Kapitel 8

Die Sonne ging langsam hinter den Bergen unter, und unheilverkündende, dunkle Wolken begannen am Himmel zu treiben, der in lebhaftem Rot und Orange erstrahlte, als stünde er in Flammen. Tief unter der Erde fing ein Herz an zu schlagen, und Rafael erwachte, indem er die Augen aufschlug und seinen ersten Atemzug mit einem langen, zornigen Zischen entweichen ließ. Irgendwo über ihm hatte ihn Colbys Kummer aus seinem heilenden Schlaf geweckt. Sie kämpfte mit den Tränen, war völlig durcheinander und verängstigt.

Rafael überprüfte seine Umgebung, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war, als er aus dem Boden brach und dabei Erdbrocken in die Luft schleuderte wie ein Geysir. Er erhob sich in die Lüfte, indem er beim Aufsteigen die Gestalt der gewaltigen Harpyie annahm. Mit weit ausgebreiteten Flügeln stieg er immer höher auf, dankbar für die dichten Wolken, die seine empfindlichen Augen schützten, und kreiste über der Ranch, um die Gegend sorgfältig nach potenziellen Gefahren abzusuchen.

Auf der Ranch schien alles ruhig zu sein, aber er wusste, dass Juan einen Stier gefunden hatte, der erst vor Kurzem getötet worden war. Das Tier war brutal abgeschlachtet und in eine Wasserstelle geschleppt worden. Rafael hatte diese Information Colbys Bewusstsein entnommen. Er las in den Gedanken von Paul, der auf der Veranda stand, den blutroten Sonnenuntergang betrachtete und mit seiner Schwester redete. Im Körper des riesigen Adlers flog Rafael immer höher und belauschte ungeniert jedes Wort der Unterhaltung, die unter ihm stattfand, während er mit seinen scharfen Augen alle Bewegungen auf dem Boden verfolgte, um etwaige verborgene Bedrohungen für seine Gefährtin zu entdecken.

»Warst du dabei, als Juan den Stier fand?«, wollte Colby wissen. »Wie lange war er außerhalb deines Blickfelds?« Sie kämpfte immer noch gegen die Nachwirkungen des Schlafs und strengte sich an, wach zu werden und jedes Detail der erschütternden Neuigkeit mitzubekommen.

»Der Zaun auf dem Feld war eingebrochen, Colby«, erwiderte Paul. Seine junge Stimme klang müde. »Ich habe Juan gesagt, dass ich das allein reparieren kann. Die beiden arbeiten schnell und wissen, was sie tun. Ich wollte, dass du dich richtig ausschläfst, und dachte, wir könnten mehr schaffen, wenn wir uns aufteilen. Du hast mir aufgetragen, die zwei im Auge zu behalten, ich weiß, doch ich habe fast den ganzen Tag mit ihnen gearbeitet, und ich ...« Er brach ab. »Tut mir leid, Colby.«

Sie streckte eine Hand aus und zog ihm den Hut mit einer liebevollen Geste, die ihn trösten sollte, tiefer in die Stirn. »Aber du magst sie«, beendete sie für ihn den Satz. »Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Juan den Stier getötet hat, Paul. Es wäre unsinnig, einen Stier abzuschlachten, ihn ins Wasserloch zu zerren und ihn dann zufällig zu finden, sodass wir ihn da wieder rausholen können. Das Tier müsste eine ganze Weile im Wasser liegen, um es zu verseuchen. Meiner Meinung nach war genau das beabsichtigt, und Juan ist unerwartet dazwischengekommen.«

»Aber er könnte es getan haben.«

Colby seufzte. »Vielleicht. Hast du nach Spuren gesucht? Hast du dir seine Kleidung angeschaut? Sein Messer?«

Paul errötete leicht. »Das hätte ich tun sollen. Er hat den Stier nicht im Wasser gelassen, sondern den Kadaver herausgezogen, bevor er zu mir kam.« Paul mochte seine Onkel tatsächlich, alle beide. Sie arbeiteten hart und verstanden etwas von der Arbeit auf einer Ranch. Außerdem behandelten sie ihn wie einen Gleichrangigen, und sie erinnerten ihn an seinen Vater. Paul entwickelte allmählich Zuneigung und sehr viel Respekt für die beiden, und er wollte, dass sie dasselbe für ihn empfanden. Er hatte weder nach Indizien noch nach Spuren gesucht, weil ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, einer seiner Onkel könnte etwas damit zu tun haben. Aber jetzt war er verunsichert.

Colby nickte. »Wir beide hätten den Kadaver auch sofort aus dem Wasser gezogen. Das können wir ihm nicht zum Vorwurf machen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin sehr beunruhigt; irgendjemand versucht eindeutig, uns ernsthaft zu schaden. Und wir kommen ohnehin nur knapp über die Runden.« Sie schaute sich um, um sicherzugehen, dass Ginny nicht in der Nähe war, und senkte ihre Stimme. »Du bist kein kleines Kind mehr, Paul. Ich weiß nicht, wem wir trauen können und vor wem wir Angst haben sollten. Jemand hat Pete ermordet. Es war kein Unfall. Er hatte kein Geld bei sich, es gab also keinen Grund, ihn auszurauben. Jemand hat unseren Stall in Brand gesteckt, und jetzt wurde einer unserer Stiere getötet und absichtlich in die Wasserstelle gelegt, um sie zu verseuchen.«

»Was hat Ren gesagt?« Paul nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar.

»Ich habe ihn natürlich angerufen. Er müsste jeden Moment hier sein. Und die Everetts kommen wegen der Reitstunde.« Als Paul grinste, warf Colby ihm einen strengen Blick zu. »Ich erwarte von dir, dass du dich benimmst. Das bedeutet Ginny sehr viel. Sie wünscht sich sehnlichst eine Freundin.

