KAPITEL 18
NERVÖS IST NICHT MEIN STIL
Zurück im Van und unterwegs zum InterContinental sagte Paula: »Er ist es. Er ist nicht tot.«
Ben nickte. »So sieht es aus.«
»Was ist unser nächster Schritt?«
Ben hätte beinahe gesagt, dass es nach heute Nacht vermutlich kein ›Wir‹ mehr geben würde. Stattdessen meinte er: »Wir erstatten Bericht und versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. Und wir werden im selben Zimmer übernachten, okay?«
»Wie bitte?«
»Hören Sie, warum sollten ein Mann und eine Frau so gut wie ohne Gepäck und ohne Reservierung um Mitternacht in einem Hotel einchecken? Eine spontane Geschäftsbesprechung? Man tritt als das auf, was die Leute von einem erwarten, so bleibt man unbemerkt. Daher möchte ich, dass Sie wieder in Sarong und Top schlüpfen. Sie können das Jackett darüber tragen. Dann sehen Sie aus wie eine Prostituierte aus einer Bar, die sich etwas Besseres übergezogen hat, um in der Lobby eines guten Hotels präsentabel zu wirken.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Und wie weit sollen wir das Rollenspiel treiben?«
»Machen Sie sich keine großen Hoffnungen. Das ist nur für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt.«
»Hoffnungen. Sie sind vielleicht einer. Aber egal, warum checken wir nicht getrennt ein und umgehen damit das Problem?«
»Weil ich Ihnen nicht vertraue. Ich will nicht, dass Sie in Ihrem eigenen Zimmer mit Gott-weiß-wem telefonieren und Sachen anstellen, von denen ich nichts weiß.«
»Sie vertrauen mir nicht. Mein Gott, Sie haben vielleicht Nerven!«
»Außerdem wäre es normal für einen verheirateten Mann, der mit einer Prostituierten ins Hotel geht, eine tief ins Gesicht gezogene Baseballmütze zu tragen, um nicht erkannt zu werden. Man weiß nie, wann man einem Bekannten über den Weg läuft, der gerade aus der Bar kommt. Er würde den Kopf senken, damit sein Gesicht nicht auf den Überwachungskameras erscheint. Und den Hotelangestellten nicht in die Augen sehen. Sie sollten es genauso machen. Lassen Sie das Jackett offen, zeigen Sie ein wenig Ausschnitt. Niemand wird Ihr Gesicht bemerken.«
»Warum machen wir uns über all das Sorgen.«
»Es ist besser, dass uns jetzt niemand auf Band aufzeichnet oder sich an uns erinnert. Man weiß nie, wozu das später noch gut ist.«
Das Hotel lag in der Westhälfte der Stadt. Sie durchquerten San Josés heruntergekommenes, aber lebendiges Zentrum, und nach ein paar Minuten erreichten sie Escazú, ein Viertel mit allen nur vorstellbaren westlichen Restaurantketten und Markengeschäften. Es handelte sich anscheinend um eine amerikanische Enklave für gehobene Ansprüche. Direkt gegenüber dem Hotel lag ein elegantes Einkaufszentrum.
Sie suchten sich selbst einen Parkplatz, statt den Parkservice zu nutzen. Wenn jemand sie ohne Gepäck eintreten sah, würde er annehmen, dass sie bereits eingecheckt hatten. Und falls nicht … von einer Frau und einem Mann, die sich auf ein außereheliches Abenteuer einließen, durfte man Heimlichtuerei erwarten. Zusammen mit den Baseballmützen und den gesenkten Blicken erzeugte das genau den Eindruck, den Ben vermitteln wollte.
Die Lobby war hell erleuchtet und klimatisiert – Steinböden, offene Decke bis zum fünften Stock, Klaviermusik aus unsichtbaren Lautsprechern. Die Bar lag zur Linken und klang gut besucht. Rechts standen drei Hotelangestellte hinter einer Empfangstheke aus dunklem Holz und Marmor.
Sie suchten sich einen jungen Tico im dunkelblauen Anzug aus. »Wir brauchen ein Zimmer für eine Nacht«, sagte Ben leise in leicht verschwörerischem Ton.
