KAPITEL 40

DREI ZAHLEN

Ulrich säuberte sich im Waschraum. Während der Schock des Zusammenstoßes abebbte, wurden die Schmerzen stärker. Kiefer und Nase taten ihm weh, und zwei Zähne saßen locker. Er zitterte und ihm war schlecht.

Was ihm am meisten zusetzte, war die Zwickmühle, in der er sich befand. Hoffnung, Verzweiflung, und dann alles wieder von vorne … man gelangte an einen Punkt, wo man sich einfach wünschte, dass alles vorbei wäre, egal wie.

Wenn Treven ihm die Wahrheit gesagt hatte, gab es noch eine Chance. Er musste nur mit Horton sprechen und irgendeinen Deal aushandeln. Sicher, er würde Zugeständnisse machen müssen – schmerzhafte Zugeständnisse. Doch niemand wollte, dass diese Videos an die Öffentlichkeit gelangten. Das war es, was am Ende zählte. Er würde Clements anrufen, ihn informieren, sich absprechen. Irgendetwas würde ihnen schon einfallen.

Er kehrte ins Büro zurück. Clements stand vor seinem Schreibtisch und begutachtete die zersplitterten Überreste des Telefons. Ulrich fuhr zusammen, als er ihn erblickte. »Herrgott«, sagte er. »Was tun Sie denn hier? Ich wollte Sie gerade anrufen.«

Clements sah ihn an. »Die Tür war offen.«

Ulrich ging hinein. Die Tür schloss sich hinter ihm. Er wandte sich um und sah zwei vierschrötige Männer in dunklen Anzügen, die nicht so aussahen, als würden sie oft getragen. Er bemerkte, dass jemand die Jalousien heruntergelassen hatte.

»Wollen Sie mir Angst machen?«, fragte er.

»Nur eine kleine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung. Wir haben Blackwater in letzter Zeit bei vielen Projekten eingesetzt.«

»Was wollen Sie?«

»Ich will die Tonbänder, die Sie aufgenommen haben.«

»Die können Sie nicht haben.«

»Ich muss Sie bitten, Ihren Wandsafe zu öffnen.«

»Selbst wenn ich geneigt währe, ihn für Sie zu öffnen, was ich nicht bin, und selbst wenn sich die Bänder darin befänden, was nicht der Fall ist, würde ich Ihnen nicht helfen. Wie schon gesagt, es gibt Kopien davon. Ein Freund bewahrt sie für mich auf. Und er wird sie veröffentlichen, sollte mir etwas zustoßen.«

»Das Problem ist, ich glaube Ihnen nicht. Schauen Sie sich doch an, Ulrich. Sie tragen die Nase verdammt hoch. Es gibt niemanden, dem Sie so weit vertrauen würden. Und Sie hatten die Bänder gleich zur Hand, als Sie sie mir neulich am Telefon vorspielten, nicht wahr? Erinnern Sie sich? Sie haben mich erst kürzlich wieder darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine sichere Leitung handelt. Sie bluffen.«

Ulrich antwortete nicht. Die muskulösen Burschen setzten sich in Bewegung. Ulrich riss den Mund auf, wollte um Hilfe zu rufen, jedoch verpasste ihm Clements einen Uppercut in den Solarplexus. Ulrich ging stöhnend zu Boden.

»Es würde auch keine Rolle spielen, wenn Sie schreien«, meinte Clements. »Wir haben die umliegenden Büros überprüft. Alle sind schon nach Hause gegangen. Auch die Schalldämmung haben wir uns angesehen. Sehr eindrucksvoll.«

Die Blackwater-Typen zerrten ihn zum Schreibtisch. Clements sah zu, während er die Finger öffnete und schloss. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie lange ich mich schon darauf gefreut habe«, sagte er. »Und auf mehr.«

Sie zwangen ihn rücklings auf den Schreibtisch nieder. Seine Füße baumelten knapp über dem Boden, und die Blackwater-Männer hielten ihn links und rechts an einem Arm und einer Schulter fest. Clements klappte einen Koffer auf, der auf dem Boden stand, und brachte einen Akkubohrer zum Vorschein. »Ich will die Kombination«, sagte er. »So oder so.«

Schwer atmend sagte Ulrich: »Sie bluffen.«

Clements lächelte nur.