Wir beide vergessen leicht, wie schwer es für sie ist. Du kannst deine Freunde besuchen, doch sie sitzt hier draußen fest.«

Paul kickte einen Stein weg. »Ja, klar, ich besuche ja auch ständig irgendwelche Freunde! Ich arbeite von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, Colby. Hast du das vergessen?«

»Nein. Das weiß ich.« Colby, die mit den Tränen kämpfte, wandte den Blick ab. Sie konnte sich nicht an einen einzigen Tag in den letzten fünf Jahren erinnern, an dem sie nicht von morgens bis abends und manchmal sogar nachts gearbeitet hätte. »Was hat der Tierarzt zu den Pferden gesagt?«

»Dass du deine Sache großartig gemacht hast. Du und De La Cruz. Wir sollen gut auf Infektionen achten. Zurückbleiben werden keine äußeren, sondern vor allem innere Narben. Die Pferde sind traumatisiert und brauchen Betreuung.« Er sah sie an. »Das ist dein Job, Colby. Du bist es, die fantastisch mit Pferden umgehen kann. Ist dir eigentlich aufgefallen, wie sie auf De La Cruz reagiert haben? Sie waren in seiner Nähe ganz ruhig, und er schien wirklich zu wissen, was zu tun war. Übrigens, sein Anwalt hat angerufen.« Seine Stimme klang jetzt betont beiläufig, und er versuchte, nicht darauf zu achten, wie Colby erstarrte. »Er hat die Papiere für ein Darlehen aufgesetzt und wird sie uns über Sean Everett zukommen lassen, damit wir uns alles genau anschauen können. De La Cruz will später am Abend auch noch vorbeikommen.«

»Wahrscheinlich amüsiert er sich gerade mit der schicken Blondine, die ihm so gut gefiel«, bemerkte Colby. Sie durfte bei Rafael nicht die Realität aus den Augen verlieren. Er war ein Weiberheld. Er hatte Gefühle in ihr geweckt, die sie nie zuvor erlebt hatte, und ihr nachts in ihrem Bett zärtliche Dinge ins Ohr geflüstert, doch das bedeutete nicht, dass er nicht dasselbe bei anderen Frauen machte. Colby war ziemlich sicher, eines Morgens von all den Sorgen mit grauen Haaren aufzuwachen.

Du hast wirklich seltsame Ideen.

Colbys Finger klammerten sich krampfhaft an das Geländer, als sie das leise Wispern, das so intim schien, in ihrem Bewusstsein wahrnahm. Rafael war in der Nähe, das spürte sie, und sie schaute sich prüfend um. Ihr Körper schmerzte. Ihre Brüste waren plötzlich schwer und spannten. Beim Klang seiner verboten sinnlichen Stimme geriet ihr Blut in Wallung. Geh weg! Ich will jetzt nicht mit dir reden. Das war eine faustdicke Lüge, doch sie wollte ihm in diesem Moment nicht gegenübertreten, wollte sich nicht den Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht stellen oder den Vorwürfen, die sie ihm gemacht hatte, als er ihr geholfen hatte. Und an die Tatsache, dass sie Geld von ihm annehmen würde, um ihre Ranch zu retten, wollte sie erst recht nicht denken.

Doch, willst du. Ich bin in deinem Bewusstsein. Warum versuchst du nie, in meines einzutreten ?

Colby spähte unter ihren langen Wimpern schuldbewusst zu ihrem Bruder. Sie konnte einfach nicht dagegen an. Sie fühlte sich zu Rafael hingezogen, obwohl er ihr Angst machte und obwohl er hier war, um ihr ihre Familie wegzunehmen. Sie hatte ihre einzigartigen Fähigkeiten immer vor anderen verborgen und ständig in der Furcht vor Entdeckung gelebt. Immer gab es eine gewisse Leere in ihrem Inneren und eine Einsamkeit, die so stark war, dass Colby manchmal mitten in der Nacht aufwachte, zu den Sternen starrte und sich wünschte, sie könnte einfach verschwinden. Und es gab Arbeit, endlose Arbeit. Aber Rafael nahm sie einfach in seine starken Arme, riss in einer Krise das Kommando an sich und dirigierte alle anderen. Seine Stärke allein war eine Verlockung. Und sein Körper ...

Ich glaube, was ich in deinem Bewusstsein finden würde, würde mich nur ängstigen. Hast du irgendetwas mit mir ange-

stellt, dass ich so viel Schlaf brauche? Sie errötete, als sie an die erotischen Fantasien dachte, die sie ständig verfolgten, ob sie wach war oder schlief, an ihren Körper, der sich schmerzlich nach Rafael sehnte.

Wärme und Lachen und eine typisch männliche Genugtuung schwangen in Rafaels Stimme mit. Er schnurrte geradezu. Wir haben einiges gemacht, was dein Bedürfnis nach Schlaf erklären würde.

Colby spürte, wie die Röte ihr Gesicht und ihren Hals überflutete. Sie hätte es besser wissen müssen, als ausgerechnet dieses Thema anzusprechen. Es war peinlich, mit ihm zu reden oder ihn anzuschauen und dabei an die Dinge zu denken, die sie zusammen erlebt hatten. Aber wenn sie allein war, musste sie ständig an ihn und die Gefühle denken, die er in ihr geweckt hatte.

»Willst du gar nicht wissen, was Mr. De La Cruz zu den Bedingungen des Darlehens gesagt hat?«, platzte Paul heraus, der sich anscheinend nicht länger beherrschen konnte. Die Aufmerksamkeit seiner Schwester schien Gott weiß wo zu sein, und sie hatte einen merkwürdigen, fast träumerischen Gesichtsausdruck. Colby zuckte zusammen, als hätte sie vergessen, dass ihr Bruder da war. Sie errötete sogar noch mehr. »Na? Es könnte die Ranch retten, Colby.«

Sie stupste mit der Stiefelspitze einen Nagelkopf auf den Stufen an. »Wir könnten alles verlieren, Paul. Rafael De La Cruz ist aus einem einzigen Grund in die Vereinigten Staaten gekommen. Diese Leute mögen Pferde kaufen und ein paar Geschäfte machen, aber letzten Endes sind sie hier, um Ginny und dich mit nach Brasilien zu nehmen. Männer wie De La Cruz bekommen auf die eine oder andere Art immer, was sie wollen. Wenn man mit ihnen Geschäfte macht, verliert man am Ende.« Colby schloss die Augen, als sie seine Hände auf ihrem Körper spürte. Sie hatte sich von ihm verführen lassen. War sie völlig verblödet?

Du bist nicht sehr höflich, meu amor. Rafael schien Colbys Einschätzung seiner Person nicht zu kränken, sondern eher zu erheitern.

Ist es nicht wahr? Du wirst dir nehmen, was du willst, und niemand wird dir im Weg stehen. Ihre Brust fühlte sich auf einmal sehr eng an.

Das stimmt, querida, und du weißt genau, was ich will.

