Fünftes Kapitel

e9783641039448_i0018.jpg

Als ich am nächsten Morgen erwache, wabert zäher Nebel vor meinem Fenster. Nicht einmal die Gartenmauer kann ich sehen. Ich stoße mein Fenster auf und lehne mich hinaus. Ein dumpfer, klagender Laut ist zu hören, wie das Muhen einer Kuh, die ihr Kalb aus den Augen verloren hat. Es ist das Nebelhorn, das die Schiffe warnt.

So viele Schiffe sind in dieser Gegend schon auf Grund gelaufen und an den Felsen zerschellt. Dad hat mir alle ihre Namen gesagt: die Perth Princess, die Andola, die Morveren, die Lady Guinevere. Viele erlitten Schiffbruch, als sie aus Kriegen zurückkehrten, die über zweihundert Jahre zurückliegen. Man findet immer noch Treibholz von Schiffen, die gegen Napoleon kämpften und niemals heimkehrten. Dad hat mir einmal ein Stück Treibholz mit einem Loch gezeigt, in dem sich früher der Messingnagel eines Schiffs befunden hat.

Ich hielt es hoch und legte meinen Finger über das Loch. Ich versuchte, mir vorzustellen, was für ein Gefühl es gewesen sein muss, als das Schiff sank. Der heulende Wind und die tobende See. Sicher schrien die Männer Befehle über das Deck, um das Schiff zu retten. Doch der Wind und die Strömung waren stärker als die Kraft der Männer und so wurde das Schiff gegen die Felsen gedrückt.

Die scharfen Felsen rissen die Schiffswand auf, und das Wasser flutete hinein, während die Männer sich verzweifelt zu retten versuchten. Doch blieb ihnen nur der Sprung in das tosende schwarze Meer.

Jungen in Conors Alter haben auf solchen Schiffen gearbeitet. Vielleicht sind sie die Masten hinaufgeklettert, so hoch sie nur konnten, und klammerten sich an die Spieren, während das Schiff sich zur Seite legte, wie ein stürzendes Pferd, das sich schließlich das Genick bricht.

Sie hatten keine Chance. Das Meer wird mit jedem Schiff fertig. Die Felsen sind zu weit vorgelagert, als dass man die Schiffbrüchigen mit Tauen hätte an Land ziehen können. Und bei stürmischer See ist es unmöglich, ein Rettungsboot zu Wasser zu lassen.

Das Nebelhorn tutet erneut. Gefahr, sagt es. Haltet euch fern. Gefahr. Ich hoffe, die Schiffe beherzigen die Warnung.

Mum ist aufgestanden. Ich höre sie in der Küche rumoren. Von Conor höre ich nichts.

Mein Herz pocht vor Angst. Barfuß und auf Zehenspitzen schleiche ich zur Leiter und krabbele leise wie ein Eichhörnchen so weit hinauf, dass ich Conors Bett sehen kann.

Er ist da. Ich sehe, wie sein Hinterkopf unter der Decke hervorschaut. Er schläft tief und fest.

Ich klettere die Leiter wieder hinunter, gehe ins Badezimmer und ziehe Jeans und Sweatshirt an. Wenn ich mich beeile, kann ich mit Mum reden, bevor Conor aufwacht. Vielleicht kann ich ihr doch davon erzählen, was gestern passiert ist, kann sie fragen, was wir dagegen tun können.

Doch sobald ich Mum sehe, weiß ich, dass es völlig ausgeschlossen ist, ihr irgendetwas über Conor und das Meer und das Mädchen und meine Angst zu sagen. Am helllichten Tag hat das keinen Sinn. Sie würde nicht verstehen, warum ich mir Sorgen mache.

»Das war bestimmt eine Schulfreundin«, würde sie sagen. »Conor kann nicht immer mit dir zusammen sein, Saph. Er wird älter.«

Mum hat viel zu tun. Sie kocht Kaffee, bügelt ein Kleid für die Arbeit und schält Kartoffeln – alles zur selben Zeit. Sie hat das Radio eingeschaltet und summt ein Lied namens Happy Days mit, das in diesem Sommer alle halbe Stunde gespielt wird.