»Damit kommen Sie nicht durch«, sagte Ulrich. »Die Kameras in der Lobby …«

»Wir haben uns um die Kameras gekümmert. Wenn wir hier fertig sind, werde ich meinen bevorzugten politischen Kolumnisten bei der Washington Post anrufen und ihm ein paar ausgesuchte Details über Ihre Pläne verraten und darüber, welche Terrorgruppe Ihnen das vielleicht angetan haben könnte. Nichts Beweisbares, natürlich. Aber Sie wissen ja, dass diese Kolumnisten jedes Gerücht begeistert aufgreifen. Sie fühlen sich dann so eingeweiht. Haben Sie es nicht selbst so ausgedrückt? Und es ist ja nicht so, als wären Sie dann noch zu einem Dementi in der Lage.«

Er ließ die Bohrmaschine laufen und kam näher. »Freuen Sie sich, Ulrich. Für die Öffentlichkeit werden Sie ein Märtyrer sein. Wir werden Ihren Tod benutzen, um Angst zu säen und mehr von dem zu bekommen, was wir haben wollen. Sehen Sie, wir haben von Ihnen gelernt. Ich hoffe, Sie sind stolz darauf.«

Ulrich versuchte, um sich zu treten, doch die Blackwater-Typen klemmten ihm die Beine mit den Knien fest. Er wollte Clements zurufen, zu warten, nur eine Sekunde noch, die Sache ließe sich doch anders regeln, ausdiskutieren, doch einer der Blackwater-Typen hielt ihm mit der schwieligen Hand den Mund zu. Ulrich wehrte sich verzweifelt, indes waren seine Gegner zu stark und zu erfahren. Er versuchte, etwas zu sagen, irgendetwas. Er wollte Clements vernünftig zureden, ihn anflehen, nur noch ein bisschen zu warten, einfach nur zu warten, das musste doch nicht sein, er konnte alles erklären, bitte, hören Sie doch auf mich! Aber er konnte nur ein Grunzen hervorstoßen, während eine fleischige Hand ihm die geschwollenen Lippen gegen die lockeren Zähne quetschte.

Clements kam näher. Das Geräusch des Bohrers war schrecklich laut. Nichts half. Ulrich spürte eine entsetzliche Panik in sich aufwallen. Er wand sich. Er wollte schreien. Clements erreichte ihn mit dem Bohrer. Die Blackwater-Typen drückten ihn fester auf den Schreibtisch nieder. Mit hervorquellenden Augen beobachtete er über die Hand hinweg, die ihm die Lippen zerquetschte, wie Clements den Bohrer an seinem linken Knie ansetzte. Und dann war der Schmerz so furchtbar, so alles überwältigend, dass er jeden Gedanken auslöschte. Der Schmerz verzehrte ihn.

Es ging lange Zeit so weiter – erst die beiden Knie, dann der linke Ellbogen. Dazwischen Pausen zur Befragung. Ulrich schluchzte und bettelte. Doch er gab die Kombination nicht preis. Eines wusste er genau, sobald er sie verriet, würden sie ihn töten.

Als Clements sich seinem rechten Ellbogen zuwandte, waren der Schreibtisch und der Boden darunter mit Urin und Schweiß und Blut getränkt. Die Blackwater-Typen hatten kaum noch Mühe, Ulrich niederzuhalten. Er hatte seine Brille verloren, und das Zimmer und die Gesichter waren nur noch verschwommene Flecken. Irgendwann hatte er die Kontrolle über seinen Schließmuskel verloren, und der Raum stank nach Fäkalien. Nach Fäkalien und seinem eigenen, versengten Fleisch. Er konnte nicht einmal mehr schreien. Irgendetwas in seiner Kehle war kaputtgegangen.

»Danach«, sagte Clements, »nehmen wir uns Ihr Gesicht vor.«

»Bitte«, krächzte Ulrich. »Bitte.«

»Wir können nicht zulassen, dass die Videos an die Öffentlichkeit kommen«, sagte Clements. »Denken Sie nur, wie sie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung erschüttern würden. Stellen Sie sich vor, was das für die nationale Sicherheit bedeutet. Seien Sie doch vernünftig. Tun Sie das Richtige.«

Der Bohrer kam näher. Ein Geräusch drang aus Ulrichs Mund, ein Klang, den er noch nie zuvor gehört hatte, ein Stöhnen, ein Heulen, der unwillkürliche Tenor einer zutiefst verzweifelten Seele. Clements hielt inne und beobachtete ihn.

Mit Tränen in den Augen krächzte Ulrich drei Zahlen hervor. Drei Zahlen, die ihm einen Augenblick zuvor noch so wichtig erschienen waren. Aber jetzt spielten sie keine Rolle mehr. Nichts war mehr wichtig. Nicht die Videos, nicht die Caspers, gar nichts.

Er wollte nur noch, dass es vorbei war.