4. Kapitel

Die Jungs im Aquarium brauchten heute kein Futter mehr. Im Gegensatz zu ihm selbst, wie Stefan etwas wehmütig feststellte. Sein Magen knurrte. »Ihr habt's gut«, brummte er nachdenklich, als er vor dem Aquarium im Wohnzimmer stand.

»Du bist unverbesserlich, Stefan Seiler«, bemerkte Heike lächelnd und stellte sich hinter ihn, um die Arme um ihren Freund zu schlingen. Er drehte sich halb zu ihr um. »Wie meinst du das?«

»Du könntest immer essen, was?«

»Meine letzte Mahlzeit liegt sechs Stunden zurück. Mindestens!«, protestierte er. »Aber um diese Zeit zu essen, soll ja ungesund sein.«

»Eben«, nickte Heike und zog ihn zum Schlafzimmer.

Sie sanken eng umschlungen auf das Futon, das im Erker zwischen den Fenstern stand. Die Lamellenvorhänge waren verschlossen. Die kleine Nachttischlampe verbreitete einen diffusen Lichtschein.

Heike blickte Stefan tief in die Augen. »Sag mir, dass du mich liebst«, forderte sie.

»Warum?« Stefan war mit den Gedanken bei dem toten Schauspieler Tim Heiger. Er hatte noch einige Filme mit ihm auf Video.

Heike boxte ihm in die Seite. »Du Schuft«, schimpfte sie. »Du elender, mieser Schuft!«

»Aua«, rief er und wehrte sich, indem er sie auskitzelte.

Plötzlich klingelte das Telefon. Sie unterbrachen ihre Neckereien, blickten sich kurz an und schüttelten den Kopf.

»Egal«, brummte Stefan und beschäftigte sich weiter mit Heike.

Das Klingeln des Telefons verebbte nicht.

»Verdammt«, entfuhr es Heike.

Stefan erhob sich seufzend. »Ich muss … wer weiß, um diese Zeit … vielleicht ist es dringend.« Er murmelte eine Entschuldigung und tappte barfuß durch die dunkle Wohnung in den Flur, wo das Telefon in der Station hing. »Seiler?«

»Gut, dass ich Sie erwische, Herr Seiler.« Es war die aufgeregte Stimme von Michaela Heiger-Burbach. »Hier ist etwas Schreckliches geschehen.« Sie schluchzte.

Stefan war sofort wieder hellwach. Etwas in seinem Innern schlug Alarm. »Was denn?«

»Jemand hat meinen Mann zusammengeschlagen. Hier bei uns zu Hause!«

»Wir sind schon unterwegs. Und rufen Sie Krankenwagen und die Polizei. Und schließen Sie sich im Haus ein.« Damit legte er auf.

Heike blickte ihm fragend entgegen. »Und?«

»Das war die Heiger-Burbach.« Stefan rieb sich den Nasenrücken. »Es gibt ein Problem mit ihrem Mann.« Er zog sich die Schuhe an. »Ich muss noch mal los.«

»Ich komme mit.« Heike sprang vom Bett auf.

Täuschte er sich, oder hörte er da eine Spur von Eifersucht in ihrer Stimme?

* * *

Das Haus der Burbachs lag in Cronenberg, unweit der Kohlfurt. Eine idyllische Wohngegend, die oft von Wanderern durchstreift wurde, die im Bergischen Städtedreieck etwas Ruhe im Grünen suchten. Der Manuelskotten, der Kaltenbacher Hammer und das Burgholz waren auch nicht weit entfernt - ein Paradies für erholungsbedürftige Großstädter.

Ihre Adresse hatte Stefan Michaela Heiger-Burbachs Visitenkarte entnehmen können. Die Burbachs bewohnten ein imposantes, freistehendes Haus am Waldrand, das von einem Zaun eingegrenzt wurde.

»Mein Gott, wer hier wohnt, hat keine finanziellen Probleme«, staunte Heike und blickte sich um.

»Das ist nicht sicher«, erwiderte Stefan. »Und wenn, dann gibt es sicherlich andere Probleme.«

Er ließ den Käfer auf die mit Kies belegte Auffahrt zum Grundstück rollen. Der Kies knirschte laut unter den Reifen. Zu seiner Verwunderung parkte dort weder die Polizei noch ein Krankenwagen. Hatte er sich etwa doch verfahren?

Kaum, dass der Boxermotor im Heck des Käfers verstummt war, wurde die Haustür geöffnet. Michaela Heiger-Burbach kam ihnen entgegen. Sie hatte sich umgezogen, trug eine bequeme, dunkelblaue Baumwollhose und einen dunkelgrauen Fleecepulli. Ihre Augen waren verweint, als sie die Reporter hereinbat.

Stefan und Heike blickten sich unauffällig um. Das Mobiliar war gediegen, aber nicht überheblich luxuriös. Sehr geschmackvoll zusammengestellt, wie Heike fand. Die Hausherrin führte die beiden durch einen Flur in das Wohnzimmer. Glastisch, Ledercouch über Eck, Fernseher und Stereoanlage. Das Highlight war aber der rustikale Kamin. Heute brannte kein Feuer darin. Von der großen Fensterfront aus konnte man in den angrenzenden Wald blicken. Schwarz malten sich die mächtigen Tannen vom dunkelblauen Nachthimmel ab.

Stefan und Heike sanken auf das Ledersofa.

Die Hausherrin ließ sich in den Sessel am Fenster sinken. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch mal gestört habe«, eröffnete sie das Gespräch. Ihre Stimme zitterte. »Aber ich hatte einfach Angst. Die Polizei ist bereits abgerückt, wie Sie sehen, und mein Mann liegt im Krankenhaus.« Sie kehrte mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen die Handflächen nach oben. »Somit bin ich alleine im großen Haus -in einem Haus, in dem mein Mann überwältigt und brutal zusammengeschlagen wurde.« Ihre zierlichen Schultern zuckten krampfhaft, dann weinte sie. Eine Entschuldigung wispernd, zückte sie ein Taschentuch und schnäuzte sich die Nase.