Happy days babe,
I got them for you,
the morning sunshine,
the sweet dark too,
yeah the sweet dark too …

Das ist die Sorte von Liedern, die Leute in Mums Alter mögen. Ihr Gesicht ist sanft und träumerisch, während sie zuhört. Der Dampf brodelt, als sie das Bügeleisen anhebt. Dann lächelt sie mir zu.

»Hallo, Mum. Wow, ist der Erdbeerkuchen für uns?«

Mum bringt manchmal übrig gebliebene Lebensmittel aus dem Restaurant mit nach Hause. Doch dies ist etwas Besonderes. Ein großer Kuchen voll von leuchtenden, reifen Erdbeeren, mit Gelee überzogen.

Nur ein Viertel fehlt.

»Du kannst ruhig ein Stück zum Frühstück essen, wenn du magst, Sapphy.«

»Zum Frühstück?« Ich starre Mum ungläubig an. Irgendwas an ihr ist total verändert heute Morgen, aber ich kriege nicht heraus, was es ist. Schnell, bevor sie es sich anders überlegt, teile ich den Erdbeerkuchen in drei Stücke.

»Mmh, lecker«, nuschele ich beim Kauen.

»Sprich nicht mit vollem Mund!«, sagt Mum, die jetzt wieder so klingt wie immer. Aber sie sieht anders aus als sonst. Was ist passiert?

Dann sehe ich, was passiert ist. Die vielen Furchen um ihren Mund sind verschwunden. Sie trägt ihre Lieblingsjeans und ein rosafarbenes Oberteil. Sie sieht glücklich aus. Ich schlucke den Rest des Kuchens herunter und frage: »Hast du gestern viel Trinkgeld bekommen?«

»Hm.« Sie schüttelt ihr Kleid und hängt es auf einen Bügel. »Ganz normal.«

Das ist es also nicht.

Mein Herz macht einen Sprung. Jetzt weiß ich, was los ist. »Hast du Neuigkeiten von Dad?«

Mums Gesichtsausdruck verändert sich. »Sapphire, wenn es etwas Neues gäbe, dann hätte ich dir sofort davon erzählt. Das würde ich dir doch nicht verschweigen. Aber es gibt nichts Neues. Außerdem…«

»Was, Mum?«

Sie scheint mit sich zu kämpfen. »Selbst wenn es Neuigkeiten gäbe, selbst wenn sie … irgendwas … gefunden hätten, dann wären es keine guten Nachrichten. Das weißt du doch, oder? Deshalb hatten wir diesen Gedenkgottesdienst. «

»Du meinst also, ich soll Dad einfach vergessen?«

»Nein, das würde ich nie im Leben von dir verlangen. Aber du bist kein Baby mehr, Sapphy. Du kannst dich nicht ständig in einer Traumwelt bewegen. Das ist nicht gut für dich.«

Sie fängt wieder an zu bügeln. Das Thema Dad ist beendet. Ich wünschte, ich hätte nichts gesagt. Die Furchen um Mums Mund sind wieder da. Leise mache ich mir eine Tasse Tee und beginne mit dem Abwasch des gestrigen Tages. Nach einer Weile sagt Mum: »Rat mal, wer gestern bei uns im Restaurant war.«

»Keine Ahnung«, sage ich uninteressiert, aber das kann Mum nicht aufhalten.

»Eine Gruppe von Tauchern. Sie tauchen nach Schiffswracks in dieser Gegend. Vielleicht schauen sie am Wochenende mal bei uns vorbei.«

»Aha?«

»Du glaubst ja gar nicht, wie viele Wracks es gibt, die nie untersucht wurden.«

»Ich weiß, Dad hat uns davon erzählt. Es gibt…«

»Dein Vater hat nie getaucht«, sagt Mum. »Also dieser Roger – das ist einer der Taucher –, der ist schon in allen Teilen der Welt gewesen. Er hat mir davon erzählt. Sie haben Sonargeräte und so was. Er hat schon Wracks in der Karibik und vor der spanischen Küste und an tausend anderen Orten aufgespürt. Schon als Junge hat ihn dieses Thema interessiert. Im Fernsehen hat er gesehen, wie sie die Mary Rose gehoben haben, ein Schiff aus der Tudorzeit. Da hat er sich entschieden, Taucher zu werden.« Das Bügeleisen zischt, als Mum eins von Conors Hemden in Angriff nimmt. »Er war eben sehr ehrgeizig«, fährt sie fort. »Er wusste, was er mit seinem Leben anfangen wollte, anstatt in den Tag hineinzuleben.«

»Dad hat nicht in den Tag hineingelebt!«

Mum dreht sich mit dem Bügeleisen in der Hand zu mir um.