Wusste sie es ? Colby hatte das Gefühl, gar nichts mehr zu wissen.

»Was kann im schlimmsten Fall schon passieren, Colby?«, beharrte Paul. »Er würde unsere Ranch kriegen, stimmt's? Aber er gehört wenigstens irgendwie zur Familie. Wenn wir sie Clinton Daniels überlassen, sind wir sie für immer los. Das weißt du. Wenn einer von ihnen sie schon kriegen muss, wer wäre dann besser?«

Ihre grünen Augen musterten ihn prüfend. »Das hat dir Juan Chevez oder sein Bruder Julio eingeredet, nicht wahr?«

Paul, der sich in seiner Haut nicht ganz wohlzufühlen schien, zuckte die Schultern. »Ist es wichtig, wer zuerst daran gedacht hat? Es stimmt doch.« Er schaute zur Einfahrt, wo der Border Collie aufgeregt bellte. »Die Everetts kommen.«

»Hast du dich nicht gefragt, warum uns deine Onkel, die Geld genug haben, kein Darlehen angeboten haben? Sie sind auch reich, Paul«, erinnerte Colby ihren Bruder. »Warum lassen sie zu, dass Rafael uns Geld anbietet, statt es selbst zu tun?« Ja, warum eigentlich?

Weil sie es nicht wagen würden, mir in die Quere zu kommen, pequena. Und das solltest du auch nicht. Rafael klang fast selbstgefällig. Sie wissen es besser, als sich in meine Angelegenheiten einzumischen.

Colby schwieg einen Moment und dachte nach. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie musste die Regung unterdrücken, sich die Arme zu reiben, damit ihr wieder warm wurde. Ich würde meinen, dass diese Familie die Angelegenheit der Chevez ist, nicht deine.

Ja, so war es einmal, doch jetzt bist du meine Angelegenheit.

Rafael war ganz in der Nähe, das spürte sie, aber sie konnte ihn nicht in dem Wagen sehen, der näher kam. Paul lief die Stufen der Veranda hinunter, um ihr nicht antworten zu müssen, und schlug den Weg zu den Feldern ein, damit er nicht in die Verlegenheit kam, einem Greenhorn Reitstunden geben zu müssen. Colby wurde das Herz schwer, als sie ihm nachschaute. Er war zu jung, um die Last der Ranch, ihrer finanziellen Probleme und des Wissens, dass jemand sie zu ruinieren versuchte, zu tragen.

Das bist du auch. Die Worte schwebten wie ein zarter Hauch durch ihr Bewusstsein, während gleichzeitig warmer Atem über ihren Nacken strich und sich zwei starke Arme besitzergreifend um ihre Taille schlangen.

Colby wäre beinahe an die Decke gesprungen, aber er hielt sie ganz fest, schützend und fordernd zugleich. Sein Handrücken streifte absichtlich die Unterseite ihrer Brüste, und sie konnte seine harte Erektion spüren. In seiner Umarmung gefangen, atmete sie mit ihren geschärften Sinnen seinen männlichen Duft ein. Er roch wie die Berge, wild und ungezähmt. »Wie ich sehe, haben wir Gesellschaft. Dabei wollte ich dich ganz für mich allein haben.« Er raunte die Worte herausfordernd an ihrer Haut. Sein Mund glitt über ihren Nacken, fand sein Mal und strich leicht mit den Zähnen darüber.

»Lass das! Mit dem Ding sehe ich sowieso schon wie ein Teenager aus. Wenn Paul das sieht...« Colby wandte den Kopf und blitzte ihn an. »Ich habe dir einiges zu deinem Benehmen zu sagen.« Nur dass ihr leider von all den Grobheiten, die sie ihm an den Kopf schleudern wollte, um ihn endgültig zu verscheuchen, keine einzige mehr einfiel. Sie wollte die Hitze und das Feuer seines Körpers, wollte seine Hände und seine Lippen spüren. Seinen Körper tief in ihrem ... Colby errötete und wich seinem Blick aus.

»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte er plötzlich. »Für mich siehst du wie ein Teenager aus.« Seine schwarzen, eindringlichen Augen verschlangen ihr Gesicht mit jenem Hunger, der nur vorhanden zu sein schien, wenn er sie anschaute. Er strahlte reine Sinnlichkeit aus, und sie glaubte fast, elektrische Funken zu spüren, die zwischen ihnen hin- und hersprühten. Heiße Flammen leckten an ihrer Haut, und tief in ihrem Inneren wurde ihr Blut schwer und träge.

Colby hätte irgendetwas unternehmen sollen. Wenn sie halbwegs bei Sinnen gewesen wäre, wenn ihr Verstand funktioniert hätte, wäre sie auf und davon gelaufen. Stattdessen blieb sie in seinen Armen und ließ zu, dass seine Lippen mit Küssen einen Pfad von ihrem Hals zu ihrem Schlüsselbein zogen. Sanft berührte er ihren Unterarm und zog ihn an seinen Mund. Sie spürte die samtige Reibung seiner Zunge auf ihrer Haut. Statt auf den Verbrennungen wehzutun, wirkte die Berührung lindernd. »Was machst du da?« Abgesehen davon, dass du mich in Brand setzt. Warum lasse ich das mit mir machen? Hast du mich hypnotisiert? Ein Teil verzweifelte wieder einmal darüber, dass sie ihre Reaktion auf ihn nicht kontrollieren konnte, aber ein anderer Teil brannte vor Erregung und freudiger Erwartung.

Ich heile dich, pequena. Du hast dich verbrannt. Du musst sehr dunkle Brillengläser tragen, um deine Augen bei Sonnenschein zu schützen. Und du musst deine Haut bedecken. Versuch, direktes Sonnenlicht möglichst zu meiden. Er benutzte absichtlich die intimere Form der geistigen Kommunikation, während sein Mund über ihre Haut glitt und sein heilender Speichel sie von den schmerzenden Verbrennungen befreite. Dann drehte er sie zu sich herum und küsste ihre Lider, wobei er sich Zeit ließ, um ganz sicherzugehen, dass er sie wirklich geheilt hatte.