»Aber gewiss«, erwiderte der Mann. »Wir haben Zimmer mit Doppelbett, getrennten Betten …«
»Getrennte Betten, bitte«, sagte Paula.
Bens Gesichtsausdruck verriet nicht, dass er ihr wegen dieser Dummheit am liebsten eine geknallt hätte.
Der Rezeptionist bearbeitete seine Tastatur. »Tut mir leid, aber zurzeit sind anscheinend nur Zimmer mit Doppelbett frei.«
»Doppelbett ist uns recht«, meinte Ben ruhig. Wenn Paula auch nur ein einziges Wort des Protestes von sich gab, würde er irgendeinen geeigneten Knebel suchen und ihn ihr in den Mund stopfen.
»Sehr wohl, Sir«, sagte der Mann an der Rezeption. »Und wie viele Schlüssel benötigen Sie?«
Ben sagte »Einen«, und Paula meinte gleichzeitig: »Zwei.«
Ben starrte Paula an und wiederholte: »Einen.« Die beiden Silben klangen wie ein Knurren.
Paula starrte zurück, sagte aber nichts.
»Und welche Kreditkarte möchten Sie verwenden?«
»Ich zahle bar.«
»Gut. Dann benötigen wir noch irgendeine Art von Ausweis. Einen Pass oder …«
Ben zückte seine Brieftasche und legte dreihundert Dollar auf den Tisch. »Ich würde mich wohler fühlen, wenn es keine Aufzeichnungen von unserem Aufenthalt hier gäbe«, meinte er. »Und bitte behalten Sie das Wechselgeld.«
Der Rezeptionist senkte kurz den Blick auf die Scheine. Dann brachte er einen Magnetschlüssel in einer Papierhülle zum Vorschein und reichte ihn Ben mit liebenswürdigem Lächeln.
»Die Zimmernummer steht hier«, sagte er und deutete auf die Hülle. »Zum Aufzug geht es an der Bar vorbei. Genießen Sie Ihren Aufenthalt.«
»Vielen Dank«, meinte Ben mit einem Blick auf die Karte. Zimmer 535. »Ich bin sicher, das werden wir.«
Sie gingen zu den Aufzügen. Sobald die Tür sich hinter ihnen geschlossen und Ben die Schlüsselkarte eingeführt und die Fünf gedrückt hatte, sagte er: »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«
Sie sah ihn an. »Was für ein Problem haben Sie denn jetzt schon wieder?«
»Was glauben Sie denn, wie wir aussehen? Wir spielen ein geiles Pärchen, das hier miteinander ins Bett gehen und Sex haben will. Und Sie fragen nach einem Zimmer mit getrennten Betten. Sie können das gottverdammte Bett haben, ich schlafe gerne auf dem Fußboden.«
»Ich sehe nicht ein, dass mein Wunsch unvereinbar wäre mit …«
»Mit zwei Leuten, die zum Ficken hergekommen sind?«
»Vielleicht schnarchen Sie ja. Vielleicht werfen Sie sich im Schlaf hin und her. Es gibt eine Menge Gründe, aus denen zwei Menschen lieber in getrennten Betten schlafen wollen, nachdem sie sich geliebt haben.«
»Tatsächlich? Nicht nach meiner Erfahrung.«
»Tja, wenn sie Frauen finden können, die bereit sind, Ihre Persönlichkeit im Allgemeinen zu ertragen, dann tolerieren sie Sie vielleicht auch in anderer Hinsicht.«
»Ja, gleichfalls. Ich kann mir jede Menge Gründe vorstellen, warum ein Mann am liebsten aufstehen und nach Hause gehen möchte, nachdem er Sie gefickt hat. Aber darum geht es nicht. Der springende Punkt ist, wenn zwei Leute in ein Hotel gehen, um miteinander Sex zu haben, dann wollen sie gewöhnlich ein Doppelbett haben. Was Sie getan haben, war ein Fehler. Durch Fehler fällt man auf. Aufzufallen bringt einen um.«
Paula holte tief Luft, um zu antworten, verstummte aber, als die Tür aufglitt. Aus reiner Gewohnheit prüfte Ben, ob die Luft rein war, bevor sie aus dem Aufzug traten. Sie gingen den Korridor entlang, und Ben öffnete die Zimmertür.
