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Lou blinzelte ungläubig. Wirklich, das musste ein
böser Traum sein. Als wären die letzten vierundzwanzig Stunden noch
nicht schlimm genug gewesen, saß sie jetzt in einem Hubschrauber
fest, hundertfünfzig Meter über dem Erdboden, mit Jack Townsend und
einem verrückten Buschpiloten.
Auf dieser Welt gab es keine Gerechtigkeit.
Nun, wahrscheinlich ist es
meine eigene Schuld … Das Studio wäre nicht halb so versessen
auf ein weiteres Copkiller-Drehbuch
gewesen, hätte Hindenburg nicht diesen
Megaerfolg erzielt. Was wieder einmal ihre Theorie bestätigte:
Hätte sie eine nette, romantische kleine Komödie geschrieben statt
eines verdammten Triumphs des menschlichen Geistes, wäre das Leben
viel einfacher.
»Wow«, sagte Jack, nachdem seine hinreißenden
blauen Augen endlich den.38er registriert hatten, der sich auf sein
Gesicht richtete. »Hey, Moment mal.«
»Tut mir ehrlich leid, Mr. Townsend«, beteuerte
Sam, der Pilot. In Lous Kopfhörern klang die tiefe Stimme
tatsächlich bedauernd. »Aber ich muss den Auftrag ausführen.«
»Machen Sie Witze?« Eins musste man Jack lassen –
er geriet nicht in Panik. Soweit Lou das festzustellen vermochte,
fürchtete er sich nicht einmal. Er dachte sogar daran, ins Mikrofon
zu sprechen, das seitlich an den Kopfhörern hing, damit Sam ihn
verstand.
»Werden Sie mich erschießen? In Ihrem Hubschrauber?«
Traurig nickte der Pilot. »Danach werfe ich Sie
raus. Deshalb konnten wir nicht mit der Cessna fliegen.«
»Aber …«
Lou wusste nicht, ob Jack Zeit gewinnen wollte
oder ob es ihn wirklich interessierte.
Wie auch immer, er fragte ohne seinen üblichen
Sarkasmus, nur leicht verwirrt: »Warum?«
Sam hob die breiten Schultern. »Das sagte ich
bereits. Ich wurde damit beauftragt. Wenn ich es nicht tue,
bezahlen sie mich nicht. Und ich brauche das Geld, Mr. Townsend,
weil ich einigen Leuten was schuldig bin. Wenn Sie jetzt bitte
…«
Obwohl Lous Herz wie rasend schlug und ihr Mund
staubtrocken war, schaffte sie es irgendwie, ihren Sicherheitsgurt
zu öffnen und sich vorzubeugen. Sie dachte an die zahllosen
Geschichten, die ihr Vater immer beim Abendessen erzählt hatte –
über verrückte Täter, die mit Schusswaffen herumgewedelt hatten,
und sie hoffte, ihre Stimme würde ruhig und besänftigend klingen.
»Hören Sie, Sam, das ist lächerlich. Sie können Jack Townsend nicht
erschießen. Was würden die Leute denn sagen, wenn wir ohne ihn am
Set auftauchen?«
Entschuldigend schaute er sie an. »Wir fliegen
nicht zum Set, Miss. Sehen Sie, ich soll Mr. Townsend erledigen.
Dann bringe ich Sie … Wohin, brauchen Sie nicht zu wissen.
Jedenfalls bekomme ich dort mein Geld. Und danach verschwinde
ich.«
Lou schluckte und glaubte, ihr Mund würde sich mit
Sand füllen. Wie in Die Mumie kehrt zurück,
2001.
In dem Film war sehr viel Sand aufgewirbelt worden. »Was wird mit
mir geschehen?«, würgte sie hervor.
Auch wenn sie mit den folgenden Worten gerechnet
hatte, sie jagten ihr trotzdem eisiges Entsetzen ein, viel
schlimmer als die kalte Luft, die das Heizungssystem des
Helikopters kaum erwärmen konnte.
»Dass Sie mit uns fliegen, war nicht vorgesehen.
