KAPITEL 29
ZWEIFEL
Larison donnerte nach Südwesten. Der Regen klatschte gegen sein Visier und durchweichte sein Hemd. Er hatte sich mit Benzedrin aufgeputscht, um dem Tiefpunkt des parasympathischen Nervensystems nach einem solchen Kampf entgegenzuwirken, und fühlte sich, als könnte er ewig so weiterfahren. Wenn der Verkehr so dünn blieb und er nicht viele Pausen einlegte, konnte er die Grenze nach Panama in etwa fünf Stunden erreicht haben. Im Augenblick bremste ihn nur das Wetter, doch der Wind kam von Süden, und vor sich erkannte er bereits Lücken in der Wolkendecke. Mit etwas Glück war er bald aus dem Regen heraus.
Er machte sich keine Sorgen wegen der CIA – die hatte in Los Yoses alle verfügbaren Streitkräfte gegen ihn in den Kampf geworfen, und jetzt war ihnen nichts mehr geblieben. Sie brauchten Zeit, um sich zu reorganisieren. Ein solches Blutbad in der Hauptstadt war jedoch so ungewöhnlich, dass es möglicherweise zu einer erhöhten Polizeipräsenz an den Flughäfen führen konnte. Daher wollte er Costa Rica lieber auf dem Landweg verlassen. Spät in der Nacht würde er sich eine Unterkunft suchen, duschen, sich rasieren und am Morgen frische Kleidung kaufen. Danach konnte er die Grenze in präsentablem Zustand passieren, statt auszusehen wie die halb-irre, unter Hochspannung stehende Tötungsmaschine, als die er sich jetzt fühlte.
Seiner Ansicht nach hatten die beiden Teams aus CIA-Spezialkräften bestanden. Er hatte keinen der Männer von der ISA wiedererkannt, der Intelligence Support Activity der Armee, und er war lange genug dabei gewesen, dass ihm zumindest ein paar davon bekannt hätten vorkommen müssen. Nein, die ISA war an der Operation nicht beteiligt gewesen. Vielleicht hatte es sich auch um Söldner gehandelt. Es spielte keine Rolle. Wenn sie zur CIA gehört hatten, war der Gegner jetzt um ein glattes Dutzend Männer geschwächt. Falls sie Söldner gewesen waren, bedeutete das, dass es der CIA überhaupt an Spezialkräften mangelte und sie den privaten Sektor bemühen mussten. Wie auch immer, er hatte sich Luft verschafft.
Nur über den Typen vor Nicos Büro war er sich nicht ganz im Klaren. Er hatte zwischen zwei Autos gekauert und eine Pistole fest auf die Motorhaube gestützt gehabt. Er war ihm entfernt bekannt vorgekommen, doch wegen der Baseballmütze und der Sonnenbrille konnte Larison nicht sicher sein. Jemand, den er einmal bei den Auswahlprüfungen getestet hatte? Vielleicht. Wenn der Typ zur ISA gehörte, warum hatte er nicht geschossen? Larison war wehrlos gewesen, und der Typ hatte ihn einfach davonfahren lassen. Hatte er Angst vor dem Totmannschalter für die Videos gehabt? Ja, wenn er schlau war. Aber wer war er, und was hatte er dort zu suchen gehabt?
Eine Stunde außerhalb von San José hatte Larison zum Tanken angehalten. Und dann, während er zitternd und mit einer Gänsehaut bedeckt unter einem triefenden Wellblechvordach stand, hatte er Nico angerufen. Das Telefon klingelte zwei Mal, bevor er abhob.
»Hola.«
Larison meldete sich auf Englisch. »Nicky, ich bin es, Daniel.«
»Daniel? Was … warum rufst du an?«
Larison nahm fast nie per Telefon Kontakt auf. Alles lief über das anonyme E-Mail-Konto, auf das Larison immer nur von zufällig ausgewählten Orten aus zugriff. Und immer nannten sie Decknamen, keinesfalls jedoch Details, die ihn identifizieren konnten.
»Ich … ich habe da etwas in den Nachrichten gehört. Eine schlimme Schießerei in San José.« Die Worte blieben ihm fast im Hals stecken, und er musste sich kurz sammeln. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Ja, es gab zwei verrückte Schießereien direkt vor meiner Wohnung und dem Büro! Ich war im Büro, und wir dachten erst, es wären Feuerwerksknaller. Aber als wir zum Fenster hinaussahen, schossen da Leute aufeinander. Mir ist nichts passiert. Die Polizei glaubt, es waren Drogenschmuggler. Irrsinn, was?«
Larison schluckte und schloss die Augen. Gott, wie sehr er sich wünschte, jetzt dort sein zu können. Die Wohnungstür sicher hinter ihnen verschlossen … sanfter Jazz, wie Nico ihn liebte … der Geruch der Wohnung nach Kaffee und altem Leder und Nico selbst … das Wohnzimmer nur erleuchtet vom schummrigen Schein der Schreibtischlampe. Larison genoss es, Nico bei der Arbeit zuzusehen. Ihm gefielen die Zielstrebigkeit und die Unschuld seiner Tätigkeit. Manchmal blickte Nico auf und bemerkte, dass Larison ihn ansah. Und dann blitzte in seinem Gesicht dieses wunderschöne, jungenhafte Lächeln auf.
»Daniel?«
»Ich bin noch da.«
»Wann kommst du mich besuchen?«
Eine Träne rollte über Larisons Gesicht. »Bald.«
»Wie bald?«
»Ich … ich arbeite an einer großen Sache. Die, von der ich dir erzählt habe. Es ist beinahe geschafft. Wenn alles vorbei ist, komme ich zu dir.«
»Aber du klingst traurig.«
»Ich habe nur gerade sehr viel am Hals. Ich erkläre es dir bald.«
»Okay.«
»Nicky?«
»Ja.«
»Wenn die Sache, an der ich arbeite, nicht gut enden sollte, könnte es sein, dass … dass du ein paar schlimme Dinge über mich hörst.«
Es blieb eine Weile stumm. »Ich verstehe nicht.«
»Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Aber ganz egal, was du hörst, ich möchte nicht, dass du an mir zweifelst. Es macht mir Angst, dass du an mir zweifeln könntest …«
»Daniel, was ist denn los?«
Larison zwinkerte heftig, um wieder klar sehen zu können. »Ich liebe dich. Versprich mir, dass du daran nie zweifeln wirst.«
»Das würde ich nie. Ich liebe dich auch.«
Larison stieß einen schweren Atemzug aus. »Danke.«
»Ich wünschte, du würdest es mir öfter sagen.«
»Ich weiß. Das werde ich auch. Bestimmt.«
»Aber was …«
»Ich muss jetzt gehen. Ich rufe bald wieder an, ja?«
»Ich vermisse dich.«
»Ich vermisse dich auch. Ciao.«
Er legte auf, schaltete das Satellitentelefon ab und verstaute es wieder im Rucksack. Dann kauerte er sich hin, legte das Gesicht in die Hände und gestattete sich, eine Minute lang heftig zu weinen. Als es vorbei war und er sich gereinigt fühlte, stieg er wieder auf sein Motorrad und fuhr hinaus in den Regen.