»Das habe ich auch nie behauptet. Ich habe von Roger gesprochen. Ich wünschte wirklich, du wärst weniger empfindlich, Sapphy. Wie auch immer, Roger hat mir erzählt, wie sie an dieser Küste hier vorgehen wollen.«

»Du hast ihm doch nicht von unserer Bucht erzählt, oder?«

»Mein Gott, Sapphire. Das ist doch nicht unsere Privatbucht. Von hier aus gibt es einen öffentlichen Fußweg dorthin. «

»Ich weiß, aber außer uns und ein paar anderen Leuten aus dieser Gegend benutzt den keiner. Normalerweise sind Conor und ich die Einzigen, die sich in der Bucht aufhalten. «

»Das ist ja das Problem«, murmelt Mum und zieht das zischende Bügeleisen an den Nähten entlang, »dass hier keiner hinkommt. Also meinetwegen sind sie in der Bucht genauso willkommen wie bei uns zu Hause. Es tut doch gut, mal ein paar andere Gesichter zu sehen. Du könntest wirklich ein bisschen offener sein, Sapphy. Du bist wie eine … eine Seeanemone. Wenn dir irgendjemand zu nahe kommt, dann machst du zu.«

»So überleben die Seeanemonen«, entgegne ich.

»Ja, aber du verschließt dich auch vor mir und ich bin deine Mutter. Das ist einfach eine schlechte Angewohnheit von dir geworden. Wir sind hier verwöhnt – wir brauchen niemanden zu sehen, wenn wir das nicht wollen. Würden wir in der Stadt wohnen, dann müsstest du mit den verschiedensten Leuten zurechtkommen. Vielleicht würde dir das gut tun. Du kannst nicht immer nur in deiner eigenen kleinen Welt bleiben.«

»Wir ziehen nicht um, Mum!«, rufe ich aus. Conor und ich hegen eine heimliche Angst, dass Mum mit uns nach St Pirans ziehen will, wo sie arbeitet, damit sie uns besser im Auge behalten kann. Sie sagt ständig, wie sehr wir das Surfen dort genießen würden, dass es viele tolle Geschäfte und eine ausgezeichnete Schule gäbe.

»Wer hat denn was von Umziehen gesagt?«, fragt sie überrascht. Vielleicht ist sie auch nicht wirklich überrascht. Vielleicht sind das nur vorbereitende Maßnahmen, damit wir uns langsam an den Gedanken gewöhnen.

Aber wir können nicht umziehen. Was ist, wenn Dad zurückkommt, und wir sind nicht da?

»Roger kommt am Sonntag zum Essen, das ist alles«, fährt Mum fort. »Ich hab Sonntag meinen freien Tag. Du wirst ihn mögen, Sapphy, er ist wirklich sehr nett.«

»Nur er?«

»Ja, diesmal nur er«, sagt Mum, die sich über das Bügelbrett beugt und das Bügeleisen mit größter Sorgfalt über den Stoff zieht.

»Hoffentlich hast du Roger auch erzählt, wie sehr du das Meer liebst«, murmele ich so leise, dass sie mich nicht verstehen kann. »Vielleicht willst du sogar mit ihm in seinem Boot fahren?«

Der Erdbeerkuchen ist längst nicht so gut, wie ich dachte, als ich den ersten Bissen nahm. Die Erdbeeren sind matschig, der Teig ist feucht. Einfach widerlich. Deswegen durfte ihn Mum auch mit nach Hause nehmen. Ich kippe den Rest meines Stücks in den Mülleimer und bedecke es mit Kartoffelschalen.

»Mein Gott, Sapphy!«, sagt Mum, als sie aufschaut und sieht, dass mein Teller schon leer ist. »Ich hoffe, am Sonntag schlingst du dein Essen nicht so schnell herunter.«

»Keine Sorge, Mum. Ich werde alles tun, um auf Roger einen guten Eindruck zu machen.«

»Roger?«, fragt eine schläfrige Stimme. »Wer ist Roger?«

In seine Bettdecke gewickelt, erscheint Conor in der Tür.