Sobald er sie zweifach hinter ihnen verriegelt hatte, sagte Paula: »Sie wollen mir Vorträge über das Auffallen halten? Das Erste, was Sie in Taibbis Bar getan haben, war, seinen Rausschmeißer praktisch zu kastrieren. Und Sie haben jede einzelne Chance ergriffen, um Taibbi vor den Kopf zu stoßen. Ja, Sie sind wirklich der unsichtbare Mann persönlich!«
Ben ging an ihr vorbei. Rechts ein Marmorbad. Doppelbett im Zimmer. Kommode, Flachbildfernseher und Tisch zur Linken. Er sah aus dem Fenster auf zwei große, nierenförmige Schwimmbecken im Garten hinunter, dann zog er die Vorhänge zu und drehte sich zu ihr um. »Das hatten wir doch schon. Wenn ich direkt sein muss, bin ich direkt. Wenn ich unsichtbar sein muss, bin ich unsichtbar. Wenn Sie den Unterschied nicht kennen, sind Sie eine verdammte Amateurin.«
Sie hatte die Lippen fest zusammengepresst und atmete so schwer, dass ihre Nasenflügel sich blähten. Ben erkannte, dass er sich zurückhalten musste. Natürlich hatte er recht, es auszusprechen, war nicht unbedingt hilfreich.
»Hören Sie, Sie sind in mancher Hinsicht sehr clever, das ist mir klar. Sie haben gute Instinkte und verstehen sich darauf, in eine Rolle hineinzuschlüpfen. Aber Sie müssen auch Ihren Verstand einsetzen. Sehen Sie denn nicht, dass das hier etwas ganz anderes ist als die Ermittlungen, mit denen Sie sich normalerweise befassen? Sie bewegen sich außerhalb Ihrer gewohnten Welt. Haben Sie Taibbi nicht zugehört, was aus seinen Männern geworden ist? Wann haben Sie zuletzt gegen jemanden ermittelt, der sich von hinten an Sie anschleichen, Ihnen die Halsschlagader durchtrennen und wieder verschwunden sein kann, bevor Sie auch nur zu Boden gegangen sind? Ich will es Ihnen sagen. Nie. Sonst wären Sie jetzt tot. Und Larison ist nur die eine Seite der Gleichung. Wir haben keine Ahnung, wer noch alles hinter ihm her ist. Und wenn er anfängt, sich auch für uns zu interessieren? Verstehen Sie? Sie sind klug und machen Ihren Job gut, jedoch im Moment kämpfen Sie außerhalb Ihrer Gewichtsklasse, und wenn Sie am Leben bleiben wollen, müssen Sie zuhören, was ich Ihnen sage.«
»Sie sind so etwas von herablassend. Ich möchte Ihnen am liebsten diesen überheblichen Ausdruck aus dem Gesicht schlagen.«
»Ist das die Art, wie man den Teufelskreis der Gewalt durchbricht?«
Sie schloss die Augen und stieß einen tiefen Atemzug aus. »Ich hasse es, wenn ich mich von Ihnen dermaßen auf die Palme bringen lasse. Sie sind es nicht wert.«
Er wusste, dass er lieber nichts darauf erwidern sollte, konnte es sich jedoch nicht verkneifen: »Wenn ich es nicht wert bin, warum ärgern Sie sich dann so?«
Sie schlug die Augen auf. »Genau. Ich werde jetzt ein Bad nehmen. Müssen Sie vorher noch auf die Toilette?«
»Ja, allerdings.«
»Schön. Und danach? Ich erwarte in der Tat, dass Sie auf dem Boden schlafen.«
»Mit Vergnügen«, sagte er und ging an ihr vorbei.
