnte, konnte er zumindest vorgeben, es zu sein. »Du musst mir einige Fragen beantworten. Ich muss wissen, was du bist und wie du heißt.«
»Ich werde deine Fragen beantworten, wenn du mir meine beantwortest.«
»Abgemacht«, stimmte er rasch zu. »Frag.«
»Hattest du Angst, als Kristoff auf einmal über dir aufragte?«
»Ich war … erschöpft.« Seltsame Frage.
»Die meisten Menschen wären beim Anblick des Grabwandlers zu Tode erschrocken.«
»So nennt ihr ihn?« Das würde Kristoff sicher amüsant finden. Sie nickte. »Nun ja, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon vieles gesehen.«
»Was hat er vor? Will er an Demestrius’ Stelle treten?«
Wroth antwortete nach kurzem Zögern aufrichtig, in der Hoffnung, sie werde dasselbe tun. »Er will die Krone zurückhaben, aber er strebt nicht an, über irgendeine andere Faktion als die unsere zu herrschen.«
»Aha.« Sie hob eine Augenbraue, als ob sie ihm keinen Glauben schenkte. »Das im Kerker, war das dein Bruder?«, fragte sie dann.
»Ja, das war Murdoch.«
»Für gewöhnlich besitzen gewandelte Vampire keine Familienangehörigen innerhalb der Horde.«
»Murdoch starb in derselben Schlacht. Ich habe noch zwei weitere Brüder, die später ebenfalls gewandelt wurden.«
»Du bist jung. Und doch bist du ein General. Wie hast du das hingekriegt?«
Er war über dreihundert Jahre alt. Jung im Vergleich zu ihr? »Ich verweigerte die dunkle Gabe für den Fall, dass er nicht auf gewisse Bedingungen eingehen wollte.«
Ihre Augen leuchteten interessiert auf, und sie klopfte auf das Bett neben sich, damit er sich zu ihr setzte. Er spürte, dass er kurz davorstand, etwas Neues zu erfahren, und leistete ihrer Bitte Folge. Als er mit ausgestreckten Beinen neben ihr saß, hätte er fast laut gelacht. Das war seit Jahrhunderten das erste Mal, dass er mit einer Frau im Bett war – noch dazu mit der schönsten, die er je gesehen hatte –, und er konnte nichts mit ihr anfangen. Er konnte nicht einmal von ihr trinken, auch wenn seine Fänge schmerzten vor Verlangen, die zarte Säule ihres Halses zu durchbrechen. Gott sei Dank hatte er sich genährt, ehe man sie zu ihm geführt hatte.
»Wroth, du hast mit Kristoff verhandelt, als du im Sterben lagst?«
Wenn sie es so ausdrückte, klang es sehr viel kühner, als es in Wahrheit gewesen war. Wroth hatte in seinem eigenen, sich langsam abkühlenden Blut gelegen, kurz davor, von dem endlosen Kampf – dem fortdauernden Krieg, den Hungersnöten und Seuchen – befreit zu werden.
»Ihr braucht mich mehr, als ich das Leben brauche«, hatte er zu Kristoff gesagt.
Kristoff hatte ihn in vielen Schlachten beobachtet und stimmte ihm zu.
»Ja, ich habe mit ihm verhandelt. Ich war es gewohnt, Befehle zu geben, und wollte sie von niemand anderem als einem mächtigen König entgegennehmen. Ich wollte, dass auch mein Bruder gewandelt würde, sollte er ebenfalls dem Tode nahe sein, so wie auch einige vertraute Landsmänner. Kristoff ging darauf ein.« Das war noch nicht alles. Wroth hatte um sechzig Jahre gebeten, damit Murdoch und er den Rest ihrer Familie beschützen könnten – ihren Vater, vier Schwestern und zwei weitere Brüder.
Sie hatten nur drei Monate gebraucht.
»Ich hatte schon von dir gehört, als du noch ein Mensch warst, weißt du? Haben sie dich nicht den ›Oberherren‹ genannt?«
Das überraschte ihn. »Freundlich gesinnte Stimmen, ja. Aber wie kannst du von mir gehört haben? Dein Akzent stammt nicht aus den Nordlanden.«
Sie seufzte. »Nein, nicht mehr. Ich hatte von dir gehört, weil ich mich für alles interessiere, was mit dem Kriegshandwerk zu tun hat. Du warst ein ziemlich gnadenloser Anführer.«
Er spürte, wie seine Miene erkaltete. »Wir haben uns verteidigt. Ich war alles, was ich sein musste, um mein Land zu beschützen.« An ihrer Reaktion erkannte er, dass seine Antwort ihr gefiel. Ihre Lippen öffneten sich, als sie ihm den Kopf zuneigte. Dann rutschte sie ein Stück näher an ihn heran, als ob sie gar nicht anders könnte.