»Conor, bitte zieh deine Bettdecke nicht über den Boden«, sagt Mum. »Wie oft habe ich dir das schon gesagt? Der Küchenboden ist doch ständig dreckig, weil ihr hier den ganzen Tag mit euren Schuhen rein- und rauslatscht. Sapphy, wann warst du gestern im Bett?«

»Äh, so um zehn, glaub ich. Stimmt’s, Conor?«

»Ja, so ungefähr.«

Conor öffnet den Kühlschrank, nimmt einen Karton mit Orangensaft und setzt ihn an den Mund. Doch er berührt ihn nicht mit den Lippen. Conor hat die Methode perfektioniert, den Strahl direkt in seinen Mund laufen zu lassen, ohne sich zu verschlucken oder zu kleckern.

»Nimm dir ein Glas«, sagt Mum, so wie immer.

»Spart den Abwasch«, entgegnet Conor, auch wie immer. »Wer ist Roger?«, fragt er erneut, während er den Karton zurück in den Kühlschrank stellt.

»Ein Freund«, antwortet sie.

»Ein Taucher«, füge ich rasch hinzu. »Er gehört zu einer Gruppe von Tauchern, die nach Schiffwracks suchen. Sie wollen vor unserer Bucht tauchen, weil sie glauben, dass dort ein Wrack liegt. Sie kommen am Sonntag, nicht wahr, Mum?«

Conor steht regungslos da. Ein Flackern huscht durch seine Augen, aber ich weiß nicht, was in seinem Kopf vor sich geht.

»Oh, okay«, sagt er schließlich, als gäbe es nichts mehr zu sagen. Als würde es ihm nichts ausmachen, wenn zwanzig Rogers in unsere Bucht und am Sonntag in unser Haus kämen. Ich starre ihn verständnislos an, aber er schaut nur unbeteiligt zurück.

»Conor, würdest du jetzt endlich die Decke vom Boden aufheben?«, sagt Mum. »Ich hatte diese Woche keine Zeit, ihn zu wischen, und heute habe ich Frühdienst. Wie spät ist es, Sapphy?«

»Hm.« Ich schaue auf mein Handgelenk. Die Uhr zeigt immer noch fünf nach sieben an. Aber der Radiowecker blinkt. 8:52.

»Gleich fünf vor neun.«

»Oh nein, ich muss gleich los. Conor, wir brauchen heute Eier und Kartoffeln. Zwölf Eier, und sieh bitte im Karton nach, ob sie noch heil sind. Wenn Badge dir helfen kann, dann bring einen ganzen Sack Kartoffeln mit. Ich bezahle ihn heute Abend. Und wenn du schon bei ihm bist, dann frag doch gleich, ob er uns für Samstag zwei extra Tüten Milch zurückstellen kann. Sapphy, zieh eure Betten ab, tu die Bezüge in die Maschine, stell Programm vier ein, und vergiss nicht, sie nachher an die Wäscheleine zu hängen. Wenn Conor den Boden gefegt hat, kannst du ihn danach wischen. Der Mopp ist draußen, hinter der Gartentür. Und falls der TÜV anruft, Conor, dann sag ihnen, dass ich morgen früh um acht den Wagen vorbeibringe, vor der Arbeit.

Okay, genug Brot für Sandwiches ist da. Esst den Rest des Hühnchens auf, und wenn ihr wollt, könnt ihr euch Chips und jeder ein KitKat nehmen. Ich bin heute Abend um sechs wieder zu Hause. Und putz dir gründlich die Zähne, Sapphy. Du gehst bald zum Zahnarzt.«

»Zu Befehl, Ma’am!«, sagt Conor und salutiert. Mum lächelt gequält. »Schon gut, schon gut. Aber irgendjemand muss doch an alles denken.«

»Okay, Mum.«

»Okay, Mum«, plappere ich nach.

Mum hetzt vom Bügelbrett zum Kühlschrank und weiter zur Haustür. Doch plötzlich bleibt sie stehen und sieht uns eindringlich an.