Einen Moment schmiegte sich Colby an die Kraft und Geborgenheit, die sein Körper ausstrahlte. Seine Stimme murmelte Worte in einer fremden Sprache; es war nicht Portugiesisch, sondern eine Sprache, die viel älter zu sein schien. Die Worte klangen schön und beruhigend. Colby konnte sie eher in ihrem Kopf als mit ihren Ohren hören. »Warum habe ich mich heute in der Sonne verbrannt?« Er wusste es. Ihr Bewusstsein war mit seinem verbunden, und sie konnte Schatten und ein Echo seiner Gedanken und Erinnerungen auffangen. Nichts davon ergab einen Sinn. Ich lebe auf einer Ranch. Ich kann nicht verhindern, dass ich an die Sonne komme.

Der Truck fuhr in den Hof, dicht gefolgt von Ben in seinem Jeep. Er brauchte einen Wagen mit Allradantrieb, um zu jeder noch so abgelegenen Ranch zu gelangen. Colby löste sich von Rafaels warmem Körper und richtete sich auf, um ihre Besucher zu begrüßen. Rafaels Lachen strich über die feinen Härchen in ihrem Nacken. Dann zog er sie wieder an sich und presste seinen Mund auf ihren, sodass sie einen Moment lang mit ihm zu verschmelzen schien. Er ließ sich Zeit, sie ausgiebig zu küssen, während seine Hände kleine Flammen auf ihrer Haut tanzen ließen. Ihr dichtes Haar lag in seiner Hand, als er ihren Mund eroberte. Langsam hob er den Kopf und starrte sie aus seinen Augen mit einer dunklen Intensität an, die wie ein Blitz durch ihren Körper schoss.

Colby blinzelte mehrmals und versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen, bevor sie ihm einen bösen Blick zuwarf und die Stufen der Veranda hinunterlief. Er bewegte sich mühelos mit ihr und legte seine Hand besitzergreifend auf ihren Rücken. Seine Handfläche brannte wie Feuer, und zwischen ihren Oberschenkeln pochte ihr Körper vor Verlangen nach ihm. Colby wusste genau, was er mit seinem Verhalten bezweckte. Er erhob vor allen Anwesenden Anspruch auf sie. Und er gab ihr zu verstehen, dass sie nichts dagegen tun konnte.

Joclyn beobachtete sie interessiert. Sean grinste unverhohlen, aber Ben, der gerade die Tür seines Jeeps zuknallte, schien wie vom Donner gerührt. Colby merkte ihm deutlich an, wie fassungslos er war, während sie sich mit Joclyn und ihrer kleinen Tochter unterhielt. Rafael war ihr keine Hilfe. Er sprach unbefangen mit Sean über das Feuer und tat so, als gehörte er dazu. Er schien jede Gelegenheit zu nutzen, sie zu berühren, indem er über ihr Haar strich oder seine Finger über ihren Nacken gleiten ließ, bis sie befürchtete, Ben würde jemanden erschießen.

Rafael einen vernichtenden Blick zuzuwerfen und ein Stück von ihm wegzurücken schien nicht sehr hilfreich zu sein. Colby konnte im Geist sein spöttisches Lachen hören. Sie war gezwungen, ihn zur Kenntnis zu nehmen, obwohl sie entschlossen war, ihm nicht in die Falle zu tappen. Hörst du endlich auf! Sie kniff warnend die Augen zusammen.

Rafael sah sie mit gespielter Unschuldsmiene an. Ich mache doch gar nichts.

Colby wandte ihre Aufmerksamkeit Tanya, Joclyns Tochter, zu, während Ginny angelaufen kam und ihre Schwester hilfesuchend an der Hand nahm. Rafael legte mit einem ermutigenden Lächeln seine Hand auf Ginnys Schulter, und die Kleine, die seinem Charme anscheinend völlig erlegen war, strahlte ihn dankbar an.

Gleich schmeiße ich dir etwas an den Kopf! Colby versuchte, nicht über die Situation zu lachen, doch zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, wirklich zu jemandem zu gehören, ein Teil von ihm zu sein. Obwohl ihr Verstand sie ausdrücklich vor diesem Mann warnte, genoss sie Rafaels Aufmerksamkeit. Es war eine völlig neue Erfahrung für sie.

»Mein Terminplan ist ziemlich gedrängt, Colby«, knurrte Ben und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Vielleicht kannst du genug Zeit erübrigen, um mir zu erzählen, was hier eigentlich vorgeht.« Er klang vorwurfsvoll.

Rafael legte sofort seinen Arm um Ginnys Schultern. Sie sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. »Nur zu, Colby, kläre den Sheriff auf. Ginny und ich kommen schon klar, stimmt's, Ginny?« Seine Stimme war leise und vertraulich, schien sie alle miteinander zu verbinden, als wären sie eine Familie, und drückte aus, dass er volles Vertrauen zu Ginny hatte. »Mich kennst du ja schon, Tanya. Ginny und ich fangen mit der Reitstunde an, und wenn Colby fertig ist, kommt sie zu uns. Ist das für dich in Ordnung?« Er setzte sein unwiderstehliches Lächeln auf.

Colby schüttelte den Kopf. Rafael erweckte bewusst den Eindruck, als gehörte er dazu, als wäre er ein Teil ihrer Familie. Ben packte sie ziemlich grob am Arm, um sie wieder auf sich aufmerksam zu machen. Colby zuckte zusammen und starrte ihn an wie jemand, der gerade aus einem Traum erwacht.

Ein leises, warnendes Knurren vibrierte in der Luft, sodass die Pferde unruhig mit den Hufen scharrten und die Erwachsenen sich vorsichtig umschauten. Sie konnten es alle hören, aber die meisten dachten, es wäre Ginnys Hund gewesen, der sie aufmerksam anschaute. Colby wusste es besser. Sie schob sich die Haare hinter die Ohren und warf Rafael verstohlen einen warnenden Blick zu. »Komm auf die Veranda, Ben. Magst du vielleicht einen Kaffee?«

Er stieg die fünf Stufen nach oben, dann explodierte er. »Willst du mir vielleicht verraten, was zum Teufel da eben los war?«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wovon redest du?«

»Bevor du die kleine Szene auf der Veranda leugnest, Colby, solltest du vielleicht lieber einen Blick in den Spiegel werfen und dir deinen Hals anschauen. Du hast dich praktisch auf den Kerl gestürzt!«