Wir können uns nicht mit Zeugen belasten.«
Nein. Natürlich nicht. Deshalb war Vicky in
letzter Minute weggerufen worden, nicht wahr? Aber Lou hatten sie
offensichtlich vergessen. Wer immer Jack Townsends Ermordung
organisiert hatte …
Klar, ich bin ja nur eine
Drehbuchautorin. Und jeder wusste, wie entbehrlich
Drehbuchautorinnen waren. In Amerika gab es keine einzige
Starbucks-Angestellte, die nicht mindestens ein Drehbuch in
irgendeiner Schublade versteckt hatte.
»Hören Sie …«, begann Jack. Diesen Ton kannte Lou.
So redete Detective Pete Logan, wenn er mit Geiselnehmern
verhandelte. »Äh … Sam, nicht wahr? Wer immer den Mord an mir
bezahlt, hat Ihnen sicher eine hohe Summe angeboten. Aber ich bin
auch ganz gut situiert. Wenn Sie mich am Leben lassen, verdopple
ich Ihr Honorar. Was sagen Sie dazu?«
Lou sprang beinahe aus ihrem Sitz. So eine Szene
hatte sie für Copkiller III geschrieben.
Und Jack war geistesgegenwärtig genug, um sich daran zu erinnern
und das Handlungsmotiv in einer grausam realen Situation zu
verwenden. Dazu wäre sie niemals fähig – die fiktiven Erfahrungen
ihrer Filmhelden im wirklichen Leben zu nutzen. Gewiss, die
Erfindungen anderer Autoren. Aber die eigenen? Niemals.
Der Pilot schüttelte den Kopf, bis sein Doppelkinn
wackelte. »Anscheinend halten Sie mich für einen Trottel.« Seine
Stimme klang nicht gekränkt. Nur traurig. »Später würden Sie mich
verpfeifen. Für dieses Problem gibt es nur eine einzige Lösung.
Sicher wissen Sie, was ich meine.«
Vor Angst wie gelähmt starrte Lou den kräftig
gebauten Mann an, der vor ihr saß und seine Waffe so lässig auf
Jacks Kopf richtete. Erst als sie ihren Blick ein bisschen nach
rechts lenkte, merkte sie, wohin Jack schaute. Er beobachtete nicht
den Mörder, sondern sie.
Zum ersten Mal in den sechs Jahren, seit sie Jack
Townsend kannte, gewann sie den Eindruck, diese durchdringenden
Augen würden sie tatsächlich sehen – und
dabei nicht nur die verrückte Drehbuchautorin erkennen, die ihm
verbot, ihren Text zu ändern, sondern sie selbst. Und auf
irgendeine Weise, die sie nicht definieren konnte, forderte er sie
auf, etwas zu tun. Aber was? Sollte sie den Kerl in den
Schwitzkasten nehmen? O ja, das würde bestimmt funktionieren.
»O Gott!«, rief Jack und beendete den
Blickkontakt. Zu ihrem Entsetzen sank sein Kopf plötzlich an die
Lehne seines Sitzes. »Was hier passiert, glaube ich einfach
nicht!«
In ihrer Verwirrung benötigte sie ein paar
Sekunden, um zu begreifen, was er tat. Sicher, er war ein Ekel,
aber kein Feigling. Nicht einmal für jene Szene in Copkiller II hatte er einen Stuntman verlangt, die
mit den Aalen und der Betonmischmaschine …
Da wusste sie, was er bezweckte. Zweiter
Abschnitt,
fünfte Szene in Copkiller III. Hatte Sam
den Film nicht gesehen? War das möglich? Wenn ja, musste er der
einzige Mann seiner Altersstufe sein (zwischen fünfundvierzig und
sechzig), wohnhaft im Nordwesten der Vereinigten Staaten, der
dieses Ereignis versäumt hatte.
Offensichtlich stimmte das, denn er stammelte. »Oh
… äh … bitte, Mr. Townsend, führen Sie sich nicht so auf …«
»Um Himmels willen, Mann!«, schrie Jack und packte
ihn an der Schulter. »Werfen Sie Ihr Leben nicht weg … wollen Sie
ein gejagter Verbrecher sein, ständig auf der Flucht vor der
Polizei …?«
»Hey, Moment mal …«, jammerte Sam.
Inzwischen war Lou zu Boden gefallen, genau wie
Dan Gardner, der unglückselige Partner des Detectives, es immer
tat, wenn Pete Logan seinen theatralischen Unsinn trieb. Sie hatte
keine Ahnung, was sie am Boden des Hubschraubers zu finden hoffte.