»Doch am Ende hast du verloren«, sagte sie mit sanfterer Stimme.
Er starrte an ihr vorbei. »Alles.« Die Schlacht war nur der letzte Todesstoß für einen sterbenden Mann gewesen. Zuvor hatte der Feind ihr Land gebrandschatzt und verwüstet. Es folgte eine Hungersnot, und es gab nichts, was sie gegen die dann ausbrechende Pest tun konnten.
»Wroth«, sagte sie leise. Er richtete seinen Blick auf sie. Ihre Augen in diesem elfengleichen Gesicht waren so hinreißend, so klar und hell in diesem Moment. »Lass uns einen Pakt schließen.« Sanft spreizte sie seine Beine und kniete sich zwischen sie. »Lass uns schwören, dass wir dem anderen in diesem Raum nichts zuleide tun werden.« Sie legte ihm die Hand auf die Brust und drückte ihn zurück, bis er auf dem zusammengerollten Kissen lag. Was würde sie wohl als Nächstes tun?
Als er ihr mit einem raschen Nicken seine Zustimmung signalisierte, schenkte sie ihm ein warmes Lächeln, das ihm das Gefühl gab, ein Lob erhalten zu haben. Ihr feuchtes Haar ergoss sich über seine Beine, und als sie es mit dem Handrücken zur Seite schob, entblößte sie ihren verlockenden Hals. Der Duft ihres Haars berauschte ihn wie eine Droge. Süß und zart so wie ihre Haut. Wenn sie schon so roch, vermochte er sich nicht auszumalen, wie sie wohl schmecken würde. Er wünschte, sie hätte ihre Haut entblößt, um sie ihm darzubieten.
»Wroth, das ist jetzt wirklich peinlich«, murmelte sie mit ihrer sinnlichen Stimme, »aber ich glaube, ich habe dich dabei erwischt, wie du meinen Hals anstarrst.«
»Das hast du«, gab er zu – seltsamerweise, ohne auch nur die geringste Scham darüber zu empfinden, das innerhalb seines Ordens am meisten verachtete Verbrechen in Erwägung zu ziehen.
Sie strich mit den Fingerspitzen über seine Haut. »Bist du etwa versucht, von mir zu trinken?«
Mehr als er es je gewesen war.
Er fragte sich, wie oft Ivo sie wohl genossen haben mochte, und verspürte die Klauen eines fremden Gefühls in seinem Unterleib wüten. »Im Gegensatz zur Horde trinken wir nicht von lebenden Wesen. Daher haben wir unseren Namen.« Dies war das feierliche Versprechen seines Ordens, ihr Pakt. Wroth hatte nie Fleisch gekostet, während er trank. Allerdings hatte er auch noch nie die leiseste Versuchung dazu verspürt, bevor er ihr begegnet war.
»Wieso?«
»Damit wir niemals in Versuchung geraten zu töten«, sagte er. Dies war die offizielle Begründung, die auch der Wahrheit entsprach, aber die ganze Wahrheit war komplizierter, und sie hielten die Einzelheiten, die sie herausgefunden hatten, geheim. Lebendiges Blut, Blut, das nicht von seiner Quelle getrennt worden war, hatte Nebenwirkungen. Es konnte einem Vampir schlimme Qualen zufügen, beispielsweise in Form der Erinnerungen des Opfers. Kristoff war davon überzeugt, dass es diese Erinnerungen waren, die gebürtige Vampire in den Wahnsinn trieben und ihre Augen dauerhaft rot färbten. Soweit sie wussten, war der einzige Weg, diese Nebenwirkungen zu vermeiden, ausschließlich totes Blut zu trinken, und so die üblen Folgen – und zugleich die Vorteile – zu umgehen.
»Was wäre, wenn du von einem Unsterblichen tränkest, der davon nicht getötet werden könnte?«, fragte sie. Ihre Stimme zog ihn immer tiefer in ihren Bann. Er konnte einfach nicht den Blick von ihr abwenden.
