KAPITEL 33
KEINE LAGE, IN DIE MAN GERNE KOMMEN MÖCHTE
Die dreißig Minuten unter der Dusche waren nicht ganz das, was Ben selbst eingeplant hätte, doch sie nutzten die Zeit gut. Danach schlüpfte Paula in ihr Strandkleid, und er zog das Hemd an, das er gekauft hatte. Das alte, das er am Tag zuvor getragen hatte, steckte er zu Paulas Kleidern in den Wäschebeutel. Sie würden ihn irgendwo weit entfernt vom Hotel loswerden.
»Ich muss nur noch dieses Telefonat mitverfolgen«, sagte er. »Anschließend können wir los.«
»Leg es auf Lautsprecher.«
Scheiße, das hätte er kommen sehen müssen. »Ich glaube nicht …«
»Erzähl mir nicht, dass du Geheimnisse vor mir hast. Nicht nach dem, was gestern geschehen ist. Und nicht nach dem, was seitdem passiert ist.«
Er erwog einen Moment lang, ihr zu sagen, dass das ganz verschiedene Dinge waren, dass geteilte Gefahr und selbst ein geteiltes Kopfkissen nicht bedeutete, dass er ihr operative Details anvertrauen durfte. Allerdings würde sie dann wahrscheinlich wieder auf ihn einschlagen. Und außerdem war es eigentlich keine Frage von operativen Details. Es ging um eine Bande von Managern, die sich darüber stritten, was zu tun war. Und verdammt noch mal, sie wusste ohnehin schon jede Menge.
Er nickte. »Also gut. Auf Lautsprecher.«
Sie lächelte. »Das ist also Larison? Und wen ruft er an?«
»Soweit ich weiß, nur meinen Boss, den nationalen Sicherheitsberater und einen Typen von der CIA.«
»Wer ist dein Boss?«
Scheiße. Auch das hätte er kommen sehen sollen. Er war müde. Oder zu abgelenkt von dem, was zwischen ihnen geschehen war. Wie dem auch sei, die Sache wuchs ihm über den Kopf.
»Lass uns einfach zuhören, okay?«, meinte er.
»Niemand vom Justizministerium nimmt an dieser Besprechung teil?«
»Ich glaube nicht.«
»Das verleiht dem Begriff ›blinde Justitia‹ eine ganz neue Bedeutung, nicht wahr?«
Ben zuckte die Achseln. »Ich schätze, diese Typen sind mehr um die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit besorgt, als um juristische Fragen.«
Sie setzten sich auf das unbenutzte Bett und warteten. Nur eine Minute später klingelte das Telefon. Ben hob den Finger an die Lippen, nahm ab und schaltete im selben Moment das Mikrofon stumm.
»Ich erkläre Ihnen jetzt den Ablauf«, sagte eine tiefe, raue Stimme. Sie klang gelassen und zuversichtlich. Ben vermutete, dass es sich um Larison handelte, der seine Instruktionen durchgeben wollte.
»Wir hören.« Diese Stimme erkannte Ben nicht, er nahm jedoch an, es handele sich um den nationalen Sicherheitsberater, der die Besprechung leitete.
»Im Grunde ist es sehr einfach«, fuhr Larison fort. »Nichts hat sich verändert. Wenn ich die Diamanten nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden gemäß meinen Instruktionen in den Händen halte, werden die Bänder veröffentlicht.«
»Ich verstehe«, antwortete der Sicherheitsberater. »Ich übergebe Sie jetzt an den neuen Leiter der Operation. Ich glaube, Sie kennen ihn. Colonel?«
»Wie geht es Ihnen, mein Sohn?«, meldete sich Hort. Paula formte mit den Lippen: Dein Boss? Und Ben nickte, er hatte das Gefühl, keine Wahl zu haben und dass sie inzwischen ohnehin ziemlich genau wusste, um wen es ging.
Eine Pause entstand. Larison fragte: »Hort?«
»Ja.«
»Ich hatte schon so ein Gefühl, dass man Sie hinzuziehen würde.«
»Nun, ich wünschte, es wäre früher geschehen. Dann wäre die Sache anders gelaufen.«
»Alles, was ich von Ihnen hören möchte, ist, dass Sie die Diamanten bereithalten. Wenn ja, können wir weiterreden. Wenn nicht, verschwenden Sie nur meine Zeit.«
»Wir haben sie.«
»Wo sind sie.«
»Was meinen Sie?«
»Wo bewahren Sie sie auf? In welcher Stadt?«
»Sie sind hier in Washington.«
»Gut. Ich rufe in vierundzwanzig Stunden wieder an und sage Ihnen, wie die Übergabe stattfindet. Sie werden einen einzelnen Kurier einsetzen. Ich denke, Ihnen ist klar, was geschieht, wenn Sie meine Anweisungen ignorieren.«
»Sie haben sich in Costa Rica klar und deutlich ausgedrückt, mein Sohn. Laut und unmissverständlich.«
»Vierundzwanzig Stunden. Sie werden einen Jet bereithalten.«
Es klickte, das Freizeichen erklang, dann wurde es still.
Der nationale Sicherheitsberater sagte: »Was meinen Sie?«
»Ich schätze, hier bietet sich eine weitere Gelegenheit«, warf eine dritte Stimme ein. »Wir könnten ihn uns am Punkt der Übergabe schnappen.« Das musste Clements sein.