Er schloss die Tür hinter sich, pisste und putzte sich dann heftig die Zähne mit der vom Hotel zur Verfügung gestellten Zahnbürste. Wenn Paula ein Problem damit hatte, dieselbe Bürste zu benützen, sollte sie es eben sein lassen, das war ihm scheißegal.
Sie hatte sich in der Lobby einfach dumm verhalten. Aber …
Was brachte es, sie so anzufahren? Er hätte sie einfach auf ihren Fehler hinweisen können. Sie war ja nicht dumm, sie hätte es kapiert.
Wollte er sich vielleicht für ein paar der Dinge revanchieren, die sie im Van auf dem Weg von Jacó zu ihm gesagt hatte? Dieser Quatsch, dass der Job allein nicht rechtfertige, wie er mit den Leuten umsprang, und es noch einen persönlichen Grund dafür geben müsse … das hatte wehgetan. Was natürlich bedeutete, dass vermutlich etwas dran war.
Und benahm er sich ihr gegenüber nicht gerade auf exakt dieselbe Weise? Wenn er sie zu taktisch klugem Verhalten im Einsatz bewegen wollte, hätte er das einfach tun sollen. Wozu sie kränken?
Aber wenn es nicht um taktisch sinnvolles Verhalten ging, worum dann?
Du wolltest ihr wehtun. Weil sie dich verletzt hat. Sie hat dich herausgefordert, deshalb musstest du sie in die Schranken weisen.
War es wirklich so? Denn so betrachtet klang es wirklich erbärmlich.
Er spuckte aus, spülte sich den Mund und betrachtete sich im Spiegel. Ob wohl jemals jemand in einen Spiegel sah und ihm daraus eine so verärgerte, dünnhäutige und kleinkarierte Reflexion entgegenstarrte?
Wahrscheinlich nicht.
Vielleicht war das ein Teil dessen, was Hort ihm zu vermittlen versucht hatte. Mehr Selbstbeherrschung zu erlangen. Denn wie könnte man das ohne mehr Selbsterkenntnis?
Also gut. Schön. Aber was, wenn einem das Selbst nicht gefiel, das man erkannte?
Darüber wollte er nicht nachdenken.
Er wusch sich die Hände, befeuchtete einen Waschlappen und fuhr sich damit über Gesicht und Augen. Dieses Gefühl von unsichtbaren Mächten, die im Hintergrund agierten, und jetzt die Grübelei über sein eigenes Verhalten und was ihm zugrunde liegen könnte … das gefiel ihm nicht. Früher hatte er einfach getan, was man ihm befahl, sich so verhalten, wie es ihm passte, und jeden fertiggemacht, der damit ein Problem hatte. Es war doch ganz gut gelaufen, oder nicht?
Sicher. Und deine eigene Tochter hält dich für tot.
»Komm schon«, sagte er laut. »Das war eine rhetorische Frage.«
Er kicherte freudlos. Jetzt fing er schon an, Selbstgespräche zu führen. Er dachte an eine Frage, und eine Stimme in seinem Kopf gab tatsächlich Antwort darauf. Und schon unterhielt er sich mit dieser Stimme im Kopf. Wo sollte das hinführen?
Er brauchte dringend eine Auszeit. Urlaub. Dieser Schlamassel mit Obsidian, und dann das Gefängnis in Manila … es war ihm einfach zu viel geworden, das war alles. Wem wäre das nicht so gegangen?
Dir. Jedenfalls früher.
»Hörst du jetzt endlich auf mit der Scheiße?«, fragte er wieder laut.
Er öffnete die Tür und marschierte wortlos an Paula vorbei. »Alles okay da drin?«, fragte sie.
»Ja, wieso fragen Sie?«
»Es klang so, als würden Sie mit jemandem sprechen.«
»Ich …« Er schüttelte den Kopf und lachte. »Ich habe mich gerade wie ein ziemliches Arschloch benommen. Tut mir leid.«
Sie sah ihn an und er hatte wieder einmal keine Ahnung, was sie dachte. Nach einer Sekunde sagte sie: »Vergessen Sie‘s.« Sie ging ins Badezimmer.
