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Wie sich beim Röntgen herausstellte, war Lous Fuß
am Knöchel und am unteren Teil des Schienbeins gebrochen. Sechs
Wochen lang musste sie einen Gips tragen, dann vier Wochen eine
Schaumstoffschiene.
Auf einer Bahre war sie ins Anchorage General
Hospital gerollt worden. Nun lag sie in einem Untersuchungsraum und
fragte sich: Wieso bekommen die Filmheldinnen, die ihr Leben
riskieren, um andere Leute zu retten, immer nur ein paar Kratzer
ab? Während die Heldinnen des wirklichen Lebens wie ich eine
Spiralfraktur am Schienbein erleiden, einen hässlichen Gips kriegen
und herumhumpeln müssen wie Sigourney Weaver in Die Waffen der Frauen? Übrigens keine besonders
sympathische Filmfigur …
Natürlich war die Verletzung noch nicht alles, was
Lou von einer Filmheldin unterschied. Da war noch die Sache mit den
Typen. Lou bekam einfach keinen ab. Die Filmheldinnen bekamen am
Ende immer ihre Typen. Nur Lou nicht.
Klar, Jack hatte sie zu Sheriff O’Malleys
Geländewagen getragen, er hatte sie auf der Fahrt zum Flughafen
begleitet und während des Flugs sogar ihre Hand gehalten. Er ging
mit ihr in die Notaufnahme, wo mehrere Patienten warteten, die nach
der Schwere ihrer Verletzungen eingeteilt waren, und ihn fragten,
ob er Dr. Rourke sei und sich mal ihren Nesselausschlag ansehen
könne …
Und da hatte Lou ihn zum letzten Mal gesehen, denn
sie war auf die Unfallstation gebracht worden, die Besucher nicht
betreten durften.
Nun wartete sie im Untersuchungsraum, bis der Arzt
zurückkehren und ihr den Gips anlegen würde. Solange sie sich nicht
bewegte, schmerzten ihr Knöchel und der untere Teil des Schienbeins
nicht. Sie hatte sich auf der Untersuchungsliege ausgestreckt und
starrte durch das Fenster auf den Parkplatz des Krankenhauses, es
war eine trostlose Aussicht. Inzwischen hatte es wieder zu schneien
begonnen. Hinter einem Discounter auf der anderen Straßenseite
ragte der Mount McKinley empor, weiß und grau und majestätisch.
Seit sie mit Jack Townsend auf diesem Berg gestrandet war, schienen
tausend Jahre verstrichen zu sein. Beinahe wünschte sie sich in
Donalds Hütte zurück. Dort waren sie wenigstens sicher vor so
grausigen Szenen gewesen, wie sie sich diesen Vormittag am Drehort
abgespielt hatten.
Wer hätte gedacht, dass Tim Lord, der
Oscar-Preisträger und größenwahnsinnige Regisseur, in krankhafter
Eifersucht einen so tückischen Plan schmieden würde, um den Ex
seiner Frau loszuwerden? Lou jedenfalls nicht. Sie hatte geglaubt,
dass Vicky und Tim eine glückliche Ehe führten.
Wie ahnungslos war sie gewesen …
Während sie über ihr mangelndes
Vorstellungsvermögen nachdachte, klopfte es an der Tür. Sofort
beschleunigte sich Lous Puls, denn sie hoffte, Jack würde endlich
zu ihr kommen. Andererseits war er nicht der Typ, der anklopfte.
»Herein!«, rief sie.
Zu ihrer Verblüffung trat Vicky ein – bleich und
zerbrechlich und erschöpft. »Lou«, sagte sie mit schwacher
Stimme.