Colby biss sich auf die Lippe, um nicht in Lachen auszubrechen. Und wenn sie nicht lachte, würde sie womöglich weinen. Ihr Verhalten, was Rafael anging, war völlig untypisch für sie. Sie wusste es so gut wie Ben. »Keineswegs. Zufällig hat er sich auf mich gestürzt«, korrigierte sie ihn. Sie war vielleicht nicht die schönste Frau in der Stadt, doch das hieß noch lange nicht, dass Rafael sich nicht zu ihr hingezogen fühlen könnte. »So seltsam es dir auch erscheinen mag, Ben, manche Männer finden mich attraktiv. Ich muss sie nicht immer attackieren.«

»Das sieht dir wieder mal ähnlich, den falschen Mann auszusuchen. Ein Mann wie Rafael De La Cruz verschlingt dich mit Haut und Haaren und spuckt dich wieder aus ! Du spielst mit dem Feuer. Das kannst du mit einem wie ihm nicht machen. Verdammt, Colby, warum nimmst du dir nicht einen anständigen Kerl wie Joe Vargas?«

»Joe Vargas ! Pah ! Was habt ihr bloß alle mit Joe Vargas ? Er würde es hassen, mit mir verheiratet zu sein.«

»Das würde jeder, der halbwegs bei Verstand ist.« Ben zog sie tiefer in den Schatten der Veranda, packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie leicht. »Geht es um Geld? Was führst du im Schilde?«

»Lass mich los, Ben, du tust mir weh.« Colby versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. »Du vergisst ständig, wie verdammt stark du bist.«

»Lassen Sie sie sofort los.« Die Stimme war sehr leise und sehr bedrohlich und bösartig wie ein Peitschenhieb. Colby hatte so etwas noch nie zuvor gehört. Ohne dass sie gewusst hätte, wie, hatte Rafael den ganzen Hof überquert und verschmolz jetzt mit den Schatten, sodass seine große Gestalt kaum zu erkennen war, aber seine dunklen Augen glühten in der Dunkelheit fast vor Zorn.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, und ihre Hand legte sich schützend an ihren Hals. Rafael wirkte erbarmungslos wie ein Raubtier. In diesem Moment sah er kaum noch menschlich aus, sondern eher animalisch – gefährlich und ungezähmt.

Ben ließ die Arme sinken und langte automatisch nach seiner Waffe, aber Colby stellte sich energisch zwischen die beiden Männer. »Ich kenne Ben, seit ich drei Jahre alt war, Rafael. Er ist wie ein Bruder für mich. Ben würde mir nie etwas tun, nie. Das hat jetzt wahrscheinlich ausgesehen, als würde er grob werden, doch so war es nicht, überhaupt nicht. Er wollte nur ...« Ihre Stimme schwankte, und das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Das Gefühl einer Gefahr, einer tödlichen Gefahr, war so stark, dass sie einen Moment lang Angst um Ben hatte.

Rafael bewegte sich als Erster wieder, indem er seine Hand nach ihr ausstreckte, sie sanft am Handgelenk nahm und an sich zog. »Dann muss ich mich für meine Unkenntnis der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in anderen Ländern entschuldigen.« Seine Arme legten sich um ihre schlanke Gestalt und zogen sie schützend an seine Brust. Ganz ruhig, meu amor, dein Herz schlägt viel zu schnell. Horche auf den Rhythmus meines Herzschlags.

Ben beobachtete schweigend, wie sich der andere Mann besitzergreifend über Colby beugte. Er schien sie mit seinem Körper abzuschirmen, und seine Hände wirkten trotz seiner ungeheuren Kraft sehr sanft und behutsam. Rafael strahlte die Macht und die Arroganz eines Mannes aus, der es seit langer Zeit gewohnt war, andere mit unangefochtener Autorität zu befehligen. Er wirkte wie jemand, der immer seinen Willen bekam, und Ben konnte klar und deutlich erkennen, dass Rafael De La Cruz Colby Jansen wollte. De La Cruz war ein Mann, kein Junge, und neben ihm sah Colby sehr jung und verletzlich aus. Sie wirkte ein bisschen verängstigt und sehr verwirrt in dieser Situation, der sie nicht gewachsen war. Und einem Mann wie Rafael De La Cruz hatte sie nichts entgegenzusetzen, das wusste Ben, denn er kannte sie gut.

»Ich würde Colby nie etwas tun«, sagte Ben ruhig. »Wir sind alte Freunde, und ich schätze, ich bin es gewohnt, sie ein bisschen rau anzupacken.«

Rafael lächelte und zeigte seine strahlend weißen Zähne. Sein Lächeln wirkte nicht versöhnlich, sondern warnend. »Vielleicht ist sie für so etwas allmählich zu alt.« Seine Stimme war sanfter denn je und ließ Colbys Puls sofort wieder rasen. Rafael klang absolut tödlich.

Colby holte tief Luft und ließ ihren Atem langsam entweichen. Sie war entschlossen, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. »Danke, dass du so besorgt um mich bist, Rafael, aber wie du siehst, geht es mir blendend. Ich habe wirklich einiges mit Ben zu besprechen. Wenn du uns also entschuldigen würdest... «

Rafael verbeugte sich mit jener Eleganz der alten Welt, die es im modernen Leben schon lange nicht mehr gab. Seine eiskalten, schwarzen Augen ruhten unverwandt auf Ben. Der Sheriff beobachtete, wie sich der Mann vorbeugte, um einen Kuss auf Colbys Scheitel zu hauchen, bevor er sich wieder entfernte, um zu Ginny und den Everetts zurückzugehen.

Ben starrte Colby an. Seine Miene war sehr ernst. »Du musst verrückt sein, wenn du dir einbildest, dass du mit dem Kerl fertig wirst. Er ist gefährlich, Colby. Er hätte mir am liebsten mit bloßen Händen das Herz aus der Brust gerissen. Du solltest wirklich klüger sein, als dich mit jemandem wie ihm einzulassen.«

Colby schaute ihn fast hilflos an. Sie wusste nicht, ob sie sich mit Rafael eingelassen hatte. Wenn er in der Nähe war, schien ihr ganzes Leben aus dem Ruder zu laufen. Sie schüttelte den Kopf und ließ sich auf die Verandaschaukel sinken. Ihre Knie waren auf einmal wie aus Gummi. »Ich weiß nicht, was mit mir oder der Ranch passiert. Im Moment geht einfach alles drunter und drüber, Ben.«