Als er das Wasser rauschen hörte, rief er Hort an und informierte ihn über die Geschehnisse. Er nahm an, dass sie gerade ebenfalls Bericht erstattete, doch dagegen konnte er nicht viel tun.
»Nico, soso?«, meinte Hort.
»Ja. Nico. Was halten Sie davon?«
Hort lachte. »Sie meinen, ob ein hartgesottener Agent wie Larison eine Schwuchtel sein könnte?«
Ben fühlte sich peinlich berührt. »Nun … ja.«
Hort lachte wieder. »Natürlich könnte er. Da wäre er nicht der Einzige.«
»Sie verarschen mich. Es gibt Schwule in der Einheit?«
»Aber natürlich. Persönlich ist mir das egal. Mir geht es nur darum, dass die Leute gute Soldaten sind. Es lässt mich völlig kalt, mit wem ein Mann ins Bett geht.«
Ben überlegte einen Moment lang. Was Hort sagte, stimmte vermutlich. Er hatte nur nie daran gedacht. Es war einfach so schwer vorstellbar, dass einer der Männer, mit denen er zusammenarbeitete, schwul sein könnte, vor allem ein so harter Brocken wie Larison.
»Aber es passt«, meinte Hort.
»Was?«
»Larison führt ein Doppelleben. Sie haben nach seinen Motiven gefragt, erinnern Sie sich?«
»Schwul sein ist ein Motiv?«
»Nicht das Schwulsein an sich. Aber es verheimlichen zu müssen. Das Bewusstsein, dass man entlassen würde, wenn es jemals herauskommt, trotz aller Heldentaten im Einsatz und aller persönlichen Opfer. Egal, wie viele amerikanische Menschenleben man gerettet hat. Um Himmels willen, Sie wissen doch, was aus Dan Choi geworden ist. Der Mann war arabischer Linguist. Die brauchen wir dringend. Wir können einen Terroristen vielleicht zum Reden bringen, aber nicht auf Englisch. Doch die Army hat Choi trotzdem geschasst, nur weil er schwul war. Einen guten Mann, der nur seinem Land dienen wollte. Das erzeugt Hass. Und ein solches Geheimnis bewahren und ein Doppelleben führen zu müssen, besonders unter der Art von Druck, der Männer wie wir ohnehin ausgesetzt sind … wie gesagt, ich habe die Zeichen erkannt gehabt. Ich wusste sie nur nicht richtig zu deuten.«
»Und was sollen wir jetzt in Bezug auf diesen Typen namens Nico unternehmen? Er ist das Bindeglied zu Larison.«
»Ich muss der NSA die Einzelheiten übermitteln. Wir haben jetzt genug in der Hand, um herauszufinden, wer er ist, wo er wohnt, wo er arbeitet, seine gesamten persönlichen Lebensumstände zu durchleuchten. Wenn wir viel Glück haben, stoßen wir auf eine direkte Verbindung zu Larison. Und selbst wenn nicht, könnte dieser Typ den Durchbruch bedeuten. Gute Arbeit, mein Sohn.«
Ben fühlte einen beschämenden Anfall von Stolz, wie immer, wenn Hort ihn lobte. Er sagte: »Wenn wir das alles über Nico erfahren haben, was machen wir dann? Schnappen wir ihn uns und tauschen ihn gegen die Videos aus?«
Eine Pause entstand. »Das weiß ich noch nicht. Diese Entscheidung wird vermutlich oberhalb unserer Gehaltsklasse fallen.«
Ben war fasziniert, sowohl von der Pause als auch von der Formulierung »unserer Gehaltsklasse«. Als wären sie nicht nur im gleichen Team, sondern irgendwie auch gleichrangig.
»Okay«, sagte er.
»Eines sollten Sie noch wissen«, meinte Hort. »Es hat ein paar Diskussionen bezüglich Larisons Frau und Sohn gegeben.«
»Sie meinen eine Entführung?«
»Genau das.«
Es stand ihm nicht zu, und er hätte auch fast nichts gesagt. Doch der Gedanke, ein Kind zu entführen und auch noch die Frau, Marcy … das ging ihm gegen den Strich. Das war nicht in Ordnung.