Lou starrte ihre beste Freundin an, die noch nie
so kaputt ausgesehen hatte. »Geht es dir gut, Vicky?«
»Ich bin hier, um rauszufinden, wie es dir geht …« Plötzlich verzerrte sich Vickys Gesicht,
das trotz Leid und Kummer immer noch hübsch war, dann warf sie sich
auf Lou, wobei der gebrochene Fuß qualvoll erschüttert wurde. »O
Lou, Lou«, schluchzte sie, »es tut mir so schrecklich leid! Wirst
du mir jemals verzeihen?«
»Was … was denn?«, stammelte Lou. Es fiel ihr
schwer zu sprechen, weil heftige Schmerzen durch ihr ganzes Bein
schossen. Mühsam würgte sie hervor: »Es war nicht deine
Schuld.«
»Doch!« Vickys Tränen fielen auf Lous Haar. »Hätte
ich bloß den Mund gehalten! Hätte ich bloß nachgedacht, bevor ich
was sagte! Niemals hätte ich Tim von Jack erzählen dürfen. Ich weiß
nicht einmal, ob es wirklich stimmt. Dass ich ihn immer noch liebe.
Als Jack Tim heute zusammenschlug – da machte ich mir viel mehr
Sorgen um meinen Mann. Also muss er mir wohl mehr bedeuten, nicht
wahr?«
»Hoffentlich«, bemerkte Lou trocken. »Immerhin
bist du seine Frau.«
»Nicht mehr lange«, erwiderte Vicky. Seufzend
richtete sie sich auf. »Er wurde verhaftet. Und ich fürchte, nicht
einmal Johnnie Cochran wird ihn da rauslavieren. Natürlich will ich
nicht mit einem – Sträfling verheiratet bleiben. Ich meine, genauso
gut könnte ich in die Wohnwagensiedlung zurückkehren, aus der ich
mich hochgearbeitet habe.«
Bestürzt zuckte Lou zusammen. »Tut mir so leid
…«
»Schon gut.« Offenbar fühlte Vicky sich etwas
besser, denn sie kämmte mit kunstvoll manikürten Fingern ihr
zerzaustes Haar. »Außerdem überlege ich mir … ob ich diesen Sheriff
nicht sexy finden soll.«
Lou rang fassungslos nach Luft. »Vicky!«
Lässig zuckte ihre Freundin die Schultern.
»Dagegen bin ich machtlos, er hat nun mal diese große – Waffe.
Jedenfalls, ich wollte nur sehen, ob du okay bist, und mich
entschuldigen. Jetzt sollte ich gehen.«
»Warte …« Lou hob eine Hand, um sie
zurückzuhalten. »Da gibt es etwas, das ich dir sagen muss. Über
Jack … und mich.«
»Oh …« Vicky stand bereits vor der Tür und
blinzelte. »Meinst du die Tatsache, dass ihr die letzte Nacht
zusammen verbracht habt?«
Jetzt war es Lou, die irritiert blinzelte. »Wie …
wieso weißt du das?«
Vicky verdrehte die schönen blauen Augen. »Das
weiß doch jeder im Hotel. Und ich würde mich nicht wundern, wenn es
nächste Woche im Us-Magazin steht.«
Nervös biss Lou sich auf die Lippen. »Macht es dir
… etwas aus?«
»Ob es mir etwas ausmacht?« Vicky schüttelte den
Kopf. »Du bist ein großes Mädchen, Lou. Du hast es selbst im Hotel
gesagt. Also kannst du auf dich aufpassen. Tu mir bloß einen
Gefallen …« Beinahe brach ihre Stimme. »Lass dir nicht das Herz
brechen.«
Ohne ein weiteres Wort verließ sie den
Untersuchungsraum, bevor Lou ihr nachrufen konnte: Zu spät!
Allzu lange blieb sie nicht allein, um darüber
nachzudenken, was sie soeben gehört hatte. Die Tür öffnete sich
erneut. Da sie den Arzt erwartet hatte – der ziemlich lange
brauchte, um ein bisschen Gips zu suchen -, hob sie beim Anblick
ihres Vaters erstaunt die Brauen. Frank legte einen Finger an seine
Lippen. Dann eilte er mit Eleanor Townsend ins Zimmer.
Verschwörerisch lächelte er seine Tochter an. »Vorerst keine
Besuche, haben sie uns erklärt«, sagte er und schloss die Tür
hinter sich. »Aber wir sind am Wachtposten vorbeigeschlichen,
während Melanie Dupre ihn abgelenkt hat. Ihr muss bei der Explosion
ein Stück vom Mount McKinley ins Auge geflogen sein – oder
so.«
»Oh.« Verblüfft schaute Lou von ihrem Vater zu
Jacks Mutter. Wie sie zugeben musste, sahen die beiden wie
glückliche Kinder aus. »Freut mich, euch zu sehen.«
»Wir haben Ihnen was mitgebracht.« Eifrig kramte
Eleanor in den Tiefen ihrer Gucci-Tasche und nahm eine große
Schachtel Pralinen heraus, die sie Lou überreichte. »Ihr Vater hat
mir gesagt, so was würden Sie gern essen.«
Erfreut musterte Lou den Inhalt der Schachtel.
