Der Ursprung der Walküre
Zitternd vor Schwäche sank die einsame Kriegerin auf ein Knie in den mit Blut befleckten Schnee. Und dennoch schoss ihr Arm in die Luft und erhob das Schwert gegen die heranstürmende Legion. Ihre zarte Gestalt wurde von ihrem verbeulten Brustpanzer fast verschluckt.
Der Wind heulte und peitschte ihr Haar, doch sie hörte das Sirren der Bogensehne. In ihrer ohnmächtigen Wut stieß sie einen Schrei aus. Der Pfeil durchbohrte die Mitte ihres Panzers, und die Wucht des Aufpralls schleuderte sie zu Boden.
Der Pfeil hatte sowohl das Metall als auch ihr Brustbein durchstoßen, gerade so weit, dass ihr Herz mit jedem Schlag auf seine Spitze traf. Der Schlag ihres eigenen tapferen Herzens tötete sie.
Aber ihr Schrei hatte zwei Götter geweckt, die ganz in der Nähe diese grausame, freudlose Dekade verschliefen. Sie begannen sich zu regen, und als sie auf die Maid hinabblickten, sahen sie die Kühnheit, die hell aus ihren Augen strahlte. Mut und Willenskraft hatten ihr ganzes Leben gekennzeichnet, doch nun verebbte das Licht im Tode, und sie betrauerten es sehr.
Die Göttin Freya flüsterte, dass sie ihren Mut nehmen und für die Ewigkeit bewahren sollten, da er so kostbar sei.
Odin stimmte ihr zu, und so ließen sie einen Blitz den Äther spalten und in die sterbende Maid fahren.
Das Licht war von enormer Kraft und verging nur langsam, sodass die ganze Armee erbebte.
Als sich erneut Dunkelheit herabgesenkt hatte, erwachte die geheilte Maid an einem seltsamen Ort. Sie war unangetastet, auch ihre menschliche Sterblichkeit bestand fort. Aber schon bald gebar sie eine unsterbliche Tochter; eine Tochter, die ihren Heldenmut, Odins Scharfsinn und Gerissenheit und Freyas Heiterkeit und feengleiche Schönheit besaß. Obgleich diese Tochter ihre Lebensenergie aus der Kraft des Blitzes gezogen hatte, hatte sie zudem Odins Arroganz und Freyas Habgier geerbt, doch das vergrößerte deren Zuneigung zu ihr nur noch.
Die Götter waren zufrieden, und die Maid betete ihre Tochter an. Doch nachdem ein Zeitalter vergangen war, hörten die Götter eine weitere Frau laut rufen, dass ihr Mut sie nicht verlassen möge, als sie im Kampf gegen einen dunklen Feind ihr Leben ließ. Sie war kein Mensch, sondern eine Furie, eine Kreatur des Mythos – jener Welt listiger Wesen, die den Menschen davon überzeugen konnten, sie existierten nur in seiner Vorstellungskraft. Diesem Geschöpf blieben nur noch wenige Momente. In der eiskalten Nacht waren ihre Atemzüge schon nicht mehr sichtbar.
»Unsere Hallen sind groß, doch unsere Familie ist klein«, sagte Freya, und ihre Augen funkelten so hell, dass ein Seemann im Norden von den Sternen geblendet ward und um ein Haar vom rechten Weg abgekommen wäre.
Der unerbittliche Odin vermochte ihr ihren Wunsch nicht zu verwehren und nahm ihre Hand. Alle, die die sterbende Furie umgaben, sahen, wie der Himmel erneut vom Blitz aufgerissen ward.
In den kommenden Jahren sollte es wieder und wieder geschehen, auch noch lange nachdem weibliche Krieger – seien sie nun Mensch, Dämon, Sirene, Wechselbalg oder eine andere tapfere Kreatur der Mythenwelt – im Angesicht des Todes darum zu beten wussten.
Und so ward die Walküre geboren.