Da der R-44 ziemlich klein war, gab es nicht viel Stauraum. Also
mussten irgendwelche Gegenstände, die man als Waffe gebrauchen
konnte, unter den Sitzen liegen.
Unter ihrem Sitz stand eine Box mit der Aufschrift
»Nur für Notfälle«. Nun, das war eindeutig ein Notfall. Sie zog die
Box zu sich heran. Inbrünstig betete sie, Jack möge Sam
beschäftigen, während sie den Inhalt des Kastens inspizierte.
»Was für ein Leben wäre das?«, fragte Jack.
»Ständig müssten Sie über Ihre Schulter spähen, den Cops immer nur
einen Schritt voraus …«
»In Mexiko bin ich vor dem Gesetz sicher«,
erwiderte
Sam. »Und wenn ich an einem dieser perlweißen Strände liege, werde
ich wohl kaum über meine Schulter schauen …«
»Denken Sie darüber nach, Sam«, mahnte Jack.
»Glauben Sie wirklich, die Mexikaner würden Sie nicht ausliefern,
wenn Sie entlarvt werden? Ich bin ein international bekannter Star.
Nach meiner Ermordung würde die ganze Welt trauern und die
Bestrafung des Schuldigen fordern.«
Auf allen vieren, verdrehte Lou die Augen. Ging es
nicht ein bisschen weniger dramatisch?
»Sobald ich in Mexiko bin, erwischen sie mich
nicht«, entgegnete Sam stur.
Lou nahm den Deckel von der Box und schickte ein
stummes Dankgebet zum Himmel. Nun fand sie, was sie gesucht hatte.
Nachdem sie das Teil sorgfältig geladen und hochgehoben hatte – es
war erstaunlich schwer -, richtete sie es auf Sams Hinterkopf und
kreischte: »Keine Bewegung, Drecksack!« Genau wie Rebecca in
Copkiller III.
Aber Sam erstarrte nicht, stattdessen drang seine
Stimme aus Lous Kopfhörer. »Wenn ich auch nicht stolz darauf bin …
aber ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«
Da merkte sie, dass sie nicht ins Mikrofon
gesprochen hatte.
»Sam«, sagte sie – diesmal ins Mikrofon – und
hielt ihm die Mündung der Leuchtpistole an die Schläfe. »Legen Sie
die Waffe weg. Sofort.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Jack
unter seinen Bartstoppeln erblasste. Was hatte er denn von ihr
erwartet? Allzu viele Möglichkeiten gab es
nicht. Entweder die Leuchtpistole oder gar nichts. Sie ignorierte
ihn.
»Was?«, stotterte Sam verwirrt. Offenbar war er es
nicht gewohnt, dass er mit Leuchtpistolen bedroht wurde. »Was
machen Sie denn?«
»Ich jage Ihnen eine Leuchtkugel ins Hirn«,
informierte sie ihn mit einer Stimme, die ihrer Ansicht nach ganz
ruhig klang. So wie Dirty Harrys Stimme in Dirty Harry III – Der Unerbittliche. »Wenn Sie die
Waffe nicht weglegen.«
Er wandte sich zu ihr. »Sie werden mich nicht
erschießen«, entgegnete er, entrüstet, dass sie das nicht selbst
wusste.
»Doch, das tue ich«, versicherte Lou. »Ganz
bestimmt tue ich es. Darauf können Sie wetten – ich tu’s.«
Oh, verdammt, dachte sie. Dreimal hatte sie es
gesagt. Und Leute, die etwas dreimal wiederholten, sagten nie die
Wahrheit. Das hatte ihr Vater ihr oft genug erklärt. Aber
vielleicht hatte Sam, der offensichtlich nicht auf derselben Seite
des Gesetzes stand wie Frank Calabrese, noch nichts davon
gehört.
Oder vielleicht doch. Er starrte sie immer noch
an. Wie sie unwillkürlich feststellte, mit ebenso blauen Augen wie
Jack Townsend. Aber es war ein anderes Blau, ein helleres,
glanzloses Blau, ohne den dunklen Ring um die Iris. Nicht wie Jacks
Blau, das so viele Fans von STAT für den
grüblerischen Dr. Rourke begeistert hatte …
»Nein, Sie werden mich nicht erschießen«, betonte
Sam wie ein Vater, der ein widerspenstiges Kind maßregelte.