Sündteure Schokolade. Wie sie anerkennend feststellte, waren einige
Pralinen mit Erdnusskrokant gefüllt. »Wow! Danke.«
»Es ist nur eine Kleinigkeit …« Verlegen zuckte
Eleanor die Schultern. »Immerhin haben Sie Ihr Leben riskiert, um
meinen Sohn zu retten. Schon mehrmals – nach allem, was ich gehört
habe. Keine Ahnung, wie ich Ihnen das jemals vergelten soll … Aber
ich würde gern mit einer Einladung in mein Haus in Cape Cod
beginnen. Ich würde mich so freuen, wenn Sie im Sommer eine Zeit
lang zu mir kommen würden. Vielleicht mit Ihren Brüdern.«
»Ich fahre auch hin«, warf Frank ein.
Erst jetzt bemerkte Lou, dass er Eleanors Hand
festhielt, und sie spürte einen seltsamen Stich im Herzen.
Eifersucht konnte es nicht sein – Eifersucht auf das Glück ihres
Vaters, nachdem er so viele Jahre allein gewesen war? Ganz sicher
nicht.
Aber warum war es für Dad und Jacks Mutter so
einfach?
Sie mochten einander, sie hielten sich an den
Händen. Da gab es kein Hinterfragen oder die Sorge, man könnte
nächste Woche für Cameron Diaz verlassen werden.
Nein. Lou musste sich zusammenreißen und lernen,
wie eine Heldin zu leben, ihren Instinkten zu vertrauen, Risiken
einzugehen … Während sie darüber nachdachte, entdeckte sie eine
große Beule in Eleanor Townsends Handtasche. Im nächsten Augenblick
war die Beule verschwunden. »Äh … Mrs. Townsend … ich weiß nicht,
wie ich es sagen soll, aber Ihre Tasche bewegt sich.«
Lachend schaute Eleanor nach unten. »Oh, das ist
nur Alessandro. In dieser Klinik haben Hunde keinen Zutritt. Kaum
zu glauben. Also, ich muss schon sagen – was Hunde betrifft, sind
die Europäer wesentlich toleranter als die Amerikaner. Wirklich,
Alessandro ist weitaus sauberer als einige der Kinder, die hier
herumlaufen.«
Lou schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Dann
beugte sich Frank zu ihr herab und tätschelte ihr den
Arm. »Das hast du gut gemacht da draußen, Schätzchen. Ich war so
stolz auf dich. Ich wünschte nur, deine Mom wäre dabei
gewesen.«
In Lous Augen brannten Tränen. Fabelhaft, dachte
sie. Jetzt heule ich auch noch. Wie eine richtige Heldin … »Danke,
Dad«, flüsterte sie und wischte mit einem Ärmel über ihr
Gesicht.
»Oh, schau doch, was du getan hast, Frank!«, warf
Eleanor ihm besorgt vor. »Alles in Ordnung, meine Liebe? Hat man
Ihnen kein Schmerzmittel gegeben? Ich kenne den Chefarzt. Soll ich
mit ihm reden? Dass man Sie einfach hier liegen lässt ohne Tylenol
– das begreife ich nicht.«
»Nein danke, ich bin okay.« Die Augen immer noch
voller Tränen, schaute Lou zu ihr auf. »Haben Sie vielleicht Jack
irgendwo gesehen?«
»Äh … nein«, antwortete Eleanor und wechselte
einen kurzen Blick mit Frank.
Es war eine offensichtliche Lüge. Also hatten sie
Jack gesehen, wollten ihr aber nicht verraten, wo. Oder was er
getan hatte. Und das konnte nur eins bedeuten – was immer er trieb,
sie vermuteten, Lou würde es missbilligen.
