KAPITEL 27
KOPFSCHÜSSE
Larison stand mit dem Rücken zur Straße ein paar Meter neben dem Eingang zu Nicos Wohnanlage. Seine Augen waren geöffnet, er achtete jedoch nicht darauf, was sie sahen. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das Gehör. Er blendete die Vögel, die Insekten und die entfernten Verkehrsgeräusche aus. Er lauschte dem Unhörbaren. Bald würde er es vernehmen.
Er drehte sich um und ging langsam auf den Eingang zu. Er wusste, dass er ihn nicht erreichen würde.
Und so kam es. Er hörte das leise Plopp einer Druckluftpatrone irgendwo hinter sich. Im selben Moment spürte er ein stechendes Aufklatschen rechts am Hals. Seine Hand flog hoch und griff nach der Stelle. Er riss den Betäubungspfeil trotz seiner mit Widerhaken besetzten Spitze heraus. Natürlich war es schon zu spät. Der Pfeil besaß eine kleine Explosivladung, die ihm das Betäubungsmittel noch im Augenblick des Einschlags in die Adern gepumpt hatte. Ihn herauszureißen war sinnlos. Doch genau diese Reaktion hatte Larison bei zahllosen Opfern erlebt, und es war wichtig, sie jetzt genau zu imitieren.
Er taumelte, fiel auf ein Knie und beugte sich vor, wie die Opfer von Betäubungspfeilen es immer taten. Seine rechte Hand ruhte bereits in der Bauchtasche. Er schloss die Augen und lauschte.
Drei verschiedene Schritte näherten sich rasch: Zwei kamen von den Seiten, einer direkt von hinten. Die beiden an den Flanken würden die Plastikfesseln und die Kapuze bei sich haben. Der in der Mitte sollte ihnen mit gezückter Waffe Deckung geben.
Der Klang der Schritte veränderte sich, während sie vom Schotter auf den Gehsteig und dann auf die Straße traten. Sieben Meter. Sechs. Fünf.
In einer einzigen fließenden Bewegung stand er auf, wirbelte herum und brachte die HK in einem beidhändigen Griff hoch. Der Typ in der Mitte hatte gerade noch genug Zeit, die Augen aufzureißen, bevor Larison ihm die Schädeldecke wegpustete. Larison schwenkte nach links – Bumm! Dann nach rechts – Bumm! Drei weniger. Alles Kopfschüsse.
Von rechts hörte er einen Wagen heranbrausen. Er sprang zwischen zwei geparkte Autos und vergewisserte sich, dass es der weiße Van war, den er an der Ecke hatte stehen sehen. Er wartete, bis er nur noch zwölf Meter entfernt war, trat dann auf die Straße, hob die HK und schoss dem Fahrer durch die Windschutzscheibe eine Kugel ins Gesicht. Der Van schlingerte heftig und krachte drei Meter von Larison entfernt in einen geparkten Wagen auf der anderen Straßenseite. Larison ging hin und näherte sich von hinten auf der Beifahrerseite, die HK mit angewinkelten Armen in Kinnhöhe erhoben. Ein halb betäubter Mann, bedeckt vom Blut und der Gehirnmasse seines Partners, kämpfte mit der anscheinend verklemmten Tür. Er sah Larison und versuchte, eine Waffe zu heben, doch der Winkel stimmte nicht und er war sowieso viel zu langsam. Larison schoss ihm in den Kopf.
Er rannte über die Straße, schwang sich auf die Kawasaki und ließ den Motor an. Dann setzte er den Helm auf und donnerte in die Richtung, wo sich die anderen Späher befinden mussten. Selbst wenn es dem ersten Paar nicht mehr gelungen war, sie zu kontaktieren, mussten sie die Schüsse gehört haben und wissen, dass etwas schiefgegangen war. Momentan würden sie versuchen, ihre Kumpane über die Handys zu erreichen. Er bemerkte im Vorbeifahren einen weiteren Van, einen grünen diesmal, auf der rechten Seite, er stand nur an der falschen Stelle, um von irgendeinem taktischen Nutzen zu sein. Vermutlich ein Zufall, ein Zivilist.
Da, am anderen Ende der Straße! Noch ein weißer Van, in seiner Fahrtrichtung abgestellt. Er überprüfte die anderen parkenden Fahrzeuge nach potenziellen Gefahrenquellen. Nein, er hatte nichts übersehen. Der weiße Van war das Ziel.
Er ließ den Motor aufheulen, damit sie ihn kommen hörten, kurvte dann zwischen zwei geparkten Wagen durch, holperte über den Rinnstein und raste über den Gehsteig auf den Van zu. Er sah die Reflexion des Beifahrers im Außenspiegel. Der Mann hörte das Heulen des Motors der Kawasaki und nahm natürlich an, Larison würde über die Straße kommen, nicht über den Bürgersteig. Deshalb blickte er zu seinem Pech in die falsche Richtung.
Larison hielt neben seinem Fenster an. Das Gehör des Typen musste eine dringende Korrektur an sein Hirn gesendet haben – Gefahr von rechts, nicht von links –, denn er zuckte herum, einen Sekundenbruchteil, bevor Larison ihm eine panzerbrechende Kugel in den Hinterkopf jagte.
Der Fahrer reagierte erstaunlich schnell. In der Sekunde, während Larison sich auf seinen Partner konzentrieren musste, hatte er es geschafft, die Tür aufzustoßen und sich auf die Straße zu werfen. Larison trat zurück, kalkulierte den richtigen Winkel und schoss zwei Mal durch den Van hindurch. Er hörte einen Aufschrei auf der anderen Seite und umrundete vorsichtig die Motorhaube. Der Kerl lag in einer immer größer werdenden Blutlache auf dem Rücken. Er hatte die Pistole verloren, und seine Beine zuckten schwach, als wollten sie ihn von der Szene seiner eigenen Vernichtung wegtragen. Larison kontrollierte die Flanken – alles klar –, trat hinter dem Schutz des Vans hervor und ging mit erhobener HK auf den Mann zu.
»Bitte«, flüsterte der Typ. »Bitte.«
Larison lächelte und schoss ihm ins Gesicht.
Dann stieg er wieder auf sein Motorrad, lud nach und röhrte davon.
Sieben weniger, dachte er. Bleiben noch fünf.
Er wünschte sich, es wären mehr.