»Verzeihung«, meinte Hort, »aber können Sie mir sagen, inwiefern sich das von Ihrem letzten Plan unterscheidet? Der, bei dem wir vierzehn Tote zu beklagen hatten, und der fast die Bombe namens Larison hätte platzen lassen? Sogar wörtlich, wenn wir an seinen Totmannschalter denken.«
»Er hatte Glück.«
»Sie hatten Glück. Glück, dass er nicht einfach die Katze aus dem Sack gelassen und diese Videos freigegeben hat. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte: Der Mann wirkt nicht gerade so, als wäre er in sich gefestigt.«
»Wir wissen nicht einmal, ob es diesen verdammten Totmann-Schalter überhaupt gibt. Möglicherweise blufft er nur.«
»Er blufft nicht. Ich kenne ihn. Und ich garantiere Ihnen, dass er den Schalter inzwischen auf gefährlich kurze Intervalle heruntergesetzt hat. Wenn er die Diamanten abholt, wird er ihn vermutlich auf etwa 15 Minuten reduziert haben. Ihr Plan lautet also, ihn zu schnappen, an einen sicheren Ort zu bringen, ihn wieder aufzuwecken und ihm genaue Details zu entlocken, wie der Schalter entschärft werden kann. Und das alles in fünfzehn Minuten?«
»Besser, als ihm einfach die Diamanten auszuhändigen und das Beste zu hoffen.«
»Das ist Wunschdenken, und Wunschdenken taugt bestenfalls dafür, sich einen runterzuholen.«
Paula hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken. Bens Achselzucken besagte: Ja, so ist er, mein Boss. Es war seltsam und irgendwie aufregend, ein Gespräch auf so hoher Ebene zu belauschen. Und Paula dazu eingeladen zu haben.
»Wo wollen Sie überhaupt die Leute dafür hernehmen?«, fragte Hort. »Wieder Blackwater? Und was machen Sie, wenn die Information, die sie von Larison erhalten, den Totmann-Schalter nicht entschärft, sondern im Gegenteil auslöst? Wie könnten Sie je sicher sein, bevor Sie die Videos auf Al Jazeera und in allen amerikanischen Fernsehsendern sehen?«
Einen Moment herrschte Schweigen. Clements sagte: »Ihr Vorschlag würde doch bedeuten, dass die Videos für immer wie ein Damoklesschwert über dem Kopf der US-Regierung hängen blieben. Irgendwann kommen sie ans Tageslicht.«
»Vielleicht. Aber alles, was Sie gerade vorschlagen, ist eine Garantie für die Veröffentlichung. Außerdem wird auch über Larison eine ständige Drohung schweben. Nico. Und dessen Familie. Wie schon gesagt, so stellen wir ein Gleichgewicht des Schreckens her. Garantierte gegenseitige Vernichtung. Das war schon im Kalten Krieg keine angenehme Sache, zugegeben, aber es hat den Frieden erhalten.«
Der nationale Sicherheitsberater sagte: »Ich muss sagen, mir missfällt der Gedanke, dass er damit durchkommen könnte.«
»Sir«, erwiderte Hort. »Sie können ihn später noch jederzeit aufgreifen lassen, wenn es das ist, was Sie wollen. Ich würde auch dann noch aus denselben Gründen wie jetzt davon abraten, doch die Möglichkeit bleibt bestehen. Was Sie sich nicht leisten können, ist, zu versuchen, ihn sich jetzt zu schnappen, solange der Totmannschalter auf so kurze Intervalle eingestellt ist. Ich weiß, dass Larison ihn so programmiert hat. Geben Sie ihm die Diamanten. Lassen Sie ihn gehen und warten Sie, bis er sich beruhigt hat. Irgendwann wird es ihm zu lästig und zu riskant werden, den Schalter alle paar Stunden zurücksetzen zu müssen. Er wird auf vierundzwanzigstündige Intervalle verlängern, vielleicht sogar achtundvierzigstündige. Wenn Sie ihn dann aufgreifen, gibt es eine Chance. Jetzt ist es aussichtslos.«
Stille breitete sich aus. Der nationale Sicherheitsberater sagte: »Halten Sie morgen einen Jet bereit. Mit den Diamanten.«
Hort antwortete: »Ja, Sir.« Ben hörte Papiere rascheln. Leute standen auf, und dann war die Leitung tot. Er drückte den Knopf zum Beenden des Gesprächs.
»Ich kann nicht glauben, dass sie ihm die Diamanten einfach so geben wollen«, sagte Paula. »Erpressung, Mord … die tun ja, als wäre das alles nie passiert.«
Ben zuckte die Achseln. »Komm, lass uns aufbrechen.«
»Wohin?«
»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich möchte so schnell wie möglich raus aus Costa Rica. Nur für den Fall, dass die Behörden wegen der Sache gestern in Los Yoses nach mir Ausschau halten.«
»Aber Larison …«
»Larison ist längst fort. Hat wahrscheinlich irgendwo die Grenze überschritten, während wir geschlafen haben. Ich weiß, Paula, das ist schwer zu verkraften. Aber hier geht es nicht um die Ermittlungen in einem Kriminalfall. Ging es nie. Soll ich raten? Selbst beim FBI gibt es Leute, denen klar ist, dass es sich nicht um eine Polizeiangelegenheit handelt. Und die informieren ihrerseits Leute in der CIA, die definitiv polizeiliche Nachforschungen verhindern wollen. Sie werden auch dich stoppen, wenn du nicht lockerlässt. Das ist keine Lage, in die man gerne kommen möchte.«
»Das ist echt … widerlich.«
»Einerseits ja. Andererseits ist keine Rede mehr von Auftragsmorden, richtig? Unsere Herren und Meister haben beschlossen, sich auf die Diplomatie zu besinnen.«
Sie schüttelte den Kopf und zog eine Grimasse. »Ich habe keine Ahnung, was unsere Herren und Meister da eigentlich treiben. Wirklich nicht.«