Nun, was hatte sie erwartet? Jack hatte sie
bereits erobert, die Herausforderung existierte nicht mehr, die
Rose war verblüht. Deshalb brach er zu neuen Ufern auf.
O Gott, warum bin ich so ein
paranoider Freak?
»O meine Liebe …« Eleanor schaute wieder auf ihre
Tasche hinab, die sich erneut ausbeulte. »Jetzt wird es Alessandro
zu heiß da drinnen. Frank, wir sollten gehen.«
»Okay«, stimmte er zu und streichelte die Wange
seiner Tochter. »Wir warten draußen, bis du entlassen wirst,
Schätzchen, und bringen dich ins Hotel.«
Klar. Weil Jack nicht bereit war, diese Aufgabe zu
übernehmen.
Trotzdem brachte Lou noch ein Lächeln zustande,
winkte den beiden zu, und sie verließen das Zimmer, in der festen
Überzeugung, mit ihr wäre alles in Ordnung.
Natürlich war alles in Ordnung. Zumindest würde es
bald so sein. Sie war ein starkes Mädchen. Immerhin hatte sie
zweiundsiebzig Stunden auf dem Mount McKinley und eine
Minensprengung überlebt. Und Bruno di Blase. Also würde sie auch
Jack Townsend überleben. Kein Problem.
Und es war pure Ironie, dass, gerade als Lou
diesen Gedanken nachhing, Bruno di Blase höchstselbst die Tür
öffnete und eintrat, einen rosa Nelkenstrauß in der Hand, den er
vermutlich im Souvenirladen des Krankenhauses gekauft hatte.
»Klopf, klopf«, sagte er und entblößte grinsend alle seine
schneeweißen überkronten Zähne. »Wie geht’s meiner kleinen Heldin?
Was du geleistet hast, wird in sämtlichen Nachrichtensendungen
gewürdigt.«
Lou starrte ihn einfach nur an. Mein Gott, genügte
es nicht, dass ihr Fuß an zwei Stellen gebrochen war und dass sie
einem Mordanschlag entkommen war? Dass sie die Flucht eines Mannes
verkraften musste, den sie eine Zeit lang für den Richtigen
gehalten hatte? Warum tauchte zu allem Überfluss nun auch noch ihr
Ex auf?
»Für dich.« Er nahm den Deckel vom
Trinkwasserkrug,
den eine Schwester für Lou bereitgestellt hatte, und stopfte die
Nelken hinein. »Klar, ich weiß, du magst lieber Rosen. Aber die
gab’s nicht im Souvenirladen des Krankenhauses. Nun, wie fühlst du
dich?«
Lou schaute auf ihre zerrissene Strumpfhose und
den geschwollenen Knöchel hinab. »Was glaubst du denn, Barry? Das
tut höllisch weh.«
»Oh, das meine ich nicht.« Aus unerfindlichen
Gründen runzelte er nervös die Stirn. »Sondern … nun, du weißt
schon … du hast einen kaltblütigen Mörder zur Strecke
gebracht.«
»So großartig, wie du vielleicht glaubst, fühle
ich mich nicht«, entgegnete sie sarkastisch.
»Eigentlich müsstest du vor lauter Freude an die
Decke springen.« Barry setzte sich zu ihr auf die
Untersuchungsliege. Natürlich, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.
»Bald werden alle Produzenten bei dir Schlange stehen. Und
People wird es die Story des Jahres nennen.
Klar, so was musste ja mal passieren. Jack
Townsend konnte sich noch nie am Riemen rei ßen. Dauernd ließ er
die Hosen runter. Kein Wunder, dass mal jemand durchgedreht ist und
ihn umbringen wollte!«
»Barry …« Zu ihren anderen Besuchern war Lou
höflich gewesen, weil – nun, weil sie sie mochte. Bei Barry konnte
sie das nicht behaupten. »Was willst du?«
»Was ich will?« Verwirrt runzelte er die Stirn.
»Natürlich möchte ich mich vergewissern, dass es dir gut geht. Wir
sind doch immer noch Freunde, nicht wahr? Wir waren so lange
zusammen. Zehn Jahre kann man nicht einfach abhaken.«
»Warum nicht? Das hast du doch auch getan.«
»Nun ja …« Barry schaute auf seine Hände hinab.