Zum ersten Mal, seit er sie kannte, hörte sich Colby sehr verloren an. Ben hockte sich sofort neben die Schaukel und legte tröstend eine Hand auf ihr Knie. »Hör gut zu, Süße. Du hast es nicht nötig, deine Seele zu verkaufen. Falls du Geld brauchst, ich habe welches. Nicht viel, nur ein paar Ersparnisse.« Er holte tief Luft und setzte tapfer eine unbewegte Miene auf, als er das höchste aller Opfer brachte. »Und zum Teufel, wenn du mich deshalb heiraten musst, ist das meinetwegen okay.«

Colby starrte ihn ganze fünf Sekunden an, bevor sie beide Arme um seinen Hals warf und ihn stürmisch umarmte. »Was würde ich ohne dich bloß machen, Ben?«

Rafael, der das Gespräch mit anhörte, spürte, wie sein Blut mit solcher Gewalt durch seinen Körper schoss, dass er sich versteifte, um zu verhindern, dass der Dämon durchbrach. Sein Bruder regte sich in seinem Bewusstsein und suchte nach der Ursache für die rasende Wut. Rafael starrte auf die Hand, die auf Colbys Knie lag, sah, wie sie sich dem anderen an den Hals warf, hörte ihr leises Lachen und erlebte die unbefangene Kameradschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die einander schon sehr lange kannten.

Er spürte, wie sich der Dämon in ihm erhob, und fühlte die bestialische Reaktion unter dem dünnen Anstrich von Zivilisation, den er sich so mühsam zugelegt hatte. Seine Eckzähne wurden lang und spitz, und seine Augen glühten. Ein roter Schleier schien sein Denken einzuhüllen.

Ruf nach ihr! Es war Nicolas, ruhig und autoritär. Die Stimme der Vernunft, wenn wie jetzt der dunkle Ruf seiner Natur laut wurde. Rafael. Nicolas nannte bewusst den Namen seines Bruders, um ihn vom Rand der Katastrophe zurückzuholen. Du musst sie sofort zu dir rufen !

Das Tier in seinem Inneren konnte sehen, wie sein Rivale seine Gefährtin umarmte. Rafael hatte sie noch nicht endgültig aneinander gebunden, weil er die Folgen für Colby fürchtete, und jetzt hatte ihn das Tier fest im Griff.

Ruf sie. Es war der kühle Wind der Vernunft, der ihn erreichte. Rafael klammerte sich an den Halt, den sein Bruder ihm gab.

Colby. Lass ihn sofort los. Tu es für mich.

Die sonst so sanfte Stimme klang wie eine Drohung, gefährlicher als jedes wilde Tier, dem sie je begegnet war. Die Bedrohung war da, genau wie damals, als sie auf einen großen Berglöwen gestoßen war, kurz nachdem er seine Beute gerissen hatte. Sie spürte Rafaels Angst, dass sie nicht auf ihn hören und die Gefahr nicht erkennen würde, aber Colby hatte viel mehr Erfahrung im Umgang mit wilden Tieren, als er ahnte. Und sie wählte diesen Augenblick, um mit seinem Bewusstsein zu verschmelzen.

Colby löste sich hastig von Ben, sprang auf und entfernte sich ein Stück von ihm. Ihr Bewusstsein lief auf zwei Ebenen. Sie wollte vor Ben ganz normal erscheinen, doch sie erlebte in diesem Moment gleichzeitig die dunklen und gewalttätigen Emotionen, die Rafael im Griff hatten. »Du wärst gar nicht gern mit mir verheiratet, und das weißt du auch.« Sie verschränkte ihre Arme und versuchte, ein Frösteln zu unterdrücken. Irgendwo da draußen in der Abenddämmerung war etwas sehr Bedrohliches. Es lauerte ganz in der Nähe und beobachtete sie beide mit dem unverwandten Blick eines Tigers. »Ich würde dich verrückt machen, Ben, das weißt du. Aber es war lieb von dir, es mir anzubieten. Heute Abend hast du dir den Weg in den Himmel verdient, das steht fest.«

Ben stand langsam auf und bemühte sich, nicht so auszusehen, als wäre er nur knapp davongekommen. »Du weißt jedenfalls, dass ich es machen würde. Tu bloß nichts Unüberlegtes, Colby.«

Sie lief die Verandastufen hinunter und spähte verstohlen umher. Colby fühlte die Gefahr wie ein lebendes, atmendes Wesen. Was ist los, Rafael ? Fühlst du es auch ? War es Rafael ? Oder versuchte er nur, die Gefahr aufzufangen? Bedrohte Rafael sie?

Ich könnte dir nie etwas antun, querida, nie. Für dich oder deine Angehörigen besteht keine Gefahr. Das würde ich wissen. Du spürst einfach nur meine Eifersucht. Seine Stimme war ruhig wie immer. Sie sah ihn bei der Koppel stehen, wo er ganz unbefangen, als wäre nichts geschehen, mit Sean und Joclyn plauderte, während Ginny Tanyas Pferd in einem weiten Kreis herumführte.

Eifersucht P Das war Eifersucht ? Colby starrte ihn lange an. Er wirkte vollkommen normal, ein gut aussehender Fremder mit sehr viel Charme. Drehte sie langsam völlig durch? Was glaubte sie denn? Dass er mehr als nur ein Mann war? Wie sie verfügte er über eine gewisse Macht; es passierte leicht genug, die Kontrolle darüber zu verlieren. Das verstand sie besser als irgendjemand sonst. Aber sie hatte einen flüchtigen Blick auf ein rasendes Untier erhascht, auf etwas, das nicht menschlich, sondern viel gefährlicher war.

Du kannst eine derartige Gefahr ausstrahlen, nur weil du eifersüchtig bist? Und das, obwohl du nicht einmal einen Grund dafür hattest, wie ich hinzufügen möchte. Colby musste ihn fragen. Sie hatte Angst vor der Antwort. Aber fragen musste sie.

Wenn wir allein sind und ich dich in meinen Armen halten kann, reden wir darüber. Seine Worte strichen wie eine zarte Liebkosung über ihre Haut, sodass sie unwillkürlich ihren Arm berührte. Erstaunt schaute sie nach unten. Die Rötungen und Blasen waren verschwunden. Ihre Haut war glatt und unversehrt. Rafael hatte ihren schrecklichen Sonnenbrand geheilt.

»Redest du jetzt mit mir, oder willst du den ganzen Abend den Fremden anstarren?«, wollte Ben wissen und trat hinter sie. »Ich dachte, du hättest hier draußen Probleme.« Er klang fast aggressiv, und Colby drehte sich schnell zu ihm um.