»Wie geht es Ihrem Mann?«, versuchte Heike das Gespräch in Gang zu halten. Vom Schweigen hatte hier niemand etwas.

Schulterzucken. »Wie heißt es so schön? Den Umständen entsprechend. Er hat schwere Blessuren davongetragen. Das Gesicht …« Sie brach kopfschüttelnd ab. Ihre vornehme Maskerade war von ihr abgefallen. Sie war hilflos, war wie ein kleines Mädchen, das einfach nur Angst hatte. Angst vor dem, was da noch auf sie zukommen würde. Und sie zitterte am ganzen Körper. 

Stefan verspürte den Wunsch, sie tröstend in den Arm zu nehmen. Nur Heikes Anwesenheit hielt ihn davon ab. Die blonde Frau war ein Häufchen Elend. Erst der Mord an ihrem Bruder, dann der brutale Überfall auf ihren Mann. Stand sie zwischen den Fronten? Musste auch sie um ihr Leben oder ihre Gesundheit fürchten?

»Er ist nicht ansprechbar. Die Polizei konnte ihn noch nicht vernehmen. Somit haben wir keinen Hinweis auf den oder die Täter.«

Betretenes Schweigen kehrte ein.

»Frau Heiger-Burbach …«, setzte Stefan etwas hilflos an.

»Bitte nennen Sie mich Michaela.«

»Michaela …«, begann Stefan noch einmal. »Denken Sie, dass zwischen den beiden Vorfällen ein Zusammenhang besteht?«

Schulterzucken. Hilflos blickte Frau Heiger-Burbach ihre Besucher an. »Wenn ich das doch nur wüsste. Auch die Polizei hält sich bedeckt mit Vermutungen.«

»Was macht Ihr Mann beruflich?«

»Er ist Rechtsanwalt, hat eine gut florierende Praxis am Wall in Elberfeld.« Sie lächelte. »Eigentlich kümmert er sich um Familienangelegenheiten. Scheidungen und solche Dinge. Nichts, wofür man ihn angreifen und halb tot schlagen könnte.« Ihre Stimme klang brüchig, war nur ein Hauch.         

»Und Ihre Ehe …«, fragte Heike zögernd.

»Ist intakt«, beendete die Dame den Satz.

Etwas zu hastig, wie Heike fand.

»Wenn Sie das meinen, nein, es gab keine größeren Probleme. Nur die üblichen kleinen Meinungsverschiedenheiten, die man eben ab und zu mal hat.«

»Haben Sie Kinder?«

»Nein.«

Heike und Stefan tauschten einen raschen Blick. »Was glauben Sie?«, fragte Stefan dann. »Ich meine, wie denken Sie über die beiden Fälle? Sehen Sie einen Zusammenhang?«

Frau Heiger-Burbach zog die Mundwinkel nach unten und zuckte die Schultern. »Schwer zu sagen«, sagte sie, nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte. »Mein Mann und Tim … sie verstanden sich nicht sonderlich gut. Tim war eben sehr extrovertiert, wenn Sie verstehen?«

Stefan nickte. »Ja, ich habe davon gehört.«

»Wir würden Ihnen ja gerne helfen«, mischte Heike sich nun ein. »Aber was sollen wir jetzt und hier für Sie tun?«

»Klären Sie das Verbrechen auf.«

Heike glaubte, sich verhört zu haben. »Bitte?«

»Finden Sie den Mörder meines Bruders.«

»Dafür ist die Polizei zuständig«, mischte sich Stefan ein.

So gern er Michaela Heiger-Burbach auch geholfen hätte - dies war einwandfrei ein Fall für die Kripo, nicht für zwei Radioreporter.

Frau Heiger-Burbach stieß sich von dem Sessel, in dem sie gekauert hatte, hoch und trat einen Schritt auf Heike und Stefan zu. »Denken Sie an die Publicity«, sagte sie. »Es wäre eine nie da gewesene Werbung für Ihren kleinen Sender, wenn Sie den Mörder von Tim Heiger finden würden.«

»Das ist uns eine Nummer zu groß, sorry«, winkte Heike ab. Sie erhob sich ebenfalls und gab Stefan ein Zeichen in Richtung Tür.

Doch die Hausherrin ließ nicht locker. »Wie ich hörte, haben Sie auch vor einiger Zeit verhindert, dass sich ein Verrückter an der Schwebebahn zu schaffen macht«, bemerkte die Heiger-Burbach. »Und dann … die Korruptionsaffäre … nie wäre etwas an die Öffentlichkeit gelangt, wenn Sie nicht so sauber recherchiert hätten. War das alles etwa keine Werbung für die Wupperwelle?«

»Schon«, räumte Stefan ein. »Allerdings sind wir in die beiden Fälle mehr oder weniger zufällig hineingeschlittert. Was Sie hier von uns wollen, klingt verdächtig nach einem echten Auftrag. So, als wären wir Detektive.«

»Das sind Sie durchaus«, lächelte die blonde Frau.

»Falsch, tut uns Leid, Frau Heiger-Burbach«, mischte sich Heike ein. »Wir sind Reporter, keine Detektive. Natürlich sind wir immer für Sie da. Und vielleicht bekommen wir ja tatsächlich den einen oder anderen Hinweis in dieser Sache.«

Frau Heiger-Burbach blickte sie unverwandt an, dann lächelte sie matt. »Ich bin gespannt.«