»Kommt mal her, ihr beiden«, sagt sie. Conor schlurft ihr in seiner Bettdecke entgegen. Ich folge ihm.

Sie streckt ihre Arme nach mir aus. Ich komme mir unbeholfen vor, als würde ich nicht mehr richtig in ihre Arme passen. Doch Mum streicht mit ihrem Handrücken über meine Wange und sagt: »Mama hat dich lieb«, so wie sie es tat, als ich noch klein war. Und plötzlich schmelze ich dahin und bin völlig entspannt.

»Ihr seid wunderbare Kinder«, sagt sie so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich sie richtig verstanden habe. »Haltet zusammen, passt gut auf euch auf.«

»Das werden wir«, verspreche ich. Ich werde Conor heute nicht aus den Augen lassen. »Willst du wirklich fahren, Mum? Der Nebel ist so dick.«

»Auf der Straße wird es schon besser sein«, sagt Mum. »Mein liebes Mädchen. Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich noch zu spät.«

Ich begleite sie nach draußen, um das Tor zu öffnen und hinter ihr wieder zu schließen. Der Nebel ist gar nicht so schlimm, wenn man erst mal in ihm steckt. Ich sehe sogar die Mauer und den Dornbusch, dessen Zweige darüber ragen.

Mum hat die Nebelschlussleuchte eingeschaltet, greift um das Steuer und rollt vorsichtig los. Sie hasst es, bei schlechtem Wetter zu fahren. Der Nebel treibt vom Meer herein. Er ist dick, still und salzig. Seine Feuchtigkeit hat sich in Gestalt kleiner silbriger Tropfen auf dem Torpfosten niedergeschlagen. Mums Reifen knirschen über die Steine. Sie hupt einmal kurz, dann biegt sie auf den Weg ab. Ich schließe das Tor und beobachte, wie die rote Nebelschlussleuchte im Dunst verschwindet. Dann binde ich die Schnur wieder um den Pfosten. Heute werden nicht viele Spaziergänger vorbeikommen, nicht bei diesem Wetter. Der Küstenweg ist gefährlich bei schlechter Sicht. Ein falscher Tritt, und man stürzt über die Felskante. Wir werden heute nicht zur Bucht hinuntergehen.

Und ausnahmsweise macht mir das auch nichts aus. Im Haus fühle ich mich sicherer.

Sicherer? Warum denke ich das? Der wabernde Nebel zieht seine feuchten Finger über mein Gesicht. Ich will wieder ins Haus und vielleicht ein Feuer im Kamin anzünden, falls noch genug Brennholz im Schuppen ist. Der Nebel ist kalt. Ich eile ins Haus und sehe Conors Bettdecke auf dem Fußboden.

»Conor! Ich hab keine Lust, mich um deine dreckige Bettdecke zu kümmern. Die kannst du selber in die Waschmaschine stopfen.«

Doch er antwortet nicht. Im Haus ist alles still.

Vielleicht ist er schon zum Bauernhof unterwegs, um Eier und Kartoffeln zu holen. Doch dann hätte er an mir vorbeigehen müssen und das hätte ich trotz des Nebels bemerkt.

»Conor?« Aber diesmal rufe ich nicht. Ich frage die leere, vertraute Küche, wo er ist. Der Radiowecker blinkt. Der Kühlschrank brummt. Sie müssen ihn gesehen haben, aber sie wollen es mir nicht sagen.

Das ist auch nicht nötig. Ein kalter Schauer kriecht mir über den Rücken, so kalt wie der Nebel. Ich weiß, wo Conor ist. Er geht den Weg hinunter, bis er den Pfad erreicht, der von Adlerfarn und Fingerhut überwuchert ist. Dann bis zum grasbewachsenen Felsvorsprung über der Bucht, der im Nebel glänzt. Vom Meer ist nichts zu sehen. Über die großen Steine und zwischen den Felsblöcken hindurch. Alles ist glitschig und gefährlich …

Das Meer hat die Anziehungskraft eines Magneten. Es zieht Conor zu sich, so wie es mich angezogen hat.

Wie spät mag es sein? Das Wasser zieht sich zurück. Ich erinnere mich, wie das Meer an meinen Füßen sog, mich in die Tiefe zerren wollte …

Warte, Conor! Warte auf mich! Ich komme!