»Weißt du, Ben, ich glaube, ich werde euch Männer in einer Million von Jahren nicht verstehen. Ihr seid überhaupt nicht so logisch und rational, wie ihr uns Frauen weismachen wollt.« Colby wandte sich ab und starrte in den dunkler werdenden Himmel. »Paul ist draußen auf der Futterwiese. Ich habe mir die Sache noch nicht angeschaut, Ben. Juan Chevez war es, der den Stier gefunden hat, und Paul hat es auch gesehen. Er kann dich hinbringen, aber es wird bald ganz dunkel sein. Ich weiß nicht, ob du so viel Zeit hast.«

»Ich mache mir Sorgen, weil du mit deinen Geschwistern ganz allein hier draußen bist. Die Zeit, die ich brauche, nehme ich mir schon, Colby. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.«

Sie warf ihm über die Schulter ein Lächeln zu. Ihr Haar flutete in einer hellen Kaskade über ihren Rücken, und sie sah so schön aus, dass Ben die Fassung verlor. Sie wirkte fast ätherisch, ein wenig geheimnisvoll und unglaublich sexy. Fast sein ganzes Leben hatte er in ihr so etwas wie eine kleine Schwester gesehen. Jetzt waren seine Gefühle Colby gegenüber ziemlich gemischt, obwohl er sie gar nicht in diesem Licht sehen wollte. Sie passten überhaupt nicht zusammen. In all den Jahren, die sie einander kannten, war ihm noch nie aufgefallen, dass sie sexy und verführerisch aussah.

Ben warf einen Blick auf den dunklen Fremden und stellte fest, dass der Mann ihn unverwandt anstarrte, aus Augen, die im schwindenden Licht seltsam glitzerten. Sie erinnerten Ben an Katzenaugen, die nachts besser als am Tag sehen konnten. Sie fixierten ihn, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln, und Ben, dem unter diesem eindringlichen Blick unbehaglich wurde, schaute weg. Rafael De La Cruz machte unmissverständlich klar, dass Colby für jeden anderen Mann tabu war. Ben traute De La Cruz nicht. Er spürte, dass sich etwas Gefährliches und Gewalttätiges hinter der glatten Fassade verbarg. Noch dazu schien De La Cruz ein Playboy zu sein, der Frauen ebenso schnell eroberte, wie er sie wieder abservierte. Colby war für kurzlebige Abenteuer nicht geschaffen. Sie war eine Frau, die sich dem Mann, den sie liebte, vollständig ausliefern würde, und Ben wollte nicht, dass Rafael De La Cruz dieser Mann war.

Er setzte seinen Hut auf. »Ich suche Paul und spreche mit Chevez, doch du, Colby, wirst deine Geschwister nicht aus den Augen lassen und schon gar nicht allein durchs Gelände streifen.«

»Ich muss eine Ranch führen, Ben«, entgegnete sie ruhig. »Ich lasse mich von niemandem terrorisieren.«

»Du sagst, Juan Chevez hat den Stier gefunden? Was hatte er auf deinem Land zu suchen?« Ben klang unbeteiligt, aber Colby ließ sich nichts vormachen, dafür kannte sie ihn viel zu lange.

»Nach dem Feuer wollte Rafael uns hier nicht allein lassen. Da er nicht bleiben konnte, bat er Juan und Julio, uns zu helfen.« Sie starrte auf ihre Hände, beschämt, ihre Schwäche eingestehen zu müssen. »Ein Glück, dass die beiden hier waren. Ich habe mich heute sehr elend gefühlt und fast den ganzen Tag geschlafen.«

»De La Cruz hat ihnen also befohlen, hierzubleiben.«

»Sie wollten bleiben, Ben. Immerhin sind sie nahe Verwandte von Paul und Ginny, und sie machen sich Sorgen um die beiden.«

Er richtete seine hellblauen Augen auf sie. »Willst du mir etwa einreden, dass Colby Jansen kein bisschen misstrauisch ist? Diese Leute tauchen aus heiterem Himmel auf, um Anspruch auf deine Geschwister und letztlich auch auf die Ranch zu erheben. Zufällig sind sie Geschäftsfreunde von deinem Nachbarn Sean Everett, dessen gesamte Crew sich genauso zufällig aus Ex-Knackis zusammensetzt. Und ziemlich genau zur selben Zeit, als sie hier eintreffen, kommt es auf deiner Ranch zu allen möglichen Unfällen. Das soll alles Zufall sein, Colby? Und jetzt findet Juan Chevez einen toten Stier, während er auf De La Cruz' Befehl auf euch aufpasst. Das kommt mir ein bisschen unglaubwürdig vor.«

»Hatten wir dieses Gespräch nicht schon einmal, nur dass ich es war, die all das zu dir gesagt hat? Du hast gemeint, ich wäre ein Dickschädel und sollte die Sache endlich hinter mich bringen. Du warst der Meinung, ich würde dummes Zeug reden, als ich versuchte, dir klarzumachen, dass die Dinge, die auf der Ranch vorgehen, keine Unfälle wären.«

»Tja, Petes Tod war jedenfalls kein Unfall, Colby, und es war auch kein Zufall, dass Chevez und Everetts Leute oben auf der Klippe waren. Oder dass Clinton Daniels und dieser Abschaum Harris zusammen mit dem Neuen, Ernie Carter, auch da draußen waren. Und jetzt kommt die Preisfrage: Was zum Teufel hattest du da allein verloren?«

»Ben« – sie legte versöhnlich eine Hand auf seinen Arm -»du willst damit doch nicht sagen, dass sich alle gegen mich verschworen haben, oder?«

Ben spürte, wie jene eigenartigen Augen ihn erneut fixierten. Er blickte nicht auf; er wusste instinktiv, dass De La Cruz sie beide beobachtete, und zwar deshalb, weil er seine Stimme erhoben hatte und weil Colby ihn anfasste. »Ich glaube, dass du in großer Gefahr bist, Colby, und damit meine ich nicht nur die Ranch. Das denke ich, und du solltest mich lieber verdammt ernst nehmen.«

»Das werde ich, Ben«, gab Colby mit einem leisen Seufzer nach. »Ich mache mir doch auch Sorgen. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, doch ich will auf keinen Fall, dass Paul oder Ginny etwas passiert. Ich verspreche dir, vorsichtig zu sein.« Als er sie weiterhin anschaute, seufzte sie wieder. »Sehr, sehr vorsichtig.«

»Und niemandem zu sehr zu vertrauen«, fügte er hinzu.