Noch bevor sich sein Gesicht veränderte, sah sie die Miene voraus,
die er aufsetzen würde – reumütige Zerknirschung. Du meine Güte,
dachte sie, er wird sich tatsächlich entschuldigen.
»Keine Ahnung, wie ich’s sagen soll, Lou«, begann
er. »Jedenfalls … ich bin vielleicht etwas zu überstürzt aus deinem
Bungalow ausgezogen. Ich war so verwirrt. Ich habe über das alles
nicht richtig nachgedacht. Und mit Greta … um ehrlich zu sein, es
läuft nicht so toll.«
»Ihr seid erst seit vier Tagen verheiratet. So
schlimm kann es doch noch gar nicht sein.«
»Statt am Schauplatz meiner Flitterwochen zu
bleiben, bin ich bei dir«, betonte er und trug sein Markenzeichen
zur Schau, ein charmantes Lächeln. »Wenn das kein untrügliches
Zeichen ist …«
Mit großen Augen schaute sie ihn an. Und da
erkannte sie, dass ihre feindselige Gesinnung verflogen war, von
einem Gefühl gutmütiger Toleranz verdrängt. So etwas empfand sie
auch für ihre Brüder. Aber die mochte sie wesentlich lieber. »Du
hast Greta noch gar keine richtige Chance gegeben.«
»Doch!« Hastig stand er auf, stieß gegen ihren
gebrochenen Fuß, und durch den Nebel ihrer Schmerzen hörte sie sein
Geständnis kaum. »Keine Ahnung, was ich mir dabei dachte, als ich
dich ihretwegen verließ! Mit dir kann sie sich nicht messen, Lou.
Immer denkt sie nur an sich, ständig geht es nur um Greta, Greta,
Greta. Auf mich nimmt sie keine Rücksicht. Und du hast stets an mich gedacht. Für mich hast du das
Hindenburg -Drehbuch geschrieben – das
größte Geschenk,
das ein Mann jemals von einer Frau bekam! Dieses Geschenk nahm ich
an. Und dann beging ich wie ein Narr den unverzeihlichsten Fehler,
den ein Mann nur machen kann – ich gab der edlen Spenderin den
Laufpass!« Beschwörend ergriff er eine ihrer Hände. »Verzeihst du
mir meine Dummheit?«
»Ja«, murmelte sie, die Augen vor Schmerzen
verschleiert. »Was auch immer … Würdest du eine Schwester holen?
Mein Fuß … wirklich …«
»Meinst du das ernst?«, rief Barry und presste
ihre Hand an seine Brust. »O Lou, wenn du mich zurücknimmst, wäre
es das größte Glück meines Lebens. Du schreibst das
Pompeji-Drehbuch, alles wird wieder so wie früher …«
»Moment mal«, unterbrach sie ihn verwirrt. »Was
meinst du damit?«
»Oh, ich wusste es ja, du würdest mir verzeihen!«
Dann beugte er sich hinab, um sie zu küssen …
Mit einer Geistesgegenwart, die sie sich niemals
zugetraut hätte, ergriff sie den Krug und schüttete das Wasser
mitsamt den Nelken über Barrys Kopf.
Im gleichen Moment öffnete sich die Tür, und Jack
Townsend trat ein, die Arme voll rosa Rosen – mindestens fünfzig
Stück.
»Hallo.« Seine blauen Augen glitten von Lou, die
auf der Untersuchungsliege immer noch den Krug umklammerte, zu
Barry, der klatschnass war und voller Nelken und sehr überrascht
dreinblickte. »Störe ich?«
»Nein«, sagte Lou.
Und Barry fauchte: »Ja!«
Jack schlenderte zum Metalltisch in der Ecke, auf
dem Gefäße mit Verbandszeug standen, und legte die Blumen daneben.
»Tut mir leid, dass ich erst jetzt zu dir komme, Lou. Weißt du, wie
schwierig es ist, in dieser Stadt anständige Rosen zu
finden?«
Als ihr Blick von dem prachtvollen Strauß zu dem
Mann schweifte, der ihn mitgebracht hatte, brannten neue Tränen
unter ihren Lidern. Fantastisch, nun weinte sie schon wieder …
»Danke, die Rosen sind wunderschön«, murmelte sie und
errötete.