Es war nicht leicht, auf diese Frage zu antworten, ohne preiszugeben, dass ein Unsterblicher über viel zu viele quälende Erinnerungen verfügte, ein Vielfaches der Erinnerungen eines Menschen. Daher beantwortete er ihre Frage mit einer Gegenfrage. »Willst du, dass ich mich an dir vergreife, seltsames Geschöpf?« Die bloße Vorstellung ließ seine Stimme heiser werden und seine Fänge schmerzen.
Als er ihren erregten Blick sah, fürchtete er schon, sie wollte ihn beim Wort nehmen. Was würde er dann tun?
»Ein andermal«, sagte sie fröhlich. Und dann rollte sie sich zu seinem Entsetzen zwischen seinen Beinen ein, das Gesicht an seinen nackten Oberkörper geschmiegt, und legte ihm ihre zarten blassen Arme und Hände um den Schenkel.
»Ich habe dir meine Fragen gar nicht gestellt.« Er starrte an die Decke, bemüht, sich sein Erstaunen angesichts dessen, was gerade geschah, nicht anmerken zu lassen. Er hatte in seinem Leben ja schon viel gesehen, aber diese Frau verwirrte ihn.
»Dazu bleibt uns doch noch alle Zeit der Welt, oder vielleicht nicht?«
Er glaubte zu spüren, dass sie die Narbe auf seinem Unterbauch mit ihren Lippen berührte – mit einem langsamen Lecken. Er lag wie versteinert da. »Sag mir wenigstens deinen Namen, du seltsames Geschöpf«, brachte er mit heiserer Stimme heraus.
»Myst«, flüsterte sie und war in der nächsten Sekunde eingeschlafen.
Myst. Wie passend, dass sie nach etwas Unfassbarem und Unberechenbarem wie dem Nebel benannt war.
Es dauerte lange, bis er endlich Ruhe fand. Seine kleine Heidin hielt im Schlaf sein Bein mit ihren rosa Klauen fest umklammert. Es waren tatsächlich Klauen, scharf und gebogen, wenn auch irgendwie elegant. Er ignorierte den Schmerz, der im Vergleich zu der seltsamen Befriedigung darüber, dass sie sich womöglich an ihn klammerte, um Trost zu finden, verblasste.
Er genoss es einfach, mit ihr zu ruhen und nichts weiter zu tun, als ihr Haar beim Trocknen zu betrachten, bis es in großen, glänzenden roten Locken auf seiner Brust ausgebreitet lag. Seit Jahrhunderten war ihre Armee nicht ein Mal zur Ruhe gekommen. Sie verbarg sich in den Schatten der Nordlande, oftmals unter aufreibenden Bedingungen, stets bemüht, ihre wachsenden Ausmaße geheim zu halten. Stets drehte sich alles um den Krieg, alles lief auf diesen letzten Angriff hinaus, um ihrer Sache zum Sieg zu verhelfen.
Er hob eine ihrer Locken an sein Gesicht und ließ sie über seine Lippen gleiten. So weich wie ihre makellose Haut. Sollte sie ihm bis morgen Abend keinerlei Informationen preisgegeben haben – und irgendetwas sagte ihm, dass sie das freiwillig niemals tun würde –, wäre er dann überhaupt in der Lage, ihr die Haut zu zerfetzen, um an ihre Geheimnisse zu gelangen? Nachdem sich Myst so vertrauensvoll an ihn geschmiegt hatte? Könnte er ihr diese zarten Knochen brechen und ertragen, dass sie ihn mit ihren schmerzerfüllten grünen Augen ansah? Wenn sie seine Braut gewesen wäre, müsste er ihr nicht wehtun, es wäre ihm für alle Zeit untersagt, sie zu verletzen. Sein Leben wäre ausschließlich ihrem Schutz geweiht.
Er strich mit der Rückseite seiner Finger über ihre seidige Wange, fühlte, wie ihre leichten, raschen Atemzüge seinen Bauch wärmten. In seinem ganzen Leben hatte er nie wahrhaftig den Stachel der Eifersucht verspürt, hatte niemals andere Männer beneidet, bis auf solche, die Frieden in ihrem Land genossen. Er war in eine wohlhabende aristokratische Familie hineingeboren worden, und stets war ihm Fortuna hold gewesen, bis auf die letzten Jahre seines sterblichen Lebens. Zu neiden bedeutete, zu entbehren.
Und warum verspürte er dann den Drang, jeden Vampir zu vernichten, der von ihr erweckt werden würde?