»Ich weiß nicht recht, Hort. Ein Kind? Ich meine, kommen Sie schon!«
»Ich bin Ihrer Ansicht. Und ich habe argumentiert, dass es sogar schlimmer als unmoralisch wäre – nämlich taktisch unklug. Nach allem, was Sie herausgefunden haben, können wir davon ausgehen, dass Frau und Sohn nicht einmal ein geeignetes Druckmittel wären. Larison hat sich nicht um sie gekümmert, und die Frau sagte, es sei eine unglückliche Ehe gewesen …«
»Marcy. Ihr Name ist Marcy Wheeler.«
»Ich weiß. Und inzwischen frage ich mich, ob der Junge überhaupt Larisons Sohn ist. Aber egal. Es liegt ihm so wenig an seiner Familie, dass er seinen Tod vortäuschte und einfach verschwand. Ich glaube nicht, dass es ihm den Schlaf rauben würde, wenn sie jetzt jemand bedroht.«
Gut. Das klang nicht so, als wäre Larisons Familie in akuter Gefahr. Vermutlich hatten die Schlipsträger sich wieder einmal nur an ihrem eigenen, pseudo-harten Gerede aufgeilen wollen. Und Hort lehnte eine Entführung definitiv ab.
»Was soll ich in der Zwischenzeit unternehmen?«, fragte Ben.
»Es gibt eigentlich nicht viel zu tun, außer abzuwarten. Was ist mit dieser FBI-Agentin? Lanier. Macht sie Schwierigkeiten?«
»Jede Menge. Aber nichts, womit ich nicht zurechtkäme.«
»Okay, mal sehen, was wir über diesen Nico herausfinden können und was unsere Herren und Meister anschließend entscheiden. Nach heute Nacht wäre es vielleicht sinnvoll, die Agentin abzuschütteln.«
»Verstanden.«
Eine weitere Pause entstand. Ben sagte: »Ist alles … ich meine, besteht die Gefahr, dass uns jemand in die Quere kommt?«
Hort fragte: »Wie kommen Sie darauf?« Seltsamerweise stellte Ben sich vor, dass er dabei lächelte.
»Ich weiß nicht. Es ist nur … ich dachte an den Inhalt dieser Videos. Das muss eine Menge Leute ins Schwitzen gebracht haben.«
»So ist es. Und ich will Ihnen mal etwas sagen über Leute, die ins Schwitzen kommen: Der Schweiß läuft ihnen in die Augen und sie können nicht mehr klar sehen.«
»Muss ich mir Sorgen machen?«
»Sich Sorgen zu machen, ist mein Job. Ihrer ist es, jetzt schlafen zu gehen. Vielleicht rufe ich schon in ein paar Stunden mit einem Update an.«
»Gut.«
»Noch mal: gute Arbeit, mein Sohn. Es könnte sein, dass Sie uns die Lösung dieser Geschichte auf dem Silbertablett serviert haben. Ich bin stolz darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Von Hort war das höchstes Lob. Ben war gleichzeitig berührt und besorgt, was hinter den Kulissen alles vor sich gehen mochte, damit Hort so – ja was eigentlich? Sentimental wurde? Oder suchte er nur einen Verbündeten?
»Na schön«, meinte Ben und dachte an Obsidian. »Es gibt da noch ein paar Dinge, die Sie und ich aufarbeiten müssen. Aber … danke.«
»Schlafen Sie jetzt. Wir wissen nicht, was morgen wird.«
Hort unterbrach die Verbindung. Seine in eine schlichte Feststellung gekleideten Abschiedsworte klangen Unheil verkündend.