Gelassen zuckte Jack die Schultern. »Deine
Lieblingsblumen, nicht wahr?« Er wandte sich zu Barry, der nasse
Nelken von seinem Hemd pflückte. »Äh, Barry … würden Sie Lou und
mich ein paar Minuten allein lassen?«
Erst jetzt schien Barry zu registrieren, was Jacks
Anwesenheit und die Rosen und Lous glückseliges Erröten bedeuteten.
»Großartig!«, stieß er hervor. Auch sein Gesicht nahm eine rötliche
Farbe an, die allerdings nicht so attraktiv wirkte. »Einfach
großartig, Lou. Also hast du dich mit ihm eingelassen? Bist du
verrückt? Er hat allen Frauen in Hollywood das Herz gebrochen. Frag
doch Greta!«
Bevor Lou antworten konnte, übernahm Jack die
Situation.
Gebieterisch zeigte er auf Barry, und Lou sah,
dass seine Fingerknöchel von den Schlägen, die er Tim Lord verpasst
hatte, immer noch aufgeschürft waren. »Verschwinden Sie!«, donnerte
er.
Barry wich blitzschnell zurück. »Okay, okay, ich
räume das Feld. Aber glaub mir, Lou, du machst einen Fehler.« Nach
einem letzten angstvollen Blick in Jacks Richtung flüchtete er aus
dem Zimmer.
Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen
war, ging Jack zu Lou. »Da hat er recht.«
Sie ergriff seine Hand und inspizierte die wunden
Fingerknöchel. »Darum müsste sich jemand kümmern.«
»Ich meine es ernst.« Jack schob einen Stuhl zu
der Untersuchungsliege und setzte sich. »Bisher hatte ich keine
einzige … äh … längere Beziehung.«
Lou schaute in sein Gesicht, das jemand zu
reinigen versucht hatte, vielleicht er selber. Doch am Haaransatz
zog sich immer noch ein Rußstreifen entlang, der so aussah, als
würde er sich niemals entfernen lassen. »Die sind manchmal gar
nicht so erstrebenswert, wie man immer glaubt – die langen
Beziehungen, meine ich.«
»Bei uns schon«, beteuerte er. »Mit dir ist es
anders, Lou. Weder Vicky noch Greta oder Melanie habe ich geliebt.
Bei dir ist es – anders.«
Sie starrte ihn an, vergaß ihren gebrochenen Fuß,
vergaß seine verletzte Hand, vergaß sogar zu atmen. Nur eins wusste
sie – das Happy End, auf das sie niemals zu hoffen gewagt hatte,
rückte plötzlich in greifbare Nähe.
»Weil ich dich liebe«, fügte er hinzu.
Eindringlich erwiderte er ihren Blick. »Und wegen unseres
Zusammenlebens – ich weiß, du hast es mit Barry versucht, und es
ist schiefgelaufen. Deshalb dachte ich, wir sollten es auf andere
Weise versuchen und heiraten. Das hat noch keiner von uns
ausprobiert, und ich glaube, es könnte klappen …«
Lou musste eine neue Tränenflut bekämpfen. Das war
nicht der Heiratsantrag, den sie für Jack Townsend
in einem Drehbuch geschrieben hätte. Aber es war sein Vorschlag, und er kam von Herzen, und das
genügte ihr vollkommen.
»Okay«, antwortete sie mit halb erstickter Stimme.
»Klingt gut. Nur noch eins …«
Die strahlende Freude, die sein Gesicht gerade
erhellt hatte, verwandelte sich in Angst. »Was?«, fragte er
vorsichtig.
»Keine Filme mehr.«
»Abgemacht«, versprach er erleichtert, beugte sich
hinab und küsste sie leidenschaftlich. Eine Minute später öffnete
eine Krankenschwester die Tür. Sie hörten es nicht – ebenso wenig
wie den hastigen Rückzug der verlegenen jungen Frau.
Dieser Kuss jedoch sorgte, ohne dass Jack und Lou
sich dessen bewusst waren, noch wochenlang für Gesprächsstoff im
Anchorage General Hospital.