»Niemanden werden Sie erschießen. Zu so etwas sind Sie nicht
fähig.«
Lou blinzelte ihn an. Natürlich hatte er recht.
Sie würde ihn nicht erschießen – und auch niemand anderen. Vierzig
Jahre lang war ihr Vater Polizist in New York City gewesen. Kein
einziges Mal hatte er jemanden erschossen. Ihre vier Brüder
arbeiteten alle bei verschiedenen Polizeistellen. Auch sie hatten
noch niemanden erschossen. Klar, sie zogen ihre Waffen, waren aber
noch nie in Situationen geraten, wo es nötig gewesen wäre,
abzudrücken …
Abgesehen von Nick, der einmal auf eine
Rottweilerhündin geschossen hatte. Das war unumgänglich gewesen, da
sie die Sanitäter nicht zu ihrem verletzten Besitzer gelassen
hatte. Doch er hatte eine Gummikugel benutzt. Davon hatte sie sich
schon sehr bald erholt. Aber seinen Besuch an ihrem Krankenlager
hatte sie nicht zu schätzen gewusst.
Die Leuchtpistole in Lous Hand schwankte ein
bisschen. »Okay …« In ihren eigenen Ohren klang die Stimme nicht
nach Clint – unglücklicherweise eher nach Sally Field. »Also, okay
… vielleicht schieße ich Ihnen nicht in den Kopf. Aber ganz sicher
ins Bein. Und das wird verdammt wehtun.«
Seufzend schüttelte Sam den Kopf. »Schätzchen,
wenn Sie auf mich schießen, fällt der Hubschrauber runter. Wie ein
Stein.«
Lou zuckte zusammen. O Gott, daran hatte sie nicht
gedacht. Jetzt wackelte die Waffe in ihren Fingern noch
heftiger.
»Das bezweifle ich«, sagte Jack Townsend
seelenruhig.
Nicht nur Lou starrte ihn verblüfft an. Auch Sam
riss den Mund auf. Anscheinend hatten beide die Existenz
einer dritten Partei in der kleinen Kabine vergessen – so intensiv
war ihr Wortwechsel gewesen.
»Wissen Sie, ich habe schon mal einen R-44
gesteuert«, fügte Jack im Plauderton hinzu.
Überrascht hob Lou die Brauen.
»Tatsächlich?«
»Klar.« Jack zuckte mit den breiten Schultern. »In
Bergers Film Die Zeit des Spions.
Vielleicht erinnern Sie sich dran. Schon in der ersten Woche
fünfundsechzig Millionen an den Kinokassen.«
Beinahe ließ Lou die Leuchtpistole fallen. Erstens
würde Jeffrey Berger – der so unverschämt gewesen war, den ersten
Hindenburg-Entwurf abzulehnen, den Lous
Agentin ihm geschickt hatte – seinen Schauspielern niemals
erlauben, ihre eigenen Stunts auszuführen. Und auf keinen Fall
hätte Jack eine schwere Maschine wie einen R-44 fliegen dürfen. Und
Die Zeit des Spions hatte ganz sicher nicht
solche hohen Einnahmen erzielt, schon gar nicht in der ersten
Woche.
Aber Jack warf ihr einen Blick zu, der ihr wieder
die brenzlige Situation ins Gedächtnis rief. Und so drückte sie die
Mündung der Leuchtpistole etwas fester an die Schläfe des Piloten.
»Okay, Sam. Auch ohne Sie kommen wir großartig zurecht. Legen Sie
endlich Ihre Waffe weg.«
Sam, offensichtlich weder über Jeffrey Bergers
konservative Regieführung noch über die spärlichen Einnahmen von
Die Zeit des Spions informiert, holte tief
Luft. Und dann, zu Lous maßloser Verwunderung, reichte er Jack
den.38er.
Anscheinend erinnerte Jack sich an alles, was er
bei den Dreharbeiten zu den Copkiller-Filmen gelernt hatte. Mit beiden Händen
umfasste er den Revolver, einen
Zeigefinger in der Nähe des Abzugs. Damit wollte er verhindern,
dass er versehentlich abdrückte, bevor es wirklich nötig war.
»Also gut«, sagte er in einem ganz anderen Ton als
vorhin, wo er Sam »um Himmels willen« gebeten hatte, doch mal
nachzudenken.