Ben überlegte, ob er sich einfach ins Bett legen und Paula sagen sollte, sie könne es entweder mit ihm teilen oder auf dem verdammten Fußboden schlafen. Doch dieses Gefühl von unsichtbar im Hintergrund lauernden Mächten schürte weiter seine Paranoia. Zum Teufel. Er schnappte sich eine Extradecke aus dem Schrank, faltete sie zu einer Unterlage zusammen und platzierte sie neben der Wand an der Seite, wo die Tür in den Angeln hing. Er packte ein Kissen vom Bett und warf es auf seinen Schlafplatz. Ja, schon besser. Denn wenn jemand in den Raum eindrang, würde er sich zunächst auf das Bett konzentrieren. Es wäre interessant, zu sehen, wie sich Paula mit ihrer goldenen Zunge aus diesem speziellen Teufelskreis der Gewalt herausredete.
Zugleich fühlte er sich wieder schlecht. Ja, sie trieb ihn zum Wahnsinn. Jedoch wollte er nicht, dass ihr etwas zustieß. Falls jemand ins Zimmer eindrang, lag das Bett im Mittelpunkt eines großen roten Fadenkreuzes. Sie dachte, niemand sähe sie jemals kommen? Sie kannte die Jungs nicht, mit denen er zusammenarbeitete. In einem Nachtsichtgerät würde sie klar und deutlich erkennbar sein.
Paula kam in einen Hotelbademantel gehüllt aus dem Bad. Wassertropfen hingen ihr an Gesicht und Hals. Sie sah gut aus.
Ben seufzte. »Ich weiß, dass ich nur meinen Atem verschwende, aber es wäre wahrscheinlich nicht die schlechteste Idee, die Matratze auf den Boden zu legen und gegen die Tür zu stemmen. Ein Bett bildet einfach ein zu leichtes Ziel, wenn ein Zimmer gestürmt wird.«
»Erwarten Sie heute Nacht Gesellschaft?«
»Nein, dann wäre ich nicht hier. Es ist nur eine kleine zusätzliche Versicherungspolice. Das hier ist eine große Sache. Und irgendwie auch ein wenig eigentümlich. Spüren Sie das nicht?«
»Ja, definitiv sonderbar. Meine Leute liegen in einem Krankenhaus in Orlando und werden wegen Verletzungen behandelt, die ihnen der Mann zugefügt hat, mit dem ich jetzt die Nacht in einem Hotel in San José verbringe. Dessen Identität, wie ich hinzufügen möchte, ein Rätsel bleibt. Also ja, man könnte sagen, die Sache ist ungewöhnlich.«
»Wenn Sie die Matratze herunterheben wollen, helfe ich Ihnen gerne.«
»Die liegt gut da, wo sie ist. Aber danke.«
Ben nickte und wandte den Blick ab. Es überraschte ihn, wie sehr er sich wünschte, zu ihr durchdringen zu können. Aber er wusste nicht, wie. »Gut, wenn Sie im Bad fertig sind, nehme ich jetzt eine Dusche«, sagte er.
»Bedienen Sie sich.«
In der Tür zum Badezimmer hielt er inne. »Ich lasse offen, okay?«
»Was?«
»Es tut mir leid, aber wenn das Wasser läuft, höre ich nicht, was draußen vorgeht. Ich kann damit leben, nichts zu sehen oder nichts zu hören. Aber beides gleichzeitig geht nicht. Also gucken sie nicht hin. Außer, Sie möchten.«
Sie sah ihn für einen langen Augenblick an. »Entweder Sie sind ein ausgewiesener Paranoiker oder ein unverbesserlicher Exhibitionist.«
»Also ein Exhibitionist bin ich nicht, soweit ich weiß.«
Er verstummte und suchte nach den richtigen Worten. »Ich weiß, Sie halten mich für ein arrogantes Arschloch, und wahrscheinlich haben Sie recht. Aber eines kann ich Ihnen versichern: Mein Radarsystem funktioniert ziemlich gut. Es hat mir öfter den Arsch gerettet, als ich zählen kann, und im Moment sagt es mir, dass … mit diesen Videos etwas Seltsames vorgeht, das sich unserer Erkenntnis entzieht. Es macht mich nervös. Und wenn Sie klug wären, würde es Sie auch nervös machen.«
»Nervös ist nicht mein Stil.«
Er nickte und fühlte einen Moment lang eine unerklärliche Trauer. »Ach ja? Nun, dasselbe galt vermutlich für Carlos und Juan Cole.«