»Und niemandem zu sehr zu vertrauen«, wiederholte sie gehorsam.

Als Ben sich zu den Futterwiesen aufmachte, schaute Colby ihm nach, bis seine große Gestalt hinter der Scheune verschwand. Nachdenklich starrte Colby das Gebäude an. Für den Brandstifter wäre es sinnvoller gewesen, die Scheune anzuzünden. Sie lag weiter vom Haupthaus entfernt und hatte keine Sprinkleranlage. Die Scheune mit all dem Heu, das in ihr gelagert wurde, hätte gebrannt wie Zunder. Warum war nicht sie in Brand gesteckt worden?

»Colby!«, rief Ginny. In ihrer Stimme schwang leichte Ungeduld mit. Sie wollte unbedingt einen guten Eindruck machen. Tanya war sehr nett, und Ginny wünschte, Colby würde sich mehr um sie kümmern, damit das Mädchen bald wiederkam.

Colby lief zu den anderen, wobei sie Rafael komplett ignorierte und sich ausschließlich auf Joclyn und Tanya konzentrierte. Ihr war bewusst, dass Rafael sie die ganze Zeit beobachtete, während sie mit ihren beiden neuen Schülerinnen arbeitete, aber sie zwang sich, nicht in seine Richtung zu schauen. Dabei wollte sie ihn anschauen. Sie brauchte es, ihn zu sehen, und sie konnte fühlen, dass sie ständig seine geistige Nähe suchte. Sie hatte dieses Gefühl schon einmal erlebt; jetzt erkannte sie es wieder. Und Rafael rührte oft an ihr Bewusstsein, leicht wie ein Schatten und doch tröstlich. Sowie er sie erreichte, konnte sie sich entspannen und wieder frei atmen. Colby lächelte Joclyn an und unterhielt sich ganz normal mit ihr. Sie umarmte Ginny häufig, beschäftigte sich ausgiebig mit Tanya und gab sich freundlich und interessiert an ihrem Geplauder, aber die ganze Zeit beherrschte Rafael ihr Denken und ihr Fühlen.

Sean reichte Rafael durch das offene Seitenfenster des Wagens einen Umschlag, ehe sie abfuhren, und versprach Ginny, in ein paar Tagen wiederzukommen. Colby beobachtete, wie Rafael den Umschlag lässig in seine Hemdtasche schob. Erst jetzt leistete sie sich den Luxus, ihn wirklich anzuschauen. Seine Kleidung war trotz der Tatsache, dass er die Brandwunden der Pferde auf der Koppel versorgt und bei der Reitstunde geholfen hatte, makellos. Es schien, als würden selbst Schmutz und Staub es nicht wagen, an ihm hängen zu bleiben wie an anderen. Und er roch immer so gut.

Rafael begegnete über Ginnys Kopf ihrem Blick und lächelte sie an. Er konnte ihr den Atem rauben, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Colby senkte den Kopf und ging mit Ginny in Richtung Haus. »Na, was meinst du, Küken, hat Tanya dir gefallen?«

»Sie ist wirklich nett, Colby«, antwortete Ginny begeistert. »Paul hätte ruhig kurz herkommen und sich vorstellen können.«

»Findest du?« Colby zog die Augenbrauen hoch. »Ich hatte Angst, er würde vielleicht irgendetwas Blödes sagen und uns total blamieren – du kennst doch Paul.«

Ginny dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. »Mädchen finden ihn süß. Er telefoniert dauernd mit irgendwelchen Mädels, und immer rufen sie ihn zuerst an. Er ruft sie nie an. Abends, wenn du arbeitest, hängt er in der Küche ewig am Telefon.«

»Dein Bruder telefoniert mit Mädchen, während eure Schwester arbeitet?«, fragte Rafael ruhig. Seine Stimme war leise und gelassen wie immer, wirkte aber trotzdem bedrohlich.

Colby starrte ihn an und fragte sich, wie er es schaffte, so beängstigend zu klingen, ohne die Stimme zu erheben. »Paul ist noch sehr jung, Rafael. Er ist erst sechzehn.«

»Und als Armando den Unfall hatte und es dir überließ, die Ranch zu führen und ihn zu pflegen, warst du wie alt? Siebzehn?« Seine schwarzen Augen ruhten düster auf ihrem Gesicht.

Colby, die sich plötzlich über ihn ärgerte, lief die Stufen zur Veranda hinauf. »Paul leistet sehr viel, Rafael, und außerdem ist das nicht deine Sache.«

Er glitt lautlos neben ihr her, was sie noch mehr reizte. Seine Hand langte im selben Moment nach der Küchentür wie ihre. Colby riss ihre Hand zurück, als seine Finger sie streiften. »Glaubst du, es wird ihn zum Mann werden lassen, wenn du ihn verwöhnst, Colby? Letzten Endes muss er irgendwann die Ranch leiten. Es war der Traum deines Vaters, die Ranch für seine Kinder zu erhalten, aber er wollte bestimmt nicht, dass du dich dafür kaputtmachst.«

Colby war sich eindringlich der Tatsache bewusst, dass ihre Schwester sie beide aus großen Augen anstarrte. »Es war auch mein Traum.« Selbst in ihren eigenen Ohren klangen ihre Worte trotzig. Colby marschierte zum Kühlschrank und starrte hinein.

Rafaels Lächeln war sehr sanft. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. Ich war in deinem Bewusstsein, pequena. Eine solche Erinnerung habe ich nicht gesehen.

Er war auch in ihrem Körper gewesen. Die Worte schienen unausgesprochen in der Luft zu hängen. Colby wirbelte herum und funkelte ihn an. »Dann hast du wohl nicht richtig geschaut«, fuhr sie ihn an. Sie war unglücklich und wütend, weil sie wusste, was in seiner Hemdtasche steckte und dass sie keine andere Wahl hatte, als sein Darlehen anzunehmen. Sie hatte mit ihm geschlafen, und sie würde sein Geld nehmen. »Ich wollte die Ranch auch halten. Wirklich. Ich will es immer noch.«

Die Erinnerung ist nicht da, querida, und du weißt besser als ich, dass es wahr ist. Diese Erinnerung hat es nie gegeben, weil du diesen Wunsch, diesen Traum nie gehabt hast.