Jetzt klang seine Stimme ruhiger denn je. Tödlich
ruhig, und Lou erschauerte. Oder vielleicht fröstelte sie, weil sie
immer noch durch die arktische Luft rasten, während zwei
gefährliche Waffen entsichert waren.
»Wenden Sie diesen Vogel«, befahl Jack ganz
cool.
Lou war froh, weil sie nicht in den Lauf der
Magnum schauen musste. Oder in Jack Townsends blaue Augen, die den
Piloten fixierten – so eiskalt wie der Boden, auf dem sie kniete.
Wenn er Greta jemals so angesehen hatte, verstand Lou, warum die
Frau ihn für Barry verlassen hatte. Denn der könnte mit seinem
Blick nicht einmal einem Kindergartenkind Angst einjagen.
Offenbar war Sam der gleichen Ansicht, denn er
stöhnte leise: »O mein Gott, was habe ich getan? Was habe ich
getan?«
»Denken Sie nicht daran«, erwiderte Jack. »Fliegen
Sie einfach nur den Hubschrauber.«
»Die werden mich umbringen«, winselte Sam. »Wenn
ich in Myra auftauche, töten sie mich. Verstehen Sie das?«
»Fliegen Sie einfach den Hubschrauber«,
wiederholte Jack.
In diesem Moment spähte Lou durch die
Windschutzscheibe und sah etwas, das ihr einen Schrei entlockte.
Weil sie zu schockiert war, um ins Mikrofon zu sprechen, hörte es
niemand.
»Fliegen Sie«, wies Jack den Piloten in
besänftigendem Ton an. »Nun machen Sie schon, dann lege ich ein
gutes Wort für Sie ein.«
»Gänse!«, kreischte Lou, diesmal ins Mikrofon, und
zeigte geradeaus. Zu spät. Wegen Sams vorübergehender
Aufmerksamkeitsstörung flogen sie so tief, dass sie mitten in einen
Gänseschwarm geraten waren, ohne dass irgendjemand etwas dagegen
tun konnte.
Als einer der Vögel gegen die Windschutzscheibe
prallte, in einer Explosion aus Blut und Federn, schleuderte der
Zusammenstoß Lou nach vorn, und ihre Stirn knallte gegen den
Metallrahmen des Pilotensitzes. Vor ihren Augen tanzten Sterne, die
Leuchtpistole entglitt ihren Fingern. Klirrend landete sie am
Boden, prompt löste sich ein Schuss, und diesmal sah sie ganz
andere Sterne. Im Funkenregen und in der Rauchwolke, die dem Krach
folgten, fand Lou gerade noch genug Zeit, um zu denken: Es heißt
nicht Gänseschwarm, sondern Gänseschar … aber Möwenschwarm.
»Schauen Sie nach vorn«, hörte sie Jack Townsend
rufen. Er musste nicht ins Mikrofon sprechen. Denn er schrie laut
genug, um das Surren der Rotoren zu übertönen ebenso wie den Krach
der Leuchtpistole, die von einer Wand zur anderen geschleudert
wurde und brennend in die Schalttafel flog.
»O Jesus!«, heulte der Pilot und warf beide Arme
hoch, um sein Gesicht vor dem Funkenregen zu schützen. »O
Jesus!«
Möwenschwarm, dachte Lou und wurde in ihren Sitz
zurückgeworfen. Diese Vögel hatte Barry immer geliebt. Und er besaß
alle CDs der Band »A flock of seagulls«, die das Möwengeschrei
imitierten. Er hatte
sie alle in dieser Box mitgenommen. An jenem Tag, wo er ihr
vorgeworfen hatte, sie sei zynisch. Möwen-CDs. Und Panflötenmusik.
Schon immer hatte Barry für Panflötenmusik geschwärmt.
Dicht vor ihren Augen erschien Jack Townsends
Gesicht, umgeben von Rauch und Flammen. »Schnallen Sie sich an!«,
brüllte er. Lou blinzelte und gehorchte. Doch sie fand sein
Benehmen ziemlich anmaßend. Wofür hielt er sich eigentlich? Für
einen Filmstar?
Und dieser Gedanke amüsierte sie köstlich.
Zumindest, bis der Rauch die ganze kleine Kabine füllte. Und dann
sah sie etwas auf die Windschutzscheibe zurasen – etwas, das ihr
die Kehle zuschnürte.
Und dieses Etwas war der Erdboden.